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(11. November.) Die Möbel der Mme. Cuchet sind verschwunden. Nur ihr Tisch ist zurückgeblieben und darauf liegen die dürftigen Habseligkeiten der Mme. Guillin – armselige Kleidungsstücke, gehäkelte Spitzen, einige Servietten, eine Perücke.
Die Verhandlung wird eröffnet.
Präsident: »Der dritte Name, welchen Ihr Notizbuch enthält, ist der von Crozatier. Gestehen Sie, daß es sich um Mme. Guillin handelt?«
Landru neigt den Kopf zum Zeichen seiner Zustimmung.
Der Rat Gilbert entwirft die Lebensbeschreibung dieser dritten Verschwundenen, die ohne Schönheit, ohne primitivste Kultur war, aber eitel und von Größenwahn beherrscht.
Auch diesmal hatten die kleinen Anzeigen Mme. Guillin und den Möbelhändler in Verbindung gebracht. Der Präsident ladet Landru ein, den Zweck anzugeben, den er mit der Anknüpfung von Beziehungen zu Mme. Guillin verfolgte. Landru kann nun in seine Verantwortung keine Abwechslung bringen. Es handelt sich immer um ein durch wohlgemeinte Heiratsversprechungen annehmlich gemachtes kommerzielles System. Landru wiederholt es, sichtlich ein wenig ermüdet, immer wieder zu sagen, was ihm für die heute verlangte Rechtfertigung so wenig wertvoll erscheint.
Präsident: »Sie haben sich Mme. Guillin mit der Angabe vorgestellt, daß Sie auf den Posten eines Konsuls in Australien abgehen sollen.«
Landru: »Wenigstens hat sie sich das eingebildet.«
Eines Tages sah Mme. Guillin in Vernouillet durch das Schlüsselloch eines verschlossenen Zimmers und bemerkte Frauenkleider und Stiefletten. »Kleiner Schelm«, rief Landru, der sie überraschte; und er erklärte ihr, daß diese Sachen seiner verstorbenen Mutter gehörten.
Landru: »Man hat so viel über diese unglückselige Affäre geschrieben, daß man endlich zwischen Fabel und Tatsache unterscheiden müßte.« Die Tatsache leugnend, fügte er hinzu: »Herr Präsident, Sie haben meine Ordnungsliebe anerkannt und ich danke Ihnen dafür. Ich würde doch die fraglichen Sachen in einen Koffer verpackt haben.«
Ferner besteht noch immer die Frage, ob die Verschwundene berechtigt war, ihre Heirat ihren Freunden und Bekannten anzukündigen? Und Landru antwortet ungehalten: »Man verheiratet sich nicht auf diese Weise!«
An welchem Tag fuhr er mit Mme. Guillin nach Vernouillet. Das Gedächtnis Landrus ist wunderbar schwach. Trotzdem hat man festgestellt, daß die Fahrt am 2. August 1915 unternommen wurde. Landru gibt dies nicht gerne zu.
Präsident: »Wenn nur kommerzielle Beziehungen zwischen Ihnen und Mme. Guillin herrschten, warum hat sie sich in Vernouillet eingerichtet?«
Landru: »Was für eine Einrichtung? Sie hatte ihre Wohnung in der Rue Crozatier beibehalten.«
Präsident: »Wohin sie niemals wieder zurückgekommen ist.«
Landru (schweigt).
Präsident (dringend): »Wohin sie niemals wieder zurückgekommen ist.«
Rat Gilbert hält Landru vor, daß die Aufkündigungen und Scheinübersiedlungen nur Manöver waren. Landru ist von diesem Ausdruck unangenehm berührt. Er meint: »Oh! Dann macht alle Welt Scheinmanöver.«
»Haben Sie die Möbel der Guillin am 15. Oktober 1915 fortbringen lassen?«
»Es ist richtig!« läßt sich Landru bedächtig vernehmen.
Präsident: »Wo war damals Mme. Guillin?«
Landru: »Ich kann darüber nichts sagen!«
Der Staatsanwalt lächelt kaum merklich.
Landru: »Man hat Mme. Guillin nicht aufgefunden, Landru dagegen schon. Aber es hat eine Zeit gegeben, wo man auch Landru nicht fand. Ebenso ist dies jetzt eine Frage der Zeit. In drei Jahren werden Sie vielleicht Mme. Guillin finden.« –
Darüber bricht der Saal in Heiterkeit aus.
Präsident: »Landru, wie erklären Sie es, daß man in Ihrem Besitze Wertsachen und Mobilien, Kleider und falsche Haare gefunden hat, und zwar in der Rue Maurice, Gegenstände, die Mme. Guillin gehörten.«
Landru: »Ich habe es Ihnen schon gesagt.«
Präsident: »Ja, Sie hatten alles gekauft, selbst die Haare.«
Landru: »Wenn man etwas en bloc kauft, nimmt man sich nicht die Mühe, jede Lade zu öffnen.«
Präsident: »Und sie wollen natürlich nichts sagen. Das Privatleben geht uns nichts an!«
Landru macht eine Geste des wohlerzogenen Mannes, der sich darüber ärgert, daß man ihn eines häßlichen Streiches verdächtigt.
Staatsanwalt: »Also Sie berufen sich abermals auf Ihr schlechtes Gedächtnis?«
Landru: »Leider! Ich glaube, es ist nichts mehr aus ihm herauszuholen.«
Staatsanwalt: »Schließlich, die von Ihnen gemachten Notizen über Titres beziehen sich immer auf solche der Verschwundenen?«
Landru (naiv): »Ist dies eine Frage, die Sie mir stellen?«
Staatsanwalt: »Gewiß. Diese Angaben, sage ich, beziehen sich auf Namen, die ich die »verhängnisvolle Liste« nenne. Erklären Sie es.«
Und der Staatsanwalt erinnert Landru daran, daß das Geheimnis einer Frau den Kopf eines Mannes kosten könne. Mit rauher, trockener, scharfer Beredsamkeit ruft der Ankläger es ihm ins Gedächtnis. Mit einer Raschheit, die in die zwei ihm zur Seite befindlichen Soldaten Leben brachte, springt Landru jählings auf und ruft heftig: »Nein, ich habe nichts zu sagen! Ich werde niemals etwas sagen. Sie haben von meinem Kopfe gesprochen, ich bedaure, Ihnen nur den einen anbieten zu können!«
Diese heftige Erklärung verursacht im Zuhörerraum eine gewisse Aufregung. M. de Moro-Giafferi interveniert: »Es handelt sich nicht darum, einen Angeklagten mit dem Verlust seines Kopfes zu bedrohen. Zuerst müssen Beweise vorliegen. Wie immer auch die Haltung meines Klienten sei, die Herren Geschworenen werden begreifen, daß sie zu prüfen haben, ob man ihnen genügende Beweise vorgelegt hat, um den einzigen Kopf, welchen mein Klient besitzt, fallen zu lassen.«
Bei der Wiederaufnahme der Verhöres wird Mme. Leyrat vernommen. Dies ist eine Nachbarin, die von ihrem Balkon aus das Innere der Wohnung von Mme. Guillin beobachten konnte. Sie erkannte Landru. Außerdem hatte ihr die Guillin Geheimnisse anvertraut. So zum Beispiel: »Er hat ihr ein schönes Nachthemd geschenkt«.
Die Zeugin wußte auch, daß ihre Nachbarin in Vernouillet durch das Schlüsselloch geblickt und die famosen Stiefletten bemerkt hatte.
Präsident: »Hat sie Ihnen gesagt, daß ihr Zukünftiger ihre Schmucksachen verkaufen soll?«
Zeugin: »Möglicherweise.«
Präsident: »Wollte sie ihre Möbel verkaufen?«
Zeugin: »Oh nein, sie legte großen Wert auf dieselben.«
Unter den traurigen corpora delicti erkennt die Zeugin die Sachen der Mme. Guillin.
Hierauf kommt Mme. Pauline Semaret an die Reihe. Sie war die Schneiderin der dritten Verlobten. Man kommt wieder auf die corpora delicti zurück. Die Schneiderin erkennt darunter ihre Arbeiten.
Mme. Lebrun ist Hausmeisterin im Hause Rue Crozatier 35, wo Mme. Guillin nicht wieder erschien. Die Zeugin wußte von den Projekten der Heirat und der Reise nach Australien, wo Landru »Konsul war«. Der »Konsul« hatte das Mobiliar fortführen lassen.
Mme. Rigaud wurde von der Heirat ihrer Freundin Madame Guillin mit dem »Konsul aus Australien« benachrichtigt. Sie erzählt anschaulich die Merkwürdigkeiten der Verschwundenen und erwähnt deren Ausspruch: »Der Herr Konsul ist sehr reich und sehr gut«. Jedoch: »Er will, sagte sie, daß ich alles verkaufe, was ich besitze«.
Mme. Coquet ist eine geborene Angèle Guillin. Sie ist die Tochter der Verschwundenen. Ihre Aussagen bringen keine Aufklärung. Sie hatte keine Nachrichten von ihrer Mutter seit dem Brief vom 2. August, von dem sie kürzlich sprach. M. Coquet, Taglöhner, bestätigt die Aussage seiner Frau.
M. Rigault, Sachverständiger im Schriftfach, sagt aus: »Er hat die Verkaufsordre der Titres der Mme. Guillin an die Bank von Frankreich untersucht. Der Experte ist der Meinung, daß die Unterschrift auf dieser Verkaufsordre, sowie der Text von der Hand Landrus herrührt. Bei Landru hat der Endbuchstabe »n« gesuchtere Krümmungen, als in der Originalschrift der Mme. Guillin.
Er erklärt ausführlich; Landru horcht auf, die buschigen Brauen zusammengezogen, und behauptet nochmals, daß die Unterschrift der Guillin von ihm nicht gefälscht worden sei. Dann sagt der Verteidiger, ohne die Ironie zu sehr zu betonen, zu Herrn Rigault: »Führen Sie uns doch in Ihre komplizierte Kunst ein«. Nun setzen der Staatsanwalt, M. de Moro-Giafferi und der Experte Rigault den zwölf Volksgeschworenen die widersprechenden Fakten auseinander. M. de Moro-Giafferi argumentiert mit Beredsamkeit, geht von einem zum andern. Zurückgekommen, ruft er: »Gott schütze Sie vor Entscheidungen, die auf Schlußfolgerungen der ehrenwerten Schriftsachverständigen beruhen!«
M. Lesbazeilles war Bevollmächtigter des Bankhauses, in dem Landru, welcher der Umstände wegen zum »Georg Petit, Architekt,« geworden war, die Titres der Mme. Guillin verkaufte.
Wenig Zeugen wurden von Landru so aufmerksam gehört, wie dieser.
Präsident: »Hat er Ihnen seine Adresse gegeben?«
Zeuge: »Seit einer Krankheit bin ich ein wenig vergeßlich.«
Frage: »Sind Sie bei diesem Kunden gewesen?«
Zeuge: »Nein, niemals.«
Frage: »Haben Sie eine unterfertigte Vollmacht gehabt?«
Zeuge: »Ja, Herr Präsident! Von Mme. Guillin unterzeichnet, Schwägerin des M. Georg Petit, die wegen einer Krankheit nicht selbst verkaufen konnte.«
Frage: »Ist Mme. Guillin nicht in die Bank gekommen und hat in Ihrer Gegenwart die Unterschrift abgegeben.«
Zeuge: »Nein, Herr Präsident.«
Frage: »Was machten Sie mit dem Betrage des Verkaufes, den 3000 Francs? Sie haben ihn an die Adresse getragen, wo sich Mme. Guillin befand?«
Der Zeuge hat jedoch Haus wie Ort vergessen. Er glaubt, versichern zu können, daß er keine »Dame« gesehen habe. Landru ist diesmal in der Lage, das Gedächtnis des anderen aufzufrischen. Er legt besonderes Gewicht darauf, daß die Vollmacht im Hause 45 Avenue des Ternes (Wohnung Petit) in Gegenwart der Madame Guillin ausgestellt wurde, de Moro-Giafferi verliest hierauf die Aussage des Zeugen im Untersuchungsverhör. In diesem Verhör beschreibt der Zeuge das Appartement, er sah dort eine Dame, die er nicht für Mme. Guillin halten konnte, da er wußte, daß die Schwägerin des M. Petit krank sei. Die Antworten des M. Lesbazeilles bringen noch mehr Konfusion in die Sache.
Der Verteidiger erreichte, daß eine neue Untersuchung des Domiziles von Landru, Avenue des Ternes vorgenommen wird. Hierauf lieferte Landru Angaben, die ermöglichen sollten, die Wohnung zu erkennen, wie er sagte, die Wohnung der Mme. Guillin.
Hierauf wird die Verhandlung geschlossen.