Egon Roland
Der Fall Landru
Egon Roland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der sechste Tag.

(12. November.) Auf dem Tisch der Mme. Cuchet liegen noch die ärmlichen Habseligkeiten der Mme. Guillin, in deren Angelegenheit noch einige Zeugen vernommen werden sollen. Dann steht der Fall Héon auf der Tagesordnung.

Die Photographen wollen Landru aufnehmen. »M. Landru, bitte ein wenig nach links!« – »Aber sehr gerne, meine Herren!« antwortet Landru und setzt sich zurecht.

Da einer der Geschworenen den Zug versäumt hat, erscheint der Gerichtshof erst um 13 Uhr 10. Als erster Zeuge wird M. Talan in Angelegenheit Guillin aufgerufen. Der Zeuge, Schmied von Beruf, hat beim Transport der Möbel in die Garage in der Rue Etex geholfen.

Mme. Pages ist Portiersfrau des Hauses in der Avenue Mac-Mahon, wo Landru ein Zimmer im Namen der Mme. Guillin mietete. Doch hat Mme. Pages niemals diese Dame gesehen.

Landru antwortet, daß zu dieser Zeit Mme. Guillin es vorzog, in der Avenue des Ternes 45 zu wohnen, in jener Wohnung, von welcher gestern gegen Ende der Verhandlung soviel gesprochen worden ist. Es ist schwierig, zu erfahren, ob Landru in der Avenue Mac-Mahon oder in der Rue Crozatier (wo Mme. Guillin nicht wieder erschien) die Zuschriften der Banque de France erhalten hat. Landru leugnet wie gewöhnlich, aber höflich wie immer.

Es folgt die Aussage des Brigadiers Riboulet, ohne daß dies Landrus Interesse erweckt. Er scheint aus einem Traum zu erwachen, als ihn der Vorsitzende fragt, ob er etwas zu bemerken habe. Man kommt auf die Uebersiedlung nach Gambais zu sprechen.

Vorsitzender: »Landru, erklären Sie uns jetzt, weshalb Sie die Villa Lodge in Vernouillet verlassen haben! Sie haben uns gesagt, daß die Nachbarn zu neugierig waren. Nun, waren etwa die Mauern in Vernouillet nach ihrer Meinung nicht hoch genug, nachdem Sie doch so gerne von den Mauern des privaten Lebens sprechen?«

Nein! Landru fand das Leben in Gambais weniger beschwerlich und viel praktischer. Er konnte sich dort ein Atelier einrichten (tat es aber nicht). Schließlich, in Vernouillet war es dunkel, im Erdgeschoß konnte man kaum am hellen Tag den Hut finden. Beiläufig erzählt Landru seinem Richter von der Durchreise seiner Familie nach Gournay und Ezy.

Zu diesem Zeitpunkt wandert Landru von einer Wohnung zur andern. Bald ist er Frémyet, bald Georges Petit.

Der Rat Gilbert entwirft ein Bild von Gambais.

Die Pläne und Photographien werden den Geschworenen übergeben. Unter dem Namen Raoul Dupont hatte Landru hier die Villa »Tric« gemietet.

Präsident: »Ah, Landru, Sie sind entschieden der Fregoli der falschen Namen, wie Sie auch der Fregoli der Wohnungen sind.«

Darauf erwidert Landru gutmütig: »Dieser Namenswechsel liegt doch zweifellos im Vorteil eines unglücklichen Kaufmannes, dessen Geschäfte beharrlich zu verhindern sich die Polizei in den Kopf gesetzt hat. Übrigens hatte ich beim häufigen Wechseln des Namens die gute Aussicht, der Polizei besser auf die Spur zu kommen. Das ist doch eine Frage des gesunden Menschenverstandes.«

Dies ruft solch ein Gelächter im Publikum hervor, daß der Vorsitzende zur Ruhe verweisen muß und daran erinnert, daß solche Kundgebungen nicht gestattet seien.

Nun kommt Landru auf einen besonders interessanten Punkt zu sprechen: »Es gab in der Villa nichts, womit man kochen konnte. Kein Kochen, kein Heizen war möglich.«

Präsident: »Ich werde das anmerken.«

Landru: »Ich appelliere nochmals an den gesunden Menschenverstand. Die Villa hatte viele Risse und Sprünge und die Anklage wundert sich, daß ich mich bemühte, mir die Mittel für Beheizung und für die Zubereitung der täglichen Mahlzeiten zu verschaffen. Ich ließ in die Villa »Tric« 300 Kilo Kohle führen, alles in allem. Ein einziger Sack wurde in die Küche gebracht. Das übrige in den Schuppen, von wo man mir eine beträchtliche Menge entwendete. Ich brauche wohl nicht anzuführen, weshalb ich es unterlassen habe, darüber bei der Polizei Anzeige zu machen.«

Der nächste Zeuge, M. Tric, bedauert, daß er die Villa in Gambais solch einem Mieter überlassen hat, sagt aber aus, daß der Mieter »M. Raymond Dupont aus Rouen« pünktlich in seinen Zahlungen war.

Nach ihrer Erbauung wurde die Villa von M. Tric selbst bewohnt, dann von M. Baton, dem unmittelbaren Vorgänger des Dupont-Landru.

Moro-Giafferi: »Hat M. Baton in der Gegend gearbeitet?«

Zeuge: »Jawohl, mein Herr!«

Präsident (zur Frage des M. de Moro-Giafferi): »War Landru, als er zu mieten kam, von einer Frau begleitet?«

Zeuge: »Ich habe ihn immer nur allein gesehen.«

Fall Héon.

Nun kommt der Fall Héon, im Notizbuch mit »Havre« bezeichnet.

Landru sagt, daß es nicht seine Annonce war, auf die Frau Héon aufmerksam wurde, sondern im Gegenteil, daß er es war, er, der immer aufmerksame und seiner Methode getreue Kaufmann, welcher die Annonce dieser Dame bemerkte.

Geboren in Havre 1860, führte Mme. Héon als Witwe einen nicht gerade tadellosen Lebenswandel. Gegen 1902 verließ sie Havre, um sich in Paris niederzulassen, später in Seine-sur-Oise, begleitet von ihrem Liebhaber, welcher in Ermont starb.

Einzelheiten aus ihrem Leben werden vom Vorsitzenden bekanntgegeben: Die Witwe hatte verschiedene legitime und uneheliche Kinder, unter diesen eine Tochter, welche beim Tode Gaudoins, des Geliebten ihrer Mutter, mit dem Tschechen Kovalsky zusammen zog. Dieser ließ sich zum Militär anwerben und wurde 1915 in den Reihen der Fremdenlegion getötet. Schließlich blieb Mme. Héon allein zurück, nachdem sie ihren Mann, ihren Geliebten, ihre Tochter und den Geliebten ihrer Tochter verloren hatte.

Präsident (zu Landru): »Unter welchem Namen haben Sie sich ihr vorgestellt?«

Landru: »Ich glaube unter dem Namen Petit.«

Präsident: »Das stimmt. Geben Sie zu, vom Heiraten gesprochen zu haben?«

Landru: »Wir sprachen zuerst von Möbeln.«

Frage: »Haben Sie sich als Heiratswerber benommen?«

Landru: »Ich habe mich bemüht, liebenswürdig zu sein, um eine Klientin zu bekommen.«

Mme. Héon erzählte ihren Nachbarn in Ermont von ihrem großen Glück, daß sie bald mit einem Gentleman in Tunis leben werde. Zwei Einrichtungen waren zu verkaufen, die in Paris (bei der verstorbenen Tochter, der Geliebten des Kovalsky) und die in Ermont. Um die Möbeln von Ermont fortzuführen, hat Landru, welcher dies nicht bestreitet, zum Ausgleiche einen Rückstand von 260 Francs bezahlt.

Landru, welcher leugnet, bei der Wegführung der Möbel Beistand geleistet zu haben, soll sagen, ob er Frau Héon wiedergesehen hat.

Landru: »Gestatten Sie mir, nicht zu antworten. Niemals wird das Privatleben in diesem Punkte respektiert.«

Präsident: »Landru, was für Gründe hatten denn alle diese Frauen, zu verschwinden, die Welt zu fliehen?«

Landru: »Man sollte doch den Grund der Anklage selbst erörtern.«

Präsident: »Dazu sind wir ja da.«

Landru: »Ich komme auf meine Bitte zurück, welche ich seit drei Jahren anzubringen suche: Sie klagen mich des Mordes an, beweisen sie ihn.«

Präsident: »Sie wollen nichts aussagen?«

Landru: »Ich will nichts sagen.«

In dem Heft Landrus hat man bei dem Namen Héon Zahlen gefunden, welche die Resultate der Möbelverkäufe anzugeben scheinen. Nach Landru handelt es sich hier nur um eine Vorausbezahlung. Er leugnet, Frau Héon nach Gambais geführt zu haben, aber was bedeutet dann die Anmerkung über eine Hin- und Rückfahrkarte nach Garancières über Gambais, wenn er behauptet, sich dorthin mit dem Fahrrad begeben zu haben?

Landru: »Es war eine Anmerkung für die Zukunft über den Tarif von 3 Frcs. und 2 Frcs. 40«

Alle Papiere und Dokumente der Familie Héon wurden in der Garage wieder aufgefunden. Ebenso wie die der früheren Frauen. Darauf weiß Landru nichts zu antworten.

Staatsanwalt: »Ist nicht mit Recht zu behaupten, daß Sie diesen Frauen den Verlobungsroman und die entfernten Stellungen suggeriert haben? Es war immer dieselbe Geschichte, die alle diese Frauen ihren Bekannten erzählten.«

Landru antwortet ungenau.

Staatsanwalt: »Sie waren liebenswürdig und zärtlich.«

Landru: »Ja, aber es kam die Stunde, wo ich – vor allem ein guter Kaufmann – meine zehn Prozent beanspruchte.«

Frage: »Es ist eine seltsam berührende Sache, Landru, Sie, den Zärtlichen, so hart von den Frauen sprechen zu hören!«

Landru ist erstaunt, er neigt seinen Oberkörper, beugt seinen kahlen Schädel und legt an sein linkes Ohr eine Hand als Schallfänger. Da sich der Verteidiger erhebt, kommt ihm der Staatsanwalt zuvor und erklärt, daß die Stunde der Diskussion noch nicht gekommen ist. Die Verhandlung wird auf kurze Zeit unterbrochen.

Bei der Wiederaufnahme erhebt sich M. de Moro-Giafferi. Von den wichtigen und so verschiedenen Briefen, die der beredsame Verteidiger jeden Tag erhält, hat er speziell einen zurückbehalten. Er rührt von einer Person her, welche behauptet, zwei der verschwundenen Frauen gekannt zu haben. Diese Person möchte beim Werke der Gerechtigkeit mitarbeiten, wünscht aber vorläufig noch ungenannt zu bleiben. –

Man geht zum Zeugenverhör über.

Mlle. Dalois erinnert sich nur, daß Mme. Héon durch Annoncen Landru kennen gelernt hat, welcher »während acht Tage jeden Tag kam.«

De Moro-Giafferi: »Frau Héon hat Ihnen doch gesagt, daß sie ihre Möbel verkaufe?«

Zeugin: »Ja und daß sie sehr froh darüber wäre, sich nicht damit befassen zu müssen.«

Mme. Lesueur, 76 Jahre alt, ist Hausbesitzerin in Ermont. Mme. Héon war ihre Mieterin und damals unter dem Namen ihres Geliebten Gaudoin bekannt. Landru beglich am 30. September 1915 die Jahresmiete, um die Möbel wegführen zu können.

»Mme. Héon war sehr froh, sich zu verheiraten und nach Brasilien zu kommen. Sie wollte mir Ansichtskarten schicken. Ich habe nichts bekommen.«

Weitere Zeuginnen erkennen in Landru den Bräutigam ihrer Nachbarin in Ermont, der Mme. Héon. Einer Zeugin übergab Mme. Héon eine kleine Hündin, »denn sie würde für längere Zeit abwesend sein.«

Die Hälfte dieser Zeuginnen versichern, daß Mme. Héon sie bat, nicht ihre Adresse in der Rue de Rennes 165 bekanntzugeben.

Der Zeuge Jules Serviées, Möbelhändler, erklärt: »Dieser Mann ist mir nicht unbekannt.« Zeuge hat durch seinen Angestellten an Mme. Héon eine Summe von 820 Francs ausbezahlen lassen.

Moro-Giafferi: »Das Geld wurde von Frau Héon selbst in Empfang genommen, sie stellte auch eine Quittung aus.«

Schließlich wird noch der Brigadier Riboulet verhört.

Riboulet: »Es stand im Notizbuch: ›Gezahlt Ternes‹.«

Moro-Giafferi: »Darüber sagte hauptsächlich M. Lesbazeilles aus.«

M. Lesbazeilles wird morgen wieder erscheinen. Alle Zeugen in der Angelegenheit Héon sind verhört worden, die von den Schweizer Behörden übersandten Nebenaussagen wurden verlesen.

Um 17 Uhr wird die Sitzung abgebrochen.


 << zurück weiter >>