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(9. November.) Der Tag ist dem Fall der Mme. Cuchet gewidmet. Ihre Möbel sind im Justizgebäude ausgestellt, armselige Möbel, übereinandergehäufte Matrazen, eine Menge von Dingen, welche viel Platz einnehmen und die Anwesenden behindern.
Man fragt sich unwillkürlich: Dieses Mobiliar soll den Tod einer Frau wert gewesen sein?
Landru wirft nicht einen Blick auf all diese Dinge.
Die Anklage beschäftigt sich mit den ersten Beziehungen Landrus zu Mme. Cuchet. Er trifft sie das erstemal im Luxembourger Garten. Hat er ihr die Heirat versprochen? Landru macht darauf aufmerksam, daß dies nicht möglich sei. Denn André Cuchet, der Sohn, war gelegentlich einer Fahrrad-Reparatur in die Garage Malakoff gekommen, deren Direktor Diart, recte Landru, damals war, und hatte erfahren, daß dieser Direktor verheiratet war und Familie besaß.
Präsident: »Mme. Cuchet hat aber mit einer Madame Bazire über ihre Verlobung mit Raimond Diart gesprochen.«
Landru: »Um welche Zeit war das?«
Und Landru leugnet. Der Präsident bedrängt ihn mit Fragen. Landru antwortet: »Wir entfernen uns von den Tatsachen.«
Präsident: »Geben Sie zu, daß Mme. Cuchet Ihre Geliebte war?«
Landru (betont): »Nein, mein Herr – niemals.« Und er verwahrt sich dagegen, daß seine »Flammen« automatisch auch seine Geliebten geworden seien.
Präsident: »Wovon lebten Sie mit Mme. Cuchet?«
Landru: »Aus meinen eigenen Mitteln.«
Präsident: »Und wo verzeichneten Sie das?«
Landru: »In meiner Tasche.«
Präsident: »Ich bin überrascht, daß ein so pedantischer Mensch wie Sie, nicht über seine Einnahmen und Ausgaben Buch geführt haben soll.«
Landru: »Ah – ja – in meinen Notizbüchern! Um später die Polizei dadurch zu unterrichten!«
Der Präsident bemerkt, daß andere Aufzeichnungen vorhanden seien, aus denen die Polizei tatsächlich Nutzen ziehen konnte, und fährt fort: »Haben Sie M. Friedmann, dem Schwager der Madame Cuchet gesagt, daß Sie in Tonkin gedient hatten?«
Landru antwortet nicht direkt. Der Präsident bemerkt: »Es wäre nur eine Lüge mehr.«
Landru: »Ich denke, daß die Herren Geschworenen mich noch bei keiner Lüge in flagranti ertappt haben, und ich hoffe, dies auch so fortzusetzen.«
Man lacht.
Hierauf disputiert man eifrig über den Ursprung der Gelder, welche Landru besaß, als er Mme. Cuchet in seiner Wohnung de la Chaussée empfing. Landru verteidigt sich, indem er sich darauf beruft, daß dies eine gerichtete Sache sei und er wegen Mißbrauch von Geldern bereits verurteilt worden sei.
Die Gründe, aus welchen Landru-Diart La Chaussée verlassen haben will, sind nicht stichhaltig. Man vernimmt diesbezüglich Zeugen.
Präsident: »Sie haben wohl selbst die Villa in Vernouillet gemietet?«
Landru: »Die Höflichkeit erforderte, daß ich diese Wege Madame Cuchet ersparte.«
Präsident: »Aber haben Sie nicht der Besitzerin Mme. Ondry gesagt, daß Sie mit Ihrer Frau dort wohnen wollten, einer Schneiderin, die sich vor ihrer Abreise nach Amerika noch ausruhen wolle?«
Landru: »Es muß hier eine Verwirrung vorliegen. Jedermann sagte: Die Witwe Cuchet, nun – eine Witwe hat doch keinen Gatten.«
Er war in Vernouillet nur der Wohnungsnehmer der Madame Cuchet.
Präsident: »Welche waren diese geheimen Vereinbarungen, die Sie, wie Sie zugeben, mit Mme. Cuchet gehabt haben?«
Landru: »Wir kommen wieder zu dem, was ich schon bei der Einvernahme nicht sagen wollte. Wir haben nichts gegen die guten Sitten und das Gesetz verstoßen. Das ist die individuelle Freiheit, denke ich!«
Präsident: »Sie verweigern immer wieder die Antwort«.
Landru: »Aber sicherlich«.
Präsident: »Die Herren Geschworenen werden darüber zu urteilen wissen, um so mehr, wenn sie sehen werden, wie die ganze Habe der Madame Cuchet in Ihre Hände kam.«
Die Antwort Landrus scheint matt, er scheint den Boden verloren zu haben. Aber nichts weist darauf hin, daß er entmutigt ist, er setzt seine Argumente fort, spitzfindig sogar, als man z. B. von der Abtretung einer Versicherungsprämie an M. Pelletier sprach, die auf den Namen André Cuchet ausgestellt war.
Landru: »Als die Kriegserklärung kam, hatte Mme. Cuchet keine Arbeit. Ihre Lage in der vorgehenden Saison war unglücklich. Was den Sohn anbetrifft, war seine Situation eine sehr bescheidene. Seit August 1914 arbeitslos, erhielt er von mir Geschenke und bot mir aus Dankbarkeit eine Reißfeder an. Später bat er mich aus demselben Grunde, diese Polizze anzunehmen.«
Als der Präsident seiner Verwunderung Ausdruck gibt, meint de Moro-Giafferi: »In solchen Fällen gibt es keinen Kontrakt.«
Präsident: »Warum hat André Cuchet nicht selbst die Polizze abgetreten, anstatt Sie zu einer Fälschung zu veranlassen?«
Landru: »Anfangs des Krieges war die Realisierung der Polizze sehr schwierig. Er vertraute sie mir an. Ich gab ihm eine gewisse Summe, bevor ich noch das Dokument verkauft habe. –«
Nun spricht man über die Sorgfalt, welche Landru angewendet hat, um seiner Umgebung die »Abreise« der Mme. Cuchet und ihres Sohnes André zur »englischen Armee« glauben zu machen.
Die Zeugenaussagen widersprechen Landru, doch dieser meint: »Ich schreibe diese Irrtümer der Zeit zu und nicht dem schlechten Willen der Zeugen.« –
Überdies gibt er zu, eine Communal-Obligation für 361 Francs verkauft zu haben, welche Mme. Cuchet gehörte. Dies, um die Minderwertigkeit der Summe zu bezeichnen.
Präsident: Ließen Sie sich einen Paß auf den Namen Cuchet ausstellen, um sich nach Chantilly zu begeben?
Präsident: Kurz, Sie lassen sich einen falschen Schein auf den Namen Cuchet ausstellen und Sie unterschreiben Cuchet, um sich die Werte anzueignen, die der Mme. Cuchet und dem André Cuchet gehörten.
»Sich aneignen«, dies kommt Landru etwas stark vor.
Präsident: »Was ist aus der goldenen Uhr von Mme. Cuchet geworden? Haben Sie diese Ihrer Frau gegeben?«
Landru: »Das ist möglich.«
Andere Juwelen wurden der Freundin eines Sohnes Landrus angeboten.
Landru leugnet es keineswegs, so natürlich findet er diese Sache.
Nun gelangt man zum Mobiliar. Landru, welcher »diese Möbel in seiner Garage von Neuilly deponiert hatte«, meint: »Ich bestreite keineswegs, daß dieses Mobiliar zu einer gewissen Zeit Eigentum der Mme. Cuchet war.«
Man findet auch andere Sachen in der Garage. Alle Papiere der Cuchet und Francs 29.95. Dies scheint sehr verdächtig. Landru aber behält nur die armselige Zahl in seinem Gedächtnis und spricht verächtlich: »29 Francs 95!« –
Mme. Cuchet hätte sich also nach England begeben, ihr Sohn sei eingerückt und so konnten sie sich ihrer Identitätspapiere entledigen.
Landru meint, daß Papiere, wenn sie auch ehrlichen Leuten nützlich sind, doch manchmal gefährlich sein können. »So z. B. mir, wenn ich unter dem Namen Landru gereist wäre.«
Man lacht.
Präsident: »Hatten diese Personen Gründe, sich zu verstecken? Wurden Sie von ihnen ins Vertrauen gezogen?«
Landru: »Sie verlangen, daß ich Ihnen von gewissen Personen sprechen soll?«
Präsident: »Mit denen Sie eine gewisse Zeit gelebt haben.«
Staatsanwalt: »Bei der Untersuchung haben Sie versprochen, während der Hauptverhandlung Licht in die Sache zu bringen.«
Landru: »Ich habe das gesagt?«
Staatsanwalt: »Sie beharren dabei, über die Vereinbarungen Cuchets zu schweigen? Sehen Sie die Wichtigkeit der Frage ein? Kurz, wollen Sie antworten?«
Landru: »Nein, mein Herr!«
Staatsanwalt: Sie sind ein Ehrenmann (un galant homme) und müssen schweigen, selbst wenn Ihr Kopf dabei im Spiele ist!«
Landru (mit starker Stimme:) »Ja, Herr Präsident!«
Mme. Bazire ist die erste Zeugin, welche nach der Unterbrechung der Verhandlung verhört wird. Bedrückt leistet sie den Eid, vor sich den umgestürzten Tisch, um sich die sechs Sessel des Speisezimmers der Mme. Cuchet.
Mme. Bazire ist eine schüchterne Zeugin. Landru, der ihr von Madame Cuchet vorgestellt wurde, machte ihr den Eindruck eines gut erzogenen Mannes.
Präsident: »Zu welcher Zeit haben Sie an Mme. Cuchet nach Vernouillet jene Briefe geschrieben, die ohne Antwort geblieben sind? Im Jahre 1915? Wurden Ihnen diese Briefe zurückgestellt?«
Zeugin: »Nein, niemals.«
Verteidiger: »Glauben Sie, daß Mme. Cuchet Gründe zum Verschwinden hatte?«
Zeugin: »O nein.«
Mme. Cuchet hatte Mme. Bazire von ihrer Reise nach Chaussée Mitteilung gemacht. Niemals hatte sie von Landru anders, als von ihrem Verlobten gesprochen. Landru stellt eine unerwartete Frage: »Hatte Mme. Cuchet einen sehr stolzen Charakter?«
Zeugin: »Ja, sehr stolz und verschlossen.«
Präsident: »Kennen Sie den Zeugen?«
Zeugin: »Es war vor sieben oder acht Jahren, ich kann es nicht genau sagen.«
De Moro-Giafferi: »Äußerte sich Mme. Cuchet, daß sie ihren Sohn nach England schicken wolle.«
Zeugin: »Meines Wissens nicht.«
De Moro-Giafferi und der Ankläger möchten nacheinander die Vermögenslage der Mme. Cuchet genau feststellen.
De Moro-Giafferi: »Haben Sie nicht gesagt, daß ihre Verhältnisse bescheiden waren?«
Zeugin: »Allerdings. Mr. Bazire lieh 1000 Francs an Mme. Cuchet.«
Nun folgt M. Folvary. Er hat Mme. Cuchet beschäftigt. Sie vertraute ihm die bedrängte Lage an, in welcher sich Landru-Diart befand, welcher angeblich seinen Militärpaß verloren hatte. M. Folvary erbot sich, ihn an einen befreundeten Oberst zu empfehlen. Landru ließ das liebenswürdige Angebot abweisen.
Frage: »Teilte Ihnen Mme. Cuchet ihren Wunsch mit, nach dem Ausland abzureisen?«
Zeuge: »Nein, niemals. Auch ihr Sohn nicht, der gedrängt wurde, seiner militärischen Pflicht nachzukommen. Ich bin überzeugt, daß, wenn Mme. Cuchet im Ausland gelebt hätte, sie mir geschrieben hätte.«
Frage: »Glaubten Sie an die Aufrichtigkeit der Mme. Cuchet, als sie von der Heirat mit Diart sprach?«
Zeuge: »Sie war unfähig, zu lügen.«
Landru macht keinerlei Bemerkungen. Sein Verteidiger besteht darauf, daß der Zeuge eine frühere Aussage wiederhole, nach der André widerwillig den Vorschlag seiner Mutter annahm, die Ihn zwecks Beendigung seiner Studien nach England senden wollte.
De Moro-Giafferi: »Mme. Cuchet hat Ihnen wohl gesagt, daß ihr Verlobter Ingenieur war?«
Zeuge: »Jawohl!«
De Moro-Giafferi: »Die Herren Geschworenen werden sich daran erinnern, daß Mme. Cuchet ihn als Postangestellten vorstellte.«
M. Friedmann, Schwager der Mme. Cuchet, welcher in Begleitung seiner Frau zuerst den Besitz seiner Schwägerin in der Garage erkannte, wird von der Verteidigung nicht beachtet. Auch Landru steht gleichgültig beiseite.
Mme. Friedmann sagt aus, daß ihr Mme. Cuchet Diart-Landru als liebenswürdigen Mann bezeichnet hat, immer bereit, ihr Blumen und Bonbons anzubieten. Ferner erinnert sie sich, zu ihrer Schwester gesagt zu haben: Mir gefällt er nicht. »Du hast unrecht, antwortete mir meine Schwester. Er ist so distinguiert. Er trägt so diskret sein violettes Band! Wie ein Mann von Welt!«
Plötzlich wird die Zeugin verwirrt.
Landru wendet sich zu einem Gendarm: »Geben Sie einen Sessel!«
Mme. Friedmann spricht jetzt, ohne sich verwirren zu lassen, auch nicht durch irgendwelches respektloses Lachen.
Präsident: »Wenn Ihre Schwester noch am Leben wäre . . .«
Zeugin: »O, Herr Präsident, sie würde schreiben.«
Frage: »Sprach sie davon, ins Ausland zu reisen?«
Zeugin: »Nur sechs Monate nach Gagny, das ist alles, was sie ertragen konnte.«
Frage: »War sie die Geliebte Landrus?«
Zeugin: »Das ist wohl möglich.«
Mme. Friedmann erkennt endlich das spärliche Mobiliar.
Landru: »Worauf stützen Sie Ihre Überzeugung, daß ich Ihre Schwester ermordet habe?«
Zeugin: »Wäre meine Schwester noch am Leben, wären ihre Sachen nicht hier.«
Landru: »Aber worauf . . .«
Zeugin: »Meine Schwester wäre hier, um nicht einen Mann anklagen zu lassen, welchen sie so sehr liebte. Sie hatte Herz, meine Schwester.«
De Moro-Giafferi: »Sie haben von einem Traum gesprochen?«
Zeugin: »Ja, ich habe meine ermordete Schwester im Traume gesehen und habe mit ihr gesprochen. Ich habe sie am nächsten Tage wieder mit abgeschnittener Kehle gesehen. Ich habe meinen Traum dem Polizeiagenten anvertraut.«
De Moro-Giafferi: »Niemals dem Untersuchungsrichter?«
Zeugin: »Herrn Bonin nicht – ich schwöre es, Herr Präsident!«
Hierauf wird die Sitzung aufgehoben.