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(1899)
Zehn Jahre schon wohne ich mit meinem Mann auf einer Pußta jenseits der Drau. Habe ichs nicht schon erzählt, wie er Abschied vom Militär nahm? Landwirt wurde? Und wie ich ihn heiratete – Artur Kolinsky?
Mein Jüngster, Harro, ist ganze neun Jahre alt geworden und hat meine Heimat, die Pußta Ilintzi bei Gradina, überhaupt noch nie gesehen. Nun waren wir unterwegs dahin.
Harro jubelte: »Zum Großpapa!« In mir jubelte es: »Nach Haus!«. Bin ich auch dort hinter den Wassern verheiratet: daheim bin ich doch nur auf der Ilintzipußta, wo ich aufgewachsen bin, bei Papa.
Ein trüber Regentag, der zehnte schon. Rein zum Auswachsen ists. Das denkt wohl auch der Weizen; er läßt tottraurig die triefenden Ähren sinken und wächst aus. Denn er ist schon lang vor dem Landregen in Kreuzen gewesen. Einen Zentner wiegt jede Garbe mit dem Wasser, das darinnen ist.
Warum man doch den Neujahrstag in den Winter verlegt hat? Auf den ersten August sollte er fallen. Wenn das Getreide gemäht und gebunden ist, dann ist Silvester: ein Jahr um.
Hier Weizen, der auswächst – dort schwindsüchtiger Mais, wieder einmal vom Hagel gefällt: die Bilanz des Jahres. Wär nicht besser, gleich jetzt ein neues zu beginnen?
In Gutta machten wir Mittagstation, fütterten die Pferde und uns. Ein Eckchen blauen Himmels hatte bescheiden und verheißend durch die Wolken geguckt und wurde zusehends größer. Als wir Gutta hinter uns hatten, war Sonnenschein über den rauchenden Gefilden.
Nun ists nicht mehr weit nach Ilintzi. Bei Papa hat es wenig geregnet; je näher wir kamen, desto trockener fanden wir den Weg.
Eine Stunde noch, dann sah man die Pappeln der Ilintzer Linie. Dahinter schimmerten große gelbe Schober. Papa hatte also vor dem Regen eingefahren.
Bald sah man den Rauch der Lokomobile aufkräuseln – und als die Pferde durch eine ewige, vierdimensionale Kotpfütze Schritt gingen, da hörte mans auch surren: man drosch auf Ilintzi.
»Fahr gleich zur Dreschmaschine!« sagte ich dem Kutscher – ich wußte schon, wo ich Papa finden würde.
Wir fuhren. Aus dem Dreschkasten stieg ein Staubschwaden, Sonnenglast wob sich darein. Auch in den braunen Rauch der Lokomobile drang ein Strahl. Von den Getreidebergen warf man die Garben in den brummenden Dreschkasten, und hurtig trug der Elevator das leere Stroh vom speienden Schüttler fort auf einen eben begonnenen Schober. Militärgrenzer in weißer Tracht, mit breiten Gurten um die Lenden, mächtige gebräunte Kerle, stampften das Stroh nieder.
»Marius!« jauchzte Papa. – Ich heiße längst wieder Maria – nur er gibt mir immer noch den Namen, mit dem er vormals seine Einzige gerufen hat.
Ich flog ihm vom Wagen hinab in die offenen Arme.
Mein zweiter Blick galt der Dreschmaschine.
»Das ist ja gar nicht mehr die alte,« sagte ich fast traurig. Es war eine kleine, armselige, ganz moderne Garnitur.
»Nein, die alte ists nicht. Aber du bist grade zurecht gekommen, um von der alten Abschied zu nehmen. Heute wird sie abmontiert.«
Papa führte mich zur alten Müschine. Der Rote Kohn aus Gradina hatte sie, wie sie stand, gekauft, und ließ sie abmon.... nein, schlachten ließ er sie.
Die Schlosser wanden eine Schraubenmutter um die andre aus den verrosteten Lagern, sprengten die Nieten, warfen Eisen zu Eisen, Messing zu Messing.
Ein müder Greis sah ihnen zu. Das war Eßlinger, der frühere Schaffner, jetzt Futtermeister auf Ilintzi.
Er begrüßte mich als alte Freundin und fand auch gleich meinen anheimelnden Spitznamen von ehemals: Junker. Sauer genug hatte ich mir ihn, weiß Gott, erworben.
Das also ist die Ruine meiner lieben Dreschmaschine!
»Ob Sö sich noch erinnern, Junker,« sagte Eßlinger, »wie daß dö Maschin is kummen af 'n Majur (Meierei)?«
»Gewiß, erinnere ich mich.«
»'s sein vieli Jahr.«
»Ja, schier zwanzig ...«
»Just zwanzig Jahr, Junker. Und ob Sö sich noch erinnern, wie daß Sö mich immer mit 'm Wasser aus 'm Probierhahn angspritzt ham, wie S' noch a jungs Madel waren? Und wie Sö des Stroh gschleppt ham trutz den Kutscherskindern – indem daß damals noch ka Ellevater nindersch (nirgends) net war?«
»Ja, daran erinnere ich mich genau.«
»Und wie Sö amal am Abend nachm Dreschen ham a Packl Waschblau inn Vorwärmer gschütt? Alsdann, wie sich der Franzel, was der Hazer war von dera Maschin, im Vorwärmer badt hat, is er blau gwest wia–r–a Brombeerkolatschen. – Wissen S' des noch?«
»Freilich weiß ichs.« (Der Mann kompromittiert mich vor meinem Sohn.)
»Und wie dö Maschin amal grepriert is worn, und des Mannloch war offen, und Sö ham feine schöne weiße Kitteln anghabt und san ins Mannloch nein und ham drinnet pumpert, daß der Franzel, was der Hazer war, glabt hat, es san Geister? – Wie man S' füri gholt hat, waren schworz wia–r–a Rabenviech. – Wissen S' dös noch?«
»Als wärs gestern gewesen.«
»Ja, segen S', Junker – mir zwa, dö Maschin und i – mir san altes Eisen – ka Mensch kunnt uns mehr brauchen. Heunt begrabt man d' Maschin – moring kummt der Rote Kohn mit dera Sensen und holt mi. Und grad jetzend, wo i anfanget gscheider zu wern, muß i fort von dera Erden. – Vor dreißig Jahr, wie daß dö Maschin hätt kummen sollen, da hat kaner in ganz Schlawonien gwüßt, wie daß a so a Maschin ausschaun tut. Der sölige Meister Michel hat uns damal derzählt, wie daß s' is, und i habs richtig glabt. Jetzend waß i, daß er uns alli für an Narrn ghalten hat – hats selber net gwüßt. – Und damal, wia–r–i dumm war, hab i mein Dienst gmacht. Heunt, wo i gscheit bin, bin i z' schwach. 's is an Ölend af dera Welt.«
Da kam Franzel dazu, der einarmige Alte. Der Transmissionsriemen hatte ihm einmal den andern Arm abgerissen.
»Siegst,« rief er der Maschine zu und hob drohend seine Hand, »jetzend hat deini Uhr a gschlaga. Drei Zähnd hast mi kost und an Arm.«
Ich ging zum Roten Kohn und erbat mir die alte Lokomobilpfeife als Briefbeschwerer.
Er lächelte und gab mir sie. Ahnte gar nicht, welch kostbares Andenken er mir da geschenkt hatte.