Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Am Blasebalg.

(1897)

Es wird nichts so heiß gegessen, wie mans kocht.

Stefans Vater, der Onkel Schweinehirt, kriegte zwar die Kündigung – aber er mußte nicht weit fort – man rief ihn gar bald wieder.

Schweine – das sind nicht Tiere wie andre Tiere. Wer da meint, Schweinehüten wär wie Schafehüten oder Strümpfestopfen – na, der brauchts nur einmal mit Schweinen zu versuchen und wird seine Wunder erleben.

Das Schwein ist eine wehrhafte, eine trotzige Bestie, stark und tapfer wie ein Wolf. Was – Wolf? Kein Wolf wagt sich in eine Schweineherde – und tät ers doch, so würde er zerrissen. Herrgott, nicht einmal die Krallen blieben übrig.

Und das Schwein ist nicht nur tapfer, es ist auch launenhaft und schlau und wachsam; widerhaarig, empfindlich, rachsüchtig, schadenfreudig. Wer Schweine hüten will, muß ein fester Geselle sein; wer sie stehlen will, ein Meister.

In der Nacht nach Onkel Schweinehirts Abschied stahl man uns zwanzig Säue. Wer war der Dieb? Wer anders als Onkel Schweinehirt?

Das ist leicht gesagt. Aber beweisen könnt ihms keiner. Fünfzehn Zeugen schworen für ihn. Fünfzehn Zeugen, die jene Nacht mit ihm gezecht hatten – keinen Augenblick hatte Onkel Schweinehirt die Schenke von Bare verlassen.

Papa brannte vor Zorn. Die Gendarmen zogen grimmig wie Moslim durchs halbe Komitat. Fesselten alt und jung. Prügelten Knaben und Greise. Suchten ob und unter der Erde.

Unsre zwanzig Säue fanden sie nicht.

Als Papa nicht anders konnte, rief er seinen alten Schweinehirt zurück – – und am Nachmittag trabten die zwanzig Säue herbei, als wären sie nur ein wenig spazieren gewesen ...

Onkel Schweinehirt war in Gnaden ausgenommen. Es wird nichts so heiß gegessen, wie mans kocht.

Und ich mußte auch nicht ins Pensionat. Ich kriegte bloß eine neue Gouvernante.

Sie hieß Fräulein Valeska Wunderlich und war wunderlich im höchsten Grad. Ich vertrug mich vom ersten Augenblick an nicht mit ihr. Sie sah von der Höhe ihres poetischen Empfindens verachtungsvoll auf mich herab und sagte mir, wenn sie sich ärgerte (also immer), französische Schimpfnamen, die ich nachher vergeblich im Diktionär suchte.

Um mich bei Papa so recht in schlechtes Licht zu setzen, gab sie mir eines Morgens den Aufsatz zu arbeiten:

»Der Lenz in der Stadt und auf dem Lande.«

»Der Lenz in der Stadt und auf dem Lande.« – Ich las den Satz langsam und nachdenklich durch, dann einigemal noch nachdenklicher, aber es fiel mir nicht das mindeste dabei ein.

»Der Lenz.« Was ist das: Lenz? – Ich ging zu Lisi, unsrer Köchin, die wußte es nicht. Ich fragte den Schaffner Eßlinger und wurde nicht klüger. Da fiel mir der Herr General Geyer ein. Er klärte mich auf: Lenz ist ein dummer Ausdruck für Frühjahr. Und ich möge ihn in Ruhe lassen, er müsse den Taglohnausweis und Polizen schreiben und sei nicht da, um die Schulaufgaben kleiner Kinder zu machen.

Aber jetzt: »Lenz in der Stadt.« Wie sieht der Lenz in der Stadt aus? Ich kannte nur eine einzige Stadt so ganz genau. Gutta an der Drau, dahin hatte mich Papa oft genug zum Viehmarkt mitgenommen. Es war jedesmal im Frühjahr, aber ich hatte in Gutta nichts bemerkt, worüber sich ein Aufsatz schreiben ließe.

Matthes, unser Paradekutscher, war eben vom Militär heimgekommen, von der Waffenübung, und erzählte allerorten seine Abenteuer. Ich brachte ihm eine Gurke, die ich aus Onkel Michels Garten stahl, weil bei uns noch keine reif waren. Darauf berichtete er mir vom Lenz in der Stadt, und ich schrieb auf Grund seiner Angaben den folgenden

Aufsatz:

Lenz ist ein dummer Ausdruck für Frühjahr und kommt alle Jahre wenn es anfängt warm zu werden hinter dem Winter. Auch in der Stadt ist ein Lenz hinter dem Winter dann reibt man die Husarenpferde schon draußen ab wenn sie schwitzen tun was immer ist weil da schon der Herr Leidnand mit der Eschkadron exaziert. Dann kriegt man Erlaubnis daß man länger ausbleiben därf und geht mit seinem Dienstmädchen draußen spazieren, was eine große Hetz ist. Aber man muß seine Stiefel putzen abends bevor man schlafen geht und in der Früh aufstehen und wieder zwei Pferde füttern weil Ausruckung ist sonst wird man eingesperrt und man muß sie auch füttern wenn kein Exazieren ist, sonst wird man auch eingesperrt. Und wenn man eingesperrt ist, därf einem niemand Schnaps hereinbringen.

Das ist der Lenz in der Stadt, jetzt kommt der Lenz auf dem Lande. Auf dem Lande ist auch ein Lenz hinter dem Winter und ist sehr schmutzig. Der Lenz ist ziemlich recht schön und die Spatzen haben Junge die kann man aus dem Nest nehmen und piepsen. Sie haben eine gelbe Goschen wo man Fliegen hineintut. Wenn man einen jungen Fuxen hat, so kann man die Spatzen dann dem Fuxen in die Goschen tun, darüber freut sich der Fux. Wenn man ihm auch die jungen Perlhühner gibt, freut sich der Fux auch sehr. Dann sind im Lenz Kirschen und Erdbeeren und die Kühe melken besser und auf dem Felde ist der Anbau und die Ochsen kriegen jeden Tag Klee. Manche Ochsen krepieren, manche bleiben leben, aber nicht alle. Das ist der Lenz auf dem Lande.

Maria.

 

Als ich den Aufsatz beendet hatte, las ich ihn sehr stolz durch und schrieb ihn sauber ab. Dann ging ich hinaus zum kleinen Stefan und half ihm bis Abend Schweine hüten. Ich mußte immer an meinen Aufsatz denken und wie stolz Papa auf mich und meinen Aufsatz sein wird.

Als Stefan heimtrieb, lief ich um die Wette mit unsern Ferkeln nach Haus und stürmte gradeaus auf Papa zu.

»Was – ein schöner Aufsatz?«

»Morgen sieben Uhr Rapport!« rief Papa zu meinem größten Schrecken, und ich bekam das Abendessen ins Zimmer geschickt.

Schlafen konnte ich nicht. Als der Mond zu mir ins Fenster blickte, sah er mein aufgelöstes Haar und hörte mein Schluchzen. Ich hatte den Kopf tief in die Kissen vergraben. Im fieberheißen Hirn spielte sich der schreckliche Rapport ab. Ich sah die graue Kanzleitür, vor ihr muß ich stillstehen, bis Papa mich ruft. Er erwartet mich mit finstern Braunen, hinter ihm Fräulein Valeska Wunderlich, und er fragt:

»Bekennst du dich schuldig, Marius?«

Ich beiße die Zähne aufeinander.

Dann eine kurze Besprechung – die Versicherung, daß er so was seinem Marius nie zugetraut hätte – und das Urteil: drei Tage Arrest.

Drei Tage Arrest – das heißt: Jani, mein kleines Pferd, wird drei Tage eingesperrt. So waren bisher alle Rapporte, so wirds auch morgen sein.

Es kam anders.

Die Kanzleitür war grau, Papa rief mich hinein, stand mit finstern Braunen da und Fräulein Valeska hinter ihm. Er sagte:

»Du hast Fräulein Valeskas ganze Wäsche ... ah ... hm ... pardon – ohne Grund öffentlich an den Zaun gehängt. Ich hab es dir verziehen, Marius.

Du hast gespielt, Fräuleins Hyazinthen wären Obstbäume und hast sie mit stinkendem Thomasmehl gedüngt – das habe ich dir verziehen, Marius.

Du hast Fräulein Valeskas Kanarienvogel wegfliegen lassen und ihr dafür den Kater in den Käfig getan. Das hab ich dir auch verziehen, Marius.

Du hast Mais gestohlen und dem Hahn alle Schweiffedern für einen Papierhelm ausgerupft. Ich hab ein Auge zugedrückt.

Das alles sind dumme Streiche gewesen, wie jeder Gassenjunge deiner Art sie macht. – Was du aber heute angestellt hast, muß bestraft werden. Dein Aufsatz ist so haarsträubend blöd, daß ich nicht weiß, was ich eher tun soll: annehmen, daß du nichts gelernt hast und nichts lernen willst – oder mich über deine bodenlose Keckheit empören. Ich sehe von einem Arrest für Jani ab. Leuten, die nichts lernen und Lumpen werden wollen, muß man zeigen, wie weit sies bringen, wenn sie in ihrem Tun fortfahren. Du gehst noch heute in die Schmiede und wirst Lehrjunge. Dort bleibst du drei Jahre, und wenn du dich gebessert hast und brav geworden bist, darfst du wieder nach Haus kommen. – Hast du verstanden?«

»Ja.«

»Abtreten!«

Ich nahm mir eine große Schürze um, und Papa brachte mich in die Schmiede zum alten Michel, unserm Meister. Meister Michel sollte streng darauf achten, daß ich fleißig arbeite.

Der alte Michel schmunzelte, Franzel, der Geselle, lachte.

Ich auch. Ich freute mich mächtig, daß ich drei Jahre Schmied sein sollte, daß Jani keinen Arrest bekam und daß sich Fräulein Valeska vermutlich ärgerte.

Als Papa gegangen war, stülpte ich die Ärmel auf, wählte mir einen Hammer aus und fragte:

»Was soll ich nun, Onkel Michel?«

Der alte Michel stemmte seine braunen Fäuste in die Seiten und sagte munter:

»Ei, schmieden lernen, Junker!«

»Na, womit soll ich denn anfangen?«

»Du wirst zuerst ein Jahr den Blasbalg treten, Junker.«

»O, daraus wird nichts. Blasbalg treten kann ich wie irgendeiner. Ich möchte das richtige Schmieden lernen.«

»Gut. Schmied also einmal einen Nagel.«

Ich kroch auf allen Vieren unter den Blasbalg, wo das alte Eisen lag, und suchte mir einen Splint aus, grade passend für einen Nagel.

Den Splint faßte ich mit der Zange und steckte ihn ins Feuer. Dann fachte ich an. Ich pustete bald besser als der Balg und war rot wie die Kohlen; zog das Eisen heraus, legte es auf dem Amboß zurecht und schlug drauf los. Ich vergaß auch nicht, vorher auf den Amboß zu spucken, damit es knallte, wie Franzel es immer tut.

Michel, Franzel und ein paar andre, die hinzugekommen waren, sahen mir vergnügt zu, wie ich den Nagel in fünfviertel Stunden nicht fertig brachte.

Da warf ich das Zeug geärgert weg. Ich hatte eine anregendere Beschäftigung gefunden. Papas Favorite kam zum Beschlag, und ich durfte ihr die Füße halten. Franzel aß die Stücke, die er von der Hufsohle wirkte, und sagte, sie schmeckten wie Schweizerkäse. Auch ich versuchte sie, aber sie schmeckten mir nicht.

Eh Favorite beschlagen war, brach der Abend an. Papa kam und fragte mich:

»Nun, Marius, siehst du ein, daß man lernen muß?«

»Ja, Papa.«

»So will ich diesmal noch Gnade für Recht ergehen lassen. Ich habe mir die Sache überlegt und gefunden, daß Fräulein Valeska auch ein wenig schuld an deinem schlechten Aufsatz trägt. Du kommst also mit nach Haus.«

»Schon heute, Papa?«

»Ja.«

»Was soll ich denn zu Haus, Papa?«

»Lernen.«

»Schmied lernen? Kann ich ja zu Haus gar nicht.«

»Sollst auch nicht, Marius. Du wirst Deutsch und Französisch lernen.«

»Da lerne ich schon lieber schmieden. Du glaubst gar nicht, wie hübsch das ist. O, ich gehe bestimmt nicht nach Haus. Ich bleibe drei Jahre hier, es ist ein großer Spaß und viel netter als Aufsätze machen über den kranken Esel und über den Lenz in der Stadt ...«

»Du kommst augenblicklich nach Haus, Marius!«

»Nein.«

»Du willst nicht?«

»Nein. Du hast selbst gesagt, ...«

Papa verlegte sich aufs Parlamentieren. Zuerst versprach er mir, ich müßte nie mehr stricken.

»O, das hab ich ohnehin nie getan; gestrickt hat immer nur die Lisi für mich, und ich hab ihr dafür ein wenig Schminke von Fräulein Valeska gegeben.«

»Du sollst eine Flinte haben – binnen einer Woche – zum Namenstag.«

Ich blieb unerbittlich. Papa wurde unwirsch und wandte sich zum Gehen.

Da kam mir ein herrlicher Einfall.

»Weißt du was, Papa? Wenn du mir ein neues Fräulein bestellst, dann komme ich nach Haus. Aber es muß sehr gut und sehr schön sein und darf keine Augenbraunen zum Abwaschen haben.«

Papa versprachs mir und schwor »Meiner Seel«, daß er sein Versprechen halten würde. – Da ging ich mit ihm.

Nachmittag kam der Pfarrer von Gradina zu Besuch. Fräulein Valeska suchte ihren Zopf – er schwebte hoch über dem Hof in der Luft, ich hatte ihn meinem Drachen als Schweif angehängt.

Am selben Abend fuhr sie.


 << zurück weiter >>