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Papas Namenstag.

(1898)

»Stefan,« sagte ich eines Tages, »mein Papa hat morgen den heiligen Wilhelm. Er heißt Wilmosch, weißt du, aber die Heiligen sind Deutsche und heißen auch auf deutsch.«

Stefan antwortete nicht. Er lag faul auf dem Rücken im dürren Heidegras und blinzelte in die Sonne.

»Weißt du, Stefan, Papa hat mir zum 8. September, meinem Namenstag, die Flinte geschenkt. Jetzt möchte ich ihm gern eine Freude machen.«

Stefan rührte sich nicht. Er lag auf dem Rücken und blinzelte in die Sonne.

»Wenn du mir hilfst, Stefan, ich ... ich ... ich gebe dir zwei – nein, vier Kreuzer.«

Er blieb fest.

»Stefan, du darfst, so wahr ein Gott im Himmel ist, zweimal aus der großen Pistole schießen.«

»Was soll ich also, Junker?«

»Du sollst mir helfen, Papa zu seinem heiligen Wilhelm eine Freude machen. Ich habe mir schon etwas ausgedacht. Der gnädige Herr hält so viel auf Dekoration. Erst jetzt hat er wieder das Haus frisch anstreichen lassen und Engel oben unters Dach setzen. Die Engel – hast du sie nicht gesehen? Sie sind putzig und nett und aus weißem Stein. Da will ich über Nacht das Haus ausschmücken – mit Blumen und allerlei, damit er morgen früh alles sieht, wenn er aufsteht.«

Stefan versprach mir denn nach einigem Zureden seine Hilfe. Um zehn Uhr, wenn sein süßer Vater, der alte Schweinehirt, wildern gegangen ist, werde er in unsern Stall kommen. Ich sollte nur alles bereit halten.

»Mit Gott also, Stefan,« sagte ich und kroch auf meinen kleinen Rappen, um zum Herrn Pfarrer nach Gradina zu reiten. Auch bei ihm gedachte ich Unterstützung zu finden.

Auf der Pfarre ließ mich die Wirtschafterin nicht ein; der hochwürdige Herr wäre nicht da, er wär versehen gefahren. – Und sie wollte die Türe verschließen.

Ich aber klemmte den Fuß dazwischen – solche Lügen kenne ich schon – und drang ins Zimmer.

Der Herr Pfarrer spielte eben Tapper mit dem Herrn Kaplan und dem Herrn Roten Kohn. Er hatte ein Contra dem Pagat gegeben und hieß mich warten. Als ich merkte, daß sie fertig waren, wollte ich vortreten.

»Gelobt sei ...«

»Warte!« sagte der Herr Pfarrer. »Herr Kohn, Sie haben Renonce gemacht. Sie haben zehn Tarock angesagt und elf gehabt.«

Nun entstand ein Streit. Ich war ungeduldig geworden und rief:

»Herr Pfarrer, ich bitte, Sie haben auch Renonce gemacht, Sie haben die Treffdame mit Tarock gestochen.«

»Ja, ja, ja!« schrie der Rote Kohn und nannte mich ein über das andremal ein gescheites Mädel.

Der Herr Pfarrer aber war böse.

»Was willst du überhaupt hier?« herrschte er mich an. »Was hast du dreinzureden, du vorlautes Ding? Ich soll jetzt deinetwegen die Partie zahlen?«

Herr Kohn wußte Rat.

»Warum sollen Sie die Partie zahlen? Der Kibitz soll zahlen.«

Dabei lachte er aus vollem Hals.

Ich erschrak sehr.

Indes hatte sich der Herr Pfarrer erhoben und fragte mit verhaltenem Groll noch einmal nach meinem Begehr.

»Gelobt sei Jesus! Ich bin da, weil Papa morgen seinen heiligen Wilhelm hat – und da wollte ich den Herrn Pfarrer bitten, daß er ... so wie voriges Jahr, aber diesmal für mich ... Papa hat mir zum 8. September ein Pferd geschenkt ... da wollte ich ihm eine Freude machen ...«

»Wem? Dem Pferd?«

»Nein, ich bitte, dem Papa.«

»Was willst du also?«

»Ich möchte, daß mir der Herr Pfarrer ein Gedicht macht.«

»Ein Gedicht?« fragte er gedehnt und verwundert.

»Ja. Voriges Jahr, da hatten wir die Gouvernante, Fräulein Valeska, die machte zum heiligen Wilhelm ein Gedicht und gab es Papa. Ich möchte ihm heuer auch eins machen, aber ich kann nicht.«

»So? Fräulein Valeska hat ein Gedicht gemacht?« Der Herr Pfarrer lächelte. »Wie hat denn das gelautet?«

»Ganz weiß ich es nicht. Nur den Anfang:

Ich liebe dich, weil ich dich lieben muß,
Und sehne mich nach deiner Lippen Kuß.«

»Hm, hm. Und Papa?«

»O, er war sehr erfreut. Fräulein Valeska mußte aber noch am selben Tag wegfahren – nach Wien zu Verwandten – und ist nicht wiedergekommen. Sonst hätte sie mir schon was gedichtet. Nun bitte ich den Herrn Pfarrer ...«

»Liebes Kind, ich kann dir beim besten Willen nicht dienen. Ich bin kein Poet. Reit schön nach Haus, grüß mir den Herrn Vater. Und auch ich ließe ihm Glück wünschen. Das mit dem Gedicht aber – das schlag dir aus dem Kopf.«

So ging ich denn. Draußen führte ich Jani, meinen Rappen, dicht an den Zaun, kletterte auf des Pferdes Rücken und trabte melancholisch heim.

»Und justament mach ich ein Gedicht!« sagte ich zu mir selber, als ich auf den Fußsteig gegen Pußta Ilintzi einbog.


Spät am Abend, als schon alle schliefen, pochte Stefan an mein Fenster. Ich hatte lang auf das Zeichen gewartet. Nun öffnete ich leise, ganz, ganz leise und schlich durchs Fenster hinaus. Ich gab ihm vier Kreuzer, wie ich ihm versprochen hatte – Lisi hatte sie mir geborgt – zeigte ihm etliche Kränze, die ich von den Rosen aus Papas Okulierbeet gewunden hatte, und eine Leiter. Die Holme der Leiter waren mit Fetzen umwickelt, damit man sie ohne Geräusch an die Mauer stellen könnte.

»Stefan, ich werde vorsichtig hinaufsteigen, bis unters Dach. Dann reichst du mir den Topf, und ich schreibe mit der Farbe etwas an die Wand.«

Gesagt – getan. Ich stieg hinan und fing Buchstaben um Buchstaben zu malen an. Ach, ging das schwer! Ich hatte keinen rechten Pinsel.

»Da ist bald Rat geschafft,« sagte Stefan, verschwand und kam bald wieder – mit einem Pinsel. Er hatte ihn selbst gemacht – in aller Eile.

»Junker, 's ist mir was eingefallen. Wir malen nachher noch einen Räuberhauptmann an den Schornstein.«

»Glaubst du, daß sich der gnädige Herr darüber freuen wird?« fragte ich unsicher.

»Und wie er sich freuen wird!«

»Na gut. Bis ich mit der Inschrift fertig bin.«

Links an der Ecke des Hauses hatten wir angefangen, nun waren wir mit der Inschrift beinahe in der Mitte bei den Engeln.

»Denen kannst du jetzt gleich die Kränze aufsetzen, dann brauchst du kein zweitesmal hinaufsteigen. Warte übrigens, ich wills tun. Komm herunter, Junker, wenn du mit dem Schreiben fertig bist.«

Ich gehorchte. Stefan huschte, mit den Kränzen über der Schulter, unters Vordach zu den Engeln. Er zog einen Hammer vor und begann vorsichtig einen Nagel in den Kopf des linken Engels zu schlagen.

»Huj!« rief er plötzlich erschrocken. Der Engelskopf fiel herab und platzte in zehn Stücke. Wir horchten ängstlich, ob niemand im Haus darüber erwacht wär.

»Du darfst keine Nägel mehr einschlagen, Stefan. Der gipserne Stein geht leicht kaput.«

Von nun an banden wir die Kränze mit Bast – ich hatte ihn von den Rosenstöcken im Okulierbeet genommen. Ich machte die Inschrift fertig, und wir bereiteten uns, den Räuberhauptmann zu malen. Es war gar nicht leicht, zum Schornstein hinaufzukommen.

»Zieh dir die Schuhe aus,« riet Stefan.

Auf allen Vieren krochen wir über das Ziegeldach zum First. Stefan hatte den Topf mit der Farbe, ich den Pinsel. Es war finster geworden, man sah die Hand vor den Augen nicht. Dazu blies ein kleiner Wind. Stefan setzte sich rittlings auf den First und hielt mich an einem Arme fest, während ich den Räuber malte – einen Mann mit einem großen Schnurrbart und einem Säbel an der Seite.

»Fertig, Stefan!«

»Hast du ihm auch eine Pistole gemalt?«

»Nein.«

»So mal ihm noch eine Pistole.«

Ich tat es, so gut es ging.

»Jetzt komm, es fängt an, zu regnen.«

Richtig, schon fielen die ersten Tropfen, und der Wind pustete gehörig.

Ich kletterte vorsichtig der Leiter zu. Als ich sie erreicht hatte, riß sich unglücklicherweis ein Randziegel los, fiel und zersplitterte. Im selben Augenblick kam ein Windstoß – Regen – Stefan rutschte oben über das wasserglatte Dach ab, kollerte wie eine Lawine zu Boden, der Farbtopf und eine Menge Ziegel rasselnd und lärmend ihm nach.

Ich haspelte flink die Leiter ab und – husch, war ich durchs Fenster in meinem Zimmer. Das Fenster schloß ich, sprang, wie ich war, ins Bett und deckte mich bis über den Hals zu. Ich ahnte, was kommen würde ...

... Da war es schon. Im dritten Zimmer, wo Papa schlief, rührte sich was. Ich hörte, wie Papa nach der Wand griff. Ich hörte ihn das Fenster öffnen.

Bum! Bum! – – Zwei Schüsse.

Papa kam an meine Tür.

»Marius, mein Sohn, bist du da?«

»Ja, Papa!«

»Gott sei Dank. Bleib ruhig im Bett, es sind Räuber da.«

Leute kamen – man machte Licht und durchsuchte das Haus.

Der Wind draußen war zum Sturm gewachsen, es donnerte und blitzte, der Regen schlug gegen die Fenster.

Papa rumorte auf dem Dachboden, bis jemand draußen nach ihm rief. Er eilte in den Garten und fand die Leiter. Darüber erhob sich eine lange Debatte. Erst nach einer Stunde gingen alle wieder beruhigt schlafen: die Räuber waren geflohen.

Am Morgen weckte mich Lisi, die Köchin, aus tiefem Schlaf.

»Sie sollen hinaus zum gnädigen Herrn, Junker.«

Ich sprang auf, zog andre Schuhe an (die von gestern waren im Garten geblieben), steckte ein Papier in die Tasche und eilte zu Papa.

Er stand im triefenden Garten und zeigte stumm auf das Haus.

»Was soll die Schmiererei? Hast du das gemacht, mein Sohn?«

»Ja,« sagte ich mit strahlendem Gesicht, »ich ganz allein mit Stefan.«

»Was heißt das alles, wenn ich fragen darf?«

»Das hier, was der Regen so verwaschen hat, das heißt: ›Ich gratulir dir liber Papa‹. Das dort oben auf dem Kamin, das ist ein schöner Räuber gewesen. Jetzt ist die Farbe übers ganze Haus geflossen, und man sieht es kaum mehr.«

»Den Engel habt auch ihr zerbrochen?«

»Nur den einen. Stefan hat einen Nagel eingeschlagen. Dann haben wir mit Bast gebunden.«

»Mit Bast?«

Papa ergriff mich zornig an der Hand und führte mich zum Okulierbeet. Da hatte der Sturm alle Stöcke geknickt, weil sie losgebunden waren.

»Sag mir nur einmal, bist du närrisch? Bist du des Teufels? Bist du besessen? Oder nur dumm? Du hast mir das ganze Beet ruiniert, das neu renovierte Haus. Womit hast du es denn angestrichen?«

»Mit deiner Kopiertinte, Papa.«

Die Leute alle umstanden uns und lachten. Der Gärtner schimpfte. Stefans Vater kam und verlangte einen Wagen für den Doktor. Sein Sohn habe den Rotlauf, er sei über und über violett und könne sich nicht rühren. (Das Violette war von der Tinte.)

»Zum Rapport!« befahl Papa.

Ich trat bebend in die Kanzlei. Papa hielt eine lange, lange Strafpredigt und diktierte mir dann sieben Tage Einzelarrest. Jani, mein Rappe, sollte also sieben Tage eingesperrt bleiben, ohne daß ich zu ihm durfte. Das war das höchste Strafausmaß.

Ich wollte ja nicht, aber ... aber ... ich mußte weinen. Als ich das Taschentuch hervorzog, fiel ein Papier zu Boden. Papa hob es auf und las:

»Liebster bester Papa! Zu deinem heiligen Wilhelm
Ich liebe dich, weil ich dich lieben muß
Ich sehne mich nach deiner Lippe Kuß
Ich hab dich lieber Papa so gern
Wie gar nichts auf der Erde
Nicht einmal den Jani lieb ich so da
Wie dich Wilhelm Roda Roda
Maul- und Klauenseuche komme nicht auf uns
Kein Hagel und Feuersbrunst
Die Schweine sollen haben viele Jungs
Das wünscht dir dein Sohn Marius.«

Ich weinte noch immer herzbrechend. Papa schwieg. Ms ich zu ihm aufblickte, da lachte er ein wenig. Er schloß mich in die Arme und sagte:

»Marius – ausnahmsweise – weil heut grade mein Namenstag ist – sehe ich dir die Strafe nach.«

Ich wollte es ihm nicht gleich glauben. Denn eine Begnadigung – das hatte ich bis dahin noch nicht erlebt. Als er mirs zum zweitenmal sagte, da fiel ich ihm jubelnd um den Hals, und die letzten Tränen rannen mir noch über die Backen. Nie vorher und nie nachher war ich so glücklich wie damals.

Als Papa nachmittag aufs Feld wollte, führte man ihm seine Stute vor, die Amazone. Aber, mein Gott, wie sah sie aus! Stefan hatte ihr in der vorigen Nacht das Langhaar wurzweg gestutzt – Schweif und Mähne – um den Pinsel daraus zu machen.


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