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(1911)
Ob Onkel Alois wirklich mein Onkel ist – daran zu zweifeln, hatte ich manchmal Gründe. Wenn er von Papa was haben wollte, sagte er:
»Verwandte müssen miteinander stehen in Freud und Leid.«
Als Papa ihn aber einmal um fünftausend Gulden anging – er brauche das Geld sehr dringend und wäre in arger Verlegenheit – da lachte Onkel Alois und rief:
»Was gehen mich fremder Leute Verlegenheiten an?«
Gegen mich benahm er sich auch sehr eklig.
Wir fuhren am kleinen Frauentag zu ihm zu Besuch. Onkel Alois begrüßte uns und sagte gleich:
»Schad, schad, daß ihr grad nach dem Kaffee kommts, wo ihr doch vor dem Abendessen schon weg müßts.«
Papa und der Onkel saßen auf der Veranda, und der Onkel bat sich eine Zigarre von Papa aus, zum Kosten der Sorte.
»Onkel,« sagte ich, »ich hab heut Namenstag.«
»Namenstag? Das ist nichts Besondres, das hast du doch alle Jahr.«
Und er rückte auf dem Sessel herum.
»Papa hat mir was Schönes geschenkt. Rat mal, was! Na, ich seh schon, du bringst es nicht heraus. Sein Lefaucheurgewehr, das mit dem Hufnagellauf – denk dir, das hat mir Papa geschenkt.«
Onkel Alois verzog den Mund, als hätte er auf eine Zitrone gebissen.
»Gell, da erwartest du von mir auch etwas? Komm einmal her! Was möchtest du denn?«
Man hatte mich gelehrt: Kinder sollen bescheiden sein. Ich verlangte nicht Onkels Taschenuhr, so gern ich sie gehabt hätte – ich sagte:
»Gib mir, was du willst, lieber Onkel.«
Onkel Alois meckerte:
»Was ich will, behalte ich für mich, meine Tochter, das schenk ich nicht her.« Und er gab mir eine Kopfnuß. »Jetzt lauf nur in den Garten – über das Geschenk reden wir noch.«
Ich war recht enttäuscht und lief davon. Zum Glück fand ich das Petroleumkännchen von der Wirtschafterin ihrer Nähmaschine. In Onkels Mistbeet waren fünf große, goldgelbe Melonen reif. Ich bohrte in jede ein kleines Loch und spritzte etwas Petroleum hinein. In die fünfte nur ganz wenig, das Kännchen war fast leer. Aber sie roch doch ziemlich stark nach Petroleum.
Im Hof besuchte ich Onkels Bulldogghündin. Sie hatte ein Junges, nur eins, und fuhr mich knurrend an. Immer, wenn sie Junge hat, ist sie so bissig.
»Der gnä Herr,« sagte die Wirtschafterin, »hats ertränken lassen wollen, weils gar so schwach und zittrig is. Wird im Leben kein rechter Hund. Der gnä Herr ärgert sich, so oft er das arme Viecherl sieht.«
Papa rief nach mir, weil es doch schon knapp vor dem Abendessen war und wir nach Haus fahren wollten.
Ich lief rasch hin.
»Himmel, dich hab ich ja ganz vergessen,« sagte der Onkel und schlug sich vor die Stirn. »Aber warte, ich bring dir ein Namenstaggeschenk.«
Ich wartete gespannt.
Onkel Alois kam und trug auf dem Arm den jungen Hund.
»Damit du siehst, wie gern ich dich hab. Ich schenk dir zum Namenstag den Hund.«
»Wir danken schön, lieber Onkel«, sagte Papa. »Du hast einem dringenden Bedürfnis abgeholfen. Weil: an jungen Hunden leiden wir bei uns auf der Pußta sehr Mangel.«
»Bitte,« sagte der Onkel, »es is ein sehr ein wertvoller Hund, eine echt englische Bulldogge und das einzige Junge meiner Hündin.«
»Darum ist er ja auch so mistig,« sagte ich.
»Wenn du nicht willst – ich behalte ihn sehr gern selbst,« entgegnete der Onkel beleidigt und legte mir den Hund eilig in die Arme.
Tomy wuchs und wuchs. Er war braungeströmt, nur sein Kopf war weiß, und ein weißes Vorhemdchen hatte er auf der Brust. Groß und stark war er, mit breiter, muskelbepackter Schulter, und wenn er sein Maul aufriß, dachte man, er könnte einem mit einem Knacks den Kopf abbeißen.
Ich gewöhnte mich an Tomy sehr.
Und mußte mich seiner täglich schämen.
Wenn ihn der Gänserich anzischte, kniff er den Schwanz ein.
Wenn die Katze fauchte, versteckte er sich.
Wenn Papa nieste, erschrak er und kroch unters Bett. Gewiß, Papa nieste etwas heftig. Aber eine echt englische Bulldogge hätts nicht erschrecken sollen.
Als es zum erstenmal geschah, lachte Papa, nieste noch einmal, noch entsetzlicher, und sagte:
»Ihr zwei paßt eigentlich zusammen, Marius. Dein Hund sieht zum Erschauern aus und fürchtet sich vor allem; du siehst manierlich aus und fürchtest dich vor nichts. Ich bin nur froh, daß es nicht umgekehrt ist.«
Ich kroch unters Bett und holte den armen Tomy hervor.
Am andern Tag fuhr Papa auf den Ochsenmarkt nach Gutta.
Ich wäre gern mitgefahren, aber es war kein Platz im Wagen, weil zwei Männer zum Treiben mitmußten.
»Leb wohl, Marius,« sagte Papa beim Abschied, »sei brav, geh am Abend in den Stall zur Fütterung, rauf nicht, schlag mir niemand tot – und vor allem: überfriß dich nicht. Auf die Kasse gib acht, da ist unser ganzes Vermögen drin, übrigens hast du ja deinen löwenherzigen Tomy.«
Auf die Kasse achthaben – das war ein Geschäft für mich. Ich kam mir unermeßlich wichtig vor.
Nach dem Abendessen nahm ich mein Gewehr fertig und durchsuchte das Haus. Im finstern Flur begegnete ich der Köchin.
»Was machen S' denn, Junker?« fragte sie.
»Hausvisitation halt ich. Auf der Gemeindeweide sind Zigeuner.« Sie sollte sich nur recht ängstigen.
»Jesus Maria!«
»Was schreien Sie? Wo doch ein Mann im Haus ist.«
»Wer?« fragte die dumme Urschel.
»Na, ich. Sie Gans. Leuchten Sie mir noch auf die Bodentreppe.«
Dem Oberknecht und dem Schaffner Eßlinger sagte ich: wenn ich in der Nacht schieße, wärs ein Notsignal – da müsse gleich alles herbei.
Ich versperrte die Tür, zog den Schlüssel ab und ging in Papas Zimmer, um die Nacht bei der Kasse zu wachen.
Da kam Lisi wieder.
»Warum haben Sie die Tür abgesperrt, Junker?«
»Weil ich will.«
»Ich muß aber zeitig früh hinaus.«
»Ich werde schon öffnen.«
»Junker, Sie könnten den Schlüssel dem Eßlinger geben,« sagte Lisi dringend, »oder, das wär noch besser, bei mir lassen.«
Ich schüttelte den Kopf.
Lisi stand noch immer da.
»Fräulein, bitt, dann lassen S' mich wenigstens noch einmal hinaus, ich muß dem Franzel was sagen.«
Sie lief in die Schmiede, und ich wartete so lang an der Haustür.
Eine helle, warme Julinacht. Über dem Glockenturm stand der Große Bär am Himmel und glitzerte prächtig.
Lisi kam zurück.
»Türen zu, Fenster zu, Lampen aus – und marsch ins Bett!« befahl ich.
Ich setzte mich auf Papas Lederdivan, da konnte ich Tür und Fenster im Auge behalten.
Tomy legte sich dicht neben mich, das Gewehr hielt ich zwischen den Knien.
»Nun soll einer kommen,« dachte ich und wartete und wachte.
Nach einer halben Stunde wars schon langweilig, und ich dachte:
»Wenn doch nur einer käme!«
Tomy lag noch immer dicht neben mir und schnaufte, weils so schwül war.
Ich dröselte ein wenig ein. Es war ja alles still.
Und erwachte plötzlich.
Waren das nicht Tritte? Leise, harte Tritte – eines Mannes, der in Stiefeln schleicht?
Unterm Fenster hielten sie still.
Dann ein Pfiff – kaum hörbar.
Tappende Hände an den Spalettenläden.
Tomy richtete sich auf.
»Gleich wird die feige Bestie unters Bett kriechen,« dachte ich, »und ich schieße den Einbrecher nieder.«
Zu drei Teufeln – was rinnt mir denn kaltes Wasser über den Rücken? Und meine Finger sind klamm? Und meine Füße klumpig schwer?
Die Hand draußen hat ein loses Brettchen wagrecht gestellt. Ein schmaler Mondstreif fällt ins Zimmer.
Tomy richtet sich auf. Aha, er kneift schon – Bestie, elende!
Ich fasse an sein Nackenhaar. Es ist gesträubt, und die Augen glitzern grün wie Katzenaugen.
Die Finger vor dem Fenster suchen den Riegel und finden ihn.
Und ich bin noch immer starr und schwer.
Tomy knurrt leise.
Der Riegel fällt, das Fenster springt auf – ein Mann schwingt sich empor und steht breit und groß im Zimmer.
»Tomy, faß an!«
Und Tomy, der arme, feige Tomy, der vielverlachte, verhöhnte – er behebt in einer glorreichen Sekunde das Erbe seiner englischen Vorfahren: Tomy reißt mit einem Heulen, einem Satz den fremden Mann zu Boden.
Rucks löst sich der Bann, der mir auf Kopf und Herzen lag.
Der Mann liegt da, Tomy hat beide Pranken auf seiner Brust.
Ich stürze ans Fenster und feuere beide Schüsse hinaus.
Notsignal – Notsignal.
Im Augenblick Weiberschreie – die Dienstboten.
Nach fünf Minuten ein Hämmern an der Haustür und wieder Schreie.
Dann klirren Glasscherben – der Oberknecht, der Schaffner haben das Flurfenster eingeschlagen und steigen ein.
»Der Einbrecher –« rufe ich, »– da liegt er.«
Man bringt eine brennende Lampe – und auf dem Boden – von Tomy bewacht – mit schreckensstarrem Gesicht – ...
»Franzel, Franzel!« rufen fünf Stimmen zugleich.
Ich reiße Tomy zurück. Er stemmt sich und knurrt und will die Beute gar nicht lassen.
»Franzel, was tust du hier? Was hast denn wollen?«
Er warf mir einen bitterbösen Blick zu.
»Einbrechen nicht,« murrte er.
»Alsdann,« sagte der Schaffner, »was is denn geschegen?«
»Was wird geschegen sein?« sagte der Franzel. »Verzählt hab ich mich um ein Fenster. Aber dös Luder, den Tomy, den schlag ich tot.«
Der Schaffner nahm den Franzel an den Schultern und schmiß ihn aus dem Fenster.
Als Papa heimkam, kriegte der Franzel fünf Ohrfeigen. Die Lisi zwei – »weil ich ein Frauenzimmer nicht schlagen kann,« sagte Papa.
Mir tat Lisi leid – sie hatte doch eigentlich nichts getan.
Den Franzel zeigte Papa nicht an und entließ ihn auch nicht – was ich nicht begriff.
Meinem Tomy warf Papa bei Tisch einen guten Knochen hin und versprach ihm ein neues Halsband. Bekommen hat ers ja nie, aber ich war doch sehr stolz auf ihn.
Man mußte den armen Tomy an die Kette legen, denn er war plötzlich sehr scharf geworden.
Zwei Tage nach der Geschichte mit dem Einbrecher bekam ich einen Brief.
Von wem? Von Onkel Alois. Er hatte von Tomys Tapferkeit wohl schon gehört.
»Liebe Maria,« schrieb er, »meine Hündin ist vor sechs Wochen eingegangen. Ich kann mich gar nicht trösten und möchte gern wenigstens ihren Sohn um mich haben, wenn er auch leider nicht so geworden ist, wie wirs erwarteten.
Ich wills nicht umsonst. Ich tausch mit Dir. Du hast Dir unlängst die Schachtel mit Zigarrenringen gewünscht und meine Taschenuhr. Die Uhr brauche ich leider selbst, aber die Zigarrenringe will ich Dir schenken. Den Hund schick mir gleich mit dem Boten, die Zigarrenringe kannst Du Dir gelegentlich holen. Gib dem Hund ein festes, gutes Halsband mit.
Dein Onkel Alois.«
Ich schrieb auf einen Zettel:
»Lieber Onkel! Einen Schmarrn mit Sauce.
Dein Dich liebender
Marius.«
Ich hätte es ihm gröber gesagt, aber ich schreibe nicht gern.