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XXV.

Als es draußen auf der Havel kalt wurde und die Sonne nicht mehr so warm scheinen wollte, daß man Lust hatte, sich den ganzen Tag von ihr braten zu lassen, packte Gisela ihr weißes Bootchen sorgfältig in Segeltuch, ließ es drinnen im Schuppen auf die Holme legen und fuhr an diesem Sonnabendnachmittag nach Berlin zurück, ohne, wie sie es fast den ganzen Sommer gemacht hatte, Sonnabend und Sonntag im Freien zu verleben.

Im Hochsommer hatte Tante Ina sie nach Rossitten eingeladen. Das lockte. Und doch hatte sie abgelehnt. Sie wollte die Ostasiatische Abteilung, die ihr wie eine Verbindung mit Rainer erschien, nicht andern Händen überlassen.

Und dann war ja auch eines Tages Barbara von Lettau zurückgekommen.

Geheimrat von Gordon hatte die Tochter in Moskau abgeholt und die Reise nach Berlin gemeinsam mit ihr gemacht. Behutsam kam er mit seinem Vorschlag. »Du wirst nun in dem Hause an der Elbchaussee dein altes Heim wiederfinden. Es ist alles noch unberührt.«

Er hatte nur das Schlafzimmer umstellen lassen. Da war ein zweites Bett hereingekommen, denn die Zimmer Barbaras hatten für die Tochter und den Schwiegersohn immer bereitgehalten werden sollen. Nun war das Bett wieder verschwunden und der Geheimrat sagte nichts davon.

Aber Barbara wollte nicht. »Ich kann nicht mehr in Hamburg wohnen.«

Der Geheimrat verstand nicht.

»Es wäre mir, als würde die Zeit meiner Ehe dadurch ausgelöscht. Es liegt eine Grausamkeit darin, daß alles so wieder anfangen soll, weitergehen, wie es gewesen ist. Als gäbe es keine Lücke, wenn ein Mensch nicht mehr unter uns ist.«

»Du bist noch jung, Kind, und mußt vergessen können.«

»Wir haben eine glückliche Zeit miteinander verlebt, Vater, laß mir Ruhe. Ich werde mich wiederfinden. Aber laß mich in Berlin wohnen.«

So wurde in einer stillen Straße in Westend ein Haus mitten in einem großen Garten für Barbara eingerichtet. Ein Heim, in dem viele Dinge ihrer Mädchenzeit Unterkunft fanden und andere, die sie an Ostasien erinnerten. Und die einzige Freundin, mit der Barbara gern zusammensaß, war Gisela geworden.

Es dämmerte bereits draußen. Barbara hatte Holz in dem offenen Kamin aufschichten lassen, der in der Übergangszeit die Zentralheizung ersetzte, und den Teetisch dicht an das Fenster herangeschoben. Die Holzkohlen glühten schon im Samowar.

Unruhig ging Barbara auf und ab. »Wo sie nur bleibt?«

Endlich das Einschnappen des Gartentors, rasche Schritte auf dem Kiesweg, und Gisela trat, von ihrem schwarzen Hund mit Freudenwinseln begrüßt, in die Halle.

Barbara schalt. »Wenn du deinen Widerstand aufgeben und bei mir wohnen wolltest, müßte ich nicht unruhig werden, wenn du so spät kommst.«

»Du hast den Hund, laß das genug sein.« Sie musterte Barbara, deren Schönheit durch das Trauerkleid noch gehoben wurde. »Ist es nicht ein Opfer, daß ich ihn dir lasse?«

»Weil er von Rainer ist?«

Gisela errötete. »Ja, weil er von Rainer ist. Und weil das, was wir vor einem halben Jahr miteinander besprochen haben, noch immer stimmt.«

»Ich habe anders darüber denken gelernt, Gisela. Ich weiß jetzt, was ein guter Kamerad wert ist und was falsch war an meinen alten Anschauungen.«

»Aber ich weiß es noch nicht.«

»Bist du so stolz, daß du nicht nachgeben kannst?«

»Ich denke an Rainer und an mich. Ich sehe sein Leben und das meine vor mir. Und ich weiß, wie euer Vater denkt. Um Rainers willen könnte ich es nicht ertragen, wenn er ihn von mir trennen wollte. Und deshalb habe ich mich bemüht, nichts aufkommen zu lassen, was er trennen müßte.«

»Kleine, tapfere Gisela.«

»Übrigens, weißt du, es ist jetzt kalt geworden in der Mandschurei. Sie haben viel gearbeitet. Die Chinesen haben ja damals ihre Zustimmung gegeben. Und dann ist die Strecke überall aufgenommen worden. Rainer hat oft darüber geschrieben, und ich habe alles gesammelt. Ich habe ja als Beamtin alles lesen müssen, was im Linienausbau geschieht. Die Engländer sind bis Indien gekommen, die hatten es aber auch einfacher. Und die Franzosen bis an den Kongo. Rainer und Truckbrott wollen noch Winterflüge machen, er hat ja nun alle Examen gemacht und führt die Maschine oft selbst. Und im Dezember kommen sie zurück.«

Das wußte Barbara bereits, aber sie hatte geschwiegen. Gisela sollte die Nachricht aus Rainers Briefen selbst lesen.

Die rechnete. »In drei Monaten.«

Der Geheimrat verfolgte den Ausbau der Poollinien mit größter Aufmerksamkeit. Wie Truckbrott den deutschen Teil leitete, so hatte MacKenney schon, ehe die deutschen Maschinen starteten, seine Tätigkeit im Orient ausgenommen, die hauptsächlich in einer Verbindung der bereits bestehenden britischen Fliegerstationen bestand. Nach seinen Berichten konnte der Verkehr im Frühjahr ausgenommen werden. Und wie die deutsche Linie vorläufig nur bis Peking geführt worden war und ihrer Vollendung nach Tokio noch harrte, so hatten auch die Engländer die Verbindung mit Australien fürs erste zurückstellen müssen. Nicht zuletzt, weil sie ihr Interesse zwischen den Poollinien und der Ozeanüberquerung teilten.

Vor wenigen Wochen war die Eheschließung zwischen dem Viscount und Olga Surewski erfolgt. Die Lady hatte auf eine längere Reise verzichtet, ihr altes Interesse an dem Bau des ›Leviathan‹ war nicht erloschen. Und der Ehrgeiz, sich von andern, besonders von den Deutschen nicht überholen zu lassen, verbrannte sie.

So bat sie den Viscount immer wieder, MacKenney zurückzurufen, aber der weigerte sich und blieb dem Vertrage treu.

Und wie in England der ›Leviathan‹ wuchs, so wuchs in Deutschland die, ›T 1000‹.

Eines Tages rief Barbara in der Bücherei an. »Du könntest auf einen Tag Urlaub nehmen, Gisela.«

»Das geht nicht.«

»Auch nicht, wenn ich dir erzähle, daß wir morgen die Sturmvogelwerke besuchen wollen?«

Ein unterdrückter Freudenschrei. »Ich muß – natürlich, ich muß ja darüber nach Ostasien berichten.«

Am andern Tage saßen sie in Pelze gewickelt in Barbaras bequemem Tourenwagen und fuhren nach Mitteldeutschland.

»Es soll schon mancherlei zu sehen sein.«

Doktor Truckbrott empfing sie. Er streifte Gisela mit einem fragenden Blick. »Die ›T 1000‹ ist ja noch geheim, gnädige Frau.«

»Gisela ist –« sie stockte. »Ich übernehme die Verantwortung. Sie werden unsern Laienaugen ja auch nur äußere Dinge zeigen.«

Sie fand doch vor Erstaunen keine Worte, als sie dann in der Halle stand, die die Riesenmaschine fast in ihrer ganzen Länge einnahm. Die einzelnen Teile waren bereits vorhanden, aber noch nicht miteinander verschweißt, die Rümpfe und die Kabinenteile noch ohne Inneneinrichtung.

Der Doktor rieb sich die Hände. »Wir haben gute Arbeit geleistet.«

Und Gisela, atemlos: »Wird Herr Truckbrott den Wettbewerb mit dem ›Leviathan‹ aufnehmen?«

»Das wird die Zukunft ergeben.«

Auf die Einladung des Doktors saßen sie dann noch in der Stadt der alten Frau Truckbrott gegenüber. »Ich habe immer mich sorgen müssen«, lächelte die. »Um den Mann, der ein Erfinder ist, und um den Sohn, der die Erfindungen ausprobiert.«

»Sie können stolz sein, gnädige Frau.«

Die Augen der Mutter leuchteten. »Das bin ich auch.« Und dann weich: »In wenigen Wochen habe ich ihn ja wieder, wenn's auch nur auf kurze Zeit ist.«

»Dann wird er der erfolgreichste und bekannteste Deutsche sein«, sagte Barbara.

Aber darauf mochte die alte Frau nicht antworten.

Wenige Tage später kam der Geheimrat nach Berlin und besuchte die Tochter in Westend. »Du mußt mir einmal etwas von deiner neuen Freundin erzählen, bisher wichst du stets aus.«

Barbara drückte den Vater in einen weichen Sessel. »Wenn du ganz still bist und mich nicht unterbrichst, Papa.«

»So vielverheißend?«

»Als ich ihren Namen zum ersten Male hörte – von dir hörte, weißt du, habe ich mich unter bestimmten Voraussetzungen für sie eingesetzt. Ich habe dir aber damals eins verschwiegen, nämlich, daß ich den Namen schon kannte.«

»Jetzt bin ich neugierig.«

»Von Rainer.«

Der Geheimrat fuhr auf: »Barbara!«

»Zuhören, Papa. Ich habe es damals als eine Liaison angesehen, die man am besten beendet, wenn man den einen Teil in ein Abhängigkeitsverhältnis bringt, ihn also gewissermaßen entschädigt.«

Gordon suchte erregt in seiner Zigarrentasche. »Ganz meine Ansicht.«

»Meine Auffassung war falsch. Gisela hat nie etwas von Rainer gefordert und fordert auch heute noch nichts.«

»Gut.«

»Aber mir scheint es um Rainers willen gut, wenn sie einmal etwas fordern würde.«

»Barbara, das wäre eine Kinderheirat.«

»Rainer ist heute noch zu jung, er muß noch zwei, drei Jahre lernen, und Gisela wird auch dann noch nicht zu alt für ihn sein.«

Der Geheimrat verzog spöttisch den Mund. »Wie denkst du dir das, Barbara, wenn Rainer seine Braut sich aus einem unserer Büros holt?«

»Schätzt du als Kaufmann Arbeit so gering ein? Aber ich gebe dir recht. Man soll auch an die andern denken und ihnen keinen Grund zum Reden geben. Deshalb habe ich Gisela gebeten, ihre Stellung aufzugeben.«

»Und?«

»Sie lehnt das konsequent ab.«

»Aha.«

»Sie will selbständig bleiben. Ich habe nun heute einen andern Vorschlag. Dein Haus in Hamburg ist einsam, du solltest Gisela als Tochter zu dir nehmen und ihr gestatten, ihre Studien auf der Hamburger Universität zu beenden. Du wirst dann nicht mehr allein sein, und sie hat einen Pflichtenkreis, der es ihr möglich macht, eine Gegenleistung zu bieten. Wohltaten nimmt sie nämlich nicht an.«

Der Geheimrat machte eine Pause. Der Gedanke beschäftigte ihn. »Natürlich hat sie mit beiden Händen zugegriffen?«

»Sie weiß es noch gar nicht.«

»Und da soll ich –«

Barbara beugte sich nach vorn und legte ihre Hände auf die des Vaters. »Ist es denn so schwer, Papa, deinem Jungen den Weg ein wenig zu ebnen, den er sich sonst später einmal ertrotzen müßte?«

Wieder war es still zwischen Vater und Tochter. Endlich nach langer Zeit: »Wo werde ich sie kennenlernen?«

»Du siehst sie heut bei mir. Sie weiß nicht, daß du gekommen bist, nichts von meinem Plan. Du sollst sie selbst sehen und mit ihr sprechen, und du wirst dann selbst wissen, ob du ihr meinen Vorschlag machen kannst.«

So saß Gisela eine halbe Stunde später dem Geheimrat gegenüber. Sie merkte es nicht, daß Barbara aufstand und leise herausging, sie erzählte von Königsberg, vom Vater, von ihren Studien, von Rossitten.

Und ein wenig zögernd von Rainer.

Dabei ruhten die klaren Augen des Geheimrats gar nicht so böse auf ihr, wie sie gefürchtet hatte. Mit kurzen, knappen Fragen verstand der es immer wieder, die Unterhaltung neu anzuregen. Er ließ sich von Berlin erzählen, von der Arbeit in der Bücherei.

»Sie hätten besser getan, vorher Ihr Studium zu beenden«, sagte er.

Und sie, leise: »Das konnte ich nicht.«

»Wenn ich Ihnen die Mittel zum Studium nun vorstrecke – gegen einen Vertrag?«

»Ich weiß nicht, was ich Ihnen bieten könnte, Herr Geheimrat«, seine Art machte sie verlegen. Sie sah sich nach Barbara um.

»Man kann in Hamburg auch Bibliothekswissenschaften belegen, denke ich.«

»Ja.«

Als Barbara wieder ins Zimmer trat, sah sie, daß der Vater die Hand ausstreckte und daß Gisela einschlug.

»Nun?« lächelte sie.

»Wir haben einen Vertrag geschlossen«, sagte der Geheimrat. »Vorläufig aus zwei Jahre, dann ist das Studium beendet.«

Und als er mit seiner Tochter allein war: »In ihrem und Rainers Interesse sollst du nicht von dem sprechen, was zwischen uns beredet wurde, Barbara. Festsitzende Anschauungen wirft man nicht so leicht zum alten Eisen. Du verstehst mich?«

»Ich glaube, wir verstehen uns«, sagte die Tochter.


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