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I.

»… betrachten wir es als eine Ehre und einen Vorzug für Holland und für die Stadt Amsterdam ganz besonders, so viele hervorragende Vertreter des Flugwesens in unserer Mitte zu sehen. Ich begrüße Herrn Geheimrat von Gordon, den Präsidenten des deutschen Lufttrustes …« Er nannte eine Reihe von Namen, die in dem allgemeinen Beifallsgemurmel untergingen.

Legationsrat von Lettau, der Vertreter des deutschen Gesandten, beugte sich zu seiner Nachbarin hinüber. »Jetzt kommt die ganze Speisekarte der fliegerischen Prominenz, schön der Reihe nach, zuerst das Kapital, dann die Männer vom Bau.«

Die Namen schwirrten weiter. »… Viscount Macmorris, William Robertson aus Louisville, MacKenney …«

Barbara von Gordon spielte mit ihrer Tischkarte. »An der Reihenfolge werdet ihr den Wert erkennen.«

Ihr Nachbar zur Rechten sagte kein Wort, das reizte sie.

»Man kann an Ihnen nicht vorbei, Truckbrott.«

»Warum nicht?« fragte der gleichmütig.

»Weil Sie als Erster mit einem Serienflugzeug die russische Steppe und die Wüste Gobi bezwungen haben. Es wäre eine Brüskierung der deutschen Luftfahrt.«

»Truckbrott« – der Name stand einen Augenblick für sich allein, wie ein Programm, losgerissen aus dem Vorher und Nachher. Dann in die Pause hinein: »Besonders aber danken wir Herrn Alexander Surewski, dem genialen Fliegerkonstrukteur, für seine Absicht, morgen, am Tage unseres Meetings, sein Riesenflugzeug zum Fluge über den Atlantik zu starten. Das Meeting von Schiphol wird ein Markstein in der Geschichte der internationalen Fliegerei werden.«

Weil man in der Frage der russischen Nationalhymne nicht recht unterrichtet war, spielte die Musik das Sternenbannerlied, das stehend angehört wurde.

Lettau spottete. »So singen wir dem Kapital ein neues Lied, schließlich bezahlt ja Amerika die ganze Geschichte.«

Der Bürgermeister von Amsterdam hatte sein Glas geleert und setzte sich befriedigt. Die Arbeit war getan, jetzt kam das Vergnügen. Es wurde bereits auf mächtigen Schüsseln hereingetragen. Hummer mit geschlagener Butter, dazu Sekt, den der französische Aeroklub im Flugzeug erst heute geschickt hatte. Eine Privatmarke, die der Handel nicht führte.

Geheimrat von Gordon sprach mit dem Viscount Macmorris. »Der Russe kann mit seinen Lorbeeren zufrieden sein. Sie kennen das Unternehmen, Lord?«

Der aß gelassen weiter. »Wie Sie.«

Gordon lachte. »Also hat er es Ihnen auch angetragen?«

» Well.«

»Und Sie haben abgelehnt?«

» I think so, Sir.« Zwischen dem Knacken der Hummerschere kamen halblaut die Worte: »Wir haben kein Interesse an dem Atlantik, England braucht Verbindung mit den Dominions, mit Australien, Indien –«

»Und mit Kanada?«

»Später.«

»Herr Surewski wäre sicher gern auch nach Bombay geflogen«, bohrte der Hamburger.

» Surely, aber er wäre nicht angekommen, MacKenney ist uns sicherer. Surewski möchte fliegen, MacKenney ist geflogen.«

»Bei aller Anerkennung der Leistung, Viscount Macmorris, Rekorde mit Sondermaschinen haben mangelnde Beweiskraft.«

Der Engländer verzog den Mund. »Auch wenn man Peking anfliegt, Geheimrat von Gordon?«

»Mit einem Serientyp«, parierte der.

Macmorris versenkte sich in das Schwanzteil seines Krusters. »Natürlich ist die Serie die Zukunft. Regelmäßiger Streckenverkehr. Aber der Rekord ist sein Vorläufer.« Er musterte den kleinen deutschen Flieger, der eben wieder mit Barbara von Gordon sprach. »Mister Truckbrott sieht aus wie ein Rennreiter, er hat Rasse.«

»Und Ruhe, Lord, Nerven wie Eisen.«

»Auch im Flirt«, die beiden mußten in Meinungsverschiedenheiten gekommen sein, Barbaras Augen blitzten unwillig.

»Sie müssen morgen starten, Truckbrott.«

Der Botschaftsrat unterstützte sie. »Aber das ist doch selbstverständlich.«

»Mir nicht.«

»Mir nicht, mir nicht«, höhnte Barbara. »Sie sind wie ein Stockfisch, Truckbrott, Sie haben Starlaunen seit Ostasien.« Ihr kleiner Absatz trommelte das Parkett. »Papa hat sich besonders dafür eingesetzt, daß unsere größte und neueste Maschine hier ist. Ganz natürlich, um sich in der Luft zu zeigen.«

»Natürlich.«

»Na, und?«

»Geheimrat von Gordon weiß, wie ich über Flugmeetings und Luftverkehr denke. Besonders über das morgige. Unsere Sportmaschinen werden starten und an den Konkurrenzen teilnehmen – mit Sportfliegern. Geschwaderflug, Einzelflug, auch ein bißchen Akrobatik. Und dann wird die D 1150 fahrplanmäßig anrollen, unter ihrem Piloten vom Dienst, und wird ihren Streckenflug nach London antreten. Pünktlich und fahrplanmäßig, wie jeden Tag. Regelmäßiger, exakter Dienst, ohne Mätzchen, das ist unsere Reklame, Fräulein von Gordon.«

Barbara konnte sich nicht mehr beherrschen. »Und mit dieser Spießbürgerei werden wir uns vor aller Welt lächerlich machen, Herr Truckbrott, Surewski und die Amerikaner werden morgen das Tagesgespräch sein.«

»Das hoffe ich nicht, gnädiges Fräulein.« Truckbrott wurde sehr ernst.

Die ließ sich nicht stören. »Das ist Sportgeist und Sinn für Rekord, aber wir werden im Luftkutschertum versauern.«

Weil MacKenney hinter ihn getreten war, konnte Truckbrott nicht antworten. Einen Augenblick hatte es in seinem Gesicht gezuckt, als das böse Wort fiel: Luftkutschertum. Und Barbara hatte es bemerkt. Aber sie wollte es nicht zurücknehmen, sie wollte ihn reizen, diesen Eiszapfen, ihm wehtun.

Der Diplomat schüttelte den Kopf. »Das war böse, Fräulein von Gordon.«

Achselzucken. »Er soll wissen, was ich von seiner deutschen Gründlichkeit denke. Überlegen Sie doch, Lettau, das, was die Amerikaner heute sind, könnten wir Deutschen sein. Surewski hätte seine Riesenmaschine gern in Deutschland gebaut und einen deutschen Piloten mit auf die Reise genommen, das weiß ich. Was MacKenney kann, leistet Truckbrott spielend. Es wäre ein Gegengewicht für den Australienflug geworden. Und jetzt –«

Der Schotte hatte den deutschen Kollegen in eine Fensternische gezogen. Breitschultrig, beide Hände in den Taschen seiner weiten Hose, stand er vor dem zierlichen Truckbrott. »Ich fliege lieber im Drehsturm als hier in dem Weihrauch«, sagte er.

In Truckbrotts Ohren klang Barbaras Wort noch nach. Warum hatte sie ihm das gesagt? Um ihn zu kränken? Um ihm wieder einmal den Abstand zu zeigen, der zwischen ihm und ihr klaffte. Zwischen dem simplen Verkehrsflieger und der Tochter des Hamburger Trustmagnaten? Das wäre nicht nötig gewesen. Auch wenn sie heute die großen Streckenflieger feierten, mehr vielleicht, als die Sache es wert war, denn was bei einem Fluge über unerforschtes Gebiet geleistet werden mußte, das wußte nur der kleinste Teil der Gesellschaft, die heute zu Ehren der internationalen Fliegerei aß und trank. Morgen war er wieder der simple Pilot, Führer irgendeiner fahrplanmäßigen Maschine zwischen London, Paris und Moskau, einer, der vorn am Steuer im ölgetränkten Fliegeranzug saß und der kaum mit denen in Verbindung kam, die er führte. Luftkutscher – so etwas wie ein herrschaftlicher Chauffeur oder ein Zugführer.

»Surewski hat mich eingeladen mitzufliegen, er will in Paris zwischenlanden, nur für mich«, lachte der Engländer.

Truckbrott rückte sich zusammen. »Sie werden mitfliegen?«

» No.«

»Warum nicht?« Die Gedanken glitten schon wieder davon.

»Ich bin in Deutschland gewesen, Mister Truckbrott, in Ihren Fabriken. Man ist sehr liebenswürdig da gewesen. Ich habe Ihre Modelle gesehen und Ihre Einrichtungen. Habe gesehen, wie so ein Ding auf dem Konstruktionsbrett aus Linien und Formeln wird, wie ihr Deutschen die Motoren immer wieder auf den Bremsstand stellt, wie ihr Modelle baut, und wie eure Gelehrten wochenlang am Kanalstrom sitzen und rechnen und rechnen. Und wie ihr dann Schritt für Schritt vorwärts geht, immer weiter und weiter. Man kann in der Fliegerei nur arbeiten, nicht springen.«

»Und in England, MacKenney?«

Der wartete. Endlich. »Wir sind mehr Sportsleute als ihr, Truckbrott. Wir arbeiten exakt, aber manchmal verlassen wir die gerade Linie, for the people, wissen Sie. Und weil die Regierung für ihre Subventionen etwas sehen will. Deshalb bin ich nach Australien geflogen, das ist ein Rekord. Aber er wird für sich bleiben, und es wird lange Zeit dauern, bis die Imperial Airways ihre Linie nach Bombay aufnehmen. Aber ihr, wenn ihr wollt, könnt ihr in sechs Monaten oder in drei mit Passagieren nach Ostasien fliegen. Euer Stahltyp ist gut.«

»Sie wollten von Surewski sprechen«, erinnerte ihn Truckbrott.

»Ich habe den ›Leviathan‹ heute gesehen, Sir. Viel Holz, viel Verspannung, viel Benzin, und die Motoren zu leicht.«

»Die Probeflüge sind gut gewesen.«

»Sagt William Robertson aus Louisville. Weil's ihm Surewski so gesagt hat. Denn selbst versteht er es nicht. Sonst müßte er wissen, daß Surewski morgen zum ersten Male mit vollen Benzintanks starten wird.«

Truckbrott sah den Schotten entgeistert an. »Das ist Wahnsinn, MacKenney, man muß ihm das ausreden.«

»Was, bitte?« Die harte Stimme des Russen klang plötzlich dicht neben ihnen. Er hatte eine Zigarette im Munde und rauchte hastig. »Was muß man mir ausreden, lieber Freund?«

»Den Start.«

Eine blasse, schwarzhaarige Frau drängte sich neben den Russen. Olga Surewski sprach nur Französisch, so hatte sie von den englischen Worten nur den Sinn erraten können. Ihre Hände zitterten. »Sie haben kein Vertrauen in den ›Leviathan‹, Messieurs?«

Surewski zerknüllte seine Zigarette, warf sie achtlos auf den Boden und tastete nach einer neuen. Er stieß ein paar russische Worte hervor.

»Ihr Herr Gemahl sollte die vollbeladene Maschine noch einmal Probefliegen lassen«, sagte Truckbrott ruhig.

»Das ist geschehen.«

»Ballast und wirkliche Ladung ist nicht das gleiche, besonders bei der Anordnung Ihrer Benzintanks.«

»Die Sie mir nachmachen werden«, klang es höhnisch. »Gerade die Tankanlage ist genial.«

»Und leichtsinnig.«

Surewski lachte gezwungen. »Pedant.«

Aber in der Russin war die Angst wach geworden, sie wandte sich an den Schotten. »Was sagen Sie, Monsieur?«

Der mußte Truckbrotts Dolmetscherdienst erbitten, aber was er antwortete, übersetzte Surewski sofort ins Russische und entzog es so der Kontrolle der beiden Fachleute. Dann wandte er sich noch einmal an den Schotten.

»Ich wiederhole meine Einladung, Mister MacKenney, fliegen Sie mit mir bis Paris, Sie werden so den ›Leviathan‹ am besten schätzen lernen. An Sie, Herr Truckbrott, darf ich die gleiche Einladung wohl kaum richten?«

Der blieb kühl. »Jedenfalls müßte ich dankend ablehnen. Übrigens bin ich hier in Amsterdam im Dienst des Lufttrustes und habe nach dem Meeting eine Maschine nach Berlin zu starten.« Er machte eine kühle Verbeugung. »Ich bitte um Entschuldigung, aber Geheimrat von Gordon –«

Surewski sah ihm nach. »Die Deutschen werden nie wirklich große Erfolge erzielen, sie ersticken in Dienstauffassung und Pedanterie. Ich habe Ihre Landung heute bei Schiphol auf dem engen Kanal angesehen, Mister MacKenney, ein sportliches Meisterstück, würdig des Australienfliegers und der großen englischen Nation.«

»Oh, ich habe gezittert, als mein Mann es mir sagte, und als Sie wie ein Sperber herabschossen.« Olga Surewski umwarb den schwerblütigen Schotten, wie es ihre Art war. »Und dann, als das Flugzeug auf dem Kanal dahinglitt, war ich doch froh. Sie und Sascha, Sie werden die Helden des Rekords sein.«

MacKenney schüttelte ihr die Hand. »Sie sollten ihm zureden, noch eine Probe zu machen, Missis Surewski«, sagte er.

Aber der Russe übersetzte etwas ganz anderes.

Barbara war Truckbrott in den Weg getreten. »Sind Sie mir böse?«

»Sie können wohl nicht anders denken, Fräulein von Gordon. Von einem Palais an der Elbchaussee aus sieht man die Welt anders an als vom Führersitz des Flugzeuges.«

»Bitte werfen Sie mir meine Herkunft nicht vor.«

»Tat ich das? Es geschah ohne Absicht, ganz gewiß. Man muß Verhältnisse und Dinge nur klar sehen können. Heute und morgen ist Ihnen die Fliegerei etwas Außergewöhnliches, heute sind wir, wie sagt man doch – die Helden des Tages. Eine kurze Zeitspanne, dann versinken wir wieder in der Alltäglichkeit, im Luftkutschertum.«

Impulsiv streckte ihm Barbara die Hand hin. »Verzeihen Sie, ich hab's nicht bös gemeint.«

»Das weiß ich, eben weil Sie Sie sind, die Barbara von Gordon, für die das Leben eine Kette von Annehmlichkeiten bedeutet.«

»Und für Sie, Truckbrott?«

»Das ist kein Gespräch für den Prunksaal des Rathauses von Amsterdam, Fräulein von Gordon.«

Wieder der Trotz. »Aber ich will es mit Ihnen führen, durchsprechen, durchfechten.«

»Vielleicht später.« Er freute sich, daß der Geheimrat sie am Weiterreden hinderte. »Wirbt Barbara um einen Tanzkavalier, Herr Truckbrott?«

»Du bist unmodern, Papa, die Zeiten der Tanzkarte sind vorbei. Nur der erste Foxtrott ist vergeben, an Herrn von Lettau. Aber später – Sie verschieben ja alles so gern auf später, Herr Truckbrott.«

Der Geheimrat sah ihr nach. »Was hat's denn gegeben?«

»Nur ein angeschnittenes Privatissimum über Sport- und Verkehrsfliegerei, Herr Geheimrat, auf verschiedenen Ansichten aufbauend und in der Frage gipfelnd, warum die deutsche Großmaschine morgen in der Konkurrenz nicht starten wird.«

»Die Herren vom Aufsichtsrat hätten es gern gesehen – auch MacKenney hat zugesagt.«

»Als Sportflieger, ich bin Verkehrsmann – und für den Streckenflug wartet morgen alles auf den ›Leviathan‹.«

»Man hört überall ›Leviathan‹, ich wollte das so. Ein gutes Flugzeug, wie?«

Gordon warf dem Flieger einen mahnenden Blick zu, aber ehe der antworten konnte, sprach der Amerikaner weiter. »Der Start ist das Ereignis des Meetings, in dreißig Stunden bis Neuyork, das ist etwas. Ich habe in Detroit mit Mister Ford gesprochen – und in Washington mit –«

»Warum haben Sie die Maschine nicht in Neuyork starten lassen, Mister Robertson?« wollte der Geheimrat wissen.

Der wurde theatralisch. »Amerika ist die Zukunft, das Ziel, das siegreiche Flugzeug muß die Liberty umkreisen, nicht das startende. Auch Mister Coolidge –«

»Und deshalb haben Sie Motoren, Rumpfteile und Brennstoff zu Schiff über den Atlantik geschafft, nur um sie durch die Luft zurückzuführen, denn an Passagiere und Last ist nicht zu denken.«

Robertson verstand nicht. »Wir wollen einen Rekord aufstellen, wie Sie in Ostasien.«

»Das Ziel ist der Passagierflug.«

»Vorläufig ist Neuyork unser Ziel, Mister von Gordon.« Die Tanzmusik unterbrach ihn. »Wissen Sie, wo Mrs. Surewski ist? Ich soll eine Runde mit ihr machen, for representation.«

Als Lettau mit Barbara vorbeitanzte, suchten deren Augen den Flieger. Sie flüsterte ihrem Tanzpartner ein paar Worte zu und ließ sich von ihm zu ihrem Vater führen. »Herr von Lettau suchte dich, Papa, ich dispensiere Sie gnädigst.« Sie lächelte. Und dann leise zu Truckbrott:

»Tanzen Sie mit mir.« Es klang scharf.

Er verbeugte sich. »Wenn Sie befehlen.«

Und Barbara ganz leise: »Truckbrott, ich bitte.«

Da legte er den Arm um sie.


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