Ernest Renan
Die Apostel
Ernest Renan

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Zehntes Kapitel.

Bekehrung des heiligen Paulus.

Aber das Jahr 38 brachte der werdenden Kirche noch eine ganz andere Eroberung. In den Verlauf dieses JahresDieses Datum ergiebt sich aus dem Vergleich der Kapitel IX, XI, XII der Apostelg. mit Gal. I, 18, II, 1, und aus dem Synchronismus, den Kap. XII der Apostelg. mit der allgemeinen Geschichte bietet, ein Synchronismus, der als Datum der in diesem Kapitel erzählten Thatsachen das Jahr 44 feststellt. kann in der That mit Wahrscheinlichkeit die Bekehrung desselben Paulus versetzt werden, den wir als Mitschuldigen bei der Steinigung des Stephanus, als Hauptbethätiger der Verfolgungen vom Jahre 37 gefunden haben und der durch eine geheimnisvolle Gnadenwaltung der eifrigste der Jünger Jesu werden sollte.

Saulus wurde zu Tarsus in Cilicien, im Jahre 10 oder 12 unserer Zeitrechnung geboren.Apostelg. IX, 11, XXI, 39, XXII, 3. – In der Epistel an Philemon, geschrieben um das Jahr 61, bezeichnet er sich als »alter« (Vers 9). Apostelg. VII, 57 wird er bezüglich einer ungefähr im Jahre 37 vorgekommenen Thatsache als junger Mann bezeichnet. Dem Brauche der Zeit gemäß hatte man seinen Namen in den von »Paulus« latinisiert.In derselben Weise wie die »Jesus« sich »Jason«, die »Joseph« »Hegesippus«, die »Eliacim« »Alcime« etc. nennen ließen. Hieronymus ( De vir. ill. 5) nimmt an, daß Paulus seinen Namen von dem Prokonsul Sergius Paulus (Apostelg. XIII, 9) entnommen habe. Eine solche Erklärung scheint wenig annehmbar zu sein. Wenn die Apostelg. dem Saulus den Namen »Paulus« erst seit seiner Verbindung mit der genannten Persönlichkeit giebt, so hängt dies vielleicht mit dem Umstand zusammen, daß die angenommene Bekehrung des Sergius die erste auffallende Handlung des Paulus als Heidenapostel war.

Dauernd führte er jedoch diesen Namen erst, als er die Rolle eines Heidenapostel übernommen hatte (Apostelg. XIII, 9 etc., die Unterschrift aller seiner Episteln; 2. Petri III, 15). Paulus war von reinstem jüdischem Blute. (Die ebionitischen Verleumdungen – Epiph. Adv. haer. haer. XXX, 16, 25 – dürfen nicht ernst genommen werden. Seine Familie, aus der Stadt Geschala in Galiläa stammend, behauptete, dem Stamm Benjamin anzugehören (Hieronymus loc. cit. Unannehmbar wie sie Hieron. auch bietet, scheint diese Tradition nichtsdestoweniger doch irgendeine Grundlage zu haben. – Röm. XI, 1; Phil. III. 5.) Sein Vater führte den Titel eines römischen Bürgers (Apostelg. XXII, 28). Zweifellos hatte sich einer seiner Ahnen diese Eigenschaft erkauft oder durch seine Dienste sich erworben. Man kann annehmen, daß sein Großvater ihn für den Beistand erhielt, den er Pompejus bei der römischen Eroberung (63 v. Chr.) geleistet hatte. Wie alle guten und alten jüdischen Häuser gehörte auch seine Familie zur Partei der Pharisäer (Apostelg. XXIII, 6). Paulus wurde nach den strengsten Grundsätzen dieser Sekte erzogen (Phil. III, 5; Apostelg. XXVI, 5) und wenn er auch später diese beschränkten Dogmen verleugnete, so behielt er doch den glühenden Glauben, die Schroffheit und Exaltation.

Tarsus war zur Zeit des Augustus eine sehr blühende Stadt. Die Bevölkerung gehörte größtenteils der griechischen und aramäischen Rasse an; aber wie in allen Handelsstädten waren auch hier die Juden zahlreich vorhanden (Apostelg. VI, 9; Philo, Leg. ad Caium § 36). Der Geschmack an Litteratur und Wissenschaften war hier sehr verbreitet und keine Stadt der Welt, auch Athen und Alexandrien nicht ausgenommen, war so reich an Schulen und wissenschaftlichen Anstalten (Strabon XIV, 10, 13 ). Die Zahl der Gelehrten, die Tarsus hervorbrachte oder die hier ihre Studien machten, ist wirklich außerordentlich groß (Strabon XIV, 10, 14, 15 ; Philostr., Leben des Apollonius I, 7). Man darf jedoch daraus nicht folgern, daß Paulus eine sehr sorgfältige hellenische Erziehung genossen habe. Die Juden besuchten nur selten die Anstalten für profanen Unterricht (Jos. Ant. letzter §. Siehe »Leben Jesu« S. 57 etc.). Die berühmtesten Schulen von Tarsus waren die Schulen für Rhetorik (Philostr. loc. cit. ). Das erste, was man hier lernte, war das klassische Griechisch. Es ist unglaublich, daß ein Mensch, der auch nur den Elementarunterricht in Grammatik und Rhetorik genossen, eine so krause, unrichtige, in ihren Wendungen so unhellenische Sprache geschrieben habe, wie die der Episteln Pauli ist. Er sprach das Griechische für gewöhnlich und ohne Mühe (Apostelg. XVII, 22 etc., XXI, 37), er schrieb oder diktierte vielmehr in dieser Sprache (Gal. VI, 11; Röm. XVI, 22); aber sein Griechisch war das der jüdischen Hellenisten, ein mit Hebräismen und Syriacismen beladenes Griechisch, das für einen Gebildeten jener Zeit kaum verständlich sein konnte, und dessen Sinn man nur dann erfassen kann, wenn man den syrischen Wendungen nachspürt, die Paulus beim Diktieren in Gedanken hatte. Er selbst erkannte den volkstümlichen und groben Charakter seiner Ausdrucksweise (2. Kor. XI, 6). Wo er es vermochte, sprach er »hebräisch«, d. h. das Syrochaldäische jener Zeit (Apostelg. XXI, 40. Ich habe anderwärts den Sinn des Wortes ἐσραϊστί erklärt. Hist. des lang. sémit. II, 1, 5, III, 1, 2). In dieser Sprache dachte er auch; und diese Sprache war es, in der die innere Stimme auf dem Wege von Damaskus zu ihm redete (Apostelg. XXVI, 14).

Ebenso verrät seine Lehre nirgends eine direkte Entnahme aus der griechischen Philosophie. Das Citat eines Verses aus der »Thaïs« von Menander, das sich in seinen Schriften vorfindet (1. Kor. XV, 33. Vgl. Meinecke, Meandri frag. S. 75), ist eines jener einzeiligen Sprichwörter, die in aller Leute Mund waren und die man sehr leicht hersagen kann, ohne die Originalstellen gelesen zu haben. Zwei andere Citate, das eine aus Epimenides, das andere aus Aratus, die unter seinem Namen dargestellt sind,Tit. I, 12; Apostelg. XVII, 28. Die Echtheit der Epistel an Titus ist sehr zweifelhaft. Was die im Kap. XVII der Apostelgeschichte mitgeteilte Rede betrifft, so ist sie weit eher das Werk des Verfassers der Apostelgeschichte, als das des heiligen Paulus. erklären sich, abgesehen davon, daß es nicht gewiß ist, ob sie wirklich von ihm herrühren, durch Entnahme aus zweiter Hand.Der aus Aratus citierte Vers ( Phaenom. 5) findet sich in der That bei Kleanthes (Hymne an Jupiter 5) wieder. Beide entlehnten ihn zweifellos irgend einer religiösen Hymne. Die Bildung des Paulus ist eine beinahe ausschließlich jüdische (Gal. I, 14); weit mehr im Talmud als in den griechischen Klassikern suchte er seine Gleichnisse. Nur einige allgemeine Ideen, welche die Philosophie überallhin verbreitet hatte, und die man kennen konnte, ohne auch nur ein einziges philosophisches Werk aufgeschlagen zu haben (Apostelg. XVII, 22 etc. im Hinblick auf die unten stehende Anmerkung), gelangten zu ihm.

Seine Art zu räsonnieren ist der seltsamsten eine. Sicherlich wußte er nichts von der peripatetischen Logik. Sein Syllogisma war keineswegs aristotelisch; im Gegenteil, seine Dialektik hatte die größte Ähnlichkeit mit der des Talmud. Paulus läßt sich im allgemeinen mehr durch das Wort als durch die Idee leiten. Ein Wort, das er im Sinne hat, beherrscht ihn und führt ihn zu einer Reihe von Gedanken, die weit entfernt von dem Hauptgegenstande liegen. Seine Übergänge erfolgen jäh, seine Entwicklungen sind lückenhaft, seine Perioden häufig abgebrochen. Kein Schriftsteller war ungleichartiger. Vergeblich wird man in allen Litteraturen nach einer so bizarren Erscheinung suchen, wie es die hehre Seite des dreizehnten Kapitels der ersten Epistel an die Korinther ist, und dicht dabei schwache Argumentationen, peinliche Wiederholungen, ermüdende Spitzfindigkeiten.

Sein Vater bestimmte ihn frühzeitig schon, Rabbiner zu werden. Allein nach einem allgemeinen Brauch (s. »Leben Jesu« S. 81) lernte er auch ein Gewerbe. Paulus war Teppichweber (Apostelg. XVIII, 3) oder, wenn man lieber will, Verfertiger jener groben Gewebe Ciliciens, die »Cilicium« genannt wurden. Bei verschiedenen Gelegenheiten übte er sein Handwerk aus (Apostelg. XVIII, 3; 1. Kor. IV, 12; 1. Thess. II, 9; 2. Thess. III, 8); er besaß kein väterliches Vermögen. Er hatte mindestens eine Schwester, deren Sohn zu Jerusalem wohnte (Apostelg. XIII, 16). Die Anzeichen, daß er auch einen Bruder und andere Verwandte hatte, die dem Christentum sich angeschlossen hätten, sind sehr vage und sehr unbestimmt (2. Kor. VIII, 18, 22; XII, 18. – Röm. XVI, 7, 11, 21. Über die Bedeutung von συγγενής in diesen Stellen s. S. 122).

Da nach modernen bürgerlichen Anschauungen die Sittenfeinheit im Verhältnis zum Besitze steht, könnte man sich nach dem Gesagten Paulus leicht als einen schlecht erzogenen, ganz gewöhnlichen Mann aus dem Volke vorstellen. Dies wäre jedoch eine ganz falsche Annahme. Seine Feinheit war, wo er es wollte, in außergewöhnlicher Weise vorhanden, sein Gehaben vortrefflich. Trotz des unrichtigen Stils lassen seine Briefe den Mann von vielem Geist erkennen, der den Ausdruck seiner Empfindungen schwungvoll wiederzugeben weiß (s. vor allem die Epistel an Philemon). Nie offenbarte ein Briefwechsel eine ausgesuchtere Höflichkeit, feinere Nuancen, mehr Zurückhaltung und liebenswürdigere Bescheidenheit. Ein- oder zweimal mögen uns seine Bemerkungen verletzen (Gal. V, 12; Phil. III, 2). Aber welches Feuer! Welcher Reichtum an reizenden Ausdrücken! welches Naturell! Man fühlt es, daß sein Charakter in den Momenten, wo er nicht von der Leidenschaft erzürnt und wild gemacht wurde, der eines höflichen, wohlgeneigten, verbindlichen, manchmal empfindlichen und etwas übereifrigen Mannes gewesen sein mußte. Untergeordnet in der Welt (2. Kor. X, 10), haben solche Männer im Schoße kleiner Kirchengemeinden den immensen Vorteil der Anhänglichkeit an ihre Person, die sie durch ihr praktisches Thun einzuflößen wissen, so wie durch die geschickte Art, die größten Schwierigkeiten zu überwinden.

Das Äußere des Paulus war nicht bedeutend und scheint seiner Seelengröße nicht entsprochen zu haben. Er war häßlich, untersetzt, plumper Gestalt und ging gebückt daher. Seine starken Schultern trugen seltsamerweise einen kleinen, kahlen Kopf. Sein blasses Gesicht war von einem struppigen Bart förmlich in Besitz genommen, eine Adlernase, durchdringender Blick und schwarze, auf der Stirne zusammenlaufende Augenbrauen.Acta Pauli et Theclae 3 in Tischendorfs Acta Apost. apocr. (Leipzig 1851) S. 41 und Anm. (Ein alter Text, auch wenn er nicht das Original wäre, von dem Tertullian spricht); Philopatris 12 (ein Werk aus dem Jahre 363); Malala, Chronogr. Seite 257, herausg. von Boer; Nicephorus, Hist. eccl. II, 37. Alle diese Stellen, besonders die bei Philopatris, lassen ziemlich alte Porträts annehmen. Was ihnen eine Autorität giebt, ist, daß Malala, Nicephorus und selbst der Verfasser der Geschichte der heiligen Thekla trotz alledem Paulus als schönen Mann darstellen wollen. Auch seine Sprache hatte nichts Imponierendes (1. Kor. II, 1 etc., 2. Kor. X, 1, 10, XI, 6). Etwas Furchtsames, Verlegenes, Mangelhaftes gab anfangs einen nur armseligen Begriff von seiner Beredsamkeit (1. Kor. II, 3, 2. Kor. X, 10). Als Mensch von Takt wußte er selbst seine äußerlichen Mängel vorteilhaft anzuwenden (2. Kor. XI, 30, XII, 5, 9, 10). Die jüdische Rasse weist das Merkwürdige auf, daß sie gleichzeitig den Typus größter Schönheit und vollendetster Häßlichkeit bietet; aber die jüdische Häßlichkeit ist etwas ganz Eigenartiges. Wie seltsam und zum Lachen reizend so ein Gesicht anfangs auch scheinen mag, wenn es begeistert ist, nimmt es einen besondern Glanz und eine Art Majestät an.

Das Temperament des Paulus war nicht minder seltsam als sein Äußeres. Seine Konstitution, sicherlich sehr widerstandsfähig, da sie ein Leben voll Müh' und Leid zu ertragen vermochte, war doch keine gesunde. Er spielt stets auf seine körperliche Schwäche an; er stellt sich als einen kranken, erschöpften Menschen hin, der dabei noch schüchtern, unansehnlich, unbeachtet ist, der nichts von dem hat, was einen Eindruck hervorzubringen vermag, so daß es verdienstlich sei, sich mit einem so elenden Äußern nicht zu beschäftigen (1. Kor. II, 3, 2. Kor. I, 8, 9, X, 10, XI, 30, XII, 5, 9,10; Gal. IV, 13, 14). Ferner spricht er geheimnisvoll von einer heimlichen Prüfung, »von einem in sein Fleisch gedrückten Pfahl«, den er mit einem Boten des Satans vergleicht, der ihn auf die Wange schlage und dem Gott erlaubt habe, sich ihm anzuhaften, um ihn vor Stolz zu bewahren (2. Kor. XII, 7-10). Dreimal habe er den Herrn gebeten, ihn davon zu befreien, dreimal habe ihm der Herr geantwortet: »Meine Gnade möge dir genügen!« Sicherlich war das irgend ein Gebrechen; denn die Begierde fleischlicher Wollust darunter zu verstehen, ist kaum möglich, zumal er selbst uns vorher berichtet, daß er dafür unempfindlich sei (1. Kor. VII, 7, 8 und der Kontext). Es scheint, daß er sich nicht verheiratet habe;1. Kor. VII, 7, 8, IX, 5. Diese zweite Stelle ist fern davon, überzeugend zu sein. Phil. IV, 3 läßt eher das Gegenteil annehmen. Vgl. Clemens von Alex., Strom. III, 6 und Euseb., Hist. eccles. III, 30. Die Stelle 1. Kor. VII, 7, 8 ist hier allein von Bedeutung. die vollständige Kälte seines Temperaments, eine Folge der unvergleichlichen Anstrengungen seines Gehirns, zeigte sich durch sein ganzes Leben. Er rühmte sich dessen mit einer Sicherheit, die vielleicht von einiger Affektation nicht ganz frei ist, und die uns jedenfalls etwas unangenehm berührt (1. Kor. VII, 7-9).

Er kam in jungen Jahren nach Jerusalem (Apostelg. XXII, 3, XXVI, 4) und trat, wie gesagt wird, in die Schule des älteren Gamaliels.Apostelg. XXII, 3. Paulus spricht nicht von diesem Lehrer an gewissen Stellen seiner Epistel, wo dessen Erwähnung natürlich gewesen wäre (Phil. III, 5). Es ist nicht unmöglich, daß der Verfasser der Apostelgeschichte nur aus Übereifer seinen Helden mit dem berühmtesten Gelehrten von Jerusalem, den er dem Namen nach kannte, in Verbindung gebracht hat. Es besteht ein absoluter Widerspruch zwischen den Grundsätzen Gamaliels (Apostelg. V, 34 etc.) und dem Gehaben des Paulus vor seiner Bekehrung. Dieser war der aufgeklärteste Mann von Jerusalem. Da der Name Pharisäer jedem angesehenen Juden, der nicht aus priesterlichem Geschlecht war, gegeben wurde, galt auch Gamaliel für ein Mitglied dieser Sekte. Aber er war nicht beschränkten und ausschließenden Geistes. Er war ein freisinniger, aufgeklärter Mann, der die Heiden verstand und Griechisch kannte. Vielleicht, daß die weitgehenden Ansichten, zu denen sich Paulus, nachdem er Christ geworden, bekannte, eine Reminiscenz der Weisungen seines ersten Meisters waren; es muß jedoch zugestanden werden, daß es keineswegs die Mäßigung war, die er als Erstes von ihm lernte. In dieser glühenden Atmosphäre von Jerusalem gelangte er zum höchsten Grad des Fanatismus. Er stand hier an der Spitze der Partei strenger und exaltierter junger Pharisäer, welche die Anhänglichkeit an die nationale Vergangenheit bis zum äußersten trieben (1. Gal. I, 13,14; Apostelg. XXII, 3, XXVI, 5). Er kannte Jesus nicht2. Kor. V, 16 besagt nichts. Die Stellen Apostelg. XXII, 3 und XXVI, 4 lassen wohl glauben, Paulus habe sich gleichzeitig mit Jesus in Jerusalem befunden; aber das ist noch kein Grund zur Behauptung, daß sie sich auch gesehen hätten. und war an dem blutigen Vorgang von Golgatha nicht beteiligt. Aber wir haben gesehen, welchen thätigen Anteil er an dem Mord des Stephanus hatte und daß er unter den Verfolgern der Kirche in erster Reihe stand. Er atmete nur Tod und Verderben und durchzog mit einem Mandat, das ihn zu allen Brutalitäten ermächtigte, wie rasend Jerusalem. Er eilte von Synagoge zu Synagoge, zwang dort die Furchtsamen, den Namen Jesus zu verleugnen und ließ die andern peitschen oder gefangen nehmen. (Apostelg. XXII, 4, 19, XXVI, 10, 11.) Als die Kirche von Jerusalem zerstreut wurde, verbreitete sich seine Wut über die benachbarten Städte (Apostelg. XXVI, 11); der Fortschritt, den der neue Glaube machte, brachte ihn außer sich, und als er erfuhr, daß sich in Damaskus eine Gruppe von Gläubigen gebildet habe, forderte er vom Hohenpriester Theophilius,Hoherpriester vom Jahre 37 bis 42. Jos. Ant. XVIII, 5, 8 , XIX, 6, 2 . Sohn des Hanan, Briefe an die Synagoge dieser Stadt, wodurch er ermächtigt wurde, die Übelgesinnten zu verhaften und sie gefesselt nach Jerusalem zu bringen. (Apostelg. IX, 1, 2, 14, XXII, 5, XXVI, 12).

Die schon seit dem Tode des Tiberius in Verwirrung geratene römische Autorität in Judäa erklärt diese willkürlichen Verfolgungen. Man befand sich unter der Herrschaft des wahnsinnigen Caligula. Die Verwaltung war nach allen Seiten hin zerfahren. Der Fanatismus hatte alles gewonnen, was die bürgerliche Macht verloren hatte. Nach der Entfernung des Pilatus und den Zugeständnissen, welche den Eingeborenen von Lucius Vitellius gemacht wurden, galt als Prinzip, das Land möge sich nach seinen eigenen Gesetzen regieren. Tausend Ortstyranneien zogen aus der Schwäche einer sorglos gewordenen Macht Nutzen. Überdies war Damaskus damals in die Hände des nabetenischen Königs Hartat oder Hareth geraten, dessen Hauptstadt Petra war.S. Revue numismatique , Neue Folge Bd. III (1858) S. 296 etc. 362 etc. Revue archéol. , April 1864, S. 284 etc. Dieser mächtige und tapfere Fürst wurde, nachdem er Herodes Antipas geschlagen, und der vom kaiserlichen Legaten Lucius Vitellius befehligten römischen Kriegsmacht gegenüber Stand gehalten hatte, vom Glücke ganz wunderbar begünstigt. Die Nachricht vom Tode des Tiberius (16. März 37) hatte Vitellius zum plötzlichen Stillstand veranlaßt (Jos. B. J. II, 20, 2 ). Hareth nahm nun Damaskus in Besitz und setzte da einen Ethmarchen oder Statthalter ein. (2. Kor. XI, 32. Die Reihe der römischen Münzen von Damaskus zeigt in der That eine Lücke zwischen den Regierungen Caligulas und Claudius'. Eckhel, Doctrina num. vet. Teil I, Bd. III, S. 330. Die Münze von Damaskus mit der Prägung »Arétas philhellene« ( ibid. ) scheint von unserem Hareth herzurühren. – Mitteilung von M. Waddington.) Die Juden bildeten dort zur Zeit dieser Besitznahme eine beträchtliche Partei. Sie waren zahlreich vorhanden und übten einen großen Proselytismus aus, besonders unter den Frauen (Jos. Ant. XVIII, 5, 1 , 3 ). Man wollte sie befriedigen; das Mittel, sie zu gewinnen, war stets, ihrer Autonomie Zugeständnisse zu machen, und jedes dieser Zugeständnisse war eine Erlaubnis zu religiösen Gewaltakten (vgl. Apostelg. XII, 3, XXIV, 27, XXV, 9). Diejenigen strafen, töten, die nicht so dachten wie sie, das nannten sie Unabhängigkeit und Freiheit.

Paulus verließ Jerusalem, folgte zweifellos dem gewöhnlichen Weg und überschritt den Jordan auf der Brücke der »Töchter Jakobs«. Seine Exaltation hatte ihren Höhepunkt erreicht; er war zeitweilig verwirrt, erschüttert. Die Leidenschaft ist keine Glaubensregel. Der leidenschaftliche Mensch tritt gar leicht von einem Glauben zu einem andern, ganz verschiedenen über und äußert hier dieselbe Glut wie früher. Wie alle starken Seelen, war Paulus bereit, das zu lieben, was er eben noch haßte. War er übrigens dessen gewiß, daß er nicht einem Werke Gottes entgegen arbeite? Die so gemäßigten und gerechten Ideen seines Meisters Gamaliel (Apostelg. V, 34 etc.) fielen ihm vielleicht ein. Oft findet bei solchen Glutseelen eine fürchterliche Umkehr statt. Er erkannte den Reiz derer, die er gemartert hatte (vgl. einen ähnlichen Zug bei der Bekehrung Omars. Ibn-Hischam, Sirat errasul , S. 226. Ausg. Wüstenfeld). Je mehr man diese guten Sektierer kennen lernte, je mehr gewann man sie auch lieb. Nun kannte sie niemand so gut wie ihr Verfolger. Zuweilen glaubte er die sanfte Gestalt des Meisters zu sehen, der seine Jünger zu so viel Geduld begeistern konnte, wie sie ihn mit einem Blick des Mitleids und sanften Vorwurfs anblickte. Was man von der Erscheinung Jesu erzählte, der als ein luftiges, zuweilen nur sichtbares Luftgebilde betrachtet wurde, berührte ihn sehr; denn in Epochen und in Ländern, wo an Wunder geglaubt wird, stellen sich die mirakelhaften Erzählungen der entgegenstehenden Parteien in gleicher Weise dar; die Mohammedaner haben Furcht vor den Wundern des Propheten Elias und flehen wie die Christen zum heiligen Georg und zum heiligen Antonius um übernatürliche Heilungen. Nachdem Paulus Iturien durchzogen, betrat er die große Ebene von Damaskus. Er näherte sich der Stadt und befand sich wahrscheinlich schon zwischen den Gärten der Umgebung. Es war Mittag (Apostelg. IX, 3, XXII, 6, XXVI, 13). Paulus hatte mehrere Genossen mit sich und scheint zu Fuß dahingezogen zu sein (Apostelg. IX, 4, 8, XXII, 7, 11, XXVI, 14, 16).

Der Weg von Jerusalem nach Damaskus hat sich kaum verändert. Er führt von Damaskus in südwestlicher Richtung, durchschneidet die schöne, sowohl von den Fließen aus dem Abana wie aus dem Pharphar durchzogene Ebene, auf der sich heute die Ortschaften Dareya, Kaukab und Sasa der Reihe nach befinden. Man vermag diesseits des Kaukab – vier Stunden von Damaskus – die Stelle nicht zu finden, wo eine der mächtigsten Thatsachen in der Geschichte der Menschheit sich abgespielt hat.Hierher verlegt nämlich die Tradition des Mittelalters den Ort des Wunders. Es ist sogar wahrscheinlich, daß der fragliche Punkt der Stadt viel näher lag und daß es viel richtiger wäre, ihn gegen Dareya – anderthalb Stunden von Damaskus – hin zu verlegen, oder zwischen Dareya und dem äußersten Ende des Meidan. (Dies ergiebt sich aus Apostelg. IX, 3, 8, XXII, 6, 11). Paulus hatte die Stadt vor sich, wovon zwischen den Bäumen durch einige Bauten bereits sichtbar waren; hinter sich den majestätischen Gipfel des Hermon mit seinen Schneefurchen, die ihn dem weißen Haupte eines Greises gleichen lassen. Zur Rechten den Hauran, die zwei parallelen kleinen Bergketten, die den unteren Lauf des Pharphar (Nahr-el-Awadj) und die Tumuli (Tuleil) des Seegebietes einengen; zu seiner Linken die letzten Vorberge des Anti-Libanons, die sich mit dem Hermon verbinden. Der Eindruck dieser reich bebauten Fluren, dieser köstlichen Gärten, die durch schmale Gräben voneinander geschieden und deren Bäume mit den schönsten Früchten beladen sind, ist der der Ruhe und des Glücks. Man stelle sich einen schattigen Weg vor, der sich in einer dicken Erdschicht eröffnet, welche unaufhörlich von den Bewässerungskanälen angefeuchtet wird, der von Böschungen umsäumt ist und sich zwischen Oliven-, Nuß-, Aprikosen- und Pflaumenbäumen dahinschlängelt, welche von rankenden Reben miteinander verbunden sind – und man wird ein Bild des Ortes haben, wo das seltsame Ereignis geschah, das einen so großen Einfluß auf den Glauben der Welt ausüben sollte. In dieser Umgegend von Damaskus glaubt man kaum noch im Orient zu sein. (Thatsächlich liegt auch diese Ebene 1700 Meter über dem Meeresspiegel.) Was hier, am Ausgang aus den öden, glühenden Gebieten von Gaulonitides und Ituräa die Seele erfüllt, ist die Freude, die Werke des Menschen und den Segen des Himmels wiederzufinden. Von den fernsten Tagen bis auf heut hat diese ganze Zone, die Damaskus mit Frische und Wohlbefinden umgiebt, nur einen Namen gehabt, nur zu einem Traume begeistert: »Paradies Gottes.«

Wenn Paulus hier fürchterliche Visionen hatte, so geschah es, weil er sie in sich trug. Jeder Schritt, den er gegen Damaskus machte, erweckte in ihm peinigende Verlegenheiten. Die häßliche Rolle eines Henkers, die er zu spielen auszog, wurde ihm unerträglich. Die Häuser, deren er nun ansichtig wurde, sind vielleicht die seiner Opfer. Dieser Gedanke erfüllt ihn, verzögert seinen Schritt; er will nicht weiter; es ist ihm, als löcke er gegen einen Stachel, der ihn antreibt (Apostelg. XXVI, 14). Die Müdigkeit von dem Wege (von Jerusalem nach Damaskus sind acht starke Tagesreisen), die sich zu dieser Ansicht gesellt, drückt ihn nieder. Wie es scheint, waren seine Augen entzündet (Apostelg. IX, 8, 9,18, XXII, 11, 13), vielleicht die beginnende Ophthalmie. Bei solchen langen Märschen sind die letzten Stunden die gefährlichsten. Alle schwächenden Ursachen der vergangenen Tage häufen sich an; die Nervenkraft verliert ihre Spannung; eine Reaktion stellt sich ein. Vielleicht auch, daß der jähe Übergang von der durch die Sonne verzehrten Ebene in den kühlen Schatten der Gärten, in der krankhaften (2. Kor. XII, 1) und stark zerrütteten Organisation des fanatischen Reisenden einen Anfall hervorruft. Die gefährlichen, von Blutandrang gegen den Kopf begleiteten Fieber treten in diesen Gegenden plötzlich auf. In wenigen Minuten ist man wie vom Blitz getroffen. Wenn der Anfall vorüber ist, so bewahrt man davon den Eindruck einer finstern, von Blitzen durchzuckten Nacht, in der man die Bilder von einem schwarzen Untergrund sich abheben sah.Einen derartigen Anfall hatte ich in Byblos; mit anderen Ansichten hätte ich sicherlich die Hallucinationen, die ich damals hatte, für Visionen genommen. Sicher ist, daß ein fürchterlicher Schlag Paulus in einem Augenblick alles nahm, was ihm von klarem Bewußtsein noch geblieben war, daß er ihn zur Besinnungslosigkeit niederwarf.

Nach den Darstellungen, die wir von diesem seltsamen Vorgang haben,Wir besitzen drei Darstellungen dieser Hauptepisode: Apostelg. IX, 1 etc., XXII, 5 etc. und XXVI, 12 etc. Die Unterschiede, welche diese Stellen aufweisen, bekunden, daß der Apostel selbst in der Erzählung seiner Bekehrung variierte. Die Darstellung Apostelg. IX ist in sich selbst nicht homogen, wie wir bald sehen werden. Vgl. Gal. 1,15–17; 1. Kor. IX, 1, XV, 8; Apostelg. IX, 27. ist es unmöglich, zu bestimmen, ob irgend ein äußerer Umstand die Krise herbeigeführt habe, der das Christentum seinen eifrigsten Apostel verdankt. Übrigens ist in solchen Fällen der äußere Anlaß von geringer Bedeutung. Der Seelenzustand des heiligen Paulus, seine Gewissensbisse beim Nahen der Stadt, wo er den Gipfel seiner Missethaten erreichen wollte, das waren die eigentlichen Gründe seiner Bekehrung.Bei den Mormonen und bei den amerikanischen »Erweckungen« werden auch fast alle Bekehrungen durch eine große Spannung der Seele, die Hallucinationen hervorbringt, herbeigeführt. Ich für meinen Teil ziehe die Hypothese einer persönlichen, von ihm allein nur gefühlten Thatsache vor. (Der Umstand, daß die Genossen des Paulus so wie er sehen und hören, kann sehr leicht nur legendär sein, umsomehr als die Darstellung in diesem Punkte sich ausdrücklich widerspricht. Vgl. Apostelg. IX, 7, XXII, 9, XXVI, 13. Die Hypothese eines Sturzes vom Pferd wird durch das Ganze der Darstellung widerlegt. Was die Ansicht betrifft, welche die ganze Erzählung der Apostelg. zurückweist, indem sie sich auf έν ἐμοί Gal. I, 16 stützt, so ist sie übertrieben. Έν ἐμοί hat an dieser Stelle die Bedeutung »für mich«, »hinsichtlich meiner«. Vgl. Gal. I, 24. Paulus hatte sicherlich in einem bestimmten Moment eine Vision, die seine Bekehrung entschied.) Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, daß ein Gewitter plötzlich ausgebrochen sei (Apostelg. IX, 3, 7, XXII, 6, 9, 11, XXVI, 13). Die Abhänge des Hermon sind die Bildungspunkte von Donnerschlägen, denen an Heftigkeit nichts gleichkommt. Selbst die Kaltblütigsten durchschreiten nicht ohne Bewegung diesen entsetzlichen Feuerregen. Auch darf nicht vergessen werden, daß für das ganze Altertum derartige Ereignisse als göttliche Offenbarungen galten; daß es nach den damaligen Vorstellungen vom Geschick nichts Zufälliges gab; daß jedermann die Gewohnheit hatte, die um ihn herum vorkommenden Naturerscheinungen auf sich zu beziehen. Besonders bei den Juden hat der Donner stets als die Stimme Gottes gegolten, der Blitz als das Feuer Gottes. Paulus befand sich in der heftigsten Aufregung. Es war nur natürlich, daß er in des Gewitters Stimme das zu vernehmen wähnte, was er in seinem Herzen hegte. Sei es, daß ein Fieberdelirium, herbeigeführt von einem Sonnenstich oder einer Ophthalmie, sich plötzlich seiner bemächtigt habe; sei es, daß ein Blitz eine längere Blendung verursachte; daß Blitz und Donner ihn zu Boden gestreckt und eine Gehirnerschütterung hervorgerufen, die für eine Zeitlang den Gesichtssinn ihm verlöschte – das alles ist nur von geringer Bedeutung. Die bezüglichen Erinnerungen des Apostels scheinen ziemlich verworren gewesen zu sein; er war überzeugt, daß es eine übernatürliche Thatsache gewesen sei und eine solche Meinung erlaubte ihm nicht, die materiellen Umstände richtig zu beurteilen. Diese Gehirnerschütterungen bringen manchmal eine Art rückwirkende Thätigkeit hervor und verwirren vollständig die Erinnerung an die der Krise vorausgegangenen Momente.Dies zeigte sich an mir selbst bei meinem Anfall in Byblos. Die Erinnerung an das, was an dem Tag, bevor ich bewußtlos hinfiel, geschah, ist aus meinem Geiste völlig entwichen. Übrigens lehrt uns Paulus selbst, daß er der Gegenstand von Visionen war (2. Kor. XII, 1 etc.); ein in den Augen jedes andern unbedeutender Umstand genügte, um ihn außer sich zu bringen.

Inmitten dieser Hallucinationen, welchen alle seine Sinne zur Beute geworden waren – was sah er? was vernahm er? Er sah die Gestalt, die ihn seit einigen Tagen schon verfolgte; er sah das Phantom, über das so viele Erzählungen im Umlauf waren: er sah Jesus selbst,Apostelg. IX, 27; Gal. I, 16; 1. Kor. IX, 1, XV, 8. Pseudoclement. Homilien XVII, 13–19. der ihm hebräisch zurief: »Saul, Saul, warum verfolgst du mich?« Ungestüme Naturen gehen urplötzlich von einem Extrem ins andere über.Vgl. was mit Omar stattfand. Sirat errasuol S. 226 etc. Es giebt für sie, was für kalte Naturen nicht vorhanden ist: feierliche Momente, Minuten, die für den Rest des Lebens entscheidend sind. Bedächtige Leute wechseln nicht; sie bilden sich um. Hitzige Leute dagegen wechseln und formen sich nicht um. Der Dogmatismus ist ihnen wie ein Nessuskleid, das sie nicht von sich werfen können. Sie brauchen einen Vorwand zum Lieben und zum Hassen. Nur die occidentalen Rassen konnten jene großen, zarten, starken und geschmeidigen Geister hervorbringen, die keine Augenblicksillusion mit sich reißen kann, keine eitle Bekräftigung verleiten. Der Orient hat nie Männer dieser Art gehabt. Einige Sekunden lang drängten sich in Paulus' Seele alle seine innersten Gedanken zusammen. Das Entsetzliche seines Thuns stieg lebhaft vor ihm auf. Er sah sich mit dem Blute des Stephanus bedeckt; dieser Märtyrer schien ihm als sein Vater, sein Führer. Er war aufs innigste bewegt, durchaus verwandelt. Aber im ganzen genommen hatte er nur den Fanatismus gewechselt. Seine Aufrichtigkeit, sein Bedürfnis eines absoluten Glaubens untersagten ihm, den Mittelweg zu wählen. Es war klar, daß er einst für Jesus denselben Feuereifer entwickeln werde, den er bei seiner Verfolgung bekundete.

Unterstützt von seinen Genossen, die ihn an der Hand führten, zog Paulus in Damaskus ein (Apostelg. IX, 8, XXII, 11). Sie brachten ihn bei einem gewissen Juda unter, der in der »Rechten Straße« wohnte, eine große, mit Säulengängen versehene, mehr als eine Meile lange und hundert Fuß breite Straße, welche die Stadt von Osten nach Westen durchschnitt und deren Linie, abgesehen von etlichen Abweichungen, noch heute die Hauptverkehrsader von Damaskus bildet.Ihr einstiger arabischer Name war Tarik-el-Adhwa. Heute nennt man sie Tarik-el-Mustekim, was Ῥύμη ένθεῖα entspricht. Das östliche Thor (Bab Scharki) und einige Spuren der Säulengänge bestehen noch. S. den von Wüstenfeld in der »Zeitschrift für vergleichende Erdkunde« von Lüdde 1842, S. 168, mitgeteilten arabischen Text; Porter, Syria and Palestine , S. 477, Wilson, The Lands of the Bible , II, 345, 351, 352. Die Blendung (Apostelg. XXII, 11) und der Blutandrang gegen das Gehirn verminderten sich nicht. Eine Beute des Fiebers, aß und trank Paulus drei Tage lang nicht. Was während dieser Krise in einem heißen, durch heftige Bewegungen verwirrten Kopf vorging, ist leicht zu erraten. Man sprach in seiner Gegenwart von den Christen zu Damaskus, namentlich von einem gewissen Ananias, der das Oberhaupt der Gemeinde gewesen zu sein scheint.Die Erzählung im IX. Kapitel der Apostelg. scheint hier aus zwei vermengten Texten zusammengesetzt zu sein; der eine, ursprünglichere, umfaßt die Verse 9, 12, 18, der andere, ausführlichere, gesprächartigere und legendenhaftere, umfaßt die Verse 9, 10, 11, 13, 14, 15, 16, 17, 18. Der Vers 12 steht thatsächlich weder mit dem Vorhergehenden noch mit dem Nachfolgenden in Verbindung. Die Erzählung XXII, 12-16 stimmt mehr mit dem zweiten erwähnten Text, als mit dem ersten, überein. Paulus hatte öfter die Wunderkraft der neuen Gläubigen hinsichtlich der Krankheiten erwähnen gehört; der Gedanke, durch Händeauflegen aus seinem Zustande befreit zu werden, bemächtigte sich seiner. Seine Augen waren noch immer sehr entzündet. Unter den Bildern, die in seinem Gehirn einander folgten (Apostelg. IX, 12. Man muß lesen ἄνδρα ἐν ὁράματι, wie es im Manuskript B. des Vatikans steht. Vgl. Vers 10), glaubte er zu sehen, wie Ananias eintrat und die bei den Christen üblichen Gebärden machte. Er war von nun an überzeugt, daß er seine Heilung dem Ananias verdanken werde. Dieser wurde herbeigerufen, er kam, sprach sanft zu dem Kranken, nannte ihn seinen Bruder und legte die Hände auf ihn. Von diesem Augenblick an kehrte die Ruhe in Paulus' Seele ein. Er wähnte sich geheilt und, da die Krankheit hauptsächlich nervöser Art war, wurde er es auch. Kleine Krusten oder Schuppen fielen, wird erzählt, von seinen Augen (Apostelg. IX, 18; vgl. Tob. II, 9, VI, 10, XI, 13), er aß und kam wieder zu Kräften.

Er empfing fast sogleich die Taufe (Apostelg. IX, 18, XXII, 10). Die Lehren der Kirche waren so einfach, daß er nichts neues lernen mußte. Er wurde sofort Christ und ein vollkommener Christ. Von wem hätte er auch Weisungen erhalten sollen? Jesus selbst war ihm erschienen. Wie Jakobus, wie Petrus hatte auch er seine Vision des auferstandenen Jesus gehabt. Die unmittelbare Offenbarung war es, durch die er alles begriffen hatte. Die stolze, unbeugsame Natur des Paulus äußerte sich hier wieder. Geschlagen auf dem Wege, wollte er sich wohl unterwerfen, doch nur Jesus allein, Jesus, der von der Rechten seines Vaters sich entfernt hatte, um zu ihm zu kommen, ihn zu bekehren und zu belehren. Das war die Grundlage seines Glaubens; das sollte eines Tages der Ausgangspunkt seiner Ansprüche werden. Er behauptete später, er wäre absichtlich nicht gleich nach seiner Bekehrung nach Jerusalem gezogen, um sich mit denen, die vor ihm Apostel waren, in Verbindung zu setzen; er habe seine besondere Offenbarung erhalten und daher nichts von andern; er sei Apostel wie die Zwölf, durch göttliche Eingebung und durch direkten Auftrag Jesu; seine Lehre sei gut, selbst wenn ein Engel das Gegenteil behaupten wollte.Gal. I, 1, 8, 9, 11 etc.; 1. Kor. IX, 1, XI, 23, XV, 8, 9; Kol. I, 25; Eph. I, 19, III, 3, 7, 8; Apostelg. XX, 24, XXII, 14, 15, 21, XXVI, 16; Pseudo-clem Homilien XVII, 13–19. Eine immense Gefahr kam mit diesem Stolzen in den Schoß der kleinen, geistig armen Gesellschaft, die bisher das Christentum bildete. Es wird ein wahres Wunder sein, wenn seine Heftigkeit und seine unbeugsame Persönlichkeit nicht alles zertrümmert. Aber seine Kühnheit, die Kraft seiner Initiative, seine Entschlossenheit werden auch ein köstliches Element neben dem beengten, schüchternen, unschlüssigen Geist der Heiligen von Jerusalem sein! Wahrlich, wäre das Christentum in den Händen dieser guten Leute geblieben, eingeschlossen in ein Konventikel von gemeinschaftlich lebenden Erleuchteten, so wäre es wie das Essäertum erloschen, fast ohne eine Erinnerung zurückzulassen. Der unfügsame Paulus ist es, der dessen Glück schaffen soll und der es, allen Gefahren trotzend, auf die hohe See bringen soll. Neben dem gehorsamen Gläubigen, der seinen Glauben, ohne ein Wort zu sagen, von seinem Vorgesetzten empfängt, wird der von jeder Autorität entbundene Christ sich befinden, der nur aus persönlicher Überzeugung glaubt. Der Protestantismus existierte bereits fünf Jahre nach dem Tode Jesu, und Paulus ist dessen hehrer Gründer. Zweifellos hatte Jesus solche Jünger nicht vorausgesehen; aber vielleicht sind sie es, die am meisten dazu beitragen werden, sein Werk zu beleben und ihm die Ewigkeit zuzusichern.

Heftige und zum Proselytismus geneigte Naturen wechseln nur den Gegenstand ihrer Leidenschaft. Ebenso begeistert für den neuen Glauben, wie er es für den alten war, ging Paulus, gleich Omar, an einem Tage von der Rolle eines Verfolgers zu der eines Apostels über. Er kehrte nicht nach Jerusalem zurück (Gal. I, 17), wo seine Stellung neben den »Zwölf« etwas Delikates gehabt hätte. Er blieb in Damaskus und in dem HauranἈραβια ist die Provinz Arabien, deren Hauptteil Auranitides (Hauran) war. und predigte hier während dreier Jahre (38-41), daß Jesus der Sohn Gottes sei.Gal. I, 17 etc.; Apostelg. IX, 19 ; XXVI, 20. Der Verfasser der Apostelgeschichte glaubt, daß dieser erste Aufenthalt zu Damaskus kurz währte und daß Paulus nach seiner Bekehrung nach Jerusalem kam und hier predigte (vgl. XXII, 17). Jedoch die Stelle der Epistel an die Galater ist entscheidender. Herodes Agrippa I. besaß die Suveränität über Hauran und die angrenzenden Länder; aber seine Macht war an mehreren Punkten von der des nabateischen Königs Hareth vernichtet worden. Die Schwächung der römischen Macht in Syrien hatte dem ehrgeizigen Araber die große und reiche Stadt Damaskus überliefert, sowie einen Teil des Gebietes diesseits des Jordans und des Hermons, wo damals die Civilisation im Werden war. (S. die von Waddington und de Vogué entdeckten Inschriften: Revue archéol. April 1864, S. 284 etc. Comptes rendus de l'Acad. des Inscrip. et B.-L. 1865. S. 106-108. Vgl. S. 167 etc. dieses Werkes.) Ein anderer Emir, Soheym (Dio Cassius LIX, 12), vielleicht ein Verwandter oder Heerführer des Hareth, ließ sich von Caligula mit der Herrschaft über Iturien bekleiden. Inmitten dieses starken Aufschwungs der arabischen Rasse (ich habe dies im » Bul. archéol. « der Herren Longpérier und de Witte, September 1856, entwickelt) auf diesem seltsamen Boden, wo eine energische Rasse Aufsehen erregend ihre fieberhafte Thätigkeit entfaltete, verbreitete Paulus das erste Feuer seiner Apostelseele. (Die Verbindung des Verses Gal. I, 16 mit den folgenden, beweist, daß Paulus unmittelbar nach seiner Bekehrung predigte.) Vielleicht, daß die so glänzende materielle Bewegung, welche das Land umgestaltete, dem Erfolg eines idealistischen, auf den Glauben an ein nahendes Weltenende begründeten Predigten von Schaden war. Man findet in der That keine Spur, daß Paulus in Arabien eine Kirche gegründet hätte. Wenn das Gebiet von Hauran gegen das Jahr 70 eins der wichtigsten Centren des Christentums wird, so verdankt es dies der Einwanderung von Christen aus Palästina, und es sind eben die Feinde des Paulus, die Ebioniten, die hier ihre Hauptniederlassung haben.

In Damaskus, wo es viele Juden gab (Jos. B. J. I, 2, 25 , II, 20, 2 ), fand Paulus mehr Gehör. Er trat in die Synagogen ein und lieferte dort die lebhafteten Erörterungen, um zu beweisen, daß Jesus der Messias sei. Das Staunen der Gläubigen war ganz außerordentlich; er, der ihre Brüder zu Jerusalem verfolgt hatte und hierher gekommen war, um auch sie zu fesseln, war nun ihr erster Apologet! (Apostelg. IX, 20-22.) Seine Kühnheit, seine Eigenartigkeit hatten wohl etwas an sich, was sie erschreckte; er war allein; er nahm von keinem Rat an;Gal. I, 16. Das ist der Sinn von ου προσανεθέμην σαρκι και αίματι. Vgl. Matth. XVII, 17. er bildete keine Schule; man betrachtete ihn mit mehr Neugierde als Sympathie. Man fühlte, daß er ein Bruder sei, aber ein Bruder ganz eigener Art. Man hielt ihn zwar keines Verrates fähig, aber gute, mittelmäßige Naturen empfinden stets ein Gefühl des Mißtrauens und der Scheu an der Seite kraftvoller, ursprünglicher Naturen, denn sie fühlen wohl, daß sie ihnen eines Tages entweichen müssen.


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