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Viertes Kapitel.
Abenteurerkeckheit und Verbrecherlist.

Im Leben des Präsidenten von Bergen war es schwerlich jemals vorgekommen, dass ihm die Staatsgeschäfte seines Duodezgebietes den Schlaf einer Nacht geraubt und ihn vor Sonnenaufgang veranlasst hatten, sich in voller Toilette zu zeigen.

Was seinen Staatssorgen nicht gelungen, das vermochte der Vorfall in Lotfahrs Schlosse.

Der Präsident hatte seit seiner Ankunft auf der Starrenburg weder Ruhe gesucht noch gefunden. Im vollen Feststaate hatte er unruhige Promenaden durch seine Zimmer gemacht und war nur dann und wann zur Abwechslung in einen Lehnstuhl hingesessen.

Mit kleinlicher Heftigkeit sann er auf Rache; eine Genugtuung wollte er sich verschaffen, die wo möglich beispielloser sein sollte als die Beleidigung, die ihm und seiner Tochter zugefügt worden.

Schon um sechs Uhr morgens ließ er sich erkundigen, ob der Graf sein Lager bereits verlassen habe. Als ihm gemeldet wurde, dass der Graf gar nicht zu Bette gegangen, ließ er anfragen, ob er die Ehre haben könne, ihn zu sprechen.

Der Graf ließ ihn ersuchen zu erscheinen, und so trat Herr von Bergen denn bald in das Arbeitszimmer des Grafen.

Dieser war nicht wenig erstaunt, den Präsidenten noch in voller Festtoilette zu sehen.

»Habe Sie gar nicht geruht, Herr Präsident?« fragte der Graf und trat ihm entgegen.

»Ruhe – Schlaf – nach einem Ereignis wie das von gestern Abend?« erwiderte der Präsident, in Haltung und Mienen finster, versteinert.

Graf von Starrenberg lud ihn ein, sich zu setzen und ihm bekannt zu geben, was zunächst seinen Wünschen entspräche.

»Genugtuung, Graf – nichts als Genugtuung«, sagte Herr von Bergen. »In mir ist der Staat – in meiner Tochter bin ich tödlich beleidigt. Mit dem bürgerlichen Gesindel muss ein Exempel statuiert werden, damit er erfahre, was es heißt, hohe Würdenträger öffentlich zu beleidigen. Das Gerücht von dem Vorgefallenen wird wie auf Flügeln in die Residenz dringen; die Schadenfreude wird in hellen Flammen aufschlagen, da es ohnehin nur meiner Stellung möglich war, die bösen Zungen im Zaume zu halten, die mir und meiner Tochter diese mésalliance sehr übel nehmen! Ich kann die Residenz nur betreten, wenn das zweite Gerücht – das Gerücht über die mir gewordene Genugtuung – vor mir her gegangen … Meine Tochter …«

Hier unterbrach Herr von Bergen sich selbst, indem er zu merken glaubte, dass ein ironisches Lächeln um die Lippen des Grafen von Starrenberg schwebte.

Dieser war zu wohlbewandert in guter Lebensart, als dass er durch die Blicke Bergens nicht aufmerksam werden sollte, dass er seine Stimmung durch unbewachte Mienen mehr, als er wollte, verraten habe; rasch den vollen Ernst der Situation ins Auge fassend, sagte er daher mit Nachdruck:

»Ihre Tochter – und Sie – sollen Genugtuung haben. Günstige Umstände kommen uns zu Statten. Soeben ist ein Husarenleutnant bei mir eingebracht worden, welcher, wie man sagt, bis in den Lichterglanz des Festes gedrungen – um mit Ihrer Tochter ein Rendezvous zu haben!«

»Unverschämte Verleumdung!« rief der Präsident, dunkelrot im ganzen Gesichte.

»Ich wünsche selbst, dass die Aussage Verleumdung ist; darum ist umso mehr auf ernste Untersuchung zu dringen!« sagte der Graf.

»Welches ist der Name des Leutnants?«

»Man kennt ihn hier unter dem Namen Braggen«, erwiderte der Graf.

»Ein Name, welcher nie in meiner Familie genannt worden ist.«

»Sehr begreiflich, denn der Abenteurer soll an zwei Orten selten denselben Namen führen … Doch es gilt ja nur eine kleine Voruntersuchung, und wenn der Herr Präsident die Gefälligkeit haben wollen, von diesem anstoßenden Zimmer aus den Husarenleutnant zu sehen und dessen Aussagen zu hören, so bitte ich einzutreten, ich lasse ihn eben aus dem Turme holen.«

Der Präsident, durch diesen Vorschlag etwas in seiner Grandezza unsicher, erhob sich jetzt und sagte:

»Gut. Die Gelegenheit kann nur günstige Aufschlüsse geben! Ich bin bereit – beginnen Sie das Verhör!«

Er trat in das anstoßende Zimmer, fest überzeugt, dass der Gefangene nicht gegen sich selbst zeugen werde, auch beschloss er, sich gleich anfangs dem Delinquenten in ganzer Präsidenten-Majestät zwischen der Türe zu zeigen, so dass dieser von einer allfalsigen Aussage, die Helene nachteilig sein konnte, im Voraus abgeschreckt werde …

Der Präsident hatte kaum das Nebenzimmer betreten, ohne die Türe zu schließen – als Braggen von Burghardt und einigen Leuten hereingebracht wurde.

Graf von Starrenberg winkte der Begleitung, sich ins Vorzimmer zurückzuziehen und blieb mit Braggen allein. Dieser war noch in seiner Husarentracht, aber Hände und Füße waren in Fesseln. Obwohl in seinem Auge noch wilde Keckheit loderte, so war doch seine Haltung nicht mehr so straff wie sonst, ein Zug körperlichen Schmerzes lag auf seinen Mienen.

»Sie heißen Braggen?« fragte der Graf. »Ist das Ihr wahrer Name?«

»Nein. Doch werde ich meinen Familiennamen nie bekennen«, erwiderte Braggen.

»Haben Sie diesen Namen anderwärts nicht wieder gewechselt?«

»Ja, z. B in der Residenz, wo ich den Namen Rottenstein führte. Protektion beim Präsidenten hat mir dort das Leutnantspatent verschafft.«

Hier trat der Präsident zwischen die Türe und hielt es sogar nicht unter seiner Würde, dem Delinquenten ein Zeichen zu geben.

Braggen ersah ihn und nickte ihm flüchtig zu, als wolle er sagen: »Schon gut, Du kommst mir gerade recht.«

Graf von Starrenberg, der den Präsidenten durch den Spiegel gesehen hatte, blieb ruhig auf seinem Platze und fuhr in seinem Examen fort:

»Was hat Sie gestern hierher geführt, und was hatten Sei im Hause Lotfahrs zu suchen, da Sie nicht geladen waren?«

»Ein Liebesabenteuer … ich hatte ein Rendezvous mit der Tochter des Präsidenten von Bergen!«

Hier trat der Präsident aschgrau vor Zorn und Entsetzen wieder winkend zwischen die Türe.

»Mit der Tochter des Präsidenten?« fragte der Graf mit dem ironischen Tone der Überraschung. »Wussten Sie nicht, dass Fräulein v. Bergen die Verlobte des jungen Herrn Lotfahr war?«

»Wohl wusste ich es. Doch war es nicht meine Sache, mich darum zu kümmern, nachdem sich das schöne Fräulein darüber weggesetzt!«

»Warum setzten Sie sich zur Wehre, als Otfried Beiwart Sie zur Rede stellen wollte?« fragte der Graf.

»Weil zwischen ihm und mir eine Sache zur Sprache kommen musste, die mich wünschen ließ, den lästigen Frager los zu werden.«

»Das Schicksal der armen, geopferten Lotfahr …?«

»Ja«, erwiderte Braggen.

Graf v. Starrenberg sah mit einigem Erstaunen zu dem Abenteurer auf, der im Bewusstsein schwerer Schuld und in sicherer Aussicht auf exemplarische Strafe mit kecker Aufrichtigkeit antwortete.

»Sie waren also einer der Schuldigen, welche die Pächterin ins Unglück gebracht haben?«

»Ja. Und wenn ich aufrichtig sein will, der Anstifter, der Hauptschuldige.«

Das Erstaunen des Grafen wuchs.

»Wissen Sie auch, was die Folge dieses Geständnisses sein wird?«

»Dass ich sterben müsste – wenn ich nicht beweisen könnte, dass die Pächterin Lotfahr nicht auf dem Scheiterhaufen gestorben ist!«

Den Grafen v. Starrenberg riss es förmlich von seinem Sitze empor.

»Was?« rief er: »Die Lotfahr ist nicht tot?«

»Verzeiht«, sagte Braggen und brach auf einmal zusammen. »Meine Wunder – sie ist schlecht verbunden – ich verblute mich …«


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