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Zweites Kapitel.
Zwei alte Bekannte.

Im Schlosse Lotfahrs ging es in der Tat recht munter her.

Die sämtliche Dienerschaft mit Hilfspersonal war aufgeboten, Zimmer, Gänge und Treppen zu schmücken, insbesondere der neuerbeute Gartensalon war für allen erdenklichen Festschmuck ausersehen.

Um elf Uhr morgens erklang dieser schöne Raum von dem tollen Liede einer Anzahl Diener, welche Kränze an die Wände hingen, Blumengewinde um Fenster und Türen schlangen und bunte Lampen dazwischen befestigten.

Tobias – früher wohlbestallter Schäfer und nun eine Art Oberster der Diener, erschien etwas später und brachte eine Flasche Bordeaux, die er auf ein Tischchen stellte, welches bereits alle Bestandteile eines feinen Gabelfrühstücks enthielt.

»Macht vorwärts!« rief Tobias: »Es ist höchste Zeit!«

»Was sagt der ehemalige Lämmerhirt?« lachte der Diener Philipp.

»Der gnädige Herr will hier gabelfrühstücken«, sagte Tobias: »Beeilen sollt ihr euch!«

»Das haben wir uns grad vorgesungen«, spottete Philipp.

»So tanzt auch danach!« rief Tobias.

»Zum Tanzen gehören zwei, da hab' ich mein Lieb' schon in der Hand«, sagte Fritz, der einen aufgehangenen Kranz von der Wand nahm.

»Was nimmst Du diesen Kranz wieder herunter?« fragte Tobias.

»Ich will ihn oben im Saal aufhängen«, sagte Fritz und ging davon.

»Ich wette«, dachte Tobias, »der nimmt den Kranz auf seine Stube und hängt ihn dort um sein affröses Konterfei!« Aber schon zog der Philipp seine Aufmerksamkeit in schlimmerer Weise auf sich: »Den Wein, den Du wegnimmst, hat der gnädige Herr befohlen!« rief er.

»Mir hat er befohlen«, sagte Philipp, »ich soll ihm Flasche und Glas in die Kastanienallee bringen!« Er nahm auch wirklich das Glas noch dazu und entfernte sich.

»Der Flaschenmarder zieht sich in seine Kammer zurück und lässt sich's wohl sein auf den Herren Unkosten!« rief Tobias grimmig-betrübt.

Doch konnte er der Kühnheit Philipps keine längere Aufmerksamkeit widmen, indem die Frechheit des Dieners Anton seinen erhöhten Zorn auf sich zog.

»He, da!« rief er: »Um Gottes willen! Das Huhn ist ja für den gnädigen Herrn, der hier gabelfrühstücken will!«

»Er hat mir befohlen, ihm das Brathuhn ins chinesische Gartenhaus zu bringen und zwei Stück Kuchen dazu!« Anton steckte auch noch zwei Stücke Kuchen in die Tasche und entfernte sich. »Hier zieht's!« sagte er lachend an der Türe. …

Tobias war starr vor Entrüstung und sagte nach einer Weile:

»Ja, hier zieht's; – so zieht ab, ihr heilloses Volk, das nicht wert ist, von der Sonne beschienen zu werden! Gar kein Zweifel, der Schurke zieht sich zur Frau Gemahlin und Fräulein Tochter hinüber, und die vornehme Bedientenfamilie verzehrt in aller Ruhe das Frühstück ihres Herrn! … O! Seitdem mein guter Herr auch gar nichts mehr hören kann, was ihm unangenehm ist, geht alles krumm und schief … Und Burgei, Burgei – soll man wünschen, dass sie wieder kommt? … Was wird noch werden!«

Tobias entfernte sich aus dem Gartensalon in dem Augenblicke, als ein junger Fremder, in höchster Verwunderung um sich blickend, aus dem Garten hereintrat …

»Welch' eine Pracht! Welch' ein Glanz!« sagte der Fremde vor sich hin: »Träum' ich denn wirklich nicht? Ich bin im Hause des Pächters Kilian …? O, meine Hoffnungen sinken; was bedeute ich jetzt noch? Was soll mein Anliegen hier?«

Er blieb in Gedanken stehen, während Tobias mit einer Flasche Wein, einem Huhn und Gepäck wieder zurückkam.

»Es ist nur ein Glück«, brummte dieser, »dass die Wirtschaft immer vor die Riss stehen kann! Wenn der gnädige Herr ein Huhn essen will, wird immer ein Dutzend nebenher gebacken, damit sich wenigsten eines mit heiler Haut bis zu ihm durchschlägt. Denn was ungerupft aus der Küche kommt, holt der Anton knapp vor der Türschwelle weg; was dem Anton entgeht, fällt sicherlich dem Philipp in die Hände, was dem Philipp wie ein Wunder entschlüpft, ist ganz gewiss Fritzens Beute. Nur wenn sie alle die Hände so voll haben, dass sie nichts mehr halten können, geht der Rest trockenen Fußes durch ihre Reihe!«

Er erblickte den Fremden und wendete sich an ihn: »Mein Herr …«

»Ich geh' wohl irre in dem großen Haus?« sagte dieser.

»Es kommt darauf an, ob Ihr meinen Herrn, den Gutsbesitzer Lotfahr sucht?«

»Den suche ich – und siehe da! Bist Du nicht Tobias, früher Schäfer auf dem gräflichen Pachthof?« rief der Fremde und reichte ihm die Hand.

»Alle guten Geister steht mir bei!« rief nun auch Tobias – »Seid Ihr nicht …«

»Ich bin Otfried, des Schlossamtmanns Sohn … Ich bin wohl recht unerwartet wieder da?«

»Ei, du meine liebe Not«, sagte Tobias freudig aufgeregt, »erlaubt doch, dass ich Euch die Hand gebe – wir haben uns in schlimmer Zeit zum letzten Male gesehen!«

»Am Todestag der armen Pächterin. Dann – es wird seltsam aufgenommen worden sein – bin ich mit meinem Vater verschwunden und habe bis heute nichts von mir hören lassen.«

»Es ist oft von Euch die Rede gewesen«, sagte Tobias verlegen: »Man hat sich recht verwundert …«

»Hat mein Verschwinden als Flucht ausgelegt – als feiges Verlassen meiner Freunde, die im Unglück waren?« fragte Otfried lebhaft forschend.

»Nein. Man hat Euch beklagt, Herr Otfried. Man hat gefürchtet, Euch sein ein Unglück zugestoßen … Wenigstens die Burgei hatte nichts auf Euch kommen lassen.«

»Hat sie das? … O diese Hoffnung hat mich aufrecht halten müssen!« sagte Otfried erleichtert. »Aber genug – ich bin wieder da. Ich werde mich rechtfertigen … Sag' mir vor allem – wie ist diese große Veränderung möglich geworden? Man traut ja seinen Augen kaum. Was für ein Palast! Welche Gemächer, Gartenanlagen – welch' ein Überfluss an allen Orten!«

»Ja, es ist ein hübscher Witwensitz – wir haben was aufgesteckt seitdem«, sagte Tobias stolz.

»Wie ist das zugegangen?«

»Nach dem Sprichwort: Wo Tauben sind, fliege Tauben hin. Wie nur der rechte Anfang einmal gemacht war, dann ging das andere wie von selber … Erst hat der Herr Graf meinem Herrn dieses Gut geschenkt, und der Segen ist ihm dann auf Schritt und Tritt gefolgt. Wenn jemand sagen wollte, er habe das Wachsen des Reichtums gesehen, so würde er etwas sagen, was nicht möglich ist. Das Ding nahm so von Tag u Tag zu, man wusste nicht, wie. Hätten sich Lotfahrs Felder vor ihren Nachbarsfeldern nicht geniert, ich glaub', sie hätten im Jahr drei Ernten geliefert. Wenn Misswuchs rund herum alles verdarb, stand auf Lotfahrs Fluren alles in Pracht und Herrlichkeit da. Wenn mein Herr kaufte, standen die Preise niedrig, wenn er verkaufte, schnellte die Frucht um ein Drittel in die Höhe; – eines Tages gar …«

»Nun?«

»Nein – nicht eines Tages; – kein Mensch kann sagen, wann es angefangen, bei Tag oder Nacht … Auf einmal war mein Herr über den Reichtum anderer Menschenkinder wie mit Pferden hinweg, hatte mehr als er selbst wusste, und der Kreuzer, den er fortschickte, kam als Gulden wieder zurück … Einige meinen, Herr Lotfahr habe beim Umbau des Hauses einige Dutzend Stück Fässer Gold im Keller gefunden – andere glauben steif und fest, es gehe nicht mit rechten Dingen zu.«

»Tobias! Noch immer solche Gedanken?«

»Lassen wir's gut sein – etwas kann immer auch dran sein … Kurz und gut, mein Herr war auf einmal das Wunder für Reich und Arm – der Gold- und Silberkönig der Gegend – eh' man sich's versah, stand dieses neue Schloss fix und fertig da – mein Herr, der vor Jahren nicht wusste, wo sein Haupt an eine Brust zu legen, hat jetzt Freunde die Hülle und Fülle, sie stoßen einem wie Mücken in die Augen. Edelmann und Bauer streiten um die Ehre, von Herrn Kilian Lotfahr gekannt zu sein … O, lieber Herr Otfried! – wie lernt man da die Menschen kennen!«

»Es hat sich Dein Herr wohl auch recht verändert?« fragte Otfried nicht ohne Sorge.

»Verändert?« sagte Tobias nachdenklich verlegen: »Ja, verändert hat er sich …«

»Ist stolz, ist hochfahrend geworden?«

»Stolz und hochfahrend? … Wär' er's – vielleicht wär's besser.«

»Oder eitel – ehrgeizig?«

»Erwiesene Ehre tut ihm wohl. Es schmeichelt ihm, wenn hochgeborene Leute aufmerksam sind …«

»Man wird diese schwache Seite zu benützen wissen!«

»Herr Otfried!« sagte Tobias und ergriff Otfrieds Hand – »Nichts mehr von meinem Herrn – der mein Herr ist, wenn auch mein allzu nachgiebiger Herr ist!«

»Und sein Sohn Remi?« fragte Otfried: »Er muss ein rüstiger junger Mann sein! Der greift wohl seinem Vater recht unter die Arme?«

»Sein Sohn Remi«, erwiderte Tobias mit geheimnisvollem Respekt und blickte vorsichtig um: »O, Herr Otfried – Respekt! Der hat keine Zeit, sich hier im Hause seines Vaters umzutun; bei dem will's höher hinaus – da heißt es, Amt und Würden erwerben – Mach und Ansehen – Einfluss an maßgebenden Stellen!« schloss er mit weihevollem Pathol.

»Ist's möglich?« rief Otfried. »Kann er den glücklicher – angesehener werden, als inmitten des väterlichen Reichtums hier?«

»Was hilft das alles!« sagte Tobias: »Jeder Mensch hat so seinen eigenen Spiritus – so auch Herr Remi. Ihn treibt's an den Hof – unter die Betitelten! Kaum ist er von der Universität gekommen, hat ihn der Herr Graf an den Hof in Bayreuth empfohlen, und das ihm sein Vater schöne Koffer Geld nachschickt, so ist er im besten Zug – etwas wie ein Staatsrat zu werden!«

Otfried war von dieser Mitteilung schmerzlich berührt. »Lautet nicht die Nachricht über sie besser«, dachte er, »dann führt mein Wanderstab wieder dahin, woher ich gekommen.«

Laut setzte er hinzu: »Noch eine Frage, Tobias … Wie geht es – der Schwester Remis – der Burgei?«

Tobias schreckte zusammen, dann sagt er verlegen und betrübt: »Nun, es geht an … Muss schon gut sein … Dank der Nachfrage …«

»Hast Du nichts Gutes zu berichten?« rief Otfried.

»O ja … Wie man will«, sagte Tobias, immer verlegen: »Man sollte nicht viel davon reden …«

»Warum?« fragte Otfried in höchster Spannung: »Was ist geschehen?«

»Manches – vieles – nicht viel Gutes …« brachte Tobias zögernd hervor.

»Was ist aus der Burgei geworden? Was haben Reichtum und Erziehung aus ihr gemacht?« sagte Otfried lebhaft.

Tobias rang noch einen Augenblick mit sich, dann sagte er: »Ein wildes, unbändiges, unglaubliches Wesen, wie die Welt, solange sie steht, noch keines gesehen!«

»Burgei war immer frisch und munter – aber auch lieb und wacker«, sagte Otfried betroffen.

»O, wacker ist sie noch – wackrer als alle – wir beide eingerechnet«, sagte Tobias mit aufrichtiger Wärme.

»Nun, dann hat etwas Wildheit mehr oder weniger nichts auf sich«, bemerkte Otfried beruhigt.

»Ach, Herr Otfried – gerade so habe ich auch gedacht – aber zu viel ist zu viel. Der Lärm und Verdruss alle Tage im Haus – man muss doch auch als Mensch neben dem Menschen leben …«

»Genug, genug«, fiel Otfried in die Rede: »Ich will sie sehen – sie selbst! Von ihr selbst will ich hören … Wo ist sie?«

»Die Burgei?« fragte Tobias verlegen – und deutete gegen den Boden: »Wohl geborgen und aufgehoben …«

»Tot?« rief Otfried entsetzt.

»Was fällt Euch bei? … Ich meine, wohlgebogen, hinter Schloss und Riegel, so sie endlich Art und Schick lernen wird … Sie ist im Kloster!«

»Um Nonne zu werden?«

»Non. Ne. Ich meine, in einer Klosterschule.«

»Hat man keine Erzieherin gefunden, um sie daheim zu unterrichten?«

»Erzieherinnen genug. Was nur gut und teuer war«, sagte Tobias. »Die erste Gouvernante war eine Französin, die man mit Gold aufgewogen – aber was half's? Nach acht Tagen hat sie die Burgei eine – oie – zu Deutsch – eine Ganz genann!«

»Die Erzieherin benahm sich wahrscheinlich danach?«

»Richtig war's nicht mit ihr. Sie sprach immer nur französisch – von ihrem unbeschreiblichen Frankreich, von der – wie nannte sie das Ding nur – Zivilisation – und dass der Franzos der erste Mensch unter den Menschen ist – dass wir Deutsche zum Drittteil dumme Bären sind – und dabei verlangte sie in einem Atem, dass man ein Körbchen Hühnereier vom Kirschbaum hole!«

»Die Gattung ist bekannt!« sagte Otfried.

Die zweite Gouvernante war eine Engländerin.«

»Wie ging' s mit dieser?« fragte Otfried, den die Mitteilung zu unterhalten anfing.

»Gar nicht viel besser. Nach vierzehn Tagen hatte sie ihren Spitznamen auch weg – Burgei nannte si nur Lady Beefsteak!«

»Warum?« fragte Otfried lachen.

»Weil sie Tage lang kein Wort sagte. Immer auf einem Fleck sitzen blieb. Alle Tage dicker wurde. Des Tags dreimal Beefsteak aß und zwei Kammermädchen zur Bedienung brauchte.«

»Warum gab man ihr keine deutsche Erzieherin?«

»Warum? – Warum? … Wahrscheinlich, weil sie ohnehin mit den Leuten zu aufrichtig deutsch geredet!«

»Ich verstehe. Man wollte aus der Burgei ein Kunstgeschöpf machen, in dem kein gesunder Gedanke, kein wahres Gefühl mehr aufkommen kann. Dagegen wehrte sie sich aus allen Kräften, und man hat sie wohl mit Gewalt in die Mauern eines Klosters geschleppt?« rief Otfried in gehobener Stimmung.

»O nein«, sagte Tobias: »Sie ließ sich alles gutwillig gefallen – fast war es ihr freier Wille, von hier fortzukommen. Sie machte den andern und die andern ihr das Leben sauer, dass nichts weiter übrig blieb … Wie Burgei von dem Vater Abschied nahm – ich werd' es mein Lebtag vor Augen sehen – wie eine Trauerweide ließ sie Kopf und Amre hängen und sagte: »Vater, in Gottes Schutz empehl' ich dieses Haus und Euch. Lebt wohl, und möge es Euch ohne Burgei besser werden!«

»Genug!« rief Otfried in großer Bewegung: »Nur das eine sage mir noch: – Wo? In welcher Klosterschule ist Burgei gefangen?«

»Still! Still!« erwiderte Tobias und blickte nach der Treppe, die vom Schloss in den Gartenslon herunter führte: »Dort kommt der gnädige Herr – wenn Ihr ihn sprechen wollet …«

»Lass mich erst an seinen Anblick mich gewöhnen … Wie verändert – wie gedrückt und nachdenklich! … Kommt, lass' uns da zurücktreten … Wo geht er eben hin?«

»Er kommt und wird hier gabelfrühstücken«, sagte Tobias.

»Gut – komm' ein wenig bei Seite …«

Beide traten in die Ecke eines Seitenganges und beobachteten Tobias Lotfahr, nunmehrigen vielgenannten, vielgerühmten und vielbelobten Gutsbesitzer und Millionär …«


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