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Drittes Kapitel.
Ein Heldenherz.

Graf von Starrenberg erhielt zum ersten Male im Zusammenhange Aufschluss über das Verbrechen seines Sohnes und der Haupturhebers Braggen.

Aus dem Berichte Otfrieds ging hervor, dass der Junker zwar längst die Schönheit der Pächterin, deren Blüte unverwüstlich schien, mit Wohlgefallen ins Auge gefasst hatte, dass aber erst durch den später bekannt gewordenen Freund und Günstling Braggen eine eigentliche Leidenschaft angefacht und geschürt wurde. Otfrieds Vater hatte auf dem Sterbebette die feste Überzeugung ausgesprochen, dass Braggen nicht bloß im Interesse des Junkers die Pächterin auf die Bahn der Sünde zu zwingen gedachte, denn er selbst habe zu oft die eigene Leidenschaft nicht genug zu verbergen gewusst. Wie dem aber auch war – Braggen rückte endlich mit dem niederträchtigen Plan heraus, die Pächterin in den Verdacht der Hexerei zu bringen, sie während einer Reise ihres Mannes gefänglich einzuziehen, ihr den Prozess zu machen und bei diesem Prozesse eine gewisse Richtung der Geistlichkeit ins Interesse zu ziehen, deren vorzüglichste Waffe der Aberglaube und der Schrecken des Gewissens sei. Die Gesinnung des Bischofs war einem solchen Tendenzprozess wenigstens nicht entgegen, und so wurde er in aller Stille eingeleitet, das Richterkollegium der Absicht gemäß zusammengesetzt und rasch ans Werk gegangen. Das Erscheinen des Mönchs (des verkleideten Braggen) im Pachthof, die Beschenkung der Pächterin mit angeblich geweihten Kräutern und Angedenken folgte und die Pächterin kam in Folge des naiven Zuges ihres Herzens zu der Eiche und betete und zog Kreise während der Dämmerung, wobei sie von wohlberufenen Augenzeugen, die ihr Opfer erwartet hatten, gesehen wurde. Da nun auch dafür gesorgt worden war, dass nach der Abreise des Pächters viele Leute, die im Pachthofe Milch geholt oder auch nur flüchtig mit der Pächterin verkehrt hatten, von Krämpfen und anderen, ganz auffallenden Übeln befallen zu sein vorgaben – selbstverständlich Angaben, welche durch Bestechung veranlasst worden waren – so war für den damaligen Beweis der Anklage hinlänglich vorgesorgt, und die arme, schöne Pächterin wurde in den Turm der Starrenburg gebracht. Der Form wegen wurden hier mit der von Angst, Schrecken und Verzweiflung tausendfach Gefolterten die nötigen Verhöre vorgenommen, aber bald was das Gefängnis der Pächterin nur noch der grässliche Richtplatz ihrer Seelenleiden. Der Junker nämlich erschien fast jeden Tag und rückte nach wenigen Umständen mit seinen Absichten, seiner Bewerbung heraus. Die schöne Lotfahr sollte wie bisher in ihrem Pachthofe wohnen, dagegen den Wünschen des Junkers gemäß in vertraulichem Umgange mit ihm leben. Die Form und Gelegenheit zu diesem »neuen Leben«, wie es der Junker nannte, sollte leicht gefunden werden, ohne die Welt hinter das Geheimnis kommen zu lassen. Erklärte sich die Pächterin einverstanden, so wurde sie nach Kurzem in aller Form Rechtens ihrer Haft entlassen; widerstrebt sie ernstlich und standhaft, so sollte der Prozess mit dem Tode auf dem Scheiterhaufen enden. Die Pächterin, von Gemüt nicht weniger schön und kräftig als von Leibe, nahm die erste Mitteilung dieser gegen sie geschmiedeten und ihr zugemuteten Schurkerei mit sprachloser Erstarrung auf, und als sie wieder zu sich gekommen war, sagte sie kurz und entschlossen: »Lieber tausendmal den Tod!« Vergebens waren alle Schrecknisse, abgelöst von ausgesuchten Schmeicheleien und glänzenden Vorspiegelungen üppigen Lebens – die schöne Lotfahr hatte nur eine Antwort auf alles: »Lieber den Tod!« Einen niederträchtigen Versuch mit Folterwerkzeugen ertrug sie mit solcher überirdischer Würde und Kraft, dass die Foltergesellen mitsamt dem Schlossamtmanne beschämt und erschüttert ihr Werk wieder aufgaben. Natürlich erhöhte gerade diese standhafte Tugend den Reiz der Schönheit umso mehr, und von nun an geschah es nicht selten, dass der Junker betrunken und mit bestialischer Zudringlichkeit die verlassene Märtyrerin bedrängte. In einem solchen Zustand kam er einst wieder – als die Pächterin plötzlich ihm den Degen aus der Scheide riss und ihn ohne Zweifel durchstoßen haben würde, wenn er den geringsten Versuch gemacht haben würde, ihr nahe zu kommen; er zog es aber vor, sich schleunigst aus dem Staube zu machen und einige Tage durch den Schlossamtmann und andere das Werk der »Bekehrung« ausführen zu lassen. Eine der ersten Erscheinungen war jetzt der – Mönch, von dem die Lotfahr die verhängnisvollen Geschenke erhalten hatte. Die Pächterin, ohne Ahnung von der Schurkerei, die mit dem frommen Gewande getrieben wurde, empfing den vermeintlichen Tröster mit Tränen der Freude und glaubte ihm in rührender Treuherzigkeit, als er mit demütiger Miene vorgab, zu ihrer geistlichen Tröstung und Hilfe zu kommen. Umso größer war ihr Entsetzen und ihre Entrüstung, als der angebliche Mönch sich erlaubte, fromme Redensarten um gemeine, unsittliche Gesinnungen zu hüllen, und als endlich klar an den Tag kam, der verkleidete Braggen werbe nicht nur für den Junker, sondern nebenbei auch deutlich genug für sich. Von nun an gab es für die Verfolgte nur noch eine Hoffnung: zu sterben und nur noch einen Trost: mit reiner Seele das Jenseits zu erreichen. Ein überirdischer Glanz umfloss die schöne Erscheinung der Märyrerin, sie ertrug lautlos jede Marter und wusste durch die hohe Energie ihrer Blicke die Quäler ferne zu halten. In dieser Weise verharrte sie während des letzten Abschnittes ihrer Leiden; aber je kräftiger ihre Seele sich erhob, desto mehr sank der Leib unter der Last der Leiden. Die Kräfte schwanden endlich umso rascher, als die Unglückliche anfing, nahezu alle Nahrung abzuweisen; es stand zu befürchten, dass dieselbe nicht mehr fähig sein würde, den Gang zum Scheiterhaufen auszuführen, wenn die Stunde der Gerichtes noch auf sich warten ließe … Diese Stunde ließ aber nicht mehr auf sich warten. Nur einige Tage nach der vierten Woche, die die Pächterin im Turme zugebracht, wurde ihr das Todesurteil vorgelesen und sie aufgefordert, sich zum letzten Gange vorzubereiten. Die Verkündigung dieses Urteils war wie ein Ruf der Erlösung; die Lotfahr nahm sie sie mit verklärtem Blicke auf. Nun bat sie selbst um Nahrung, damit sie Kräfte sammle, den letzten Gang ohne Wanken ausführen zu können. Auch ersuchte sie um die Tröstungen der Religion durch einen würdigen Geistlichen. Man schickte ihr einen finstern, fanatisch blickenden fremden Priester, der sich darauf beschränkte, vom Jenseits düstere Bilder zu entwerfen und so das Herz der Leidenden noch mehr zu beschweren. Die Absicht lag am Tage; die Pächterin sollte noch an der Grenze des Jenseits, geängstigt von dem Kommenden, ins Leben zurückfliehen, um es, wie es sich eben darbot, zu genießen! Aber diese Absicht wurde nicht erreicht. Die Lotfahr warf rasch die finsteren Befürchtungen wieder aus ihrem Herzen und ersehnte die Stunde der Erlösung. Wollte man ihr nur noch einen Wunsch auf Erden erfüllen – ihre Kinder und ihren Mann zu sehen – so ging sie froh und ohne Wanken in den Tod. Diese letzte Bitte wurde ihr aber nicht erfüllt, im Gegenteile verschonte man sie mit der Nachricht nicht – dass ihre Kinder eben auch eingezogen seien – und dass ein gleiches Schicksal ihrem Mann bevorstehe … Noch einmal wollte sie unter der Last ihrer Leiden zusammenbrechen, aber die Kraft ihrer Seele erhob sie zum letzten Siege …

Als Otfried in seinem an ergreifenden Einzelheiten reichen Berichte so weit war, brach er erschüttert ab und sagte nur:

»Ah, Herr Graf – wären Sie einen Tag, nur einige Stunden früher heimgekehrt – die arme Lotfahr hätte den Holzstoß nicht bestiegen!«

Der Graf legte den Kopf in die Hand und verlor sich in jenes seltsame Gedankennetz, welches ein Herz so leicht umfängt, wenn es nicht begreift, wie die Vorsehung, die es so leicht gehabt, ein Verbrechen noch rechtzeitig zu verhindern, den Verbrechern volle Muße lassen konnte, ihr Vorhaben auszuführen. Aber Graf von Starrenberg war weitsehend genug, um den Gang der menschlichen Dinge nicht nach einzelnen Abrissen, sondern im großen Ganzen zu beurteilen, und er erhob sein Haupt mit dem Gedanken wieder, dass, indem er nicht ausersehen worden, das Verbrechen zu hindern, er doch gewürdigt werde, die Schuldigen selbst zu strafen …

Otfried legte jetzt noch einige von seinem Vater auf dem Sterbebette geschriebene Zeilen vor, die in Kürze bestätigten, was Otfried berichtet.

»O«, rief er aus, »schwerer ringt sich keine Schuld auf einem reuigen Herzen, als die Geständnis meines Vaters; – sehnsüchtiger sitzt keine Mutter am Strande, des Schiffes harrend, das ihr den lang ersehnten Gatten bringen soll, als ich die Stunde ersehnte, die meinem Vater das Geständnis entringen sollte!«

»Und wo legte er dieses Geständnis ab?« fragte der Graf.

»Nach langer, rastloser Flucht von Ort zu Ort – nach Leiden und Beschwerden unsäglicher Art – nachdem ihn das Gewissen über das Meer getrieben und Fieber und Wahnsinn sich lange um sein Leben gestritten! … Auf dem Totenbette und bei vollem Bewusstsein dessen, was er tat!«


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