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Zweites Kapitel.
Ruhe sanft! Ein wichtiger Zeuge tritt auf.

Gegen drei Uhr morgens bewegte sich eine Gruppe von Männern feierlich von der hundertjährigen Eiche nach dem früheren Pachthofe Lotfahrs.

Auf der Tragbahre, in warme Decken gehüllt und noch vollkommen bewusstlos, lag Burgei, getragen von vier Leuten des Pachthofes und gefolgt von Otfried, welcher mit ängstlicher Wachsamkeit und liebevoller Sorge kein Aug' von der Schlummernden wendete. Obwohl die Strecke Weges nur kurz war, dauerte es dennoch geraume Zeit, bis der Pachthof erreicht und Burgei unter den Schutz ihrer früher so geliebten väterlichen Daches gebracht war.

Mit größter Vorsicht und lautloser Stille wurde die Tragbahre nach der großen Pächterstube gebracht und hier an einer Seitenwand sachte niedergestellt. Die Bahre konnte ganz gut als Ruhebett dienen, und so durfte man die arme Erschöpfte nicht weiter in ihrer Ruhe stören.

Otfried dankte den Trägern mit einem stillen Händedruck, und als sich diese geräuschlos aus der Stube entfernt hatten, zog er den Pächter und dessen Frau bei Seite und sagte:

»Ich muss fort und vertraue Eurem Schutz die arme Verfolgte. Ich bin in einigen Stunden wieder zurück und hoffe gute Nachricht zu bringen. Der Graf selbst wird es Euch danken, dass Ihr Euch der verfolgten Unschuld freundlich angenommen.«

Auf die wohlgemeinte Frage des Pächters, wohin er in so früher Morgenstunde wolle und ob er nicht einige Zeit sich Ruhe gönnen dürfe, erwiderte er:

»Ich bedarf keiner Ruhe. Damit andere in Frieden leben, muss ich die Zeit jetzt nützen. Ihr sollt mehr erfahren. Mein nächster Gang ist zum Grafen … Behüt' Euch Gott! Und behütet mir diese in Sorge und Liebe!«

Er betrachtete einige Augenblicke mit wehvollem, feuchtem Auge die regungslos schlummernde Burgei und eilte dann mit wogendem Herzen von dannen, während sich die Pächter mit seinem Weibe leise zurückzogen, um noch eine Weile von den Schrecken und Störungen der Nacht auszuruhen …

Nicht so glücklich, einige Ruhe genießen zu können, waren die wichtigsten Bewohner der Starrenburg.

Der Graf hatte seit seiner Rückkehr dringende Anordnungen zu treffen und saß seitdem ununterbrochen am Schreibtisch, um wichtige Depeschen zu befördern.

Er schrieb eigenhändig an den König und bedauerte, dass es ihm unmöglich sei, ins Feld zu ziehen. Zum Abmarsche bereit, sei er durch ein schweres Familienereignis überrascht und veranlasst worden, das Schloss seiner Väter nicht mehr zu verlassen und als – Letzter seines Stammes hier sein Auge zu schließen. In kurzen Zügen berichtete er dann das düstere Ereignis und nahm ergreifenden Abschied vom König, dem er Sieg – oder noch besser, baldiges Verständnis mit Österreich und Frieden mit demselben wünschte …

Während diesen Anordnungen war er öfter durch Unruhe im Schlosse und durch Meldungen unterbrochen worden.

Mehrere Gäste Lotfahrs, darunter auch der Präsident mit seiner Tochter, suchten Nachtquartier auf der Starrenburg, da sie nicht im Stande waren, so unerwartet in der Nacht ihre Heimkehr auszuführen.

Durch den letzten Gast, der Unterkunft im Schlosse suchte, erfuhr der Graf auch endlich die Verstoßung Burgeis und deren schmerzlich, ziellose Flucht ins Dunkel der Nacht.

Tief ergriffen von dieser Nachricht, ließ er sofort die Anordnung treffen, dass die Flüchtige nach allen Richtungen gesucht und, wenn sie gefunden worden, mit aller Milde und Schonung nach der Starrenburg gebracht werde.

Aber bevor die Streifung noch aufgeführt wurde, ließ sich ein Fremder bei dem Grafen melden, welcher vorgab, wichtige Mitteilungen zu überbringen.

Der Fremde war Otfried.

Er wurde von niemand im Schlosse gekannt, und auch der Graf erkannte ihn nicht sogleich, als er ihn eintreten ließ.

»Wer sind Sie, mein Herr? Und was bringen Sie?« fragte der Graf, dessen Gesicht vom Nachtwachen und Kummer verstört aussah.

»Einst kannten Sie mich wohl – und ich glaube, ich durfte mich Ihres Wohlwollens rühmen, Herr Graf«, sagte Otfried: »Doch – die Zeit hat vieles geändert – und ich bin leider in der Lage, mich rechtfertigen zu müssen …«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich bin Otfried – Ihres Schlossamtmannes Sohn.«

»Otfried?« rief der Graf und stand auf.

»Der am Tage Ihrer Rückkehr mit seinem Vater entfloh und ohne Zweifel sich dem Verdacht aussetzte, ein Mitschuldiger zu sein.«

»Ja, Herr Otfried. Wenn nicht direkt, doch indirekt wurden Sie zu den Schuldigen gezählt … Kommen Sie nach Jahren, Ihre Schuld zu bekennen oder Ihre Unschuld zu beweisen?«

»Ich komme, um das Verbrechen bis in die kleinste Einzelheit zu enthüllen und hoffe dadurch meine Unschuld am klarsten darzutun!«

»Wissen Sie, was heute im Schlosse Lotfahrs geschah – welche Anklage von der Tochter Lotfahrs vor allen Gästen ausgerufen wurde?«

»Ich kenne die Anklage. Burgei hatte die Anklage und die Beweise – von mir!«

»Von Ihnen? Sie wüssten wirklich? … Gut«, fuhr der Graf fort und öffnete die Türe seines Zimmers. »Sehen Sie dort die Wache vor dem Zimmer meines Sohnes. Halte ich wirklich den Schuldigsten gefangen?«

»Eine schwere Schuld belaste Ihren Sohn – jedoch der Schuldigste ist – Braggen, der höllische Verleiter der Junged.«

»Also doch – schuldig – nur nicht der Schuldigste! … Und leider ist der Schuldigste in Sicherheit! Wer weiß, wie weit von hier!«

»Nicht weiter, Herr Graf, als die Gerechtigkeit bedarf, um seiner habhaft zu werden und ihn zu strafen, wie er's verdient.«

»Wie?« rief der Graf triumphierend: »Braggen in der Nähe?«

»Und gefangen«, sagte Otfried, »von meiner eigenen Hand überwunden und gefangen!«

In diesem Augenblicke meldete Burghardt die Ankunft des Schulen, welcher in Begleitung mehrere Leute kam, um Braggen auszuliefern.

»In das sicherste Gefängnis mit dem Verbrecher, und sorgt dafür, dass er nicht wieder entkomme!« rief der Graf.

Als Burghardt sich entfernt hatte, bat Graf Starrenberg Otfried, sich niederzulassen und über Braggens Gefangennehmung zunächst – dann aber ausführlich über das Schicksal der armen, geopferten Pächterin zu berichten.

Erstaunen ergriff den Grafen, als er erfuhr, dass Fräulein von Bergen trotz ihres Aufenthalts im Hause ihres künftigen Schwiegervaters wirklich ihr Verhältnis mit einem Husarenleutnant aufrecht hielt und dass dieser Liebhaber niemand anderer sei als – Braggen, der verwegene Verbrecher!

»Ja, ich sehe«, sagte der Graf, »dass hier die Hand des Schicksals mitgewirkt, um den Schuldigen an dem Faden eines zarten Verhältnisses in diese Gegend zurückzuführen und der Gerechtigkeit auszuliefern … Wie hehr und unerschrocken hat die Wahrheit aus Deinem schönen Munde gesprochen, Burgei, als Du die Scheinheiligkeit der Präsidenten-Tochter entlarvest! ... Und wissen Sie auch, Herr Otfried, dass Burgei von Vater und Bruder verstoßen ist und obdachlos in finsterer Nacht umirrt?«

»Beruhigen Sie sich, Herr Graf«, sagte Otfried: »Burgei ist gefunden und sicher unter Obdach. Ich selbst habe sie im früheren Pachthofe Lotfahrs erschöpft und schlummernd in sichere Obhut gebracht.«

»O dann ist mir eine schmerzliche Sorge benommen«, sagte der Graf und gab sogleich Befehl, den Streifzug zu unterlassen; er kam dann zu Otfried zurück, um sich ausführlich über das Schicksal der Pächterin Lotfahr berichten zu lassen …


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