Wilhelm Raabe
Die Leute aus dem Walde
Wilhelm Raabe

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Sechsunddreissigstes Kapitel

Die Sterne setzen ihren Willen durch, ihrem Willen befiehlt der Erzähler sich und sein Buch

Es war ein stiller, wolkenloser Tag in jener herrlichen Jahreszeit, wo Frühling und Sommer sich die Hand reichen. Der Hochwald stand in seiner vollsten, frischesten Pracht, Dämmerung hier, dort blendendes Licht – dort flimmernd Gemisch von Licht und Schatten. Glorreich strahlte die Nachmittagssonne; aber ahnungsvoller Duft verschleierte alle Ferne. Dicht verwachsen war der Waldweg, der eine Stunde früher als die Kunststraße, welche im Tal sich um den Kaiserberg wand, das Dorf Poppenhagen erreichte. Es kostete Mühe, sich auf diesem Pfade durchzuwinden; aber er war dafür auch mit allem lieblichen und romantischen Zauber der Wildnis aufs reichste geschmückt. Anmutiges Gerank, knorrige Stämme, Felsentrümmer, rieselndes Wasser, frischgrünes Moos und Blumen waren wie von Künstlerhand darauf verteilt; die Glut und der Staub der Heerstraße gehörten hier nur in das Reich ungemütlicher Träume.

»Noch einen Augenblick, Lieb, und wir haben die Höhe erreicht!« rief eine klangvolle Männerstimme im Gebüsch der Tiefe. »Reiche mir die Hand, armes Kind!«

Eine andere, lieblichere Stimme antwortete darauf noch ein wenig weiter zurück.

»Du beklagst mich wohl noch gar, Robert? Steig nur voran und habe keine Sorge um mich. Es ist ein wonniglich Atmen hier.«

Die Männerstimme wiederholte eine einfache, aber hübsche Melodie, die vorhin ein Waldmädchen den beiden aus der Tiefe Emporklimmenden entgegengetragen hatte; das Rauschen im Gebüsch näherte sich der Stelle, wo der Pfad den Gipfel des Berges erreichte; die zwei Wanderer traten aus dem Schatten auf die lichte Stelle, von welcher man die schönste Aussicht weit über den Winzelwald hatte, ohne jedoch nach irgendeiner Seite hin das Ende desselben zu erblicken.

Wir kennen die beiden jungen Leute, die sich aus dem Gebüsch loswanden. Es waren Robert Wolf und Helene Wienand, letztere in schwarzen Trauerkleidern, aber doch mit dem rosigen Schimmer wiederkehrender Lebensfreudigkeit auf den Wangen.

»O wie wunderherrlich!« rief die Braut, an dem Arme des Verlobten atmend ausruhend von den Beschwerden des Weges. Sie hatte tapfer mit dem Gezweig kämpfen müssen, mit neckischen Fingern hatte ihr eine mutwillige Ranke den breiten Hut vom Kopf gezogen und ihr in die Locken gegriffen; auf ihrer Schulter saß ein Marienkäfer, der sich lieber so anmutig tragen ließ als selber ging.

»Und dort hast du Poppenhagen!« sagte Robert, auf eine Turmspitze zeigend, welche zur Rechten aus einem Tale hervorlugte.

Lange blickte das junge Paar stumm nach der angedeuteten Gegend hin, dann erklärte Robert weiter:

»Die Felder, welche dort an jenem Berge emporlaufen, gehören zum Poppenhof; die eigentliche Feldmark des Dorfes kann man von hier nicht sehen. Nun bist du mitten in meiner Jugendheimat, süße Braut! Ach wie oft habe ich an dieser Stelle gelegen, den Wolken nachsehend und unbestimmte Luftschlösser in den Äther bauend. Welch ein guter alter Bekannter ist jener Baumstumpf dort! Nur jene Berglehne drüben jenseits der Landstraße war damals nicht abgeholzt; sonst ist alles heute, wie es damals war, als ich mich hier zum Robinson Crusoe träumte oder den Fahrten Sindbads des Seefahrers nachsann.«

»Der silberne Faden, welcher im Herbst so still und langsam durch die Luft schwebt, kann vieles überdauern, welchem der Mensch unendliches Dasein geben möchte. Es ist so traurig, daß der Mensch in sein dunkles Grab gehen muß, wenn die Welt in so lichtem Glanz daliegt. Sieh, welch ein schöner Schmetterling sich dort wiegt, wie er sich schaukelt und sich freut – aber immer, immer muß ich an den toten Vater denken!« seufzte Helene.

»Da unten auf der Landstraße kriecht der Wagen«, sagte Robert Wolf. »Er schleppt langsam die alten Freunde der Heimat zu. Was sollen sie tun, wenn wir so trübe und tränenvoll in all diese Schönheit blicken?«

Die Braut küßte den Verlobten:

»Du hast recht, Lieber; es ist Sünde gegen dich und Gott, jede gute Stunde durch nutzlose Klagen zu verfinstern. Du mußt recht viel Geduld mit mir haben, Robert; – o deine Heimat ist so schön! Komm, führe mich weiter hinein; glaube mir, seit wir gestern die Berge erreichten, ist mein törichtes Herz schon um vieles leichter geworden.«

»Bald wird es ganz gesunden, du Süße, Liebe!« rief Robert. »Nimm meinen Arm, einmal führe ich dich noch recht tief in den Wald, und dann steigen wir hinab in das Dorf und sehen, was die Freunde daselbst gefunden haben und wie der wackere Otto für uns gesorgt hat.«

Sie folgten dem Waldwege noch eine Viertelstunde lang, dann betrat der neue Herr des Poppenhofes mit seiner Braut einen andern engen Pfad, der wieder weiter seitwärts abführte. Trotzige Felsen ragten mitten im dunkeln Tannenforst.

»Das ist der Kaiserstein«, sagte Robert. »Von jenem Vorsprung stürzte einst Eva Dornbluth meinen Bruder. Fürchtest du dich vor der Wildnis, Herz? O du solltest den Tannenwald im Sturme, in der Winternacht sehen und hören! Das gibt ein lustig Sausen, Schwirren, Donnern und Krachen, wenn die Windsbraut mit den Waldgeistern hier ihre Tänze aufführt. Hier links, Liebchen – dort hinaus kommt Sumpf und Moor, das ist der Eulenbruch. Wart nur, gleich führ ich dich wieder ins Licht. Wer den Weg nicht kennt und in der Nacht sich hierher verliert, den können die Irrlichter tüchtig necken und verlocken. Aber die roten Wölfe vom Eulenbruch kennen den Weg und fürchten die Kobolde nicht.«

Auf den Tannenwald folgte wieder Buchenwald; plötzlich faßte Robert die Hand Helenes fester und zog sie schneller vorwärts, einen kleinen Abhang hinan. Droben stand er still, als schon die Sonne über die Berge im Westen hinabgesunken war; wortlos deutete er auf ein graues, ärmliches, niederes Gebäude, welches auf einer kleinen Wiese einsam, fern von allen andern Menschenwohnungen, lag. Nirgends ein lebendes Wesen zu erblicken! Kein Laut unterbrach die Stille.

Helene Wienand umschlang den Geliebten fest, und dieser sagte:

»Da ist der Ort! Da sind alle die roten Wölfe, bis auf unsern Fritz und mich, untergegangen – verdorben, gestorben in Hunger, Jammer und Elend. Am Yuba liegt nun auch Friedrich Wolf neben Eva Dornbluth; – mich allein haben die Sterne errettet, ach und bis ins tiefste Herz hinein fühle ich, wie wenig ich selbst zu meiner Rettung, meinem Glück beigetragen habe. In tiefster Demut beuge ich mein Haupt den Sternen; sie haben mir alles erhalten, was Gutes in mir war; sie haben mir alles gegeben, was ich bedurfte; die höchsten, schönsten Wünsche haben sie mir erfüllt; o Helene, Helene, meine Braut – dort die Hütte – und dein Herz schlägt an dem meinigen – und drunten im Tal die Freunde! – o wie hat der Letzte der roten Wölfe vom Erlenbruch die Sterne zu preisen!«

»Ich will dir ein gutes Weib sein!« sagte Helene Wienand ganz leise, und dann fügte sie hinzu: »Sollen wir nun näher dort hingehen; vielleicht ist die Tür offen?«

»Nein, nein!« rief Robert Wolf; »ich kann, ich will nicht in jene Tür treten, ich will auch nicht durchs Fenster sehen. Ach du weißt nicht, ahnst nicht, welches namenlose, gräßliche Elend jenes morsche Dach verbarg. Die Sterne haben mich darüber emporgehoben – sie haben mich gelehrt, das fremde Elend in seinen schrecklichsten Schlupfwinkeln aufzusuchen, und so Gott will, will ich keine Gelegenheit dazu leichtsinnig vorübergehen lassen. Aber die Stelle, wo ich selbst, wo meine Eltern, meine Brüder und Schwestern hilflos lagen, ohne daß sich eine Hand eher nach ihnen ausstreckte, als bis es zu spät war, die Stelle will und kann ich nicht mehr sehen.«

Helene faßte den Freund fester und flüsterte:

»Du hast recht – komm, komm! Laß uns fort, laß uns fort zu den Freunden. Es wird Abend, sieh, da ist auch schon der Abendstern.«

»Grad über dem alten Hause!« flüsterte Robert ebenso leise wie die Braut. »Wie still und friedlich alles! Wie als wenn hier nie um Hilfe geschrien worden wäre! Über der Hütte der Stern – ich will nie mehr an die eine ohne den andern denken.«

Sie gingen zurück durch den Wald, und Stern auf Stern trat am klaren Abendhimmel hervor. Auf einem breitern Wege erreichten sie kurz vor dem Dorfe die Kunststraße. Es war jetzt vollständig Nacht, eine helle warme Nacht. Bei jedem Schritt vorwärts stieß das heimkehrende Kind von Poppenhagen auf eine Jugenderinnerung, und auf alles machte Robert die Braut, die er mitbrachte aus der weiten Welt, aufmerksam. Da rauschte der Brunnen am Eingange des Dorfes noch grade so wie sonst; wie sonst trieben die Kinder auf der Gänseweide ihre Spiele.

Es herrschte große Aufregung in Poppenhagen, die Männer und Weiber steckten die Köpfe zusammen; man lief von Tür zu Tür und gestikulierte; es war aber auch ein Ereignis, die Rückkehr der »Ortsleute«.

Die drei Alten, Ulex, Fiebiger und das Freifräulein, waren freilich so ziemlich vergessen; nur ganz wenige Grauköpfe erinnerten sich ihrer. Robert Wolf vom Eulenbruch aber war noch in jedermanns Gedächtnis, und jetzt – kam der heim aus der Fremde, so reich, »daß es nicht auszusagen war«. Der Poppenhof gehörte dem roten Wolf vom Eulenbruch, welchen der Pastor Tanne seliger doch gewiß eine geheime Kunst aus seinen Büchern gelehrt hatte; sonst wäre so etwas doch gewiß nicht möglich gewesen!

Und der volle Mond stieg empor und beleuchtete Berg und Tal, das Dorf, das aufgeregte Volk, die Kirche und den Kirchhof.

Auf dem Kirchhof schritt gebückt eine Gestalt unter den Gräbern umher und suchte alte Namen auf eingesunkenen Steinen und morschen Kreuzen. Wo die Hecken des Kirchhofs, des Pfarrgartens und des Gartens der Schulmeistern zusammenstießen unter der hohen Esche, wo einst Eva Dornbluth mit Fritz und Robert Wolf Zwiesprache gehalten hatte, lehnte jetzt eine ganz junge Schulmeisterin mit einem Kind auf dem Arm und beobachtete scheu neugierig den Greis zwischen den Gräbern, den Mann aus dem Giebel des Nikolausklosters, den Sternseher Heinrich Ulex aus Poppenhagen. Auch Robert und Helene erstiegen die ausgetretenen Stufen, welche auf den Friedhof führten. Der Greis trat ihnen entgegen und seufzte:

»Ich finde meine Gräber nicht mehr – nicht eines. Es ist wohl gut so, aber auch sehr traurig. Ach, ich hätte euch doch nicht hierher folgen sollen!«

Er stützte sich schwer auf den Arm des Schülers und ließ sich von ihm führen wie ein Vater von seinem Sohne.

Seine Gräber fand Robert Wolf noch und zeigte sie seiner Braut; nur die Stelle war bereits etwas undeutlich, wo die vier kleinen Särge, die einst im Laufe einer Woche vom Eulenbruch hergetragen wurden, beigesetzt worden waren.

Still schritten die drei wieder herab von dem Kirchhof und weiter durch das Dorf. Unter der großen Linde fanden sie den Polizeischreiber Friedrich Fiebiger aus Poppenhagen bereits im vollen lebhaften Verkehr mit der Gemeinde. Er nahm den Personalbestand des Dorfes an Menschen und Vieh auf und verfehlte nicht, den jungen Gutsherrn und seine Braut dem Kreise der dörflichen Notabilitäten vorzustellen. Der Polizeischreiber war ebenso erregt und melancholisch gestimmt wie die andern, die heute mit ihm gekommen waren; er hielt es aber für seine Pflicht, in seiner Weise der Stimmung der andern ein Gegengewicht zu geben.

Er nahm für jetzt Abschied von dem neugewonnenen Bekanntenkreis und schloß sich dem Sternseher und seinen beiden jungen Begleitern an. In ihrer Gesellschaft überschritt er den Dorfbach, und ein kurzer Weg brachte alle zum Einfahrtstor des Poppenhofes.

Hatte sich im Dorfe wenig verändert, so war die Umwandlung hier desto augenscheinlicher. Alles lag in der schlimmsten Verwahrlosung, alles war vernachlässigt und verfallen; an dem Unbedeutendsten sah man, daß lange Jahre hindurch das Auge des Herrn gefehlt haben mußte. In dem Herrenhause standen die Gemächer leer; zerschlagene Fenster und zerbrochene Dächer gab es bedeutend mehr als ganze. Düngerhaufen waren über den ganzen Hofraum verzettelt, und ein paar magere Schweine samt einigen Hühnern trieben sich, wie es schien, vollständig herrenlos darauf umher. Ein bösartiger Hofhund zerrte lautheulend an seiner Kette, als habe er die ungeheuerste Verantwortung dafür, daß nichts von dem Schmutz, dem Dünger, den Trümmern abhanden komme. Außer einem kretinartigen Kinde, welches mit einem andern kleinen, ähnlichen Geschöpf auf dem Rücken vor den eintretenden Fremden die Flucht nahm, war niemand von den bisherigen Bewohnern des Gutes zu erblicken.

In der Mitte des Hofes stand im Mondenschein neben einem alten, wunderlichen, halbverfaulten Pfosten noch eine Gestalt; aber diese gehörte nicht zu den bisherigen Bewohnern des Herrenhauses. Eine rostige Kette hing von dem häßlichen Pfahl, und das Freifräulein Juliane von Poppen hielt diese Kette gefaßt. Als die andern auf sie zukamen, warf sie aber dieselbe von sich, daß sie klirrend um den alten Pfosten schlug.

»Was wollen wir hier, Heinrich? Weshalb sind wir hierher zurückgekommen? Gib mir deine Hand, Heinrich, deine treue, gute, milde Hand; laß uns fortgehen, hier ist nicht unsere Stelle!«

Das letzte Fräulein von Poppen gebrauchte fast dieselben Worte, welche der Sternseher Heinrich Ulex auf dem Kirchhofe des Dorfes gerufen hatte.

Sie hatten recht, diese beiden Alten; hier war ihre Heimat nicht mehr. Ihre Füße waren zu müde geworden von dem langen, weiten, mühsamen Wege durch das Leben und trugen die Greise nicht mehr in die wilden Verstecke des Winzelwaldes, wo alle süßen Erinnerungen ihrer Jugend schliefen. Auf dem verwahrlosten Poppenhofe aber gingen nur unheimliche Gespenster aus der vergangenen Zeit um, und aus dem Schutt der Jahre sproßte nicht die kümmerlichste Blume.

»Und doch ist nur eine kurze Zeit vergangen, seit wir Kinder waren, Juliane!« schloß Heinrich Ulex laut eine lange stumme Gedankenreihe.

»Eine kurze und doch lange Zeit«, antwortete das Fräulein. »Das ist eben das Schreckliche, daß sich beides so vermischt: wir stehen hier alt und grau in einer neuen Zeit, und doch ist es mir, als sei jener Tag, an welchem deine Mutter hier stand und mein Bruder dich hier mißhandelte, erst eben zu Ende gegangen, als seien jene Sterne dort oben eben jenem Tage gefolgt.«

Auch Heinrich Ulex legte jetzt seine Hand leise auf den Schandpfahl und das Halseisen; dann aber bildete er mit feuchtglänzenden Augen empor zu den himmlischen Lichtern und sprach: »Es sind dieselben Sterne, welche jenem Tage zu Grabe leuchteten. Sie lächeln heute, wie sie damals lächelten; sie wußten, daß es damals nicht anders sein konnte; sie wissen, daß heute alles gut ist, wie es ist.«

Der Polizeischreiber Fiebiger war seit einigen Augenblicken aus dem Kreise der andern verschwunden; jetzt kam er zurück, begleitet von dem Rechtsanwalt aus Löffelhofen, Otto Krokisius, welcher letztere jetzt erst den Freund und dessen Braut begrüßte. Der Schreiber trug eine Axt und der Advokat eine Erdhacke.

»Greif zu, Arzt und praktischer Philosoph!« rief Fritz Fiebiger aus Poppenhagen, seinem Pflegesohn das Beil in die Hand drückend. »Ans Werk, Otto Krokisius, praktischer Philosoph und beider Rechte Beflissener. Nieder mit dem Dinge! Herunter damit!«

»Wohl gesprochen, Polizei! Steigt Ihnen nachher ein Ganzer!« rief lachend der verlorene Sohn des Konsistorialrats Krokisius. »Wenn Ihr's erlaubt, so wird's an uns nicht liegen, wenn dieses angenehme antediluvianische Institut noch länger sich eines aufrechten Daseins freut. Wenn es nicht unkindlich wäre, so wünschte ich, daß sämtliche Exemplare von meines Herrn Papas sämtlichen Werken dranhingen.«

Der neue Herr des Gutes arbeitete mit einer wahren fieberhaften Hast an der Zertrümmerung des Pfahls, und bald stürzte derselbe zu Boden.

»Hier wollen wir einen Brunnen graben, roter Wolf«, sagte Fiebiger. »Hoffentlich wird ein gutes, klares und heilsames Wasser aufspringen.«

Otto Krokisius hatte sein möglichstes getan, einige Zimmer des Schlosses bewohnbar zu machen. Als die Alten und Helene sich dahin zurückgezogen hatten, saß er mit dem Universitätsfreunde noch eine geraume Zeit zusammen, und sie besprachen Nahes und Fernes.

»So hast du nun deinen Willen und das alte Räubernest auf dem Nacken«, sagte der Jurist. »Du hast viel Geld, vielleicht zu viel in den Kauf gesteckt. Du bist Arzt, aber die Mutter Erde ist eine gesunde, robuste Person, hat den Doktor selten nötig und begnügt sich mit der Hebamme.«

»Darüber sorge ich nicht. Ich kenne die Wirtschaft hier im Walde; bis zum achtzehnten Jahre habe ich hier am Ort selbsttätig mit eingegriffen und weiß so ziemlich Bescheid und werde das Fehlende leicht ergänzen; auch bin ich für die ersten schwierigsten Jahre noch anderweitig gerüstet.«

Otto Krokisius kratzte sich hinter dem Ohr. »Du bist ein Glückspilz, und ich glaube wahrhaftig, das wird sich auch hier wieder zeigen. Ich habe in meinem Leben nur einen Schatz gefunden und gehoben – meine Frau. Wann willst du heiraten?«

»Wenn die Bauern Hochzeit machen, im Herbst.«

»Deine Antworten kommen Schlag auf Schlag; das ist gut. Du hast auch darin, seit wir uns auf jenem Hügel trennten, Fortschritte gemacht. Alter Junge, alles in allem genommen, freue ich mich unendlich, daß du hier sitzest und sitzen bleiben willst. Wir wollen hier zusammenhalten in guter und böser Zeit, und unsere Weiber sollen Rosen um das eherne Band winden.«

»So soll es sein!« sagte Robert Wolf vom Eulenbruch. – –

Es gestaltete sich alles so gut, wie der Mensch eben hienieden unter den Sternen verlangen kann. Trefflich gedeiht Robert mit seiner Frau und seinen Kindern auf dem Poppenhofe. Noch leben die drei alten Freunde in der großen Stadt; aber Fritz Fiebiger allein vermag es über sich, einen Teil des Jahres im Winzelwalde zu verleben. Von seinem Dreibein im Zentralpolizeihause – Bureau Nummer dreizehn – ist er heruntergestiegen; ein anderer, aber jedenfalls kein Besserer, führt die traurigen Folianten. Aus seiner alten Höhle in der Musikantengasse will aber auch er nicht weichen, obgleich Helene Wolf die längliche Stube »gar nicht hübsch« findet. Die Kinder müssen zur Stadt kommen, wenn sie den Sternseher und das Freifräulein sehen wollen, und sie wollen es oft. Heiter und friedlich geht den drei Alten aus dem Walde die Sonne unter, und durch den roten Glanz blicken immer deutlicher, klarer die hohen Sterne der Ewigkeit. Konrad von Faber ist auf seinen Siebenmeilenstiefeln neulich durch den Winzelwald geschritten und hat einen Brief von Ludwig Tellering auf dem Poppenhofe abgegeben. Ludwig ist ein angesehener, selbstbewußter Bürger des Staats Kalifornien, wie das nicht anders sein konnte. Verschollen ist Julius Schminkert; aber es ist leicht möglich, daß er irgendwo wieder auftaucht. Von der schönen Angelika wollen wir lieber schweigen, ihr Lebenslauf geht allzusehr in die Tiefe. Wenn jemand den eigenen Tod notieren und mit anmutigen Randglossen versehen könnte, so hätte es Fräulein Aurora Pogge gewiß getan; sie verschied jedoch, ohne dieses äußerste Problem der Kunst, ein Tagebuch zu führen, gelöst zu haben. Der einstige würdige Vizepräsident des Jockeiklubs, Herr von Bärenbinder, soll einer Zeitungskorrespondenz zufolge vor einigen Wochen mit Frau und Schwiegermutter in Rom zum Katholizismus übergetreten sein. Wir halten das für unwahrscheinlich, sind jedoch nicht berechtigt, es für unmöglich zu halten. Der Partikulier Schwebemeier begönnert die darstellende Kunst nicht mehr; in den Bewegungsjahren war er eifriger Bürgerwehrmann und nahm sogar eine Verhaftung vor. An der Spitze seiner Rotte arretierte er höchst unmotivierterweise den Partikulier Mäuseler, welcher für seine generalmarschkranke Haushälterin den Doktor holen wollte. Der Polizeirat Tröster hat sich pensionieren lassen und spielt jeden Abend Whist; der Sanitätsrat Pfingsten wird seine große Praxis noch lange nicht abgeben und spielt ebenfalls jeden Abend Whist.

Die Sterne wandeln ihren Weg und achten auf alle Menschen. Wenige der Erdgeborenen kümmern sich darum. Ein Messer wetzet das andere und ein Mensch den andern; die Sterne aber bringen Messer und Menschen zusammen. Nach den Sternen zu sehen, wenn die Kämpfer aufeinander dringen und die Klingen aneinander schlagen, ist gut und nützlich und ein Zeichen nicht gemeinen Geistes, das lehren –

 

Die Leute aus dem Walde.

 


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