Wilhelm Raabe
Die Leute aus dem Walde
Wilhelm Raabe

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Neuntes Kapitel

Die Sterne Eva Dornbluths. Was sie sagten, wie man ihnen folgte und wozu sie führten

Mit untergeschlagenen Armen stand Friedrich Wolf inmitten dieser Verwirrung, im Duft von feinen Wohlgerüchen, Speisen, Wein und Havannazigarren. Vollständig war das Lächeln jetzt aus seinen Zügen verschwunden, es hatte schmerzhafter Bitterkeit Platz gemacht, und Eva Dornbluth blickte nicht scheu, aber doch angsthaft zu dem so traurigen, männlichen Gesicht von ihrem Sessel auf. Aber vergeblich wartete sie, daß der Mann zuerst das bedrückende Schweigen breche.

Sie konnte endlich die Stille nicht mehr ertragen und erhob sich zuletzt, trat auf den Amerikaner zu, legte ihm sanft die Hand auf den Arm und bat mit zitternder Stimme:

»O sprechen Sie zu mir, Fritz! Ich werde anfangen, mich zu fürchten, wenn Sie dieses Schweigen nicht brechen.«

»Was soll ich sagen, Eva?« seufzte endlich Friedrich Wolf. »Ich könnte um Verzeihung bitten wegen meines unberufenen Eindringens in Ihren jetzigen Lebenskreis. Ich sehe nicht ab, welches Recht mir gegeben wäre, mit Ihnen zu hadern. Ich habe kein Recht mehr an Sie, Eva. Ich habe nicht einmal mehr das Recht, Schmerz zu empfinden über das, was ich gefunden habe.«

»Sie sind sehr hart, Fritz. O, es liegt eine grausame Kränkung in Ihren Worten. In ein Wort fassen Sie tausend Vorwürfe zusammen.«

»Ja, ich bin toll! ein Wahnsinniger bin ich!« rief der Amerikaner wild. »O, das Geschick, das Geschick! Ich habe mein Schicksal gehabt, Ihnen ist das Ihrige zuteil geworden. Die Leute sagen, mir sei das Glück recht günstig gewesen; – ach, in welchen Abgrund stürzt mich diese Stunde! Weh uns beiden, Eva, daß wir den dunkeln Heimatswald verließen – verlassen mußten. Falsch sind die Sterne gewesen, die uns lockten und verlockten. Wie arm und enttäuscht findet uns die heutige Stunde!«

»Wollen Sie mein Geschick hören, Fritz?« fragte demütig bittend Eva. Ihre Augen hatten ganz und gar die herausfordernde Siegesgewißheit verloren; schnell und bang schlug das stolze Herz und suchte sich nur zu rechtfertigen vor diesem Mann, der so plötzlich, einem Richter gleich, in den Festsaal des Lebens getreten war.

Friedrich neigte das Haupt der Frage.

»Ich will hören«, sagte er und wollte sich eben niederlassen, als Eva seinen Arm faßte und, wie erschreckt, rief:

»Nicht hier, nicht hier! Kommen Sie, Fritz. Was ich zu sagen habe, will und kann ich nicht in diesem Räume erzählen.«

Sie zog ihn mit sich fort durch ein ebenso glänzend wie das Speisezimmer ausgestattetes Gemach; dann öffnete sie eine verschlossene Tür, ließ ihn eintreten in einen kalten, dunkeln Raum und schloß die Tür sogleich wieder.

»Stehen Sie still, Fritz; es soll sogleich Licht werden!« rief sie schluchzend, und Friedrich stand verwundert, wartend in der kalten Finsternis. Er vernahm, wie Eva umhertastete; dann hörte er Stahl auf den Feuerstein schlagen, sah die Funken springen und bei dem roten, schnellen Licht der Funken das schöne Gesicht der Jugendfreundin aus der Nacht auftauchen und wieder versinken, bis ein Schwefelfaden fing und eine kleine schlechte Lampe von Blech das Gemach erhellte.

Hoch hob Eva Dornbluth diese Lampe und beleuchtete die vier nackten Wände dieser Kammer, ein ärmliches Bett, ein Tischchen von schlechtem Holz und die beiden ebenso einfachen Stühle. Ein größerer Kontrast gegen den Luxus der übrigen Räume ließ sich nicht leicht vorstellen. Unbewußt hatte das Mädchen aus dem Walde jenem Kanzler nachgeahmt, welcher in einem verborgenen Gemach das Bettlergewand und den Bettelsack und -stab seiner Jugend aufbewahrte.

»Sie sind der erste Mann, welcher diesen Raum betritt«, sagte Eva, die Blechlampe wieder niedersetzend. »Hier in dieser Armut darf ich zu Ihnen reden wie unter den Tannen unseres Waldes, wie unter dem Dach meines Vaters. Hier bin ich die wahre Eva Dornbluth, und hinter jener Tür liegt alles, was Sie an mir glauben verachten zu dürfen. Hier darf ich Ihnen die Hand bieten und, ohne die Augen niederschlagen zu müssen, sagen: Sei willkommen, Fritz Wolf; in Schmerzen habe ich auf dich gewartet; Gott grüß dich, Fritz; ich wußte wohl, daß du endlich doch kommen würdest.«

»Eva!« rief Friedrich Wolf mächtig bewegt; aber das Mädchen winkte ihm mit der königlichen Hand, zu schweigen, und sprach selbst weiter:

»In den Räumen hinter jener Tür hattest du das Recht, nach meinem Leben zu fragen; in diesem Raume antworte ich dir darauf; hier in dieser armen Kammer mußt aber auch du mir Rechenschaft geben über dich, wie deinem Gewissen. In jenen Räumen kämpfe ich mit der Welt, und dieser Raum gibt mir Kraft, sie zu besiegen und zu beherrschen. Es sind böse Gewalten, mit denen ich hinter jener Tür zu tun habe; aber ich habe mutig den Kampf mit ihnen aufgenommen und bis jetzt glücklich durchgeführt. Sie sollen Eva Dornbluth nicht zu sich herabziehen, sie ist ihnen zu stark! O, Fritz, auch unser Heimatswald, die Dunkelheit, die Armut und die Unwissenheit haben ihre geisttötende Macht, und der Armut, dem Mangel und der Unwissenheit wäre ich erlegen, während ich hier Siegerin bleiben konnte und immer bleiben werde.«

»Rede weiter!« sagte Friedrich. Seine Stimme war nicht mehr hart wie vorhin; sie rang sich mühsam aus tiefster Brust hervor. Der winzige Raum um ihn her dehnte sich zu einer weiten, feierlichen Tempelhalle aus, und die Jugendfreundin stand darin wie die schöne, stolze und doch demütige Priesterin der weiblichen Ehre.

»Was ich zu sagen habe, ist nicht in kurze Worte zu fassen«, fuhr Eva fort. »Setze dich dort auf den Stuhl, Lieber, und höre.«

Friedrich nickte wie im Traum und zog einen Stuhl an den kleinen Tisch, auf welchem die Lampe stand. Eva ließ sich am Rande ihres Lagers nieder und begann:

»Du warst ein häßlicher, verwilderter Knabe, Fritz vom Eulenbruch, der schlimmste der roten Wölfe, – rothaarig, zerlumpt, sonnverbrannt und schmutzig! Wenn ein Kind, schwächer als du, oder ein armes Tier in deine Hand fiel, so hattest du deine Lust daran, das eine bis aufs Blut zu peinigen, das andere zu Tode zu quälen. Du warst selber zu einem verwahrlosten, boshaften Tier in dem Walde geworden, und ich, viel jünger wie du, traf auf dich, und wie du es mit den andern gemacht hattest, so wolltest du es auch mit mir machen. Du necktest, schimpftest, höhntest, schlugst mich, wo du mich fassen konntest; aber ich war so wild und trotzig wie du, weinte nicht wie die andern und vergalt nach Kräften Böses mit Bösem. O, ich übersah dich bald; – denn du glaubst nicht, Fritz, wie schnell das innere Auge des Weibes sich schärft. Ich kannte deine Leidenschaften und die Art, wie sie sich Bahn brachen. Ich wußte immer im voraus, was du sagen und tun, wie du dich gebärden würdest in jedem gegebenen Augenblicke. Darin lag meine Macht über dich, und schlau benutzte ich dieses geistige Übergewicht, und du fielst in manches Unheil, manche Strafe, ohne daß du hättest sagen können, wie das kam. Zugleich hatte ich aber doch einen gewissen Respekt vor deiner rohen Körperkraft, deiner tollkühnen Verwegenheit, welche dich kopfüber in jede Gefahr stürzte. Ich habe immer den Mut und die Kraft geliebt, und wärest du nicht so stark und so tapfer gewesen, ich hätte nicht so leidenschaftlich gestrebt, dich zu überlisten. Wir waren zwei Gegner, die sich jedesmal verbündeten und fest zusammenhielten, wenn Dritte zwischen sie oder ihnen entgegen treten wollten. Weißt du wohl noch, Fritz, auf welche Weise sich endlich der kindische Haß in das Gegenteil verwandelte? Ich stieß dich in der hellen Wut vom Steg den Kaiserstein hinab, und du wurdest halbtot, mit zerschlagenen Gliedern, blutrünstig, mitten im Walde gefunden. Auf den Tod lagst du, aber keine Macht konnte dich zwingen zu gestehen, wie das Unglück gekommen war. Du logst selbst in deinen Fieberphantasien, und ich horchte am Fenster und an der Tür, und mein junges Herz wurde von Qualen zerrissen, wie nimmer vor- und nachher. Wie eine Verrückte war ich, und wenn sie mich aus deiner Nähe fortjagten, lief ich in den Wald hinaus und schrie mit heller, jammervoller Stimme unter den Tannen: Ich war's! Ich bin's gewesen! Schlagt mir den Kopf ab; ich hab ihn vom Fels gestürzt!

Endlich kamst du bleich und mager in das Leben zurück. Man trug dich zum erstenmal wieder in die Sonne, und ich stand verweint von ferne –«

»Und ich sah dich«, rief der Amerikaner in höchster Bewegung. »Im Fieber hatte ich nur dich gesehen; doch nicht so wie die wilde Katze, welche du in der Wirklichkeit warst. Ganz anders sah ich dich, und so sah ich dich auch, als ich in der Sonne saß, und starrte nach dir hinüber und –«

»Ich kroch geduckt, schluchzend, daß es mir fast das Herz abstieß, heran. Wie schlug das Herz mir, als ich den größten Schatz, den ich damals auf Erden besaß, eine alte zerzauste Puppe, welche sich vom Poppenhofe zu mir verloren hatte, dir vor die Füße warf. Wie schnell entfloh ich dann wieder, um von neuem aus einem Versteck nach dir hinüberzusehen! Als die Sonne entwich, trug man dich in das Pastorenhaus, wo du seit dem Unglück dein Krankenlager gehabt hattest, zurück, und die Puppe blieb neben der Bank liegen. In der Nacht stahl ich mich aus dem Bett, holte sie und trug sie auf die Schwelle des Pfarrhauses. Fest schloß ich das Ding in den Arm und schlief nach langem bitterlichen Weinen auf den Stufen ein.«

»Der Nachtwächter fand dich auf dem kalten Lager, wie du im Traum ängstlich meinen Namen riefst«, sagte der Amerikaner. »Er weckte verwundert deinen Vater, und da gestandest du mitten in der Nacht deine Schuld an meinem verbundenen Kopf.«

»Und am folgenden Morgen wurde ich vor dein Bett gebracht vom Vater, und wenig hätte gefehlt, daß der alte Stolz von neuem wach geworden wäre in meiner Seele; aber die Kraft war gebrochen, der Trotz verwandelte sich wiederum in Weinen, und als du mir aus den Kissen die magere Hand reichtest, da, da –«

»Da war aus der wilden Eva Dornbluth eine gar sanfte Eva geworden!«

»Nur gegen dich, Fritz vom Eulenbruch! Nur gegen dich! Gegen alle andern blieb ich dieselbe. Ja, grade weil ich dich liebte, war ich nun um so trotziger gegen alle die übrigen.«

»Von nun an teilten wir das Leben, das uns im Walde gegeben war, miteinander und hingen zusammen wie die Kletten. Wir waren das tollste Paar Rangen, welches jemals einer Gemeinde zur Last wurde. Gott segne den guten alten Pastor Tanne, den philanthropischen Weisen. Er hatte es gut mit uns im Sinn, wenn auch seine Marotte, überall große Talente zu entdecken, ihre bedenklichen Seiten hatte. Talente entdeckte er in mir und in dir, Eva –«

»Und zuletzt in deinem Bruder Robert.«

»Davon später. Du weißt, wie der Alte sich unserer annahm, seine Bücher vor uns aufschlug.«

»Ich habe mancherlei Seltsames gelernt und die Nase in Dinge gesteckt, die sonst auch höher geborenen Mädchen verborgen bleiben, Latein und Mathematik –«

»Ich habe nur gelernt, daß die Welt erst hinter dem Walde, jenseits der Berge beginne und daß man in unserm Tal nicht lebe, sondern nur vegetiere. Doch erzähle weiter; meine Stirn brennt; – nachher ist die Reihe an mir.«

Eva Dornbluth seufzte tief und fuhr in ihrer Erzählung fort:

»Du hieltest es bei dem Pastor Tanne nicht aus wie der arme Robert; du mußtest zu deinem Vater, zu deiner Büchse und Axt zurück. Dann entliefst du ganz, und ich wußte darum. Du versprachst, auch für mich mit das Zauberland, welches jenseits unserer Berge lag, zu erkunden und mächtig und reich heimzukehren, mich zu holen und mit dir genießen zu lassen. Ich wartete und lernte. Der Vater lehrte mich die Musik, das Spiel der Orgel. Ich begleitete an seiner Stelle den Gesang der Dorfleute in der Kirche, denn er wurde allmählich zu schwach dazu. In der Studierstube des Pfarrers saß ich dann mit Robert zusammen. An dem hatte der Alte wiederum ein Talent entdeckt, und diesmal war es ein wirkliches. Ich mußte ihm nun mit Lehrerin sein; denn der Alte ward auch allmählich müde vom Leben und saß am liebsten stundenlang auf dem Kirchhofe neben den Gräbern seiner Frau und seiner Kinder. Ich mußte mit deinem Bruder dasselbe Lexikon und dieselbe Grammatik gebrauchen; doch der Schüler übertraf bald die Lehrerin; aber die Lehrerin war eine Jungfrau geworden und, vertieft in ein anderes Sehnen, merkte sie nicht, daß der Knabe über die Bücher weg die Studiengenossin mit Blicken ansah, welche sie nicht hätte dulden sollen. Als mir klar wurde, was in Robert vorging, da war das Unglück bereits geschehen und ihm in keiner Weise mehr zu wehren. Vergeblich war's nun, daß ich die Stunden bei dem Alten ganz aufgab und nicht mehr unter die Esche kam. Vergeblich war alles gesprochen, was ich deinem Bruder sagte. Er war verblendet bis zum äußersten, und ich konnte mir und ihm auf keine Weise helfen. Obgleich ganz dein Gegenteil, Fritz, so hat dein Bruder doch ein gut Stück deiner Hartnäckigkeit zum Erbteil mitbekommen. Weder durch Vorstellungen noch durch Drohungen noch durch geheuchelte Verachtung konnte ich ihn von mir treiben. Ach, und dazu lag die Sorge um dich so schwer auf mir! Ich war älter geworden, verständiger und klüger. Mit Schrecken sah ich ein, was du in jugendlicher Unwissenheit und jugendlichem Leichtsinn gewagt hattest. So wie wir sie uns kinderhaft geträumt hatten, war die Welt jenseits der Berge nicht beschaffen. Nun war es lange zu spät, dich zurückzurufen. O, was habe ich gelitten in dem Gedanken, du seiest untergegangen und verloren in der weiten Welt! Wie konnte es anders sein? Das falsche, harte Leben mußte dich, den unwissenden, starrköpfigen Knaben, zerbrechen und verschlingen. Wie manche Nacht habe ich bitter durchwacht und durchweint, wenn der Sturm an meinen Fensterladen rüttelte oder zwischen den Bergen heulte und den Schnee umwirbelte und häuserhoch die Wege verschüttete! Durch den Sturm glaubte ich dann klagende Rufe zu vernehmen; du schriest nach mir, und ich fuhr in die Höhe und schrie selber in grausamster Angst. Und dann wieder – wie oft habe ich auf der Höhe des Weges in der heißen Sonne gestanden und im törichten Hoffen auf dich gewartet! Dann hatte ich wohl unterwegs ein Körbchen oder ein Klettenblatt voll Erdbeeren gepflückt, die hielt ich dann in der Hand, und die andere Hand hielt ich über die Augen und blickte die staubige Straße entlang und dachte und träumte: O, wenn er jetzt käme, durstig und bestaubt, müde und traurig! Ach, wie sollte er ausruhen an meinem Herzen! Das Körbchen mit den roten duftenden Früchten und mein Herz hielt ich für dich bereit; aber du kamst nicht, wie lange ich auch umschauen mochte von der Höhe, den Windungen der Straße nach, bis in die weiteste Ferne. Du kamst nicht! Und wie ich mein Herz keinem andern gönnte, so gönnte ich auch die Beeren niemandem: ich warf sie in das Wildwasser und sah weinend zu, wie sie lustig bergab von dannen tanzten, und zum Tode beängstigt schritt ich durch den Wald. Der Pastor Tanne starb, und mein Vater starb auch. Ich nähte für die Bauernweiber; aber ich war ganz verlassen und wußte nicht, was ich beginnen sollte. Es war mir immer, als müsse ich hinter dir her, du verlorener Freund, in die Welt ziehen. Da brachte die Baronin von Poppen einmal wieder einen Sommer auf dem Poppenhof zu, und ihr Sohn Leon kam ebenfalls dahin. Ich sah da ein Mittel, mich zu befreien aus der Einsamkeit, aus diesem engen Tale, dessen Luft mir jetzt so erstickend schien. Den jungen Baron achtete ich nicht eines Hauches; aber ich wehrte mich nicht, als seine Mutter Gefallen an mir fand und mir vorschlug, mit ihr meine Heimat zu verlassen. Auch die Dame gefiel mir wenig; doch ich war in einer Art stumpfer Verzweiflung, einer fieberhaften Unruhe, welche mir jede Hilfe zu einem Segen Gottes machte. Ich ging mit der Baronin Viktorine, und sie behandelte mich etwas besser wie ihre Kammerfrau. Du scheinst den Herrn Leon zu kennen, Friedrich; er ist keine gefährliche Persönlichkeit; ich machte ihn vollständig zu meinem Diener und benutzte ihn, die apathische Tyrannei seiner Mutter so bald als möglich abzuwerfen; mein Weg, der Weg eines armen, schutzlosen Mädchens, ging durch Wildnisse, die viel gefahrvoller waren und mehr Mühen und Sorgen verbargen, als je eine deiner amerikanischen Wüsten, Fritz Wolf. Aber ich sah nach den Sternen, dachte an dich, schürzte mein Gewand und schritt mutig in das Leben hinein, dir nach, Fritz Wolf. Die schmutzigen Wasser mußten meinen Saum beflecken; aber meine Seele und mein Leib sind rein geblieben. Dem Schein des Bösen konnte ich nicht entgehen; aber das Böse selbst durfte mich nicht berühren. Ich bin ich selbst geblieben in allen Verhältnissen, welche meine Laufbahn mit sich brachte. Durch den Baron ward es mir leicht gemacht, mein Glück auf den Brettern zu versuchen; ich gefiel halbwegs; aber ich weiß es recht gut, daß nur mein Äußeres schuld daran hat. Recht einsam und verlassen war ich mitten im Lärm der Welt und dann am traurigsten, wenn ich am ausgelassensten zu sein schien. Sieh, Fritz, ich bin doch ein tapferes Mädchen und habe nicht an meinem Stern gezweifelt, obgleich ich nie eine Nachricht von dir erhielt. Ich habe auch viel Glück gehabt, und es ist mir gut gegangen; ich habe so selten wie möglich geweint, sondern habe immer die Locken aus der Stirn gestrichen, nach den Sternen gesehen und mich nicht von dem abbringen lassen, was gut, recht und ehrlich ist. Gelernt habe ich nach Kräften und dabei gedacht: wenn er kommt, soll er mit mir zufrieden sein, soll er finden, daß ich an Bildung keinem Weibe auf Erden nachstehe. Aber wärst du zurückgekommen, treu und roh, wie du gingst, so würde ich auch Bildung, Wissen und alles das von mir geworfen haben deinetwegen, wie einst die roten Beeren in das Wildwasser. Alles, was mein in mir ist, habe ich nur dir erworben und für dich aufgehoben. Sei ein milder Richter meines Lebens! – Der größte Schmerz ist mir zuteil geworden, als dein Bruder neulich mir nachkam und plötzlich vor mir erschien. Auch ihn täuschte der Schein, auch ihm erschien ich, wie so manchem andern, als eine Verlorene. Er war gar wild und unbändig – ganz wie du, Fritz, in früherer Zeit. Die Begegnung hätte mir fast den Tod gebracht. Der arme Junge! Sein Schicksal hat mir schwer auf der Seele gelastet, obgleich der Baron mich auf seine Ehre versicherte, es sei aufs beste für ihn gesorgt, und er sei nach der Heimat zurückgekehrt. Ich habe dahin an den jetzigen Pastor geschrieben und Geld geschickt, aber noch keine Nachricht erhalten.«

»Gelogen hat der Baron von Poppen«, rief Fritz Wolf. »Der arme Robert ist arg mißhandelt worden; heute erst habe ich erfahren, daß er in dieser Stadt ist und was er dulden mußte.«

»Was ist ihm geschehen, was hat man ihm getan?« rief Eva mit zornflammenden Augen.

»Sie haben den armen Teufel eingesteckt. Ich kann mir ganz und gar vorstellen, wie verloren er gewesen ist in diesem Gewirr. Hab ich doch Ähnliches durchgemacht. Nun scheint er in guten Händen zu sein. O Eva, liebe, liebe Eva, auch er hat den harten Kampf mit dem Leben, den wir gekämpft haben, jetzt begonnen.«

Der Amerikaner faßte die Hand der Jugendfreundin und drückte sie an die heißen Lippen:

»Sei gesegnet für alles, was du mir gesagt hast, sei gesegnet, meine Süße, meine Stolze, du einzige Eva Dornbluth! Ja, du hast den härtesten Kampf gekämpft und den stolzesten Sieg erstritten, und vertauscht sind die Rollen zwischen uns – ich muß mich verteidigen, und du mußt richten, meine Tapfere, Treue, Liebe.«

»Du sagst liebe Eva!« rief das Mädchen, wie außer sich. »Dank Gott, o habe Dank, Fritz! Du willst mir glauben, daß ich deiner noch immer würdig bin? O, Fritz, sag es mir; nimm mich an dein Herz, laß mich nicht mehr allein in der Welt, es ist so schrecklich, allein zu sein. Es ist so schwer, die rechten Sterne zu erkennen, wenn man kein helfendes Herz zur Seite hat. O, Fritz, weshalb hast du mich so lange, lange allein gelassen? Du bist mir viel Liebe schuldig. Sei gesegnet, daß du endlich doch gekommen bist! Ich habe in machtlosem Schweigen und mit lächelndem Munde so viel lauten und verborgenen Hohn und so viele Demütigungen ertragen müssen. O, Fritz, gedenke immer daran, wenn du einmal zornig über mich werden willst. Sei willkommen und gib mir Liebe und Schutz, mein wilder Wolf aus dem Winzelwalde!«

Die kleine Lampe war dem Ausgehen nahe, man konnte also die Tränen in Friedrichs Augen nicht sehen. Stumm hielt er die Geliebte an seiner Brust. Die Sterne Eva Dornbluths hatten doch guten Schein gegeben.


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