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Die politische Komödie

Es war zu erwarten, daß die gewaltigen politischen Durchbrüche und Umwälzungen in der dramatischen Literatur irgendeinen Widerhall finden würden. Je grotesker – in angemessener Distanz gesehen – die Formen waren, unter denen sich 1918 die Novemberrevolution und ihre Folgeerscheinungen abspielten, desto sicherer war vorauszusehen, daß der Dichter an den Zeitgeschehnissen zum Satiriker werden würde. Wenn Klio Thalien einen aktuellen Stoff liefert, ist der Dichter immer der Tertius gaudens. Ging er mit offenen Sinnen durch unsere chaotischen Tage, brauchte er nur den überreich vorhandenen Stoff zu packen und ihn zu formen.

Der Dichter der Revolution mochte sich verschiedene Ziele setzen. Er konnte auf eine rein politisch-ethische Wirkung abzielen: in dem Fall schrieb er ein Drama oder eine Tragödie mit aktivistischer Zielrichtung, sozialistisch, kommunistisch, anarchistisch oder sonstwie eingestellt. (Summa summarum, Wandlung, Beaumarchais und Sonnenfels usw.) Oder er schrieb ein Lustspiel und verspottete harmlos und schonungsvoll seine »Objekte«, nicht in der Absicht, zu bekehren, sondern zu bessern. Nämlich seine eigenen finanziellen Verhältnisse. Er konnte aber auch einen bestimmten politischen Kreis oder eine bestimmte politische Gesinnung empfindlich treffen, indem er sich hinter tausend Masken versteckte, unter deren Schutz er seine Opfer in deutlicher Absicht karikierte; in dem Falle schrieb er politische Komödien (Sternheim, Shaw, Ruederer u. a.).

In einer Zeit, in der das Chaos herrscht, in der alle Begriffe durcheinanderpurzeln, ist es vielleicht nicht deplaziert, von neuem festzustellen, was man unter einer politischen Komödie versteht. Die politische Komödie hat ein komisches und ein satirisches Element. Ist das Publikum selbst Zielscheibe, so ist die Dichtung satirisch; wird das Publikum verschont, so wirkt sie harmlos-komisch. Ein Stück ändert seinen Charakter und seine Tendenz, sobald das Publikum sich ändert, das davorsitzt. Die Stücke des Aristophanes, vor 2000 Jahren politisch-satirisch gemeint, in jeder Zeile auf zeitgenössische Personen, Tagesereignisse oder Lokalgeschichten anspielend, wirken heute in ihren besten Teilen komisch; in ihren antiquierten bleiben sie ohne Kommentar überhaupt unverständlich. Lucian, seinen Zeitgenossen eine öffentliche Geißel, liest sich heute nur noch amüsant und humoristisch. Daß Beaumarchais einst ein blutiger Satiriker war, ahnt der Leser unserer Zeit nicht mehr. Wirken aber die »Ecclesiazusen« des Aristophanes heute noch satirisch, so ist das ein Beweis, daß in Hinsicht der in diesem Fragment geschilderten Dinge das Publikum oder die Zustände trotz der hingegangenen Jahrtausende sich gleichgeblieben sind wie die Quadern der Pyramiden des Cheops. Wird einst der Tag kommen, an dem man Swift ohne Schmerz und Bitterkeit lesen kann, ohne bei jeder Zeile auszurufen: »Wie recht hat doch der Dichter mit allem, was er sagt!«, dann werden der Intellekt und die Moral der Menschheit sich wesentlich verändert haben; dann werden die galligen Satiren Swifts, der »Gulliver« oder das »Märchen von der Tonne« nur noch humoristisch wirken.

Die Komödie hält der Gesellschaft einen Spiegel vor, der immer die gleiche ernste Antwort gibt: Tat twam asi – das bist du! Und wenn der Staub der kämpfenden Welt zuweilen die Reinheit des Spiegels zu trüben scheint, fährt der Geist der Komödie über unser Auge hin und zeigt uns, daß die Trübung an unserem Auge, aber nicht am Spiegel liegt. Das Heilmittel für unser großes Elend liegt in der Komödie. Sie ist eine gute Waffe; die beste vielleicht. Sie ist ein Spreusieb, in dem wir so lange durchgeschüttelt werden, bis die Schalen von uns abspringen! Sie ist nach der Meinung der Sieben Weisen von Griechenland der beste Führer, schnell und mit Verständnis sich im Leben zurechtzufinden; sie ist ein Palliativ gegen Anmaßung, Dünkel, Stumpfsinn, Tartüfferie, Rechthaberei, Verbohrtheit. Sie ist ein Universalmittel, uns zu bilden und abzuschleifen. Indem sie die wesentlichsten Züge, auf die sie hinweisen will, in ein komisches Licht rückt oder karikiert oder konkav oder konvex bespiegelt, übt sie eine ethische Wirkung aus. Sie ist im wesentlichen verneinend; aber hinter ihrer harten Verneinung birgt sich die wärmste Liebe. Der Geist der Komödie zeigt uns die Splitter in den Augen unseres Nachbarn und die Balken in unseren eigenen. Ihm allein ist das Brett sichtbar, das wir alle vor dem Kopfe haben. Er ist ein guter Geist, wenn er uns mit Absicht weh tut. Er schwebt über den Dingen und lacht, lacht wie der erdenferne Buddha, stillvergnügt und unerschütterlich, und wenn er ernst wird, schenkt er denen, die zwischen den Zeilen zu lesen verstehen, einige prägnante Leitsätze, die nur für Empfindliche etwas Verletzendes haben.

Zum Beispiel:

Halte dich nicht für etwas Besonderes; denn du warst vor 2000 Jahren genau so dumm, wie du heute noch bist.

Vergiß nicht, wenn du über meine Gestalten lachst, daß du über dich selbst lachst.

Habe Nachsicht mit deinem Menschenbruder, denn er ist ebenso gemein wie du.

Habe Geduld mit der Jämmerlichkeit der menschlichen Einrichtungen, denn du änderst sie doch nicht.

Von Natur sind die Frauen ebenso eitel wie die Männer und ebenso albern.

Egoist, erschlage dich nicht aus Liebe zu dir selber; laß es andere tun, damit sie wenigstens diese eine Freude an dir erleben.

Lerne bei einer Frau, die du nicht unmittelbar aus dem Ei schälen kannst, auf die seelische Reinheit verzichten.

Ekle dich nicht vor der Gesellschaft, in die ich dich führe; denn du gehörst zu ihr. –

Die politische Komödie muß also, um zu wirken, irgendwelche Übelstände zu treffen suchen, unter denen eine wie immer geartete menschliche Gemeinschaft gegenwärtig leidet, oder sie muß auf aktuelle Vorgänge Bezug nehmen, kurz also, sie muß tendenziös sein. Die Tendenz eines Stückes ist um so wirksamer, je heftiger die Getroffenen aufschreien und protestieren. Dieses Tendenziöse war eben die Ursache, weshalb Stücke solcher Art immer verfolgt und verboten, weshalb die Dichter, Verleger und Drucker bestraft wurden; denn die politische Satire richtete sich naturgemäß stets gegen die Machthaber oder gegen die Allgemeinheit, insofern sie Macht darstellt bzw. ausübt; sie hat also alle oder mindestens gerade diejenigen gegen sich, die das Stück und seinen Autor vernichten können. Es wäre daher ein leichtes (und dankbares), zu zeigen, daß und inwiefern die politische Satire eine Art Hofnarrenersatz ist. Wie der Hofnarr der Einzige war, der dem König alles sagen durfte, was er auf der Lunge und Zunge hatte, und der durch die Verulkung des Königs ihm sein menschliches Gleichgewicht zurückgab, so ist der Dichter der politischen Komödie der Einzige, der in allen Zeiten allgemeiner Verlogenheit und Kopflosigkeit, allgemeinen Verfalls und Umsturzes seiner Mitwelt den Spiegel vorhält. Wodurch hatte denn der Hofnarr eine solche Wirkung? Er konnte in Anspielungen sprechen, die von Dritten beliebig gedeutet werden konnten, die allein der König richtig verstand. Nur wem die Pfeile zugedacht waren, der litt unter ihren Stichen. Denn je eitler der König war, desto empfindlicher war er auch, und das reiche Buch der Erfahrungen sagt, daß Empfindlichkeit selbst einen Dummkopf klug genug macht, um Anspielungen zu verstehen. Je bedeutender der Dichter, je universeller sein Geist und je wuchtiger sein Stil, desto raffinierter, versteckter, anspielungsreicher wird er über die Köpfe derer hinweg, die er lächerlich zu machen oder gar zu vernichten gedenkt, zu seinem eigentlichen Publikum sprechen, um von ihm verstanden zu werden. Es ist wie eine Art Geheimschrift, die der Spießer lesen kann, ohne ein Wort zu verstehen, und deren Sinn nur dem Eingeweihten aufgeht. Hierin bestand vorwiegend Heines große Wirkung als politisch-satirischer Schriftsteller und Dichter (»Deutschland«).

Die Kraft zu töten muß jeder Satire innewohnen. Sie sei offensiv, aggressiv, mephistophelisch, in der Maske der Liebenswürdigkeit boshaft, im Gewande des Scherzhaften ernst. Sie gebe alles dem tödlichen Gelächter preis, was verdient, gestürzt zu werden. Die geschliffenen Messer der Ironie mögen drohend darin aufblitzen. Das Gelächter, das ihre blutigen Witze hervorrufen, überbrülle das Geschrei der tödlich Getroffenen.

Unsere Zeit ist reif für die politische Satire. Denn die Motive unserer politischen Machthaber sind zu durchsichtig geworden, die Träger dieser Macht werden zu gut durchschaut und erkannt, sie verraten sich selbst durch die Reklame und die Mittel, mit denen sie sich inszenieren und wie sie sich durchsetzen. Es imponiert niemandem mehr. Wir haben jeden Respekt verloren und lachen sie aus. Die wichtigsten Institutionen sind wurmstichig; kein Fürst, kein Staatsbeamter bleibt verschont; Könige von Gottes Gnaden werden genau so als Lügner, Schieber, Hasardspieler entlarvt wie die Kriegsgewinnler. Knechte Plutos alle. Sie haben die Komödie der Politik gespielt, und der Spiegel zeigt ihnen nun ihre Politik in der Komödie.

Die politische Dichtung unserer Tage hat nach meinem Gefühl in der Dichtung des Pankrazius Pfauenblau ihren stärksten, wenn auch nicht vollkommenen komischen Ausdruck gefunden; sie heißt »Der Weiberstaat« und gibt sich als eine Nachdichtung der »Ecclesiazusen« des Aristophanes aus, ist jedoch, wie man bei der Lektüre sofort erkennt, eine vollkommen originale Schöpfung, die nur durch die »Ecclesiazusen« angeregt wurde. Der Dichter, dessen Begierde zu verulken übrigens schon bei dem offensichtlichen Pseudonym beginnt, hat zweifellos, als er die fragmentarische Dichtung des Aristophanes las, ausgerufen: »Donnerwetter, das sind ja aufs Haar unsere heutigen Zustände!«, und er hat diese überraschende Parallelität des satirischen Gehalts so stark auf sich wirken lassen, daß ihm die Komödie sozusagen wie von selbst als reife Frucht in den Schoß fiel.

Der Autor des »Weiberstaat« verfolgt seine Opfer mit Nadelstichen und Keulenschlägen, mit Hohngelächter und Witz, mit Geist und Überlegenheit. Zur Zeit der seligen Zensur wäre diese politische Satire unter Brüdern ein paar Jahre Gefängnis wert gewesen. Heute kann man dem tapferen Satiriker nicht einmal den Schwarzen Adlerorden oder das Verdienstkreuz als Belohnung dafür in Aussicht stellen.

Er hat die Keckheit und Gewissenlosigkeit, seiner Komödie das Maß an Verwegenheit und Aktualität zu geben, ohne die die Komödie, die zuletzt nichts anderes als eine andere höhere Form des Kampfes ist, wirkungslos bleibt. Seine Kunst des politischen Pointierens, jene Kunst der Zeitwitze, Kapriolen, Grotesken, Übertreibungen, die, ohne Rücksicht auf die Wirklichkeit und ihre Voraussetzungen, im Geiste des Dichters ein selbständiges Leben führen und die Phantasie des Satirikers befruchten, ist sehr hoch entwickelt. Was er gibt, ist verdichtete Zeitchronik, geballte Historie, die durch ihre Gerafftheit die komische Seite der Geschehnisse offenbart. Alkibiades und Myrtilla, Loxias und Geusistrate, die Hetärengenossenschaft, die kommunistischen Spießer usw., das sind die disjecta comoediae membra. Pfauenblau geht wahrlich ohne jede Spur von Prüderie an sein Thema. Die Wahrheit schreitet in dem Stück nicht pathetisch auf dem Kothurn einher; sie tritt nackt vor uns hin, hat bittere Worte und schwingt die Peitsche des Hohns. Wenn es saftige Rüpelworte hagelt, hält Pfauenblau Aristophanes als Schild und Schutzwehr über sich; aber er bedarf des alten Spötters nicht, der übrigens ebenfalls weidlich verulkt wird. Dieser Pfauenblau ist von Natur selbst saftig und urderb genug, und er schämt sich nie, das Kind beim rechten Namen zu nennen. J'appelle un chat un chat.

Der Vorwurf der Unmoralität, der keinem mutigen Schriftsteller je erspart blieb und der übrigens der letzte und dümmste ist, den man erheben kann, wird auch ihm nicht erspart bleiben. Wenn der Dichter in seinen Schilderungen wahr ist, wenn er Schuftigkeit aufdeckt, wenn er die Gemeinheit und Verlogenheit mit einem Merkmal versieht und die Dummheit der Menge dadurch geißelt, daß er sie einfach naturgetreu abkonterfeit, wenn er die Hure wie eine Hure und nicht wie einen Erzengel reden läßt, so wirft man dem Dichter das Wort »unmoralisch« ins Gesicht. »Unmoralisch« ist aber nur, wer einen Schweinehund nicht einen Schweinehund nennt.

Wer sich einen Dichter nennen durfte, darüber herrschten einstens klare Begriffe. Ehedem war es Gott, der einem Dichter zu sagen gab, was er litt; heute aber, wo wir Gott aus dem Spiele lassen müssen, der, wenn er nicht schon früher, so doch mindestens seit dem Juli 1914, bewiesen hat, daß er nicht existiert – heute ist derjenige ein Dichter, der erstens nichts zu sagen hat und der zweitens dank des »neuen Stils« das Seinige nur so sagen kann, daß der Leser nach einem Gott ruft, um ihm zu klagen, was er leidet.

Der »neue Stil«, er ist, gelinde gesagt, zum Kotzen. Diese -isten schreiben, wie der Pollack verfährt, wenn er sein linkes Ohr zeigen soll. Sie lassen die Artikel weg und die Kommata, pulverisieren die Sätze oder stellen sie auf den Kopf. Der Hund wackelt nicht mit dem Schwanz, sondern der Schwanz mit dem Hund. Von den Gesinnungsgenossen, die dieses Handwerks Betrieb noch nicht so geschickt heraushaben, werden sie die Reformatoren der deutschen Sprache genannt, und wer die Sprache am besten zerhackt oder atomisiert, wird ein Kerl geheißen. Klar, daß diejenigen, die sich nur noch mit der Niederschrift von Gedankenstrichen begnügen, die Obergenies der neuen deutschen »Dichtung« sind. Man schämt sich seiner Anschauung, daß ein Satz Subjekt und Prädikat und vor allem einen Inhalt haben müsse. »Wer« (ich zitiere Balzacs wundervolle Vorrede zur »Menschlichen Komödie«) »vermöge täglicher und nächtlicher Arbeit dahin gelangt, daß er die schwerste Sprache der Welt zu schreiben versteht, wird von ihnen beschimpft.« Wenn aber einer von ihrer traurigen Zunft sich die Hosen vollmacht, behaupten sie kühn, er habe eine Tat vollbracht.

Pfauenblaus Komödie ist altmodisch geschrieben; man versteht, was man liest; man weiß, was der Dichter will und wohin er zielt. Man muß ihm allerdings den Vorwurf machen, daß er den reinen Komödienstil nicht gewahrt und oft Satire mit Ulk verwechselt hat. Sehr zum Schaden der Stileinheit seines Werkes, gesellt sich daher ganz Köstliches zu Trivialem, und die Zeitsatire sinkt zuweilen auf das Niveau der politischen »Revue« herab.

Aber diese Mängel reichen bei weitem nicht hin, um dem Dichter recht zu geben, der sein Werk der Öffentlichkeit entzogen und es also um seine eigentliche Wirkungsmöglichkeit gebracht, ja sogar sie nicht einmal erprobt hat. Das heißt sein Kind töten, ehe es geboren wurde; aber man tötet sein Kind nicht aus Furcht, es könnte vielleicht von der Menge mißverstanden werden. Eine zwingende Notwendigkeit zu dieser Sekretierung bestand nur, wenn anzunehmen war, daß diejenigen Leser oder Zuschauer, auf die es ankam, die Absicht des Autors mißverstehen konnten. Bestand diese Gefahr? Vielleicht. Eine verantwortungslose Vergnügungslust hat die Oberhand bei uns, so daß die vom Dichter beabsichtigte ernste Wirkung auf die breite Masse vielleicht ausgeblieben wäre und das satirisch empfangene, ernst gefühlte und scharf zuhauende Werk nur zur Belustigung derjenigen Volksschichten gedient haben würde, die zu unterhalten bestimmt nicht in der Absicht des Verfassers lag. Aber konnte auch derjenige Leser ihn mißverstehen, dem Gesinnung und tieferer Wille des Autors sich sofort aufdrängen mußten? Man wird einwenden, auf die Besten unter uns brauchte der Dichter nicht erst zu wirken, und sie wollte seine Satire nicht treffen. Richtig; aber dann müßte man konsequenterweise alles, was je in der Absicht und mit der Tendenz geschrieben worden ist, um das Volk »zu bessern und zu bekehren«, ebenfalls als überflüssig verdammen. Wenn ich die einen mit meiner Keule nicht treffen kann und die anderen nicht treffen will – wozu schreibe ich dann überhaupt?

Sonst ist allen Dichtern erwünscht, daß Werk und Publikum am Ende sich kriegen. Erfüllt sich dieser Wunsch, so nennt man das: Erfolg. Das Publikum wird dabei zugleich über- und unterschätzt. Überschätzt, weil man es zum Richter aufruft. Aber das Publikum ist weder ein guter, noch ein gerechter, noch ein schlechter Richter, sondern überhaupt keiner. Ebenso, wie die Mathematik nicht aufhört, ihren Wert zu besitzen, weil die größte Zahl der Menschen sie nicht kapiert, ebenso wird ein Werk dadurch nicht besser oder schlechter, daß das Publikum es ablehnt oder bejubelt. Das Publikum kann und darf aber nie zur ultima ratio gemacht werden. Unterschätzt wird das Publikum, wenn man es völlig kunstfremd oder gar kunstfeindlich betrachtet. Es ist dem Werk gegenüber einfach so wenig objektiv wie der Künstler gegenüber seinem Stoff. Das Publikum (es hilft nichts) ist nun einmal ein integrierender Teil der Kunst, wie der, zu dem man spricht, ein integrierender Teil der Unterhaltung ist, selbst wenn der Angeredete schweigt. Das Publikum ist etwas wie ein Resonanzboden des künstlerischen Instruments; aber diesem Stück Pfauenblaus fehlt der Resonanzboden. Dadurch, daß das Publikum agierend in die Komödie eingreift, selber zum Mitspielen gezwungen wird, ja, wie der Autor will, am liebsten aus eigenem Impuls mitspielen sollte, dadurch, daß das Bild über den natürlichen Rahmen hinausgedrängt wird, die Handlung alle formalen Gesetze sprengt, der Stoff seine Form überquillt, Darsteller und Zuschauer durcheinanderfluten, ist das Publikum als Richter ausgeschaltet und dem Stück der eigentliche Resonanzboden fortgenommen. Was will der Künstler? Wirken. Wie wirkt er? Durch die Reaktion der Aufnehmenden. Das Publikum, das sonst als parteiischer, sektiererischer oder individueller Richter sein Urteil fällt, wird im »Weiberstaat« aber selber zum Mitspieler gemacht. Der Dichter will sagen: Das Theater, das ihr im Guckkasten seht, so bunt und toll es sein mag, es ist noch weit gebändigter als das irre Theater, das ihr selber im Leben draußen spielt. Ein guter Genius begnade euch mit ein wenig Selbstkritik, und ihr erkennt euch alle wieder. Eine Art Parlament entsteht, wo von der Tribüne herab in die Reden der Abgeordneten bestimmend eingegriffen wird. Das Publikum wird also vom Dichter brutalisiert und hat deshalb als Maßstab für den Kunstwert des Werkes keinerlei Bedeutung.

Schließlich ist Pfauenblaus Werk aber nicht nur eine Satire auf unsere gegenwärtigen politischen Zustände. Die Satire erwächst vielmehr auf dem Boden einer Philosophie. Während der Lektüre glaubt man, daß man nur unterhalten worden sei; hinterher aber spürt man, daß man einer Weltanschauung begegnet ist.


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