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II.
Theater


Ach, alles ist Theater!

Voltaire

Dichter, Dramaturg und Direktor

I. Der Dichter, gesehen durch das Temperament des Dramaturgen

Das Genie – ernst gesprochen – ist etwas, was es nicht gibt. Es gibt nur Trottel, die lediglich geboren zu sein scheinen, um dem Dramaturgen dadurch das Leben zu verekeln, daß sie Theaterstücke schreiben, die sie an die Direktion einsenden. Der Dramaturg muß das lesen. Warum muß er? Es gibt keinen kategorischen Imperativ für den Dramaturgen. Denn er weiß im voraus genau, daß kein Mensch so ein Drama schreiben kann, wie er und der Direktor es gerne möchten. Der Dichter, das ist eine Wespenart, die sticht und Galle absondert; im übrigen ein schädliches, tantiemehungriges, ruhmgieriges, theatertolles, neurasthenisches, behextes Tier. Man weiß nicht, wozu Gott es geschaffen hat. Es begeht die unglaublichsten jambischen Schandtaten. Es scheint zur Entwicklung des Normalmenschen zu gehören, daß jeder diese Krankheit durchmachen muß. Die Dichter beherrschen alle Skalen der Grobheit, wenn man ihre Stücke einfach »bedauernd« zurückschickt. Sie wollen liebkost sein, wie junge Kater. Läßt man sich auf Erörterungen ein und schreibt ihnen, warum ihre Stücke nichts taugen, dann ändern sie sie um und schicken sie wieder ein. Schweigt man sich über sie aus, dann glauben sie erst recht an sich, schimpfen auf Gott und die Welt und spielen die Verkannten – und schreiben neue Dramen. Tadelt man sie wirklich, dann wollen sie zeigen, daß sie mehr können – und schreiben neue Dramen. Lobt man sie aus Verzweiflung – oh, dann schreiben sie neue Dramen. Was soll man tun?

Dichter sind Irrsinnige, die leider frei umhergehen und an der Wahnvorstellung leiden, sie müßten die Papierindustrie heben. Heintze und Blankertz und Soennecken und Brandauer und alle anderen Stahlfederfabrikanten hätten längst liquidiert, wenn es keine Dichter gäbe.

Solange man ihre Dramen im Bureau hat, sind es sehr nette Menschen, die liebenswürdigsten und umgänglichsten Menschen, bescheiden wie junge Lämmer, sanftmütig wie Tauben, witzig wie Hofnarren; es fehlt nicht viel, und sie fallen einem gerührt um den Hals und bieten einem das Du an. Darum liegt es im Interesse des Dramaturgen, das Lesen der Dramen so lange hinauszuschieben, als es irgend geht; ein Jahr ist das wenigste. Schickt man aber endlich das Werk in einer Anwandlung verzweifelten Mutes an den Dichter zurück, so verwandeln diese zartbesaiteten Jünger Apollos sich in männliche Furien; sie werden vom Veitstanz befallen und lesen rasch den ganzen Pitaval und Canon Doyle, um herauszukriegen, wie sie den Dramaturgen am bequemsten und raschesten um die Ecke bringen können. Sie jammern laut, daß sie nicht Zeitgenossen Benvenuto Cellinis sind; denn als solche hätten sie den Dramaturgen auf offener Straße ermordet, um ein Beispiel zu statuieren. Darum tut man am klügsten, ihre Werke zurückzuschicken, am selben Tage, an dem man in die Ferien reist. Man sei versichert gegen Feuer, Diebstahl und Einbruch, gegen Unglücksfälle und Vergiftung. Man lasse im Bureau um Gottes willen nicht die Ferienadresse zurück. Gibt man einem Dichter das eingereichte Drama wieder, so heißt das: sich selbst zum Märtyrer machen.

Ah, diese Dichter! Wozu leben sie überhaupt? Welche verfluchte Stadt hat sie ausgeworfen? Diese Quälgeister, die dazu da sind, um dem Dramaturgen das Leben zu verkürzen! Was können sie denn sonst, diese Tintenkulis und Papierfresser? Nichts! Sie können gar nichts. Absolut nichts. Es sind unfähige Schullehrer, relegierte Studenten, durchgefallene Doktoranden, hysterische Gouvernanten, Kannibalen mit verhaltenen antropophagischen Gelüsten, Straßenbahnschaffner, überspannte Polizeispitzel, Schuhmacher, höhere Töchter, Redakteure.

Der Staat baut Krankenhäuser für Epileptiker und Irre und Gefängnisse für Verbrecher. Warum nur für Verbrecher, die gestohlen oder gemordet haben? Warum baut man keine Gummizellen für Dichter, zum Schutz für die Dramaturgen? Hunderttausend Zellen und ebenso viele Zwangsjacken würden schon genügen; jeder Dramaturg würde, wenn ein solch humanes Zuchthaus geschaffen würde, von seinem kargen Solde ein Scherflein beisteuern. Und warum legt man den Dichtern keine Handschellen an? Oder sperrt sie in Blöcke? Oder vergiftet sie langsam und schmerzvoll mit Blausäure oder Rattengift? Fluch den Schulen, wo sie Lesen und Schreiben gelernt haben! Fluch der Natur, die ihnen Hände gegeben hat! Fluch dem Schreibkrampf, wenn er nicht jeden Dichter befällt!

Aber was nützt das alles? Hätten sie keine Hände, so würden sie mit den Füßen schreiben. Man könnte freilich einen Gesetzesparagraphen aufstellen – auf einen mehr oder weniger kommt es doch nicht an –, wonach man allen, die sich zum Dichter entwickeln, Hände und Füße abhacken dürfte. Ah, welch eine Wohltat wäre das! Aber ach, Mozart hat in der Verlegenheit sogar einmal mit der Nase Klavier gespielt. Lavinia in Shakespeares »Titus Andronicus«, der die Hände abgeschnitten sind, nimmt einen Stab zwischen die Zähne und schreibt mit dem Mund in den Sand. Und diese Dichter, oh, sie würden sich schließlich einen Besenstiel in jenen Körperteil stecken, der durch Götz von Berlichingen klassisch geworden ist, und auf diese Weise schreiben.

Wie kommt es, daß sie trotzdem manchmal Erfolg haben? Sie haben eben Glück. Wer hat aber Glück? Nur ein Dummkopf.

II. Der Dramaturg, gesehen durch das Temperament des Dichters

Unter einem Dramaturgen stellt der Dichter sich gewöhnlich einen Menschen vor, der in einem molligen Zimmer sitzt; er hat ein aufgeschlagenes Buch oder ein Manuskript vor sich und tut, als lese er. Aber er blättert nur geräuschvoll hin und her, um Arbeit zu markieren. In Wirklichkeit liest er jedoch gar nichts. Seine Stellung ist die idealste Sinekure, die ihm ein relativ hohes Gehalt einbringt. Im übrigen sitzt er herum, um die Dichter und ihre Agenten zu ärgern. Er kann es, denn er ist satt. Im Grunde genommen ist er im Organismus des Theaters ebenso überflüssig wie der Blinddarm im menschlichen Leibe. Man weiß ebensowenig über ihn auszusagen, wie die Ärzte über die Milz. Er ist ein obligates Überbleibsel, das der Theaterkörper seit Jahrhunderten mit sich herumschleppt; ein literarischer Atavismus, niemanden zur Freude, allen zum Leide. Er ist ein Neidhammel. Er gönnt keinem Anfänger das Leben; denn gewöhnlich dichtet er selber, indem er die eingereichten Stücke um ihre kostbarsten Ideen bestiehlt. Er ist ein Bandwurm, der den Dichtern die besten Kräfte aussaugt; ist ein Schmarotzer, der nie abgeht; eine Hydra, die – totgeschlagen, immer wieder auflebt. Der Dramaturg ist dazu da, um allen Genies ihre ungespielten Stücke zurückzuschicken, und zwar mit begleitenden Briefen, die in der Art jener japanischen abgefaßt sind; so daß das Genie, das die ersten sechs Zeilen eines solchen Briefes gelesen hat, einen Freudensprung tut, weil es glaubt, sein Stück sei endlich angenommen. Das Genie liest nicht zu Ende, sondern rennt den ganzen Tag überall herum, pumpt alle Welt an und erzählt von seinem großen Glück. Und abends, müde vor Glück und Herumlaufen und anständigem Essen (von dem gepumpten Geld!), wirft er sich der Dirne Hoffnung mit ausgebreiteten Armen entgegen und gönnt sich nun erst die Ruhe, den Brief des Dramaturgen zu Ende zu lesen. Der lautet ungefähr so:

 

»Erlauchter Bruder der Sonne und des Mondes!

Siehe Deinen Diener hingestreckt zu Deinen Füßen. Ich küsse die Erde vor Dir und erflehe von Deiner Gnade die Erlaubnis, zu reden und zu leben. Dein geehrtes Manuskript hat die Gnade gehabt, das Licht seines erhabenen Anblicks auf uns auszugießen. Mit Entzücken haben wir es innerhalb der letzten zweiunddreißig Monate durchflogen. Bei den Gebeinen meiner Vorfahren, solches Pathos, solch hohe Gedanken, solch ein prachtvoller Stoff sind mir noch nie vorgekommen! Mit Furcht und Zittern schicke ich es zurück. Wenn ich den Schatz, den Du mir geschickt hast, drucken würde, so könnte die Regierung befehlen, daß das Werk zum Maßstab gemacht werden solle und daß nichts gedruckt werden dürfe, das ihm nicht gleichkomme. Bei meiner Literaturkenntnis weiß ich aber sehr gut, daß es in zehntausend Jahren unmöglich wäre, es Deinem Werke gleichzutun, und deshalb schicke ich es zurück. Ich erflehe hunderttausendmal Deine Verzeihung. Siehe, mein Haupt liegt zu Deinen Füßen. Betrachte es als Deinen Fußteppich. Verfahre nach Belieben mit mir. Deines Dieners Diener:

Der Dramaturg.«

 

Schlußfolgerung des Dichters: Der Dramaturg ist ein Heuchler, ein Schurke, ein Lump, ein Schuft, ein Gauner, ein Halunke, ein Betrüger, ein Hochstapler, ein Strolch, ein Tagedieb, ein Mörder, ein Barbar, ein Flegel, ein Kretin, ein Idiot, ein Imbezille, ein Riesenrhinozeros, ein an Gehirnerweichung leidendes Schaf; er ist ein ganzer zoologischer Garten, ein Injurienlexikon, nur kein Mensch. Er ist vielleicht ein Mensch, sicher aber kein Dramaturg.

Der Direktor ist ein »unschuldsvoller Engel«, von dem bei dem Übermaß seiner Geschäfte nicht verlangt werden kann, daß er alle Dramen lese. Dazu hat er den Dramaturgen (plötzlich hat der Dramaturg irgendeinen Zweck!). Dieser Dramaturg aber ist – wie gesagt – ein notorischer Ochse, ein ausgewachsenes Nilpferd, das von großzügiger Dichtung keine blasse Ahnung hat. Wie konnte er sonst mein Drama nicht weiterempfehlen! Er ist der erste Stein des Anstoßes. Wozu lebt er überhaupt? Welche verfluchten Eltern haben ihn in die Welt gesetzt? Konnte Gott seine Geburt zulassen? Es gibt also keinen Gott. Was war dieser Herr Dramaturg denn früher? Wahrscheinlich Schornsteinfeger, weggejagter Journalist, bankrottierter Eierhändler, talentloser Straßenkehrer, Diurnist bei einem Winkeladvokaten. Wie kommt er aber zur Stellung des Dramaturgen? Er hatte eben Glück. Wer hat aber Glück? Ein Schwein.

III. Der Direktor

Wir haben den Dichter betrachtet, gesehen durch das Temperament des Dramaturgen; dann haben wir den Dramaturgen beschrieben, gesehen durch das Temperament des Dichters. Aber der Direktor? Den sieht man überhaupt nicht. Weder durch ein Temperament, noch durch eine Brille. Er thront. Ist nie zu sprechen. Er war, ist und wird nie sichtbar. Der liebe Gott erschien wenigstens einmal sogar einer Magd. Dafür war es aber auch bloß Gott. Der Direktor erscheint nie. Er ist fromm am Sonntag, krank am Montag, verreist am Dienstag, auf der Probe am Mittwoch, hat Konferenz am Donnerstag, Premiere am Freitag. Am Sonnabend darfst du im ersten Vorzimmer seines Bureaus von zehn bis ein Uhr antichambrieren, während er in süßem Schlummer zu Haus im Bett liegt. Es wird dir eher gelingen, von Harpagon tausend Mark zu leihen, als den Herrn Direktor zu sprechen. Die Wünschelrute versagt vor seiner Tür. Über ihn ist so wenig Gewisses auszusagen wie über das Jenseits. Was macht er in seinem Arbeitszimmer? Man weiß es nicht. Ist er überhaupt im Arbeitszimmer? Man weiß es nicht. Warum heißt sein Zimmer Arbeitszimmer? Man weiß es nicht. Lebt er überhaupt, oder ist er nur eine Legende? Wer weiß es!

Wenn er existiert, dann ist er zweifellos der unbegabteste Kommis, der von Kunst nicht die geringste Ahnung haben kann. Er weiß, was jeder Abc-Schütze weiß, daß Shakespeare ein Dichter war, Goethe, Schiller und allenfalls noch Kleist und Hebbel. Den Strindberg- und Wedekindrummel macht er mit, weil er muß. Er zahlt nicht gern Tantieme, spielt am liebsten freie Stücke; wenn es geht, von Ausländern. Shakespeare, Calderón, Äschylos, Molière – das sind große Nummern, und sie kosten nichts. Lebende Dichter gibt es nicht. Es gibt nur etliche tausend Leutchen, die schreiben Stücke. Mein Gott, ja. Mögen sie weiterschreiben. Sie haben ja indessen Hoffnungen, und die sind auch kostbar. Wie schön preist doch der Dichter die Hoffnung:

»Hoffnung, o du, die du …«

Und so weiter. Es soll Leute geben, die etwas können. Mein Gott, ja. Mögen sie nur was können. Das verschafft ihnen einen gewissen Ruhm bei den Freunden; das ist auch was wert. Wie herrlich besingt doch der Dichter den Ruhm:

»Ruhm, o du, der du …«

Et cetera. Da liegen z. B. zwei Dutzend Karten von Menschen, die ihn heute sprechen wollten. Heute, wo er so viel zu tun hat. Gleich ist Probe, d. h. Anprobe; der Schneider kommt. Dann muß er frühstücken, muß, ärztliche Verordnung! Er ist doch schließlich auch noch ein Mensch. Überhaupt, wozu hat er seine zwölf Dramaturgen, zwei Privatsekretäre, drei Kanzlisten, sechs Administratoren und zwölf Hausdiener? Mögen die nur jene Menschen abfertigen, die sich auszeichnen durch lange Haare, Samtjacken, irrsinnige Krawatten und sehr viel Frechheit.

Stücke, die sein Geheimer Oberdramaturg ihm ganz besonders warm empfiehlt, haben die geringste Aussicht, angenommen zu werden. Stücke, die das Dramaturgenkonsortium nach dreijähriger peinlichster Prüfung zur Aufführung dringend empfiehlt, werden vom Herrn DIREKTOR aufs gewissenhafteste zurückgeschickt. Er nimmt prin–zi–pi–ell nur Stücke, die seiner Frau gefallen, dem Onkel seiner Frau, dem Neffen seiner Frau, seiner eigenen Tante, die er beerben wird, seiner ehemaligen Amme und seinem Töchterchen, das bereits die Fibel lesen kann. Aber solche Stücke schreiben die Lebenden leider nicht. Ein Stück hat Aussicht, angenommen zu werden, wenn darin vorkommen: die Verführung eines Greisen, die Vergewaltigung eines Kindes, drei keilende Zuhälter, ein Oberkellner mit dem Schrei nach dem Kinde und eine volteschlagende Großmutter.

Fällt ein Stück durch, so liegt die Schuld am Dramaturgen und am Dichter; hat es Erfolg, so ist es das Verdienst des Herrn DIREKTORS. Er spekuliert nie auf das Verdienst, sondern nur auf den Verdienst. Es ist zwar nur ein Unterschied im Artikel, aber den Artikel liebt er.


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