Wilhelm von Polenz
Der Grabenhäger
Wilhelm von Polenz

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XXVIII.

Im vorigen Jahre hatte Major von Pantin Langendamm mit einigen hundert Morgen bei der Zuckerfabrik angemeldet. Diese Neuerung brachte für die gesamte Bewirtschaftung des Gutes einschneidende Änderungen mit sich. Brache und Ackerweide mußten eingeschränkt werden, neue Geräte zum tieferen Ackern waren anzuschaffen. Die gesamte Fruchtfolge änderte sich; man 468 mußte auf eine passende Vor- und Nachfrucht für die Rübe bedacht sein. Auch auf den Stall hatte dieser Umsturz seinen Einfluß. Langendamm hatte bei seiner extensiven Kultur bisher nur eine geringe Viehhaltung gehabt. Der Rindviehstand mußte vermehrt werden; denn woher sollte der Dünger kommen, und wohin sollte man mit den Rübenschnitzeln? Soundso viel Haupt Vieh mehr aber verlangten wiederum Vergrößerung der Stallungen. Eine Neuerung folgte so aus der anderen.

Und alle diese Dinge kosteten Geld. Woher nahm Malte, dessen Geldklemme bereits sprichwörtlich geworden war, die Summen zur Bestreitung so kostspieliger Meliorationen? – Sein Kredit war in der Nachbarschaft wenigstens längst erschöpft, zu versilbern gab es nichts mehr. Die Wolle war verpfändet, während sie die Schafe noch auf dem Rücken trugen, der Weizen schon mit Vorschuß belegt, noch ehe er überhaupt ausgesät. Die Pferde in den Koppeln, die Schweine, alles was Langendamm produzierte, gehörte zum geringsten Teile dem eingetragenen Besitzer des Gutes.

Wäre Herr von Pantin ängstlich von Natur gewesen, er hätte kaum noch einen ruhigen Augenblick haben können; aber Verzagtheit lag nicht in seiner Art. Während er diente, war er leidenschaftlicher Spieler gewesen. Er war also an dieses Bergab und Bergauf seiner Lage gewöhnt; einen Tag dicht vor dem Zusammenbruch, den nächsten, wenn er gerade eine »Veine« gehabt, wieder im Überfluß.

Von diesem Leichtsinn seiner Leutnantsjahre hatte er sich bis ins Alter hinein etwas bewahrt. Mochte er am Anfang der Woche nicht wissen, womit er am Lohntage auszahlen sollte, mochten am Zinstermin ihm 469 die Gläubiger mit Pfändung und Subhastation drohen, Malte ließ sich nicht die Pferde scheu machen. Nur kaltes Blut! Er verlor nie die Zuversicht auf Glück und Zufall. Der Silberblick, der ihm im letzten Augenblick noch immer gewinkt hatte, würde schon kommen. Und so war es auch diesmal eingetroffen, gerade noch zur rechten Zeit hatte er den Treffer gemacht, der ihn vor einer sicheren Katastrophe rettete.

Es war die Bekanntschaft mit Kommerzienrat von Katzenberg, die neuen Zug in Herrn von Pantins Finanzen gebracht hatte.

Die verschiedensten, zum Teil wenig schmeichelhaften Vermutungen waren über das Verhältnis Pantin-Katzenberg in der Gegend verbreitet. Malte verhielt sich, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, äußerst schweigsam und zurückhaltend in bezug auf seine Beziehungen zu den Katzenbergs. Soviel aber hatten die wißbegierigen Seelen doch schon herausgefunden, daß der Kommerzienrat eine ziemlich bedeutende Summe auf das hochverschuldete Langendamm gegeben habe. Auffällig war der niedrige Zinsfuß, mit dem die an exponierter Stelle stehende Hypothek eingetragen war. Aber wer wollte beweisen, daß darin eine Erkenntlichkeit liege für Dienste, die Malte seinerzeit dem Kommerzienrat geleistet? –

Für Major von Pantin war das Wichtige erreicht, er hatte bar Geld in die Hand bekommen und konnte sich von den lästigsten Verpflichtungen befreien. Nachdem er dann noch einige Wechselschulden seines Sohnes Ulrich bezahlt hatte, ging er an die dringend notwendige Aufbesserung seines Gutes.

Eine größere Zahl Ochsengespanne wurde angeschafft, ein Zuchtbulle von edler Rasse eingestellt, die 470 Maschinen vermehrt und mit dem Neubau eines Kuhstalles begonnen.

Im März trafen auch Schnitter aus Rußland in Langendamm ein. Bisher war Major von Pantin, da er keinen Rübenbau betrieben, ohne Wanderarbeiter ausgekommen. Unter den Agenten, die sich ihm angeboten, hatte er denjenigen ausgesucht, der ihm die Leute am billigsten zu schaffen versprach. Die Frage: wie er die Fremden unterbringen werde, bereitete Malte geringe Sorgen. Wozu war denn der leere Schuppen da am Dorfteich! –

Die Schnitter zeigten sich jedoch mit dieser Wohnung nicht zufrieden. Sie beschwerten sich, daß es feucht sei, und behaupteten: Wind und Wetter drängen ein, sie frören, und ihre Kleider schimmelten und verstockten in der Nässe.

Es war ja nicht in Abrede zu stellen, daß die alte baufällige Baracke von einem Schuppen Löcher im Dach und Klinzen in der Lehmwand aufwies, und bei Regenwetter mochte ja wohl auch gelegentlich etwas Wasser hereinkommen; aber es war doch immer noch sehr die Frage, ob diese Bande es von ihrer Heimat her besser gewöhnt sei. Und schließlich daran mußten sie sich eben gewöhnen! –

Aufs Parlamentieren mit den Fremden ließ sich Malte gar nicht erst ein. Die Unterhandlungen waren ja auch dadurch erschwert, daß nur der Aufseher ein paar Brocken Deutsch radebrechen konnte. Malte ließ die Gesellschaft also mit ein paar kräftigen Flüchen an, und als sie trotzdem die Dreistigkeit hatten, das Unberechtigte ihrer Forderungen nicht einzusehen, griff er zu und schlug ein paar von ihnen mit den Köpfen zusammen. Das half! Eingeschüchtert zogen sie sich 471 zurück, fanden sich mit slawischem Stoizismus in die Tatsache, daß von diesem Herrn eine Besserung ihrer Lage nicht zu erlangen sei.

Im übrigen hatte Major von Pantin keinen Grund, mit den Fremden unzufrieden zu sein. Diese blaß und schwächlich ausschauenden Frauenzimmer brachten unter Leitung ihres Aufsehers mehr vor sich als seine Tagelöhner. Und wie genügsam waren diese Menschen! Mit der elendesten Nahrung, die ihnen die Aufseherfrau zubereitete, nahmen sie fürlieb. In den kalten Frühjahrsnächten hockten sie beisammen in ihrer Arbeitskleidung, wie ein Haufen Ungeziefer. Früh ein Stück trocken Brot und einen Schluck Branntwein, dann ging es, nach primitiver Wäsche am Dorfteich, hinaus aufs Feld, mit Gesang. Des Sonntags wuschen sie sich dann etwas gründlicher, die Mädchen schmückten sich zum Gottesdienst. An Stelle des Priesters verlas der Vorarbeiter ein lateinisches Gebet, das weder er noch die Leute verstanden. Dazu wurden einige fromme Weisen gesungen. Des Abends war man lustig. Sehr bald hatten sich die jungen Knechte und Hofgänger vom Rittergut mit den fremden Mädchen angefreundet. Die Unterhaltung war zwar schwierig, da man seine Sprache gegenseitig nicht verstand, aber schnell entdeckte man, daß es noch andere Wege der Verständigung gäbe. Der nächste Krug, der von Groß-Podar, sah jeden Sonntagabend diese Jugend auf dem Tanzsaale.

Eine von Major von Pantin nicht vorgesehene Wirkung jedoch hatte die Einführung der fremden Arbeitskräfte mit sich gebracht: seine einheimischen Arbeiter begannen zu murren. Sie verglichen und fanden heraus, daß sie als verheiratete Leute nicht so viel verdienten wie ein solches russisches Frauenzimmer. Die Fremden 472 wurden bevorzugt; das wollten sie sich nicht gefallen lassen! Malte kümmerte sich sehr wenig um ihre Unzufriedenheit, solange sie nur die Faust in der Tasche ballten.

Eines Tages nun trat eine Abordnung der Tagelöhner vor den Dienstherrn, – man hatte dazu die Mutigsten ausersehen, – um ihre Wünsche vorzutragen. Sie wollten gleichen Lohn haben mit den Fremden. Herr von Pantin lachte sie aus. Wie dachten sie sich denn das? Sie hatten ihren fünfundzwanzigsten Scheffel als Lohnkorn, ihre Kate, ihre Wurt, Kartoffeln und Leinland, die Kuh, die Gänse. Von alledem genossen die Fremden nichts. Sie, die Tagelöhner, mußte er den Winter durchfüttern, die Runkelweiber aber gingen im Herbst in ihre Heimat zurück. Sie waren wohl verrückt geworden, da noch von Bevorzugung zu sprechen!

Aber das leuchtete den Leuten nicht ein. Lohnkorn, Kartoffeln und Leinland, Kate, Wurt und alles das kostete dem Herrn ja nichts, meinten sie. Das sei nicht dem baren Gelde gleichzurechnen, das die Fremden in solchen Massen verdienten. Und die brauchten ja auch der Herrschaft nichts als Entgelt zu leisten: keinen Hofgänger halten, keine Besen binden für den Hof, keine Gans abliefern, keine Glucke setzen, keine Eier abgeben. Die Fremden waren alle dieser Abgaben und Pflichten ledig. Wenn Feierabend war, dann brauchten die sich um nichts weiter zu kümmern. Das war nicht gerecht!

Auch noch allerhand andere Beschwerden kamen zum Vorschein; der eine klagte über den baufälligen Zustand seines Katen, ein anderer verlangte, daß seine Frau nicht mehr zum Melken gehen brauche, ein dritter wollte eine andere Kuh eingestellt haben.

473 So ging das durcheinander. Den Leuten war nun einmal die Zunge gelöst. Malte fuhr sie an, belegte sie mit allerhand dem Tierreich entlehnten Namen. Aber sie ließen sich dadurch nicht überzeugen. Bis der Langendammer Herr zu seinem bewährtesten Hilfsmittel griff; er holte die Reitpeitsche herbei und trieb die Unzufriedenen damit aus dem Zimmer.

Äußerlich trat jetzt Ruhe ein; man kam mit seinen Beschwerden nicht mehr vor den Gutsherrn. Aber dafür gab es allerhand Erscheinungen und Vorfälle in der Wirtschaft, die niemand sich zu erklären vermochte. Ein Schlag Sommerweizen, der noch spät gesät worden war, ging nur streifenweise auf. Ein bis dahin völlig gesunder Zugochse erkrankte und stand um. Von den Hofgängern verschwanden eines Tages ein junger Mensch und ein Mädchen auf Nimmerwiedersehen vom Gute.

Malte tobte. Den ganzen Tag war er hinter den Leuten her, rannte durch die Ställe, galoppierte über die Felder, wetternd und schimpfend und die Arbeiter bedrohend.

Aber er konnte nicht überall zu gleicher Zeit sein. Sobald er den Rücken gekehrt hatte, faulenzten die Leute, oder sie machten absichtlich Verkehrtes.

Es war zwischen Gutsherrn und Arbeiterschaft der reine Guerillakrieg ausgebrochen. Am meisten darunter litt natürlich die Wirtschaft.

Malte hatte nie viel Gescheites gehabt von Gutstagelöhnern. Er war berüchtigt: einmal für seinen Jähzorn und dann auch für die knappe Haltung seiner Leute. Nur wem das Messer an der Kehle saß, nahm noch Dienst in Langendamm. An manchen Ziehtagen wechselte er fast seinen gesamten Tagelöhnerstamm. 474 Einen tüchtigen Unterbeamten hatte er sich auch nicht heranzubilden verstanden. Nun rächte sich das: an allen Ecken und Enden begann es mit einem Male zu stocken. Auch im Dorfe besaß er niemanden, der ihn hätte unterstützen können. Einen Pastor gab es nicht; Langendamm war nach Ernsthof eingepfarrt. Eine eigentliche Gemeinde fehlte völlig, da außer dem Herrnhause nur die Gutskaten vorhanden waren; das war das ganze Dorf. Herr von Pantin, der Guts- und Amtsvorsteher war, stellte hier alles in allem vor.

Die Zeit der Heuernte kam heran. Die Langendammer Tagelöhner hatten in früheren Jahren, wenn es nötig, in der Erntezeit bis in die sinkende Nacht hinein gearbeitet. Dies Jahr, als gerade eine große, vom Gutshofe weit abgelegene Wiese gemäht wurde, stellten plötzlich die Leute abends um acht Uhr die Arbeit ein, ließen das letzte Heu, das zum Einfahren völlig trocken war, draußen liegen; und dazu stand eine drohende Wetterwand am Abendhimmel.

Major von Pantin, der beim Abladen im Hofe geblieben war, sah statt der erwarteten letzten Heufuder die Wagen leer und die Leute in geschlossener Kolonne, mit geschulterten Sensen, Harken und Forken, hereinkommen.

Kaum seinen Augen trauend, stellte er die an der Spitze Marschierenden zur Rede. Die kurzangebundene Antwort war: es sei Feierabend. Der Gutsherr schrie sie darauf an: in der Ernte werde gearbeitet, bis man fertig sei. Davon stehe nichts in ihrem Kontrakt, erwiderte einer, die Fremden machten ja auch um acht Uhr Feierabend. Sie, die Tagelöhner, wollten es nicht schlechter haben als die Schnitter, und wenn man ihnen Überstunden zumute, dann verlangen sie 475 in Zukunft doppelten Lohn und Branntweingeld obendrein.

Sofort sollten sie umkehren und das Heu hereinbringen, brüllte, völlig außer Fassung geratend, Malte. Die Leute, die sich in Masse ziemlich sicher fühlten, lachten ihn zur Antwort aus.

Da ergriff Major von Pantin, der sich trotz seines Alters noch außerordentlicher Körperkraft erfreute, den ersten besten, einen jungen Knecht; der wiedersetzte sich. Malte wurde aber mit ihm fertig, schleppte ihn nach dem Herrenhaus, prügelte ihn windelweich und sperrte ihn in einen leerstehenden Kellerraum ein. Eigenhändig legte er dann ein Schloß vor.

Über alledem war die Dunkelheit angebrochen. An Hereinholen des Heues war nicht mehr zu denken. Während der Nacht kam ein starkes Gewitter herauf; der Schaden, den es an dem im Freien gebliebenen Heu anrichtete, war bedeutend.

Am nächsten Morgen war Herrn von Pantins erster Gang, sich davon zu überzeugen, daß der eingesperrte Mann noch in Gewahrsam sei. Aber, siehe da, als er den Keller öffnete, fand er das Nest leer. Der Gefangene war entflohen: dabei waren das Türschloß und die Eisenstäbe vor dem Fenster unversehrt geblieben. Es gab keine andere Erklärung, dem Menschen mußte von außen Hilfe gekommen sein.

In der Leutestube und den Katen, die der Gutsherr nunmehr durchsuchte, war auch keine Spur von dem Entsprungenen zu entdecken. Die Leute, die er fragte, leugneten, irgend etwas zu wissen, blickten aber mit verdächtig schadenfrohen Mienen drein.

Major von Pantin sah, daß er einem Komplott gegenüberstand. Wozu war er denn Amtsvorsteher? 476 Er beschloß, Gendarme zu requirieren. Umgehend ließ er anspannen und fuhr nach der Stadt.

Als er durch Groß-Podar kam, erblickte er dort die Schimmel des Landrats. Auf Befragen des Kutschers erfuhr er, daß der Landrat im Herrenhause sei, wo er die väterlichen Neubauten überwachte. Der Langendammer suchte ihn auf und trug dem jungen Herrn, vor Erregung glühend, sein Erlebnis vor.

John Katzenberg blieb wie immer äußerst kühl. Er erklärte, sofort nach Langendamm kommen zu wollen, um die Geschichte zu untersuchen. Dann ließ er den Telegraph spielen, setzte sich telephonisch mit seinem Bureau in Verbindung, unterrichtete den Amtsanwalt, gab das Signalement des Flüchtigen weiter, setzte dem Burschen mehrere Gendarme auf die Fährte, alarmierte mit Depeschen die angrenzenden Kreise und machte sogar Meldung an das Hafenamt der nächsten Seestadt, um ein Entweichen des Deliquenten zur See zu verhindern. Nachdem er all das im Laufe einer halben Stunde erledigt hatte, begab sich Landrat von Katzenberg mit dem Major nach Langendamm.

John Katzenberg war im Grunde gar nicht unglücklich über den Vorfall. Er war, ehe er in diesen Kreis kam, als Referendar und Assessor im westlichen Kohlenrevier angestellt gewesen, hatte da gerade während der Strikezeit einen erkrankten Landrat kommissarisch vertreten und sich dabei durch Schneid hervorgetan.

In seinem jetzigen Kreise ging es dem jungen Manne eigentlich viel zu ruhig zu. Gelegenheit, Schneid im Amte zu entwickeln, bot sich kaum. Die Landarbeiter dachten nicht an Ausstand und Revolte. Umstürzlerische Vereine, die man hätte auflösen, geheime Verbindungen, denen man hätte nachspüren können, gab es hier nicht. 477 Irgendeine verdächtige Propaganda, über die man aufsehenerregende Geheimberichte an die Regierung hätte einliefern mögen, war nicht zu entdecken. Das Leben ging hier auf den großen Gütern seinen altgewohnt ruhigen Gang, leicht zu überblicken und zu regieren; zu leicht fast für den strebsamen jungen Landrat, der sich die Sporen verdienen wollte.

Hier war nun, wie es schien, doch mal was Sensationelles festzustellen.

Auflehnung gegen die Ortspolizeibehörde, Befreiung eines Inhaftierten aus amtlichem Gewahrsam. Da mußte ein Exempel statuiert werden! –

Als man in Langendamm eingetroffen war, besichtigte man zunächst den Ort der Tat und begab sich dann in ein Zimmer, das sich Major von Pantin zur Erledigung seiner Amtsvorstehergeschäfte zu ebener Erde eingerichtet hatte. Nun ging es an ein Vernehmen der Gutstagelöhner.

Landrat von Katzenberg saß da wie ein Untersuchungsrichter; er ließ nach und nach das ganze Dorf zur Zeugenvernehmung antreten und füllte Protokoll auf Protokoll.

Es war dem jungen Manne ein Hochgenuß, dem bewundernd dabeisitzenden Malte einmal zu zeigen, was er konnte. Durch geschicktes Kreuzverhör und Vergleichen der Aussagen brachte der Landrat bald heraus, was er wissen wollte. Die Tagelöhner und Knechte hatten sich zusammengetan, ihren Genossen aus dem Keller zu befreien. Vom Gutsschmied war der Dietrich zum Öffnen des Schlosses geliefert worden. So war der Ausbruch des Burschen auf die allereinfachste Weise gelungen.

Inzwischen wurde auch der Entwichene von ein 478 paar Gendarmen eingeliefert. Er war nicht weit gekommen.

Bei dieser Gelegenheit kamen auch noch andere Dinge ans Tageslicht: Der Sommerweizen war nicht durch Zufall so mangelhaft aufgegangen, und dem Zugochsen, der umgestanden, hatte jemand einen Nagel ins Futter gelegt.

John Katzenberg rieb sich die Hände; das war ja eine richtige Verschwörung, die er hier aufgedeckt. Er hatte dem Staatsanwalt da tüchtig vorgearbeitet.

Major von Pantin war eigentlich aus dem Regen in die Traufe gekommen; denn nun wurde ihm mitten in der arbeitreichsten Periode des Jahres, wo man jede Hand notwendig hatte, eine Anzahl seiner Leute in Untersuchungshaft genommen. Bei den Anstiftern war eine längere Freiheitsstrafe wahrscheinlich.

Da hieß es, sich schleunigst mit neuen Kräften versorgen, sollte nicht in der Wirtschaft völliger Stillstand eintreten; aber woher? – Aus der Gegend selbst war niemand zu haben, denn es herrschte allerwärts Leutemangel. Die Zeit zum Bestellen von Wanderarbeitern war längst vorüber. Es blieb also nur noch als einzige Möglichkeit, sich an einen Gesindemakler in der Kreisstadt zu wenden. Aber auch diesen Gedanken verwarf Herr von Pantin, denn er wußte aus Erfahrung, wie hohe Prozente diese Art nahm. Schließlich beschloß er, es einmal mit einem Berliner Vermittlungsbureau zu versuchen, das seinem Prospekte nach billig zu sein schien.

Er schrieb dem Bureau also seine Wünsche. Das Bureau erwiderte umgehend, die gesuchten Arbeitskräfte seien in »prima Qualität« zu haben und könnten gegen 479 Einsendung des Reisegeldes und der Spesen »per sofort angeliefert« werden.

Telegraphisch wurde ihm sodann der Abgang des Transports von Berlin aus angezeigt. Er schickte einen Leiterwagen auf die Bahn, um die neuen Leute samt ihren Sachen abzuholen.

Mit Ungeduld wartete Major von Pantin auf ihre Ankunft. Eine eigenartige Gesellschaft war es, die in Langendamm landete. Der Gutsherr riß verwunderte Augen auf, als er unter den verschiedenartigen Kopfbedeckungen, welche die Männer aufwiesen: Ballonmützen und Strohhüte, auch einen Zylinderhut entdeckte. Einer trug einen alten Frack und an den Füßen helle Gamaschen. Neben dem Befrackten saß ein Frauenzimmer in ein schottisches Tuch gewickelt, mit Ponyfranze und niedergetretenen Halbschuhen.

Das also war die »prima Qualität«, die das Vermittlungsbureau angepriesen hatte. Herr von Pantin empfand große Lust, die Gesellschaft gar nicht erst aussteigen zu lassen. Aber da hätte man zum mindesten das bereits gezahlte Reisegeld eingebüßt.

Er ließ sich zunächst einmal die Papiere der Leute vorlegen. Verschiedene hatten überhaupt nichts derart bei sich. Der Bursche mit dem Zylinder rühmte sich, Schauspieler zu sein von Beruf. Der mit dem Frack war Kellner gewesen und gegenwärtig außer Kondition; das Frauenzimmer im schottischen Schal sei seine Frau, gab er an.

Nur einige wenige waren von Beruf wirkliche Landarbeiter. Günstig, durch etwas ordentlichere Erscheinung, fiel ein Paar auf: er hager und bärtig, mit arbeitgewohnten Fäusten; sie eine zarte, blasse, nicht ohne eine gewisse Sorgfalt gekleidete Frau. Wie das 480 Arbeitsbuch des Mannes auswies, stammte er aus der nächsten Nachbarschaft, aus Grabenhagen, war gelernter Schmied, zuletzt als Fabrikarbeiter in Berlin tätig, dann arbeitslos geworden, noch unbestraft.

Fritz Wurten – denn er war es – hatte sich schon auf der Reise durch natürliches Übergewicht zum Oberhaupt dieser buntzusammengewürfelten Gesellschaft gemacht. Er war der Wortführer auch hier dem Gutsherrn gegenüber.

Major von Pantin hatte in seinem Ärger geäußert: Solches »Lausepack« habe er sich nicht bestellt, er sei betrogen worden mit ihnen.

Darauf erwiderte Wurten: er glaube vielmehr, daß sie, die Arbeiter, die Betrogenen seien.

Der Gutsherr fuhr ihn an, er solle gefälligst schweigen. Sie wären hier nicht in Berlin, wo jeder Lümmel das Maul aufreißen dürfe, so weit er wolle. Hierzulande würde pariert, sonst flögen sie ins Loch.

Wurten erklärte: er kenne die Sitten, die hier draußen herrschten, leider aus Erfahrung; aber so weit sei es doch wohl noch nicht, daß sie sich gefallen lassen müßten, sofort als »Lausepack« begrüßt zu werden. Er müsse sich anständige Behandlung ausbitten.

Major von Pantin sah sich den kecken Sprecher etwas genauer an. Er blickte in das finstere Gesicht eines offenbar resoluten Menschen. – Wenn es ihm hier nicht passe, möge er nur gefälligst mit der ganzen Rotte nach Berlin zurückkehren, sagte der Gutsherr, denn er sehe nun schon, zu welcher Farbe sie gehörten.

Wenn Herr von Pantin ihnen Auslösung für ihren Zeitverlust gäbe und das Geld zur Rückreise, dann seien sie bereit, wieder zu gehen. Wenn nicht, dann bestünden sie auf ihren Kontrakt.

481 Der Gutsherr hätte solchen Reden nur zu gern in der sonst bei ihm üblichen Weise: mit der Reitpeitsche, ein Ende gemacht; aber er konnte das hier einfach nicht riskieren. Er war ja auf diese Leute angewiesen. Spannten die ihm aus, dann konnte er Stall und Feld allein besorgen.

Am nächsten Morgen, als die neuen Arbeiter antraten, stellte sich bei einigen völlige Untauglichkeit zur Arbeit heraus. Sie faßten alles verkehrt an und verdarben mehr als sie gut machten.

Der Schauspieler war ein mehrfach vorbestraftes Subjekt, der gewesene Kellner hatte auch schon wegen Arbeitsscheu und Vagabondage mit der Polizei Bekanntschaft gemacht, und seine angebliche Gattin stellte sich als eine Person heraus, die unter sittenpolizeilicher Kontrolle stand. Es war daher die Möglichkeit gegeben, sich dieser allerübelsten Subjekte zu entledigen, indem man sie der Behörde überwies.

Mit den anderen mußte man sich eben einrichten, so gut es gehen wollte. Der Brauchbarste von dem ganzen Trupp blieb immer noch Wurten.

Es traf sich besonders günstig, daß Wurten das Schmiedehandwerk verstand. Der bisherige Gutsschmied befand sich in Haft; er hatte ja bei der Befreiung des eingesperrten Knechtes Beihilfe geleistet. Der Gutsherr mußte also froh sein, auf diese Weise Ersatz für den wichtigen Posten eines Schmieds zu gewinnen, obgleich die selbstbewußte Art dieses Mannes durchaus nicht nach seinem Geschmacke war.

Ein unangenehmer, vorlauter Bursche, der Wurten! Seiner politischen Gesinnung war nicht zu trauen. Aber der Kerl verstand seinen Kram, das sah Herr 482 von Pantin bei dem ersten Gaul, den er von ihm beschlagen ließ.

* * *

An einem regnerischen Tage kam der Pröklitzer auf den Grabenhäger Hof geritten.

Kriebow hatte, da man sich bei so nasser Witterung nicht auf den Acker wagen konnte, die Knechte und Tagelöhner auf dem Hofe behalten, wo sie die Ställe gründlich reinigen sollten.

»Sie haben großes ›Utmessen‹, recht so! Ich lasse Erdhaufen umstechen,« rief Merten. »An einem Tage wie diesem, trifft man den Landwirt am sichersten zu Haus an. Deshalb habe ich mir gedacht: ich wollte Ihnen mal meinen Besuch machen, Herr von Kriebow!«

Der ließ ihm das Pferd abnehmen und wollte den Nachbar ins Haus nötigen; aber Merten wehrte ab. »Das hier interessiert mich doch noch mehr!« meinte er und wies lachend auf den Düngerhaufen.

Der Mist wurde gerade aus dem Kuhstalle, dessen sämtliche Türen weit aufstanden, herausgeschafft; je zwei Männer trugen eine gefüllte Bahre, die sie auf dem Haufen umkippten, andere wieder in hohen Kniestiefeln warfen den Mist breit und traten ihn fest.

Nachdem man hier eine Weile zugeschaut, mit jenem Hochgenuß, den nur der echte Landwirt einem solchen Vorgange gegenüber zu empfinden vermag, ging man durch die Ställe.

Der Grabenhäger beobachtete voller Spannung Mertens Mienen; es war dem jungen Gutsherrn keineswegs gleichgültig, welchen Eindruck dieser gewiegte Kenner von seinem Viehstande empfange.

Merten war sparsam mit Bemerkungen, und Kriebow wiederum gewährte es Genugtuung, zu zeigen, daß er 483 in seinem Stalle zu Hause sei. Er erklärte Abstammung, Alter und Eigenschaften der verschiedenen Tiere; von einzelnen Kühen wußte er, wieviel Milchertrag sie täglich gaben, ob sie altmelk seien, ob sie kürzlich gekalbt hätten. Der Pröklitzer schenkte den grünen Kenntnissen seines jungen Kollegen wohlwollend Gehör.

Vom Schafstalle aus, den sie ebenfalls aufgesucht hatten, mußte man an einer Anzahl alter, etwas abseits gelegener Katen vorbei. Zum ersten Male in seinem Leben sah Kriebow mit Bewußtsein, wie baufällig diese Wohnungen waren, als er jetzt in Mertens Gesellschaft hier entlang schritt. Wie peinlich! Gerade die schlechtesten Katen lagen hier. Daß er daran nicht gedacht hatte! –

»Das sind meine ältesten Arbeiterwohnungen, Herr Merten!« sagte er. »Überbleibsel von früher. Mit der Zeit sollen sie abgetragen werden. Wollen Sie einmal mit mir dort hinüber kommen, da sind einige neue, die besser vor Ihrem Auge bestehen werden.«

Damit schritten sie über die Dorfstraße hinweg auf eine Reihe ziegelgedeckter Katen zu. Hier hatte vor einem Jahrzehnt eine Feuersbrunst einige Arbeiterwohnungen eingeäschert; Erichs Vater hatte sich dadurch genötigt gesehen, neue aufzurichten. In je einer Kate wohnten hier zwei Familien, nicht wie in den älteren deren vier. Der Gutsherr wagte es, den Gast zum Besehen einer dieser Wohnungen aufzufordern; freilich, daß sie mit denen in Pröklitz nicht zu vergleichen seien, wisse er sehr wohl.

Man trat in die nächste Kate. Die Männer waren beim Misten, aber die Frauen fand man zu Haus. Merten sah sich in den Zimmern um und nickte: »Die Leute sind ordentlich; das sieht man.«

484 Am Boden lag ein bedrucktes Blatt, wie es schien, altes Zeitungspapier. Merten bückte sich, hob das Blatt auf, warf einen Blick hinein, lächelte und steckte es zu sich. Kriebow sah das und wunderte sich im stillen. Dieser Mensch hatte doch sonderbare Einfälle! –

Als sie im Freien waren, fragte Merten: »Wie ist eigentlich die politische Gesinnung Ihrer Arbeiter, Herr von Kriebow?«

Der Grabenhäger erklärte in zuversichtlichem Tone: seine Leute seien sämtlich »stramme Konservative«.

»Sind Sie dessen so ganz sicher? meinte der Pröklitzer.

»Die Kerls werden gar nicht erst gefragt!« rief Kriebow. »Von altersher ist das so gewesen. Man hört und sieht hier von Politik nichts außer den Wahlzeiten. Wir haben keine Agitation, Gott sei Dank!«

»So, und was nennen Sie denn dies hier?« fragte Merten, das Blatt, das er vorher eingesteckt hatte, hervorziehend. Mit verschmitzter Miene hielt er es dem Grabenhäger hin.

»Was haben Sie denn da?«

»Ein Flugblatt. Die Überschrift lautet: ›Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!‹«

»Zeigen Sie mal, bitte, her!« sagte Kriebow, nichts Gutes vermutend. Er las:

»Es ist ein allbekanntes Wort: ›Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!‹ Wenn es nur Geltung hätte!

Wer bestellt denn im Schweiße seines Angesichts das Land? Wer pflügt, eggt und gräbt? Wer mäht das Getreide, bindet und fährt es ein und drischt es aus? Kurz, wer hat alle Mühe und Last? – Der Tagelöhner.

Demnach ist der Tagelöhner wohl auch der Mann, 485 der allen Nutzen davon hat, der das Gold einstreicht für seiner Hände Arbeit? Denn es steht ja schon in der Bibel: ›Ein Arbeiter ist seines Lohnes wert‹, und es wird euch ja immer gepredigt, das, was in der Bibel steht, sei eitel Wahrheit. – Also lebt ihr wohl im Überfluß? Habt alles in Hülle und Fülle? Ihr Tagelöhner, ihr Hofgänger und Knechte auf dem Lande! Das Korn wächst euch ja in den Mund hinein, die Kartoffeln und Rüben, die ihr bestellt, sind alle euer, ihr habt gewiß einen ganzen Stall voll Pferden, Rindvieh, Schweinen und Schafen. Wie beneidenswert, ihr glücklichen Leute, muß doch euer Los sein! Euch geht nichts ab! Euer Tisch ist immer gedeckt! Ihr lebt wie der liebe Gott in Frankreich! Nicht wahr, so ist es doch? –

Oder wäre es am Ende doch anders? Gibt's da nicht eine Menschenklasse über euch, die euch das Leben sauer macht? ach, und wie sauer! – die euch die Welt zur Hölle machen! die euch knechten und schuriegeln! die euch das Blut aus den Adern, das Mark aus den Knochen saugen! Herren, die euch verkommen lassen in elenden Löchern, die keinen Finger rühren, wenn ihr krank seid, die nur lachen, wenn ihr zugrunde geht, mit samt euren Frauen und Kindern.

Und wie heißt denn diese Menschenklasse? Ihr kennt sie alle nur zu gut! Das sind die Rittergutsbesitzer, die »Edlen«, die Junker mit ihren Inspektoren und Pächtern, eure Herren! –

Wie steht es denn dann also mit der Wahrheit des Wortes: ›Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen?‹ – Habt ihr schon einmal einen Gutsherrn hinter dem Pfluge hergehen sehen? Pflegen die Grafen und Barone das Feld umzugraben, den Mist auszufahren und das 486 Getreide zu mähen? Und was tuen denn die Herren Inspektoren? Schimpfen können sie und fluchen, daß es einen Stein erbarmen möchte, die Reitpeitsche verstehen sie zu handhaben, und eure Frauen und Töchter wissen ein Lied zu singen von ihrer Zudringlichkeit.

Leute, überlegt mal! Ist da Gerechtigkeit drin? Da sind welche, die tuen gar nichts, leben wie die Drohnen im Bienenstock, lassen sich füttern, prassen auf anderer Leute Kosten und wollen dabei platzen vor Übermut. Und ihr rackert euch ab, schindet und plagt euch Jahr aus, Jahr ein, bestellt die Felder für eure Tyrannen als rechte Fronknechte, als lebten wir noch immer im Mittelalter.

Leute, denkt nach! Sinnt mal recht genau darüber, was das Wort: ›Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen‹, im Grunde für eine Bedeutung hat.«

Erich von Kriebow war während des Lesens blaß geworden. Unwillkürlich war ihm eingefallen, was ihm Graf Wieten im letzten Winter im Klub gesagt hatte über eine gewisse Agitation auf dem Lande. Das hatte er damals nicht ernst genommen und den Grafen für einen Schwarzseher gehalten. Und nun hielt er hier den Beweis in Händen, daß das Unheil bereits im Gange war.

»Was wollen Sie tun, Herr von Kriebow?« fragte Merten, die finstere Miene des jungen Herrn bemerkend.

»Ich werde Verhör anstellen!« rief Kriebow. »Bei Pagelows haben sie den Wisch gefunden! Ich hielt gerade auf den Pagelow große Stücke, dachte, er wäre ein ordentlicher Kerl. So raffiniert ist die Gesellschaft und so undankbar! Jedenfalls ist er nicht der einzige. Ich werde das Komplott schon ans Tageslicht bringen.«

487 »Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Herr von Kriebow,« fiel Merten ein, »nehmen Sie die Sache nicht allzu schwer. Das Blatt kann sich durch Zufall hierher verflogen haben.«

»Nein, nein!« rief der Grabenhäger. »Das stimmt mit anderem überein, was ich in der letzten Zeit erfahren habe. Ich werde mir diesen Pagelow kaufen! Ich bitte Sie, dabei zu sein. Wir werden ja gleich sehen!«

Man ging wieder dem Wirtschaftshofe zu; die Glocke hatte eben zu Mittag geläutet, die Leute stellten die Arbeit ein.

»Unsere Leute sind viel zu verständig im Grunde,« sagte Merten, »als daß ihnen solcher Unsinn etwas anhaben könnte.«

»So etwas dulde ich nun mal nicht!« erwiderte Kriebow voll echter Entrüstung, »das ist ja die reine Infamie! Man muß solches Unkraut ausrotten, ehe es Wurzel treibt.«

»Pagelow soll zu mir aufs Zimmer kommen!« sagte Kriebow zum Statthalter. Der fragte, ob sich Pagelow nicht vorher umziehen solle. »Er kommt, wie er ist, und das sofort!« rief der Gutsherr.

Auf seinem Zimmer angekommen, forderte der Hausherr den Nachbar auf, sich zu setzen. Der Tagelöhner, der hinter ihnen drein geschritten war, blieb an der Tür stehen.

Pagelow war ein mittelgroßer, untersetzter Mann in den Dreißigern, von lebhafter Gesichtsfarbe, mit großen treuherzigen Augen.

Hier blickte er etwas verdutzt drein; das war ihm noch nicht passiert, vom Misthaufen weg in die Stube des Herrn gerufen zu werden. In seinen Zügen malte sich eine gewisse Neugier: was würde wohl nun kommen?

488 Erich von Kriebow ging ein paarmal im Zimmer auf und ab. Er überlegte, wie er es am besten anfangen solle, den Burschen zu entlarven.

»Sag' er mir mal ganz offen, Pagelow!« fing er nach einer Weile an, »was liest er für Zeitungen?«

»Tidungen! Dor heff ick gor keen Tid nich tau.«

»Dann vielleicht Bücher, oder Flugblätter, oder andere gedruckte Sachen.«

»In mien Hand kümmt all mien Dag nich wat Drucktes. De Olsch' deit in de Bibel un in dat Gesangbauk lesen. Dat 's allens, wat wi Drucktes hebben un wat de Gören von'n Schaulmester kriegen. Ik sülfft les all mien Dag niks. Ik heff dor öwerall keen Tid nich to.«

Kriebow blickte Merten, der von seinem Sitz aus, bequem zurückgelehnt, dem Verhör mit Behagen folgte, bedeutungsvoll an, als wollte er sagen: Siehst du, jetzt haben wir ihn schon bei der ersten Lüge ertappt.

»Hm Pagelow, – und er politisiert also nicht, er treibt keine Agitation mit Flugblättern – wie?«

Der Tagelöhner blickte bei dieser Frage mit offenem Munde seinen Herrn unverständig an.

»Er ist ein Unzufriedener, Pagelow! Ich weiß es längst. Wir Grundbesitzer sind Räuber und Diebe, nicht wahr? ›Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!‹ nicht wahr? Er ist unzufrieden mit seinem Lohne, seiner Wohnung, mit allem. Ihr habt nichts zu essen, euer Herr läßt euch verhungern. – Sprich dich nur aus, hier ist die Gelegenheit dazu!«

Pagelow überlegte, dann sagte er mit Bedacht: »Ja, wenn ik nu doch grad fragt warr, denn möt ik seggen, dat mien Fru girn 'n tweetes Swin upstellen mücht. Dat wier wat wie tau bidden hadden; süss 489 hebben wi ja woll allens, wat uns taukümmt, Herr von Kriebow!«

Der junge Gutsherr hielt das für eitel Finten. Hatte man je einen größeren Heuchler gesehen!

»So! und was ist denn dies hier?« Damit zog Kriebow das Flugblatt hervor und hielt es dem Tagelöhner vors Gesicht.

Der nahm das Blatt, entfaltete und betrachtete es eine Weile, wie etwas Fremdes, dann schien eine Erinnerung in ihm zu dämmern.

»Kennen Sie das, Pagelow?«

Jawohl, er kannte es.

»Wie kommt er dazu? In seiner Wohnung ist das gefunden worden.«

»Dor heff ik en Paket van hat, tu Hus!« erklärte der Mann, anscheinend mit größter Seelenruhe.

»Ein ganzes Paket! Sehen Sie mal an!« rief Kriebow mit einem triumphierenden Blicke nach Merten hin. –

»Ja 't mägen dor woll 'n Hundert van, ook mihrer west sien.«

»Und was hast du damit gemacht, he! Sag die Wahrheit! Natürlich verteilt? –«

»Irst heff ik 'n beten tau lesen anfangen, öwers dunn würd mi dat Tügs doch tau krus. To'n verbrennen wier mi dat to schad, dat schönen Poppir! Lüd Kinder heff ik sedd, dat kümmt uns grod tau paß! Dor kännen wi 'ne ganze Tid uns Bodderbrod in inwickeln; un ook süss wadd ja Poppir sihr nödig bruckt in'n Hus . . . . .«

Hier unterbrach ihn helles Gelächter, das von Merten kam. »Das ist ja großartig,« rief der Pröklitzer. »Da hat das Flugblatt allerdings die ihm 490 gebührende Verwendung gefunden. In aller Unschuld haben die guten Leute das einzig Richtige damit getan!«

Für Kriebow lag die Grundlosigkeit des Verdachtes nun auch klar zutage. Er war ein wenig verlegen; vor allem fühlte er sich Merten gegenüber blamiert.

Der Pröklitzer war in bester Laune; wieder hatte er dem jungen Nachbar gegenüber einen Triumph gefeiert mit seiner Erfahrung und nüchternen Beobachtung. »Ich gratuliere Ihnen, Herr von Kriebow, zu solchem Manne!« sagte er. »Da brauchen Sie keine Sorge zu haben, die Art wird sich nicht verführen lassen.«

Der Tagelöhner, der noch immer nicht recht verstand, was dies bedeuten solle, dem aber eins klar war, daß über all dem Gerede zu Haus sein Essen kalt werde, meinte: »Na, denn kann ik nu woll all wedder gahn!«

»Ja, du kannst gehen, Pagelow! Richtig, noch eins! – Wie war denn das mit dem Schwein? Ihr wünscht ein zweites Schwein aufzustellen – wenn ich dich vorhin richtig verstanden habe – nicht wahr?«

Pagelow erwiderte, sie hätten schon ihr Kalb und ihr Schwein und ihre Glucken in dem Verschlag hinter ihrem Katen und könnten weiter nichts verlangen; aber Herr von Kriebow wisse ja, die Frauen hätten immer ihre besonderen Gedanken. Und so läge ihm die seine in den Ohren, sie möchte noch ein paar Bretter angebaut haben für ein Schwein. Wenn's nicht unverschämt sei, bitte er darum; wenn's aber nicht sein könne, dann würden sie sich auch darein finden.

»Natürlich – natürlich! Ihr sollt das Schwein haben!« sagte der Gutsherr.

»Na, denn bedank ik mi ook veelmals, Herr von Kriebow!«

491 »Und hört er, Pagelow, die Milch sollt ihr auch umsonst bekommen für das zweite Schwein.«

»Ne, sovel kann ik jo nich verlangen. – Dat 's doch woll mihr as uns tokümmt.«

»Nein, laß nur! Es bleibt dabei. Die Milch sollt ihr frei haben.«

»Na, denn schön Dank ook, Herr von Kriebow!« Damit reichte er dem Gutsherrn die Hand und schob seine vierschrötige Gestalt zur Tür hinaus.

Der Pröklitzer rieb sich vergnügt die Hände. Das war wiedermal Wasser auf seine Mühle. »Ja, unsere Leute!« rief er. »Die haben Herz und Kopf auf dem rechten Flecke! Wo die Art nicht künstlich verdorben worden ist, da ist es das beste Gewächs, das Gott auf seiner Erde hat wachsen lassen. Gutherzig, treu und ohne Arg, wie die Lämmer! Freilich, darin liegt auch die Verantwortung für unsereinen, was wir mit ihnen anstellen.« –

Merten wollte nun gehen und bat um sein Pferd. Aber Kriebow ließ ihn nicht fort, er müsse zu Tisch bleiben. Der Pröklitzer meinte, er sei ein Bär von Natur; sich feinere Manieren anzueignen, habe er niemals Zeit und Gelegenheit gehabt, und die gnädige Frau werde in dieser Beziehung jedenfalls verwöhnt sein.

Der Grabenhäger lachte ihn aus wegen dieser Sorge. Er würde die schwersten Vorwürfe bekommen von seiner Frau, sagte er, wenn er einen Nachbar um diese Tageszeit ohne Mittagbrot fortlasse.

Dann nahm er Merten unter den Arm und führte ihn zu Klara hinüber. Nachdem er den Gast mit seiner Frau bekannt gemacht hatte, ging der Hausherr, eine Flasche Rheinwein herauszugeben und Kruke zu sagen, daß er ein Gedeck einschieben solle.

492 Als er in den Salon seiner Frau zurückkam, fand er die beiden in der lebhaftesten Unterhaltung, wie er vorausgesehen. Es belustigte Kriebow, wie der Pröklitzer durch Klaras Liebenswürdigkeit mit einem Schlage ein ganz anderer geworden war. Keine Spur vom »Bären« mehr; er kam sogar mit einer altväterischen Galanterie heraus, die ihm gar nicht schlecht zu Gesicht stand.

Der Hausherr brauchte sich nicht um die Unterhaltung zu kümmern; dem alten Junggesellen, elektrisiert durch die Gegenwart der jungen Frau, war auf einmal die Zunge gelöst und das Herz aufgegangen. Er sprach ausschließlich zu Klara, und Kriebow hielt es nicht für nötig, eifersüchtig zu werden, obgleich es ihm nicht entging, daß auch Klärchen Wohlgefallen an Merten zu finden schien.

 


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