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Der Spätherbst war nun da. Die Körnerfrüchte waren sämtlich eingebracht. Der Acker lag als Stürze oder Brache. Der betriebsame Landwirt hatte sein Teil bereits für das kommende Jahr bestellt. Nun konnte das Parforcereiten beginnen. Nur frische Saat, Zuckerrüben, soweit sie noch im Felde, Raps und Kleebrache waren zu schonen, das übrige war von den Grundbesitzern, die zum größten Teile dem Hetzklub angehörten, für den Sport freigegeben worden.
Der Klub hatte seinen Sitz in der Kreis- und Garnisonsstadt. Drei Kavallerieregimenter der Gegend hatten sich zusammengetan zum Halten der Meute; der Brigadekommandeur war Master. Die Meute hatte man auf einem Rittergutsvorwerk untergebracht, wo sie von einem Hundsman, Engländer von Geburt, abgeführt wurde.
Man ritt eigentlich nur im Herbst hinter den Hunden, da die wachsende Kultur des Landes, vor allem der Zuckerrübenbau, das Jagdgelände immer mehr einengte und die Flurschäden ins Unerschwingliche wachsen ließ.
Langendamm mit seinen ausgedehnten Brachen und Koppeln bildete einen beliebten Tummelplatz für die 119 Rotröcke. Major von Pantin war einer der eifrigsten Förderer der Hetzjagd. Bei Malte gingen hierbei sportliche und geschäftliche Interessen Hand in Hand. Bei der Jagd brachte man leicht einen oder den anderen Gaul an den Mann.
In Langendamm war es von altersher Sitte, daß sich auch die Damen am Jagdreiten beteiligten, und zwar aktiv, nicht als müßige Zuschauerinnen allein. Die verstorbene Frau von Pantin war bis ins Alter hinein passionierte Reiterin gewesen; ihre Töchter schlugen ihr nach. Magda war allerdings in den letzten Jahren zu stark geworden, um in den Sattel zu kommen, aber dafür ritt Kari mit angeborenem Geschick und neuerdings auch Mira, die als Amazone ihresgleichen suchte.
Das Jagdreiten war eine willkommene Gelegenheit, die Garnisonen und die Nachbarschaft in zwangloser Weise zusammenzuführen. Das Rendezvous wurde einmal für dieses, dann wieder für jenes Gut verabredet. Hase oder Fuchs wurden gehetzt, gelegentlich ein Keiler oder ein Stück Wild ausgesetzt, zur Abwechslung auch einmal eine Schleppjagd eingelegt. Vom Halali ritt man dann, wie man war, zum nächsten Gutshof, wo geluncht ward.
Der Grabenhäger beteiligte sich eifrig an den Jagden. In seiner »Zigeunerin« besaß er ein sicheres, geschicktes und flottes Tier, das im Terrain außerordentlich willig vorwärts ging.
Nur einen bitteren Beigeschmack hatte das Vergnügen für Kriebow: Klara ritt nicht mit. Sie hatte das Reiten niemals erlernt; in ihrer gebirgigen Heimat setzten sich diesem Sport natürliche Hindernisse entgegen. Erich hatte es sie lehren wollen, aber sie erklärte, nicht die geringste Lust und Anlage dazu zu verspüren. Das 120 wurmte ihn, besonders wenn er Miras elegante Gestalt im Sattel erblickte.
Einer der flottesten Reiter unter den Zivilisten und das bestberittenste Klubmitglied überhaupt war der Regierungsassessor. Mehr als einmal gelang es Herrn von Katzenberg, als Erster am Platz zu sein, während das Wild von den Hunden gedeckt wurde, und glücklich auszuheben.
John Katzenberg hatte sich schnell eingebürgert in der Gegend. Er war zu allem zu gebrauchen, er ritt, fuhr, schoß, tanzte, machte den Hof und erfüllte somit nach vieler Leute Meinung die Obliegenheiten eines Regierungsassessors zu vollster Zufriedenheit. In der letzten Zeit hatte man Assessoren beim Landratsamt gehabt, die gesellschaftlich ungenießbar waren; um so angenehmer stach dieser flotte, junge Mann gegen seine Vorgänger ab. Es war Mode geworden in der Gegend, ihn nett zu finden.
Erich von Kriebow gehörte nicht zu seinen Bewunderern. Wie kam solch ein Assessor dazu, ein Pferd wie »Obergigerl« zu besitzen, das in der ganzen Rennwelt Renommee hatte! Vor allem, daß er den Gaul reiten konnte, verdroß Kriebow. Aber auch noch anderen Grund zu Mißfallen gab es. Offenbar bewarb Katzenberg sich um Karis Gunst, und das wurde anscheinend von Mira protegiert. Eigentlich ging ihm die Sache ja gar nichts an; warum sollte nicht Mira Pantin der Leidenschaft, Partien zusammenzubringen, ebensogut fröhnen wie andere Damen? Aber Erich von Kriebow entging es nicht, daß sich Ulrichs Frau, während sie scheinbar nur Karis Glück im Auge hatte, von dem jungen Menschen gehörig selbst den Hof machen ließ. Das verdachte er ihr, gerade weil er ihr einstmals 121 gehuldigt hatte; denn das war doch ganz etwas anderes gewesen. Nein, sich so wegzuwerfen hatte sie nicht nötig! Das hier war unverzeihliche Geschmacklosigkeit!
Ulrich von Pantin hatte nach dem Manöver Urlaub genommen, den er bei seinem Vater in Langendamm zubrachte; auch er beteiligte sich an dem Jagdreiten.
Kriebow kannte die Gewohnheiten dieses Ehepaares von Berlin her zur Genüge. Man sah sie selten beieinander, und wenn sie notgedrungen sich doch einmal etwas mitteilen mußten, dann geschah es mit einer Miene, welche Langeweile und Überdruß nicht verbarg. Irgendwelche Gene sich aufzuerlegen, weil ihr Mann zugegen war, hätte Mira für den Gipfel der Lächerlichkeit erklärt. Im Gegenteil, die Gegenwart des Gatten schien nur ein Sporn für sie zu sein, ihrem Übermut voll die Zügel schießen zu lassen.
Wenn sie die Absicht hatte, Erich von Kriebow damit zu ärgern, daß sie ganz offenkundig mit dem Assessor kokettierte, so erreichte sie ihren Zweck. Er kochte, wenn er sah, wie sie diesen jungen, nach seiner Ansicht bereits reichlich aufgeblasenen und stark von sich eingenommenen Menschen verwöhnte. Die Gleichgültigkeit seines Freundes Ulrich empörte ihn. Eine solche Schlappheit war doch geradezu unerhört! Mit Ulrich sprechen, ihm vorstellen, daß seine Frau ihn kompromittiere, und daß er eingreifen müsse, wäre ja vielleicht Freundespflicht gewesen; aber schließlich mußte sich Kriebow sagen, daß es ihm schlecht stehen würde, hier den Angeber zu spielen.
Aber wenn Ulrich nun einmal als Gatte unbegreifliche Duldung übte, als Bruder hatte er doch vielleicht eine strengere Auffassung. Konnte er es zulassen, daß seine Schwester Kari, dieses arglose, eben erst flügge 122 gewordene Ding, Herrn von Katzenberg an den Hals geworfen wurde, bloß weil er Millionärssohn war? Darüber mit seinem Freunde zu sprechen, hatte sich Erich von Kriebow vorgenommen.
Das Halali war diesmal auf Ernsthöfer Flur gewesen. Herr von Tichow, der Besitzer von Ernsthof, hatte die Jagdteilnehmer zu sich eingeladen. Man befand sich auf dem Ritt dorthin.
Der Grabenhäger trieb die »Zigeunerin« an Ulrichs Pferd heran. John Katzenberg, der eben mit Mira und Kari an ihnen vorbeitrabte, gab ihm passende Gelegenheit, das Gespräch auf das erwünschte Thema zu bringen.
Ulrich meinte, als Kriebow seine Glossen machte über Katzenbergs Aufmerksamkeit für Kari: was weiter Schlimmes dabei sei! ein bißchen Courmacherei! man solle doch nicht so rigorös sein.
»Aber deine Schwester läßt sich vielleicht was in den Kopf setzen,« meinte Kriebow. »Ich würde das nicht so leicht nehmen, als Bruder.«
»Man kann ja übrigens gar nicht wissen, ob er nicht ernste Absichten hat,« sagte Ulrich und lachte. Aber seine Heiterkeit hatte einen falschen Ton. »Die Familie ist ja nicht gerade erstklassig; aber schließlich sie sind doch wenigstens in zweiter Generation geadelt. Ankaufen will sich der alte Katzenberg nun auch, womöglich hier in der Gegend. Sie haben das offenbare Bestreben, sich zu heben; das ist doch ganz berechtigt! Ich weiß nicht, wie man den Leuten daraus einen Vorwurf machen kann.«
»Aber was hat denn deine Schwester mit alledem zu tun?«
»Ja, siehst du, Erich, Kari muß aus dem Hause. Die ganze Zeit in Langendamm sitzen, so ein junges 123 Mädel – du kennst doch unsern alten Herrn –, das geht nicht so weiter. Und uns anderen Geschwistern kann man's doch auch am Ende nicht zumuten, daß wir sie aufnehmen. Es ist eben nicht leicht, das kannst du mir glauben, Erich!«
Er schwieg. So ritten sie eine Weile nebeneinander her; Kriebow vermutete, daß ihm Ulrich etwas verberge, hielt es aber nicht für korrekt, ihn auszufragen.
Plötzlich begann Ulrich ganz von selbst: »Höre mal, mein Alter, ich will dir reinen Wein einschenken: Kari muß heiraten! Die Katzenbergs sind ihre dreißig Millionen wert und mehr. Mira hat so ein bißchen Einblick gekriegt in die Verhältnisse. Von dem Vermögen eines solchen Mannes, wie der alte Kommerzienrat, macht man sich ja gar keinen Begriff. Da sind wir alle hier in der Gegend zusammenaddiert einfach nichts dagegen.«
»Und wenn er so reich wäre, daß er den ganzen Kreis auskaufen könnte,« rief Kriebow erregt, »ich möchte nichts mit ihm zu tun haben. Der Junge da, äußeren Schick hat er ja, meintswegen! Aber Parvenu bleibt eben Parvenu! So einen in die Familie aufzunehmen! – – Deine Schwester mesalliert sich, das ist meine Ansicht!«
Ulrich war gänzlich aus seiner sonstigen blasierten Gleichgültigkeit herausgekommen. Er riß heftig an den Zügeln, daß die Braune unter ihm zu tanzen begann. In seinen verlebten Zügen arbeitete es stark. Kriebows Worte mußten tief gegriffen haben.
»Ich will dir mal was erzählen, Kriebow! aber im strengsten Vertrauen und nur zu dir!« Damit sah er sich um, ob sie nicht etwa von jemandem belauscht werden könnten. »Unsere Verhältnisse sind miserabel! 124 Kein Mensch ahnt, wie schlecht sie sind. Auf Langendamm will niemand mehr etwas borgen. Mein alter Herr hat außerdem noch Schulden; ich mag gar nicht wissen, wie viel und bei wem. Schon wiederholt ist er nicht imstande gewesen, mir meinen Zuschuß auszuzahlen. Was soll man da machen! Ich habe ja sowieso nie damit gelangt. Es ist schon soweit mit uns in Berlin, daß die Kaufleute meiner Frau beim Kreditieren Schwierigkeiten machen. Soll ich immer wieder zum Juden gehen? Ich weiß nicht mehr wo aus und ein!« –
Er schwieg mit einem tiefen Seufzer. Kriebow war über das Vernommene so betroffen, daß er zunächst gar nichts zu sagen vermochte. Also das war das Geheimnis der Pantins! – Man hatte ja immer so etwas munkeln hören, daß es mit ihren Finanzen schlecht stehe, aber so schlimm hatte er sich die Sache doch nicht im entferntesten gedacht.
»Und merken darf man die Welt nichts lassen,« sagte Ulrich, »sonst ist der Krach fertig. Der alte Herr gibt sich ja die größte Mühe; aber was soll werden, wenn ihm die Gläubiger nicht mehr stunden? – Dann kommt Langendamm unter den Hammer, und wir alle zusammen sitzen da, ohne den roten Heller.«
Kriebow überlegte. Hier war guter Rat teuer! Er sagte zu Ulrich, daß sie sich dann eben entschließen müßten, sich einzuschränken.
»Was würde das nützen!« meinte der. »Bei den Beträgen, um die es sich hier handelt, was bedeutet es da, wenn man ein paar Tausend weniger ausgibt im Jahr. Damit ist das Loch nicht gestopft.«
»Laß mal sehen!« rief Kriebow, den der Eifer gepackt hatte, guten Rat zu erteilen. »Das, was am meisten 125 Geld verschlingt, ist doch jedenfalls euer Hausstand in Berlin. Also ihr müßtet den Anfang machen!«
»Das können wir nicht, nein, das wäre unerträglich! Außerdem kann ich das Mira nicht zumuten. Du kennst Berlin. Wenn wir auf einmal anfangen wollten, uns von allem zurückzuziehen – nein, das ginge nicht! Die Leute würden sich den Mund zu den Ohren reden. Du weißt doch auch, wie's beim Regiment ist; einen Pauvren würden sie gar nicht dulden. Man hat eben Verpflichtungen!«
»Nun, dann bleibt nur eins: daß du dich versetzen läßt.«
»Ich, in die Provinz! – Das geht erst recht nicht!«
»Ja, lieber Freund, da hast du gar keine Wahl, wie mir's scheint!«
Es entstand eine Pause. Dann sagte Ulrich kaum vernehmbar: »Ich habe daran ja auch schon gedacht. Aber wenn ich auch wollte, Mira geht nicht weg von Berlin. Ich glaube, wenn ich zur Linie versetzt würde, dann verließe sie mich.«
Er hatte das halblaut gesagt, mit gedrückter Miene. – Darauf war freilich nichts zu erwidern, wenn es so stand, wenn ein Mann selbst das traurige Geständnis machen mußte, daß er seiner Frau in schwerer Lebenslage nicht sicher sei. Ulrich hatte recht: dann konnte er die Flinte ins Korn werfen. – Kriebow mußte unwillkürlich vergleichen: wie viel glücklicher war er doch! – Wohin war Ulrich gekommen!
»Eines möchte ich nur noch von dir wissen,« sagte Kriebow schließlich, »was euch bei alledem diese Katzenbergs nützen sollen? Gesetzt den Fall, deine Schwester heiratet den Assessor, dann ist sie ja versorgt; aber was ist euch anderen damit geholfen?«
126 »Einen wohlhabenden Mann in der Familie zu haben, ist immer nützlich. Der alte Kommerzienrat soll ja ein großer Finanzier sein, vielleicht weiß der Mittel und Wege, meinem Vater aus dem Dilemma zu helfen. Irgendwie müssen wir uns doch rangieren, das mußt du doch zugeben!«
Was Ulrich meinte, war ja ziemlich durchsichtig. Was hätte Erich in diesem Augenblicke darum gegeben, ein reicher Mann zu sein, um einspringen zu können. Zu denken, daß hier ein Kommerzienrat von Katzenberg der Retter aus der Not sein sollte, und um welchen Preis!! – Der Gedanke war abscheulich!
»Mißverstehe mich aber nur nicht etwa!« schaltete Ulrich hier ein, »schenken wollen wir uns natürlich nichts lassen; das kannst du mir glauben.«
* * *
»Wissen der gnädige Herr schon? Groß-Podar ist verkauft!« Damit überraschte Inspektor Heilmann seinen Herrn eines Morgens.
»An wen denn!«
»Ein Herr Kommerzienrat von Katzenberg aus Berlin soll der Käufer sein,« teilte Heilmann mit. »Eben hat mir's der Groß-Podarsche Gemeindevorsteher erzählt. Gestern ist der Kauf unterzeichnet worden.«
Der Grabenhäger schüttelte mißbilligend den Kopf. So war also doch perfekt geworden, was man seit einiger Zeit schon kommen sah. Der Vater des Regierungsassessors hatte sich ja bereits mehr als ein Gut in der Nachbarschaft angesehen, unter Führung des Langendammers, der, wie ein Spottvogel bemerkt hatte, unter die Güteragenten gehen zu wollen schien.
Es war ja an sich schon keine erfreuliche Aussicht, 127 solch einen Geldmenschen in den Kreis zu bekommen; aber daß er sich von allen Gütern auch gerade noch Groß-Podar kaufen mußte, welches die längste Grenze mit Grabenhagen hatte, dessen Herrenhaus man von Kriebows Hausschwelle in zwanzig Minuten erreichen konnte, und dessen Kirche eine Filiale war der Grabenhäger Mutterkirche! Einen Mann mit so großem Geldbeutel zum nächsten Nachbar zu bekommen, war auf keinen Fall angenehm. Und wenn die übrige Familie dem Herrn Sohn nur einigermaßen glich, dann konnten sie ihm erst recht gestohlen bleiben.
Heilmann verbreitete sich dann noch des weiteren über den Kauf. Eine der Kaufsbedingungen war, daß Landrat von Ruhbeck, der bisherige Besitzer, sofort ausziehen mußte, weil der Käufer große Veränderungen an Haus und Hof plante und noch vor Beginn des Winters mit Umbauen anfangen wollte.
Dem Grabenhäger tat es leid, daß man die Ruhbecks als Nachbarn einbüßen sollte. Herr von Ruhbeck war ein Zeitgenosse seines Vaters gewesen und war nun wohl schon an die dreißig Jahre Landrat im Kreise. Er hatte nicht weniger als acht unvergebene Töchter. Es waren brave und liebenswürdige Mädchen, und nur ihre Unbemitteltheit konnte es begreiflich machen, daß sie nicht begehrt worden waren.
Klara hatte erklärt, daß ihr von allen Familien weit und breit die Ruhbecks am angenehmsten wären. Kriebow wußte, wie schwer sich Klara anschloß, und doch wünschte er brennend, daß sie einen passenden Verkehr finden möchte. Die Ruhbeckschen Damen wären vielleicht etwas gewesen für die Zukunft. – Nun machte der Verkauf des Gutes auch diese Aussicht zunichte.
Der alte Ruhbeck gehörte zu den unstudierten 128 Landräten. Zum Politiker fehlten ihm alle Gaben und auch der Ehrgeiz. Er hatte nie etwas anderes sein wollen als Landwirt.
Seine Erfahrung langte gerade zu für die Verwaltung eines rein ländlichen Kreises, in welchem es keine größeren Städte und auch keine Industrie gab. Weder politische, noch religiöse, noch nationale Kämpfe hatte der Kreis bisher gesehen.
Das Übergewicht lag hier seit langer Zeit bei den Rittergütern. Was es sonst noch, eingestreut zwischen dem Großgrundbesitz, an Bauern und kleinen Leuten gab, spielte eine geringe Rolle, erschien mehr wie geduldet. Ein solcher Kreis war leicht zu regieren für einen, der selbst dem dominierenden Stande angehörte.
Herr von Ruhbeck hatte den Kreis in altgewohnter, patriarchalischer Weise verwaltet und sich sein Amt nicht allzu sauer werden lassen. Er wohnte in Groß-Podar und fuhr nur einigemal in der Woche nach der Kreisstadt, um die notwendigsten Bureaugeschäfte zu erledigen. Infolgedessen spielten der Kreissekretär und der Assessor eine große Rolle bei ihm. Das Schreiben war nie seine starke Seite gewesen. Ruhbeck hatte schon mehrfach gebeten, ihn seines Amtes zu entbinden; aber man hatte ihn nicht gehen lassen. Er genoß nun einmal das Vertrauen des Kreises.
Außerdem war niemand da, der hätte an seine Stelle treten können. Den Grundbesitzern im Kreise fehlte entweder die Qualifikation, oder sie waren wohl auch zu bequem, die Arbeit und Verantwortung des Landratpostens auf sich zu nehmen. Die beiden einzigen, die sich geeignet hätten, wollte man um keinen Preis haben. Den einen: Herrn Merten auf Pröklitz, darum nicht, weil er bürgerlich war und weil man ihm auch 129 politisch nicht recht traute, den anderen: Herrn von Klaven auf Ragatzin, nicht, weil er bei den Standesgenossen als ein Sonderling und schwer zu berechnender Mensch galt.
Man war also tatsächlich in Verlegenheit, wen man an Herrn von Ruhbecks Stelle hätte zum Landrat machen sollen. Und so suchte man denn die Änderung möglichst hinauszuschieben.
Der vorige Assessor, der mehrere Jahre hindurch das mangelhafte Schreibvermögen des Herrn von Ruhbeck ersetzt hatte, war dann versetzt worden.
Und nun tauchte auf einmal zu aller Welt Erstaunen ein Regierungsassessor von Katzenberg auf, der vom fernen Westen kam. Niemand kannte ihn oder seine Familie, mit Ausnahme der Pantins von Langendamm, mit denen er Verbindungen zu haben schien.
Diese Bekanntschaft war auf folgende Weise entstanden: Mira hatte im zeitigen Sommer, wie alljährlich, ein Seebad besucht, um sich im Meerwasser frische Haut und Nerven zu holen, die beide unter den Strapazen des Berliner Karnevals stark gelitten hatten. Sie pflegte zu diesem Zwecke ein Ostseebad aufzusuchen, das nicht zu den fashionabelsten gehörte. Sie wollte niemanden ihresgleichen treffen, wünschte ungestört der Leibespflege zu leben; dazu brauchte sie keine Beobachter.
Nun hatte sie in dem Fischerdorfe, bei irgendeiner Gelegenheit, eine Frau von Katzenberg kennen gelernt, die sich mit ihren beiden Töchtern ebenfalls der Gesundheit wegen dort aufhielt. Zum Zeitvertreib, weil man doch mit irgend jemandem umgehen mußte, wenn man nicht umkommen wollte vor Langeweile, hatte sie sich mit den Damen eingelassen. Frau von Katzenberg sowohl wie ihre Töchter sahen recht anständig aus, die 130 Mädchen, eben dem Backfischalter entwachsen, hatten in der Schweiz eine gute Erziehung genossen, sie traten ohne Prätensionen auf, zogen sich gut an; kurz, es war nichts gegen sie einzuwenden.
Es schmeichelte Mira, Mutter und Töchter durch ihre Liebenswürdigkeit gänzlich zu umstricken; das war ein außerordentlich billiges Vergnügen. Bald schwärmten die Damen Katzenberg für die vornehme, schöne, junge Frau, mit der sie ein glücklicher Zufall hier zusammengeführt hatte.
Als dann allerdings der Gatte und Vater dieser Damen auf der Bildfläche erschien, war Mira weniger erbaut über die neue Bekanntschaft. Denn während Frau von Katzenberg eine stattliche Blondine war, die ihrer Erscheinung nach dem besten Hause hätte entstammt sein können, stellte sich der Gatte als ein Mann dar, dem man den Kommerzienrat doch allzusehr ansah. Für Mira war es eine neue Erfahrung, solch einen Herrn zum Tischnachbar zu haben. Aber sie fand sich schließlich auch darein. Die Sache hatte ja keine Konsequenzen; weit und breit war kein Bekannter, der sie hätte beobachten können, und in Berlin würde sie die Beziehungen zu den Leuten natürlich schleunigst abbrechen.
Zunächst behandelte sie den Kommerzienrat absichtlich schlecht, aber der vielerfahrene alte Mann schien sich daraus nichts zu machen; mit Zähigkeit klammerte er sich an die wertvolle Freundin, welche seine Damen da gefunden hatten.
Herrn von Katzenberg kam diese Bekanntschaft aus mehr als einem Grunde äußerst gelegen. Er war von dem Ehrgeize besessen, weiter emporzukommen auf der gesellschaftlichen Stufenleiter. Manches hatte er bereits erreicht: sein »von« war vom Vater ererbt, seine Frau 131 stammte aus angesehener Familie, seinem Sohne war es gelungen, Korpsstudent und Reserveoffizier zu werden und in der Verwaltungskarriere anzukommen.
Kommerzienrat von Katzenberg besaß aber damit noch lange nicht alles, was er für sich und die Seinen erstrebte. Viel Mühe hatte es ihm gekostet, an die erste Gesellschaft heranzukommen; aber der Erfolg war bisher kein voller gewesen. Man ließ sich's ja gern gefallen, daß er zu milden Zwecken Tausende zahlte, bei Subskriptionsbällen wurde er geduldet – wie man da schließlich jeden duldete, der das Entree zahlte –, bei einem Bazar im vorigen Frühjahr hatten seine Frau und seine Töchter neben Komtessen und Fürstinnen von Geblüt verkauft; aber zu irgendeiner wirklichen Intimität mit der Aristokratie war es nicht gekommen.
In Frau von Pantin nun glaubte der Kommerzienrat die Persönlichkeit gefunden zu haben, welche ihm die Tür, vor der er mit den Seinen schon eine ganze Weile antichambrierte, öffnen würde. Denn daß Mira Pantin durch Geburt, Beziehungen, Schick, Schönheit und durch ihr gefürchtetes Mundwerk zu den einflußreichen Damen der Gesellschaft gehöre, war ihm wohl bekannt.
Sehr bald merkte Herr von Katzenberg, daß Frau von Pantin eine Dame sei, mit der man ein offenes Wort sprechen konnte, und davon machte er denn reichlich Gebrauch.
Und auch Mira fand schließlich Gefallen an der Unterhaltung mit dem alten erfahrenen Herrn. Es belustigte sie, zu sehen, wie dieser im übrigen kluge und praktische Mann in der gesellschaftlichen Eitelkeit seine schwache Seite hatte.
Inzwischen hatten Katzenbergs noch ihren Sohn nachkommen lassen, um auch ihn Frau von Pantin vorzustellen.
132 Der Kommerzienrat war sehr stolz auf den Jungen, der alles besaß, was sich der väterliche Ehrgeiz nur wünschen konnte. John Katzenberg stellte die Entwicklung dar über seinen Vater hinaus. Schon in der äußeren Erscheinung war er eine glückliche Verbindung der elterlichen Typen. Vom Vater hatte er den lebhaften Glanz des Auges und den Lüster des schwarzen Haupthaares, von der Mutter den Wuchs und die helle Hautfarbe. Die etwas gewöhnliche Mundpartie wurde durch den wohlgepflegten Schnurrbart geschickt verdeckt. Dazu war sein geschmeidiger Körper gestählt durch Waffenübung und Sport. Er war gereist, hatte die Welt gesehen; sein Auftreten war selbstbewußt und sicher.
John von Katzenberg fand denn auch, wie der Kommerzienrat erwartet hatte, Gnade in Miras Augen. Eine solche Persönlichkeit war wie dazu gemacht, ihr Wohlgefallen zu erregen. Die beiden hatten bei aller Verschiedenheit doch etwas Verwandtes in der Skrupellosigkeit, mit der sie sich selbst durchsetzten. Schnell hatte man sich gefunden. John löste jetzt seinen Vater ab in den Spaziergängen mit der schönen Frau. Der Kommerzienrat fügte sich gern darein, und Mira fand den jungen schließlich doch noch amüsanter als den alten Katzenberg; mit John konnte man segeln und Tennis spielen. Die Beziehungen zu den Damen, welche den Anfang gemacht hatten, traten gänzlich in den Hintergrund vor dieser neuen Freundschaft.
Was beide verabredet haben mochten auf ihren gemeinsamen Fahrten, erfuhr selbst der Kommerzienrat nicht. Mira begab sich, nachdem ihre Kur beendet war, in die Provinzialhauptstadt, wo sie bei der Regierung einen Verwandten besaß. Sie hatte den Vetter Regierungsrat zwar bisher sehr vernachlässigt, aber jetzt, 133 wo sie erfahren, daß er auf die Personalfrage Einfluß habe, holte sie den Mann, einen alten Junggesellen, auf einmal hervor, umstrickte ihn völlig mit ihrer Liebenswürdigkeit und trug ihm ihre Wünsche vor. Dann ging es nach Berlin; dort hatte sie wieder im Ministerium einflußreiche Freunde. Mehr als einen Hebel wußte die junge Frau so in Bewegung zu setzen.
Das Resultat ihrer Bemühungen war, daß Assessor von Katzenberg vom Rheinland weg dorthin versetzt wurde, wohin sie ihn haben wollte, in den Kreis, dem Langendamm angehörte.
Natürlich war das Pantinsche Haus das erste, das der neuernannte Regierungsassessor aufsuchte. Mira war dort bereits zum Herbstaufenthalt eingetroffen. Sie übernahm die Einführung des jungen Menschen in die Nachbarschaft.