Wilhelm von Polenz
Der Grabenhäger
Wilhelm von Polenz

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XXIV.

Schon seit einiger Zeit war von einer Versammlung die Rede, welche der »Agrarverein« in der Kreisstadt abhalten wollte. Wenn sich Nachbarn trafen, kam gewiß das Gespräch sehr bald darauf; die Gemüter waren allenthalben damit beschäftigt.

Von Berlin sollten einige bekannte parlamentarische Größen dazu herüberkommen; den Hauptvortrag des Tages hatte ein Professor der Landwirtschaft übernommen. Der größte in der Stadt vorhandene Saal war gemietet worden; die Versammlung würde, so hoffte man, stark besucht sein. An einem Sonntagnachmittag war sie angesetzt, denn der Bauer war Wochentags schwer in die Stadt zu bringen; und der Verein wollte doch wieder einmal Heerschau halten über seine Freunde.

Erich von Kriebow war dem Verein bereits früher beigetreten, ohne sich bisher allzuviel um ihn gekümmert zu haben. Von jeder aktiven Beteiligung an Politik hatte er sich zurückgehalten.

Aber er sagte sich, daß es nicht weiter bei solcher Gleichgültigkeit bleiben dürfe. Seine Zeitung redete es ihm täglich vor, daß jedermann die Pflicht habe, sich zu rühren, etwas zu tun für die gute Sache; und dann hatten auch Graf Wietens Worte neulich in Berlin Eindruck bei ihm hinterlassen. Als Gutsherr war man für die Gesinnung seiner Leute verantwortlich.

Major von Pantin war Vorsitzender des Agrarvereins für den Bezirk. Eines Tages kam Malte herübergeritten, um mit Kriebow über die Vorbereitungen zu der Versammlung Rücksprache zu nehmen. Grabenhagen müsse mindestens ein Dutzend Leute stellen am 423 Sonntag, verlangte der Langendammer. Kriebow lachte und meinte: es würde schwer sein, in seinem Dorfe auch nur drei Leute aufzutreiben, denen man einiges politische Urteil zutrauen könne.

»Politisches Urteil!« rief Malte. »Das zeigt, wie grün Sie noch sind, mein guter Kriebow. Wer fragt denn danach! Bringen Sie nur Ihre dümmsten Tagelöhner mit, je einfältigere Gesichter, je besser! Wenn Sie etwa gerissene Burschen darunter haben, die lassen Sie hübsch zu Haus. So mache ich's. Und dann müssen Sie die Kerls vorher natürlich gut instruieren. Wir brauchen wiedermal so eine Massendemonstration. Das Schweinepack von Gegnern behauptet, wir hätten beim Landvolk keinen Anhang, unsere ganze Geschichte wäre künstlich in Szene gesetzt. Infame Lügen! Das muß mal gründlich widerlegt werden. – Also ich rechne bestimmt auf ein Dutzend Leute mindestens aus Grabenhagen, hören Sie, Kriebow! Wenn es nicht anders ist, müssen Sie die Gesellschaft auf einen Leiterwagen laden und reinfahren lassen, wie's zur Wahl gemacht wird. Für die gute Sache muß man ein Opfer bringen.«

Darauf ritt Malte weiter, um, wie er sagte, noch die anderen Nachbarn »aufzusingen«.

Der Grabenhäger überlegte sich die Sache. Ein Dutzend Leute stellen war nicht leicht. Auf einige konnte man ja rechnen: da war der alte Küster Klinguth; Landwirt von Profession war der ja nicht, aber ein treu ergebener Mann, der dem Gutsherrn zu Gefallen alles tun, auch den Sonntagnachmittag opfern würde. Dann konnte man ein oder den anderen von den älteren Gutsleuten mitnehmen: Kräuger den Statthalter, Wurten den Schmied, den Schäfermeister, den Gärtner, den Schauerarbeiter, den Schweinefütterer. Das waren 424 gutgesinnte, ruhige, zuverlässige Männer, gewohnt, sich dem Willen der Herrschaft zu fügen, ohne zu fragen. Bei der jüngeren Gesellschaft mußte man schon vorsichtiger sein, die machten sich ihre Gedanken. Die Erfahrung, welche Kriebow neulich mit Fritz Wurten gemacht, saß ihm noch in den Gliedern. So wie Malte Pantin das vorgeschlagen hatte: die Gutstagelöhner einfach wie eine Herde in die Stadt treiben, das ging nicht. Er beschloß, seinen Leuten durch den Statthalter bekannt geben zu lassen: wo und wann die Versammlung stattfände, und gelegentlich wollte er einen und den anderen auch darauf hinweisen und ihm sagen, er werde sich freuen, ihn dort zu sehen.

Zuletzt fiel ihm noch ein, daß er auch den neuen Schulzengutsbesitzer auffordern könne, sich an der Versammlung zu beteiligen.

Schon neulich beim Verlassen der Kirche hatte Kriebow ein paar Worte mit Karl Tuleveit gewechselt. Man hatte sich beim Auseinandergehen die Hände geschüttelt vor der ganzen Gemeinde. Das bedeutete: der alte Zwist solle nunmehr beigelegt sein und zwischen Rittergut und Schulzengut fortan Eintracht herrschen.

Kriebow schickte also seinen Kutscher nach dem Bauernhofe hinüber und ließ den Besitzer auffordern, am Sonntag mit ihm zur Stadt zu fahren. Karl Tuleveit ließ seinen Dank sagen, und er würde zur angegebenen Zeit sich im Herrenhause einfinden; wenn es gestattet sei, werde er auch seinen Bruder mitbringen, der jetzt bei ihm lebe.

Also Otto war zu Haus! – Das war ja famos! Längst hatte Kriebow im geheimen gewünscht, mit seinem alten Jugendfreunde vom Schulzenhofe, Otto Tuleveit, wieder in Verkehr zu treten. Nun 425 schien sich das in ganz unauffälliger Weise machen zu wollen.

Am Sonntagnachmittag zur angegebenen Stunde fanden sich die beiden Brüder im Herrenhause ein. Otto, den Kriebow über zehn Jahre nicht mehr gesehen, war inzwischen ein stattlicher Mann geworden; sein pausbackiges Jungengesicht und die ehrlichen blauen Augen aber hatte er behalten.

Der Gutsherr nahm die Brüder mit in sein Zimmer; soviel Zeit war schon noch, um eine Zigarre anzurauchen und ein Glas Wein zu trinken. Das konnte dann durch schnelleres Fahren wieder eingeholt werden.

Man war anfangs auf beiden Seiten etwas verlegen. Das Wetter mußte herhalten, um eine Unterhaltung zustande zu bringen.

Dann erkundigte sich Kriebow, wie es Otto ergangen sei, während der Zeit, wo man sich nicht gesehen hatte. Otto war weit herumgekommen. Zuletzt war er Wirtschafter gewesen auf einer großen Domäne. Von dort hatte er sich verabschiedet, um seinem Bruder zu helfen.

Hier mischte sich Karl in das Gespräch; er müsse sehr froh sein, daß sein Bruder ihn unterstütze, denn er selbst sei in den letzten Jahren – wo er ja für Isidor Feige gereist war – allzusehr aus der Praxis herausgekommen. Und außerdem – daraus machte er nicht den geringsten Hehl – habe er den väterlichen Hof unter drückenden Bedingungen übernommen, von früher her hänge ihm auch noch manches an; nur mit Hilfe seines Bruders könne er hoffen durchzukommen.

Das klang allerdings etwas anders als das, was Heilmann neulich in seinem Briefe über die Lage auf dem Schulzenhofe berichtet hatte. Was für anständige 426 aufrichtige Leute waren diese Tuleveits doch! War es nicht viel besser, mit ihnen in Eintracht und guter Nachbarschaft zu leben! –

Nachdem man ein Viertelstündchen verplaudert hatte, wurde der Wagen bestiegen. Kriebow fuhr selbst, neben ihm saß Franz, hinter ihm die beiden Tuleveits.

Man überholte unterwegs eine Anzahl Wagen und Fußgänger, die ebenfalls auf dem Wege zur Stadt waren. Major von Pantins Werbungen für die Versammlung schien also doch das Landvolk auf die Beine gebracht zu haben.

Als man durch Groß-Podar kam, hielt dort vor dem Krug ein Leiterwagen mit dem Schilde: »Rittergut Langendamm«. Eine Anzahl Leute, wohl Knechte und Tagelöhner, die anscheinend betrunken waren, saßen auf dem Wagen und ließen sich unter Schreien und Johlen noch mehr Trinkstoff reichen. Das waren also die Truppen, die Malte selbst heranführte! – Kriebow war unangenehm berührt von dem Anblick und dachte bei sich, daß er von den Seinen lieber niemanden in der Versammlung sehen wolle, als Leute in solchem Zustande.

Bald darauf traf man auf einen Trupp Männer zu Fuß. Da waren sie ja: Kräuger, Wurten, Pagelow und wie sie alle hießen, seine Getreuen, die Elite von Grabenhagen, geführt von dem alten Klinguth. Stramm, wie es alten Soldaten zukam, marschierten sie und grüßten ehrfurchtsvoll, als der Gutsherr an ihnen vorüberfuhr.

Es freute Kriebow doch, daß sie auch ohne Leiterwagen gekommen waren. Sie hatten es ihm zu Liebe getan; denn ein großes Interesse an der Sache traute er der Gesellschaft nicht zu. Aber nüchtern waren sie 427 geblieben. Ja, bei ihm in Grabenhagen, da war doch noch Zug drin! Er war geneigt, sich darauf etwas zu gute zu tun.

Kurz vor der Stadt begegnete man einem herrschaftlichen Wagen. Die bunte Livree des Kutschers und die glänzenden Geschirre stachen in die Augen; aber den Kenner störte das Überladene der Equipage. Kriebow war gespannt, welcher Protz am Sonntagnachmittag so in der Welt herumfahre.

»Das ist Herr Isidor Feige!« sagte Karl Tuleveit, »mit seiner jungen Frau.«

»Seit wann ist denn der Kerl verheiratet?« fragte Kriebow.

»Vorm Jahr – eine Berliner Dame aus einer großen Getreidefirma.«

Die Wagen fuhren aneinander vorbei. Unter leuchtendem Zylinderhut blickte ihnen Isidor Feiges gelbes Gesicht entgegen. Neben ihm die Tochter der Getreidefirma, sehr geputzt, auf dem Rücksitze eine Amme in Spreewälder Kostüm, ein Baby auf dem Schoße.

Der Bankier riß große Augen auf, als er hinter dem Grabenhäger Herrn die beiden Tuleveits erblickte, und vergaß über seinem Staunen das Grüßen vollständig.

Also Isidor Feige, der sich als Freund des Landwirts hinzustellen liebte, der sein Bankgeschäft eigens dazu gegründet zu haben behauptete, um dem kleinen Manne Kredit zu verschaffen, fuhr heute, wo das Landvolk zur Stadt geströmt kam, auf und davon.

»Es mag ihm wohl etwas unheimlich werden da drinnen,« sagte Kriebow, sich zu den Brüdern umwendend, und lachte. Karl Tuleveit nickte zustimmend mit dem Kopfe und meinte: »Ich kenne Herrn Feige: 428 er hat den Bauern nur gern, wenn er ihm das Fell über die Ohren ziehen kann.«

Es belustigte den Grabenhäger, Isidor Feige so begegnet zu sein; vor allem, daß er die Tuleveits mit ihm gesehen hatte, war ihm recht.

Kriebow fuhr nach dem »Schützenhause«, wo die Versammlung stattfinden sollte, und schickte Franz zum Ausspannen in den »Elefanten«.

Der große Saal des Schützenhauses war bereits ziemlich voll, und immer noch strömten die Leute scharenweise herbei.

Am Eingange stand Major von Pantin und begrüßte die Kommenden. Man hörte sein Organ schon von weitem durch all den Lärm hindurch. »Hierher, Kriebow!« rief er, als er den Grabenhäger erkannte. »Wir können Sie brauchen. Gehen Sie mal zum Vorstandstisch. Ich habe Sie als Komiteemitglied angemeldet.«

Kriebow erschrak. Wie kam er zu der Ehre! Er meinte, daß ihm dazu doch die Erfahrung abgehe.

»Das ist ja ganz egal!« rief Malte. Er versuchte dabei seine Stimme zu dämpfen, was ihm aber wie gewöhnlich mißlang. »Wir brauchen notwendig noch ein paar gute Namen. So Bauern und kleine Leute haben wir nun genug drin. Die Majorität muß auf alle Fälle bei uns bleiben – verstehen Sie! – Erfahrung brauchen Sie da gar nicht! Hier, Tichow wird Sie einführen.«

Der Ernsthöfer Tichow nahm den immer noch Widerstrebenden unter den Arm und führte ihn zum Podium hinauf. »Das lernt sich alles!« sagte er. »Machen Sie nur zu allem ein möglichst 429 verständnisvolles Gesicht, das ist die Hauptsache, und im übrigen tuen Sie genau, was Sie uns vormachen sehen.«

Auf dem Podium waren die ersten Männer der Gegend versammelt: Kammerherr von Zittwitz, die Merwitze, die Tichows und andere von der Ritterschaft. Auch das bürgerliche Element war durch Pächter, Bauern und unadlige Grundbesitzer vertreten. Von Berlin waren die Führer der Bewegung und einige ihr nahestehende Parlamentarier herübergekommen, um der Kundgebung durch ihre Anwesenheit besonderen Nachdruck zu verleihen. Der Ernsthöfer übernahm es, Kriebow diesen Herren vorzustellen.

Als ein in der Politik völlig unbefangener Mensch empfand Erich von Kriebow vor jedem Berufsparlamentarier scheue Bewunderung. Das also war der große X., dessen viele Reden im Parlament er andächtig nachzulesen pflegte. Und der dort war der berühmte Z., dessen Verdienste das Parteiblatt nicht genug zu rühmen wußte.

Es war doch ein erhebendes Gefühl, sich mit diesen Leuten einmal die Hand schütteln zu dürfen, sie von Angesicht zu Angesicht sehen zu können.

Übrigens kitzelte es Kriebow, daß er ausersehen war, Seite an Seite mit solchen Männern über der Versammlung zu thronen. Sein Blick überflog die wogende Menge der minder bevorzugten Sterblichen da unten. Wo waren denn seine Getreuen aus Grabenhagen? Richtig, da saßen sie, um den alten Klinguth geschart. Die waren gewiß auch stolz, ihren Herrn da oben unter den Spitzen zu sehen.

Dann fiel sein Auge auf ein paar andere bekannte Gesichter. Dort mitten im dichtesten Haufen: der Ragatziner Klaven und neben ihm Merten von Pröklitz.

430 Was machten sie da unten? Wenn jemand in das Präsidium dieser Versammlung gehörte, so waren es doch gewiß die beiden! Wie ein Vorwurf traf es Kriebow, er schämte sich auf einmal; war es nicht lächerlich, daß er mehr geehrt sein sollte, als solche erfahrene und verdiente Männer? Er hätte sich doch nicht hier hinauflotsen lassen dürfen! –

Der Ernsthöfer stieß jetzt Kriebow an: »Sehen Sie bloß, sehen Sie: wie unser Landrat sich populär macht, da unten beim Volk.«

In der Tat konnte man Herrn von Katzenberg durch den Saal schreiten sehen, von einer Gruppe zur anderen. Mit seiner geschmeidigen Gestalt wand er sich durch den dichten Haufen breiter, behäbiger Landleute hindurch, klopfte hier einem auf die Schulter, schüttelte dort eine Hand.

»Er ist doch ein Schlaukopf!« meinte Tichow. »Weiß immer, woher der Wind weht. Hier, wo Agrarisch Trumpf ist, steckt er den Bauernfreundlichen heraus.«

Major von Pantin, der inzwischen auch auf das Podium gekommen war, gab das Glockenzeichen zur Eröffnung. Er sprach ein paar kurze Worte über den Zweck der Versammlung und ging schnell zum Hoch auf den Landesherrn über. Dann erteilte er das Wort einem der Parlamentarier, ehemals Hauptmann, jetzt Grundbesitzer.

In Erscheinung und Sprechweise verleugnete der Redner den gewesenen Offizier nicht. Seine kernig unbefangene, von Gedanken eben nicht überladene, gelegentlich drastische Art war dieser Versammlung von schlichten und ungeschulten Köpfen gegenüber ganz am Platze. Er sprach nichts mehr und nichts weniger aus, 431 als was seine Zuhörer selbst empfanden, aber was sie nicht imstande waren, so keck zu äußern. Seine Rede wirkte befreiend. »Der Mann hat recht! Der versteht, was uns not tut. Der trifft den Nagel auf den Kopf!« – Das ungefähr sagten die brausenden Beifallsstürme, die den Redner an besonderen Kraftstellen unterbrachen.

Kriebow war hingerissen und applaudierte stark. Es war die erste große Versammlung, die er erlebte. Er war noch empfänglich für solche Eindrücke; der frische Ton der Rede und die Begeisterung der Menge wirkten stark auf ihn. Auch fühlte er sich persönlich stolz auf den Redner; der Mann war Junker und Offizier. Wer weiß, schließlich würde man's auch noch mal zu was Ähnlichem bringen können! –

Dann sprach der Professor. In seiner bedachten Redeweise bildete er einen starken Gegensatz zu dem Vorredner. Sein Vortrag war reichlich mit Zahlen, statistischen Daten und wissenschaftlichen Thesen gespickt.

Kriebow kam sich auf einmal sehr dumm vor. So sehr er sich Mühe gab, der Beweisführung des Herrn zu folgen, es ging nicht. Aber dem Rate des Ernsthöfers gemäß suchte er ein möglichst verständnisvolles Gesicht zu zeigen, wie er es die anderen ringsum machen sah. Er tröstete sich mit dem Gedanken, daß er in dieser Versammlung wohl nicht der einzige sein werde, dem dies zu hoch war. Was mochten sich z. B. der alte Wurten und sein Statthalter Kräuger bei den gewiß tiefgründigen Untersuchungen des Professors über die Währungsfrage, über Zollpolitik und Staatsmonopole denken? –

Endlich schloß der Redner. Auch er hatte seinen 432 Beifall. Doch glich das »Bravo« bei vielen einem Aufseufzen der Erleichterung.

Die Rednerliste war damit erschöpft. Eine Debatte folgte nicht, da Gegner nicht anwesend zu sein schienen, oder, wenn sie anwesend waren, schwiegen.

Der offizielle Teil der Tagung war damit beendet. Was sich zu den Spitzen rechnete, blieb noch. Major von Pantin ging mit einer Liste umher und warb Teilnehmer für ein Diner, das zu Ehren der Berliner Herren im »Elefanten« stattfinden sollte.

»Haben Sie gesehen, Merten Pröklitz war auch in der Versammlung,« sagte der Ernsthöfer zu Major von Pantin. »Den müßten Sie doch unbedingt auffordern zum Essen. Zu übergehen ist der nun mal nicht!«

»Fällt mir nicht ein!« schrie Malte. »Für mich existiert der Herr nicht. Ich will nicht an einem Tische sitzen mit einem völlig gesinnungslosen Menschen!«

Im »Elefanten«, wohin er sich nunmehr begab, traf Kriebow mit dem Ragatziner Klaven zusammen. Er hatte ihn seit der Langendammer Jagd nicht wieder gesehen.

»Sie bleiben doch zum Diner!« sagte Kriebow zu ihm.

»Um Himmels willen, nein!« rief Klaven. »Ich habe von dem vorigen gerade genug!«

Der Grabenhäger meinte dagegen: es sei doch soweit alles ganz schön gewesen. Was ihm denn mißfallen habe. –

»Nun, da will ich Sie in Ihren Illusionen ja nicht stören!« sagte Klaven spöttisch. »Wenn Sie begeistert sind, um so besser! Ich sehe zu sehr die Fäden, an denen die Sache geleitet wird.«

433 »Ich weiß, was Sie meinen. Daß man die Leute hereingetrieben hat, gefällt auch mir nicht. Aber das gehört doch nun mal zur Politik!«

»Zur gewöhnlichen Parteipolitik allerdings; denn die ist auf Schein aufgebaut und auf die Dummen berechnet. Aber diese Bewegung hier sollte doch etwas mehr sein – wenigstens war das anfangs meine Hoffnung – etwas Ehrliches und Reinliches sollte sie sein. Anstatt dessen haben wir eine Partei mehr bekommen. Wenn ein Mensch von der Notwendigkeit überzeugt ist, daß in den ländlichen Dingen Wandel eintreten muß, so bin ich es. Aber es ist hier wie überall: nichts schadet der guten Sache mehr, als ein verfehlter Reformversuch, wie mit dem Schatz, der abermals hundert Klaftern tiefer sinkt, so oft vergeblich nach ihm gegraben wird. Hier haben wir wiedermal so eine mit vielen Hoffnungen und gutem Willen und großen Versprechungen vom Stapel gelassene Expedition, die niemals ihr Ziel erreichen wird. Und wissen sie warum? Weil man die Ziele nicht hoch genug gesteckt hat. – Die Getreidepreise sollen gehoben werden. Schön! Ich bin dabei. Der Landwirt soll einen gerechteren Preis erhalten für seine Produkte. Nur gerechtfertigt! Aber man soll sich nur nicht einbilden, daß wir damit gerettet sind. Das sind Fragen zweiter Ordnung im Vergleich zu der wirklich brennenden Not unseres Berufes und Standes. Auf die Börse, das Spekulantentum, das mobile Kapital, wird weidlich geschimpft, wie Sie vorhin erst gehört haben; überhaupt am Räsonieren und am Entrüsten fehlt's nicht, und dabei verschließen wir die Augen vor den eigenen Fehlern. Leider, leider dürfen wir gar nicht mit gutem Gewissen auf die Auswüchse des Kapitalismus schimpfen, denn wir sind ja 434 selbst seine eifrigsten Anhänger. Unsere Weltanschauung ist gerade so materialistisch, wie die der anderen auch. Da tut Reform not. Von innen heraus muß die Genesung kommen. Was jetzt geschieht, ist weiter nichts als ein Herumdoktern an den Symptomen, dem Sitz des Leidens will niemand zu Leibe gehen. Und nimmt sich jemand heraus, die Schäden des Standes aufzudecken, dann wird er verketzert. Gesichtspunkte – Ideale! – Wer davon anfängt, gilt als unpraktischer, weltfremder Schwärmer. Nur wer den Leuten sagt: wie sie ihre Einnahmen vermehren können, ist ein Genius.«

Kriebow war auch heute wieder gepackt von dem Wesen dieses eigenartigen Menschen. Was er auch an Beredsamkeit soeben vernommen, hier steckte doch weit mehr Wucht und wirklicher Ernst dahinter.

Der Wunsch, mit Klaven näher bekannt zu werden, hatte sich ihm schon öfter aufgedrängt. Es war nur so schwer, mit diesem Sonderling auf irgendeinen Fuß zu kommen. Klaven war stolz und mißtrauisch und schien an seinem Einsiedlerleben zu hängen. Trotzdem wollte Kriebow die Annäherung versuchen; denn auch für Klara wäre es ihm lieb gewesen, wenn sie an Frau von Klaven endlich den Umgang gefunden hätte, der ihr noch immer fehlte.

Kriebow machte also den Vorschlag, den regen Verkehr, der früher zwischen den Häusern Grabenhagen und Ragatzin bestanden, wieder aufleben zu lassen.

Klaven griff nicht sofort mit beiden Händen zu, er überlegte und sagte schließlich: »Gut denn! Versuchen Sie es! Aber ich mache Sie von vornherein darauf aufmerksam, einen sogenannten ›standesgemäßen‹ Haushalt werden Sie bei uns nicht finden. Wir leben unseren Verhältnissen entsprechend, das heißt als pauvre 435 Landleute. Und auch für die Gäste können wir daran nichts ändern; man muß uns nehmen, wie wir sind.«

Erich von Kriebow lachte gerade heraus. »Wofür halten Sie mich eigentlich, Klaven! Bin ich ein Protz? Ich bitte mich doch nicht mit den Katzenbergs verwechseln zu wollen!« –

»Nein, nein!« erwiderte Klaven. »So war's nicht gemeint. Man wird nur vorsichtig, wissen Sie, Kriebow, wenn man sieht, wie so viele Standesgenossen den Menschen nach der Größe seines Geldbeutels beurteilen. – Mich würde es ja sehr freuen, wenn sich ein freundnachbarschaftlicher Verkehr zwischen unseren Familien fände; vor allem für meine Frau. Die Ärmste kommt selten aus dem Haus, und Sie wissen ja: Frauen brauchen Aufheiterung schließlich noch nötiger als wir. Und auch ich sehne mich manchmal nach menschlichem Umgang. Also, auf Wiedersehen in Ragatzin!«

Er reichte Kriebow die Hand. Der Grabenhäger schüttelte sie kräftig.

 


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