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Dies die Straße? -- Dies das Haus? -- Dies der Garten?
Wie eitel sind Erinnerungen!
Als ich nach vielen, vielen Jahren die kleine Ortschaft besuchte, in der ich geboren war, wo ich die erste Jugend verbracht hatte, merkte ich bald, daß sie, obschon in nichts verändert, doch durchaus nicht so war, wie sie sich in meinen Erinnerungen stets dargestellt hatte.
An sich hatte mein kleiner Heimatsort also gar nicht das Leben, an dem ich meiner Meinung nach so lange teilgenommen hatte, nicht das Leben, das in ihm meiner Einbildung nach lange Zeit ohne mich ebenso weitergegangen war, und Örtlichkeiten und Dinge sahen gar nicht so aus, wie ich sie mit so süßen Empfindungen in meinem Gedächtnis bewahrt und behütet hatte.
Jenes Leben hatte nie bestanden außer in mir. Und jetzt, beim Einblick der Dinge -- die nicht anders und doch verändert waren, weil ich verändert war -- schien es mir unwirklich, wie aus einem Traum, eine Täuschung, eine Dichtung von mir aus der damaligen Zeit.
Eitel sind also alle meine Erinnerungen.
Ich glaube, es ist eines der traurigsten, vielleicht das traurigste Erlebnis, das der nach vielen Jahren in die Heimat Zurückkehrende hat, daß er seine Erinnerungen ins Leere versinken, eine nach der andern verblassen und dahinschwinden sieht, die Erinnerungen, die wieder Leben werden möchten, an den alten Plätzen aber keinen Boden finden, weil das veränderte Gefühl diesen Plätzen nicht die Wirklichkeit zu geben vermag, die sie ehedem nicht an sich, aber für ihn besaßen.
Ebenso spürte ich eine heimliche, unbestimmte Bangigkeit, wenn ich den einen oder anderen Gefährten meiner Kindheit und Jugend aufsuchte.
Wenn die Dinge nicht mehr die gleichen waren und mein damaliges Leben sich als Einbildung herausstellte, wie und wer würden dann jene ehemaligen Gefährten sein, die stets fern und in Unkenntnis meiner Vorstellungen gelebt hatten?
Ich sah sie von einer anderen Welt aus, die es nie gegeben hatte außer in meinem trügerischen Gedächtnis, und wenn ich schüchtern auf jemanden anspielte, der für mich ein Bild aus fernen Zeiten war, so fürchtete ich als Antwort zu vernehmen:
Aber wo denn nur? Aber wann denn nur?
Denn wenn auch die Ferne bei meinen ehemaligen Kameraden wie bei allen Menschen der Kindheit einen besonders freundlichen Glanz verlieh, so konnte das bei ihnen doch unmöglich so viel bedeuten wie bei mir, weil sie die kümmerliche, enge, eintönige Wirklichkeit ständig zum Vergleich vor Augen hatten und sie ihnen nie verändert vorkam wie jetzt mir.
Ich erkundigte mich nach vielen, und mit einem Erstaunen, das Beklommenheit und Ärger zugleich war, bemerkte ich, wie bei manchen Namen einige Gesichter sich verfinsterten, während andere einen Ausdruck von Verblüfftheit, Widerwillen oder Mitleid annahmen. Und bei allen zeigte sich die etwas unsichere Gequältheit, die wir angesichts eines Menschen, der sich am hellen Tage, wenn auch mit offenen und klaren Augen, so doch tastend bewegt, die wir angesichts eines Blinden verspüren.
Ich fühlte mich unter dem Eindruck erstarren, den meine Fragen nach manchen Personen machten, die entweder verschollen waren oder nicht mehr verdienten, daß »jemand wie ich« mich um sie bekümmerte.
Jemand wie ich!
Man begriff nicht und konnte nicht begreifen, daß ich meine Fragen von einer vergangenen Zeit her stellte, und daß die, nach denen ich mich erkundigte, immer noch meine Kameraden von damals waren.
Man sah mich, wie ich jetzt war, und jeder sah mich auf seine Art, und von den anderen wußte man -- ja, man wußte es natürlich -- wohin sie geraten waren. Einer war gestorben, kurz nachdem ich die Ortschaft verlassen hatte, und man entsann sich kaum noch seiner. Jetzt durchmaß er, ein verblaßtes Bild, den Zeitraum, den es für ihn nicht mehr gegeben hatte, allein er vermochte keinen Augenblick mehr neues Leben zu gewinnen und blieb der bleiche Schemen meiner fernen Träume. Ein anderer hatte schlecht geendet, verrichtete erniedrigende Arbeit, um sein Leben zu fristen, und redete die respektvoll mit Sie an, mit denen er als Kind und Jüngling auf du und du gestanden hatte. Wieder ein anderer saß sogar eines Diebstahls wegen im Gefängnis und einer, Constantin, ja der, Schutzmann war er und ein gewaltiger Grobian, der sich ein Vergnügen daraus machte, seine ehemaligen Schulkameraden bei Übertretungen zu erwischen.
*
Aber noch mehr staunte ich, als ich mich unvermutet als nahen Freund von vielen wiederfand, von denen ich hätte schwören können, daß ich sie nie oder kaum gekannt habe, oder von solchen, mit denen mich immer nur die unerfreuliche Erinnerung an instinktmäßige Abneigung oder törichte kindliche Eifersüchtelei verbunden hatte.
Mein bester Freund war nach Aussage aller ein gewisser Doktor Palumba, dessen Namen ich nie gehört hatte. Der Ärmste wäre sicher auf die Bahn gekommen, um mich abzuholen, hätte er nicht vor knapp drei Tagen die Frau verloren. Allein wie sehr er auch durch den Kummer über das ihm kürzlich zugestoßene Unglück mitgenommen war, Doktor Palumba hatte bei den ihr Beileid bezeugenden Freunden angelegentlichst nach mir gefragt, ob ich angekommen sei, ob es mir gut gehe, wo ich wohne und wie lange ich mich am Ort aufzuhalten gedenke.
Mit ergreifender Einmütigkeit unterrichteten mich alle, daß nicht ein Tag vergehe, an dem dieser Doktor Palumba nicht ausführlich von mir erzähle, wobei er, unerschöpflich in Einzelheiten, nicht nur die Spiele meiner Kindheit, die Schulstreiche und dann die ersten harmlosen Jünglingsabenteuer schildere, sondern auch alles wiedergebe, was ich seit meinem Fortgehen getan hatte. Er erkundige sich nämlich bei jedem nach mir, der in der Lage war, ihm Auskunft zu erteilen. Man sagte mir auch, daß er bei all diesen Erzählungen die lebhafteste Neigung, die glühendste Sympathie für mich an den Tag lege; allein, obschon ich mich manchem dieser Berichte gegenüber verlegen und sogar ein wenig verärgert und gedemütigt fühlte, weil ich mich in ihm nicht wiederzuerkennen vermochte oder mich auf die törichtste und lächerlichste Art von der Welt dargestellt fand, hatte ich doch nicht den Mut, aufzustehen und Verwahrung einzulegen:
Aber wo denn? Aber wann denn? Wer ist dieser Palumba? Ich habe niemals seinen Namen gehört. Ich war überzeugt, bei solchen Reden hätten sie mich sämtlich voller Angst stehen lassen und nach allen Himmelsrichtungen verkündet:
Wißt ihr es schon? Carlino Bersi ist verrückt geworden. Er sagt, er kenne Palumba nicht und habe ihn nie gekannt.
Oder sie würden denken, daß ich mich um des bißchen Glanzes willen, den mir die eine oder andere kleine Schrift gebracht hat, jetzt der zärtlichen, ergebenen und treuen Freundschaft des schlichten und guten Doktors Palumba schäme.
Also stillgeschwiegen! Nein, alles andere als geschwiegen! Ich beeilte mich, meinerseits ebenfalls den größten Eifer zu zeigen, um zunächst einmal das neue Unglück meines armen Busenfreundes zu erfahren.
Ach, der liebe Palumba! Nein, nein, wie leid er mir tut! Die Frau? Der arme Palumba! Und wieviel Kinder läßt sie ihm zurück?
Drei? gewiß, ja, es mußten drei sein, und jedenfalls alle drei noch klein, da er erst vor kurzem geheiratet hatte. Gut, daß eine ledige Schwester bei ihm war. Gewiß, gewiß, ja natürlich … ich besann mich sehr wohl auf sie. Sie hatte Mutterstelle bei ihm vertreten, diese ledige Schwester … o wie gut war auch sie … Carmela? Nein. An … Angelika? Aber, da sehe doch einer diese Vergeßlichkeit! Antonia, natürlich Antonia, Antonia, endlich hatte ich's! Ja, ich entsann mich ganz genau. Wetten wollte ich, daß auch Antonia nicht einen Tag verstreichen ließ, ohne des längeren von mir zu sprechen. Und richtig, so war es. Und nicht nur von mir erzählte sie, sondern auch von meiner ältesten Schwester, deren Mitschülerin sie bis zum ersten Seminarkursus gewesen war.
Bei Gott, diese letzte Mitteilung packte mich gewissermaßen beim Arm und nagelte mich fest, und ich erwog, daß an der innigen Freundschaft dieses Palumba für mich schließlich doch wohl irgend etwas Wahres sein mußte. Er war es nicht mehr allein, da war auch noch Antonia und nannte sich Freundin einer meiner Schwestern und behauptete, mich als Kind sehr oft in unserem Hause gesehen zu haben, wenn sie meine Schwester besuchte.
Ja, ist es denn möglich -- so tobte es in mir mit wachsender Erregung -- ist es denn möglich, daß an diesen Palumba nur ich keine Erinnerung, und zwar nicht die leiseste Spur, bewahrt habe?
Örtlichkeiten, Dinge und Personen: ja, alles war anders für mich geworden. Aber schließlich beruhte meine Illusion doch auf einem Tatsächlichen, einem Gegebenen, einer Grundlage von Wirklichkeit oder besser von etwas, das damals Wirklichkeit für mich gewesen, stützte sich doch auf irgend etwas. Ich hatte meine Erinnerungen als eitel erkannt, insofern die Dinge, obschon die gleichen, ein anderes Aussehen zeigten, als ich es mir vorgestellt hatte, allein die Dinge waren da. Wo und wann aber hatte dieser Palumba für mich existiert?
Kurz, ich war wie jener Betrunkene, der, während er in einem entlegenen Winkel die Schlemmereien des ganzen Tages wieder von sich gibt, plötzlich einen Hund vor sich sieht und sich, von einem fürchterlichen Zweifel befallen, die Frage vorlegt:
Dies hier habe ich verzehrt. Das da habe ich auch verzehrt. Aber wo in aller Welt habe ich diesen verdammten Köter gegessen?
*
Es ist durchaus nötig, sagte ich zu mir selbst, daß ich ihn aufsuche und mit ihm rede. An seiner Existenz kann ich nicht zweifeln. Er ist hier für alle wirklich der intimste Freund von Carlino Bersi. An mir -- Carlino Bersi -- muß ich zweifeln, solange ich ihn nicht gesehen habe. Oder treibt jemand Scherz? Da soll ein gut Teil meines Daseins, von dem ich nicht eine Spur in mir habe, in einer anderen Person leben. Ist es denn wirklich möglich, daß ich so in einem anderen mir gänzlich unbekannten Menschen existiere, ohne etwas davon zu wissen? Ach, nicht doch, nicht doch! Es ist nicht möglich, nein! Ich habe den Hund nicht gegessen. Dieser Doktor Palumba muß ein Prahlhans sein, einer von den in Landapotheken häufigen Schwätzern, die sich der Freundschaft mit jedem rühmen, der außerhalb des heimatlichen Kreises ein wenig bekannt geworden ist, und sei es auch ein eingefangener Dieb. Nun, wenn dem so ist, dann findet er an mir den Rechten. Er macht sich einen Spaß daraus, mich vor allen als den albernsten Hanswurst dieser Welt hinzustellen. Ich werde mich ihm unter einem erdachten Namen vorstellen, werde ihm sagen, ich sei der Herr … Herr Buffardelli, da haben wir's, Freund und Zunft- und Studiengenosse von Carlino Bersi in Rom und mit ihm für einen Kunstausflug nach Sizilien gekommen; werde ihm sagen, Carlino habe Hals über Kopf nach Palermo zurückfahren müssen, um unser Gepäck mit sämtlichen Malutensilien, die mit uns zusammen hätten eintreffen sollen, an der Zollstation zu holen, habe jedoch auf die Nachricht von dem seinem geliebten Freunde Doktor Palumba zugestoßenen Unglück mich, Filippo Buffardelli, erst mal gleich hergeschickt, um seine Teilnahme kundzugeben. Ich werde mich sogar mit einer Visitenkarte von Carlino präsentieren. Ach, ich bin davon überzeugt, fest davon überzeugt, daß er anbeißen wird. Gesetzt jedoch den unwahrscheinlichen Fall, daß er mich wirklich einmal gekannt hat und mich wiedererkennt? Nun, bin ich für ihn nicht ein großer Spaßvogel? Dann sage ich ihm eben, daß ich ihm einen Streich habe spielen wollen.
Viele meiner ehemaligen Kameraden, eigentlich alle, hatten anfangs Mühe, mich wiederzuerkennen. In der Tat merkte ich selbst, daß ich mich sehr verändert hatte, fett und bärtig, wie ich jetzt war, ach, und ohne Haare!
Ich ließ mir das Haus von Doktor Palumba zeigen und ging hin.
*
O welche Erleichterung! -- In einem mit richtiger Provinzeleganz ausgestatteten kleinen Salon sah ich mich einem hageren, schmutzig blonden Mann gegenüber, in Hausmütze und gestickten Pantoffeln. Das Kinn saß ihm auf der Brust, und die Lippen hatten sich gedehnt; beides, weil er sich ständig anstrengte, über die Brillenränder hinwegzusehen. Ich fühlte mich sofort wieder bei Kräften. Nein, nichts, nicht eine Spur von mir und meinem Leben konnte in diesem Manne sein.
Sicher hatte weder ich ihn, noch er mich jemals gesehen.
»Buff … Verzeihung, wie sagten Sie?«
»Buffardelli, zu dienen. Hier. Ich habe eine Karte von Carlino Bersi für Sie.«
»Ach, Carlino, mein Carlino«, brach es jubelnd aus Doktor Palumba hervor, während er die Visitenkarte drückte und an die Lippen brachte, als wolle er sie küssen. »Und warum ist er nicht gekommen? Wo ist er? Wohin ist er gegangen? Wenn Sie wüßten, wie ich darauf brenne, ihn wiederzusehen. Wie tröstlich würde sein Besuch gerade jetzt für mich sein! Aber er kommt. Da steht es. Ja, er verspricht mir, zu kommen. Der Liebe, Liebe! Was ist ihm denn zugestoßen?«
Ich erzählte ihm von dem Gepäck, das er am Zoll in Palermo suche. Am Ende verloren? Wie der gute Mann sich betrübte! Vielleicht war gar ein Bild von Carlino dabei?
Er schimpfte auf den elenden Eisenbahnbetrieb, dann fragte er mich, ob ich schon lange Carlinos Freund sei, ob wir in Rom zusammen wohnten …
Es war erstaunlich! Er betrachtete mich unverwandt, auch durch die Brille, während er diese Fragen an mich richtete. Aber in seinen Augen lag nichts als das Bestreben, mir vom Gesicht abzulesen, ob meine Freundschaft für Carlino ebenso aufrichtig und meine Neigung für ihn ebenso stark sei wie die seine.
Ich antwortete, so gut wie ich bei der Ergriffenheit und Gerührtheit über dieses Wunder vermochte. Dann drängte ich ihn, von mir zu sprechen.
Oh, es genügte der ganz leichte Anstoß eines Wortes. Ein Gießbach närrischer Anekdoten überschüttete mich: Von Carlino als Kind, das in Via San Pietro wohnte und vom Balkon aus Papierpfeile auf den Hut des Pfründenpaters schoß, von Carlino als Jungen, der mit den Gegnern von der Piazza San Francesco Schlachten schlug, von Carlino in der Schule und Carlino in den Ferien, von Carlino, dem sie einen Kohlstrunk ins Gesicht schleuderten und durch ein Wunder nicht blind machten; von Carlino als Komödien- und Marionettenspieler, als Kunstreiter und Ringkämpfer, als Rechtsverfechter und Scharfschütze, als Räuber und Schlangenjäger und Froschfänger, und von Carlino, der von einem Balkon auf einen Strohhaufen fiel und gestorben wäre, wenn ihm nicht ein riesiger Drache als Fallschirm gedient hätte; von Carlino …
Verblüfft hörte ich zu. Was heißt verblüfft? Halb versteinert. Gewiß war an all diesen Erzählungen etwas, das mit meinen Erinnerungen eine entfernte Ähnlichkeit besaß. Es waren Berichte, gleichsam auf den Rahmen meiner eigenen Erinnerungen gestickt, mit spärlichen, groben und schiefen Stichen. Allenfalls konnten es meine Erinnerungen sein; sie waren ebenso fehlerhaft und unzusammenhängend und dazu noch bar jeder Poesie, ins Kümmerliche, Läppische gezogen, gleichsam verbogen und der elenden Wirklichkeit, der traurigen Enge der Umgebung angepaßt.
Allein, wie und woher waren sie an diesen Menschen gelangt, der da vor mir stand, der mich betrachtete und nicht erkannte, den ich betrachtete und … Und doch! War es ein Aufleuchten, das ich in seinen Augen bemerkte, war es der Tonfall seiner Stimme? Ich weiß es nicht. Es geschah blitzartig. Ich ließ den Blick in ferne Zeiten versinken und kehrte langsam mit einem Seufzer und einem Namen zurück:
»Loverde …«
Doktor Palumba hielt bestürzt inne.
»Loverde, ja«, sagte er. »Früher hieß ich Loverde. Doch wurde ich mit sechzehn Jahren von Sanitätshauptmann Cesare Palumba adoptiert, der … aber Sie, Verzeihung, woher wissen Sie das?«
Ich konnte nicht länger an mich halten: »Loverde, ja, ja, jetzt besinne ich mich -- in der dritten Elementarklasse; natürlich … eine flüchtige Bekanntschaft …«
»Mit Ihnen? Wie, Sie hätten mich gekannt?«
»Aber ja … warte … Loverde; der Vorname?«
»Carlo …«
»Richtig, Carlo, wie ich also … nun, erkennst du mich wirklich nicht? Ich bin es, siehst du's denn nicht? Carlino Bersi!«
Der arme Doktor Palumba stand wie vom Blitz getroffen. Er legte die Hände an den Kopf, während sein Gesicht in Zuckungen geriet und sich verzerrte, wie von unsichtbaren Nadeln gestochen.
»Sie? Du? Carlino, Sie? Du? Aber wie denn? … Ich … mein Gott … Aber das ist …«
Ich war grausam, ich gebe es zu. Und ich bedauere meine Grausamkeit um so mehr, als der Arme ohne Zweifel annehmen mußte, daß ich mir das Vergnügen machen wolle, ihn durch meinen Scherz vor dem Städtchen zu entlarven. Dabei war ich jetzt von seinem guten Glauben mehr als überzeugt, mehr als überzeugt, daß ich ein Narr gewesen war, mich so zu wundern; denn ich selber hatte ja den ganzen Tag über die Erfahrung gemacht, daß das, was wir unsere Erinnerungen nennen, durch die Wirklichkeit nicht bestätigt wird. Der arme Doktor Palumba glaubte sich zu entsinnen. Statt dessen hatte er sich ein schönes Märchen über mich zurechtgemacht. Aber hatte ich mir nicht auch eins erdichtet, das beim ersten Schritt in meinen Heimatsort dahingeschwunden war? Eine Stunde lang hatte ich ihm gegenübergestanden, und er hatte mich nicht erkannt. Und ich wette, daß er ein Bild von Carlino Bersi in sich trug, nicht wie ich war, sondern wie er mich stets geträumt hatte.
Und da war ich nun gekommen und hatte ihn aus diesem Traum geschreckt.
Ich suchte ihn zu trösten, zu beruhigen, aber das krampfhafte Zittern seines ganzen Körpers wurde nur stärker und ließ ihn nicht mehr los. Er fuchtelte herum, mit verlorenem Blick. Es schien, als suche er sich und seine verirrten Gedanken, als wolle er sie ergreifen und festhalten; und er gab nicht Ruhe, sondern stammelte immer weiter:
»Aber wie denn … was sagen Sie … also Sie … das heißt du … du also … wieso … entsinnst du dich nicht … daß du … daß ich …«