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Den Tod im Rücken

Was ich sagen wollte: Sie sind doch ein besonnener Mensch und haben trotzdem den Zug verpaßt?«

»Ja, denken Sie, um eine Minute zu spät. Ich komme am Bahnhof an und sehe ihn vor meinen Augen davonfahren.«

»Sie konnten doch hinterherlaufen.«

»Richtig, es ist zum Lachen, ich weiß es. Ja, bei Gott, wenn ich nicht durch all die Pakete, Paketchen und Päckchen behindert gewesen wäre … Beladener als ein Packesel … Aber die Frauen mit ihren Besorgungen, das nimmt ja kein Ende. Glauben Sie mir, daß ich, aus dem Wagen gestiegen, drei Minuten gebraucht habe, um die Schleifen von all den Paketen an meinen Fingern zu verteilen? Zwei an jedem.«

»Das muß schön ausgesehen haben! Wissen Sie, was ich getan hätte? Ich hätte sie im Wagen gelassen.«

»Und meine Frau? Jawohl. Und meine Töchter? Und alle ihre Freundinnen?«

»Ich hätte die Schelte hingenommen. Auf das Höchste belustigt hätte mich das sogar.«

»Vielleicht wissen Sie nicht, was in der Sommerfrische aus den Frauen wird.«

»Und ob ich das weiß! Nein eben, weil ich es weiß. Sie sagen immer, daß sie nichts gebrauchen werden.«

»Das allein? Sie sind sogar imstande zu behaupten, daß sie hingehen, um zu sparen. Aber kaum in einer kleinen Ortschaft der hiesigen Umgebung angelangt: je häßlicher, ärmlicher und schmutziger diese ist, um so mehr versteifen sie sich darauf, sie mit ihrem auffallendsten Tand zu verschönern. Ja die Frauen, lieber Herr! Im übrigen ist es ihr Beruf … ›Könntest Du nicht einen Sprung in die Stadt machen, Lieber? Ich brauchte dringend dies … und das, und könntest Du nicht auch, wenn es Dich nicht langweilt -- wohlgemerkt: ›Lieber‹ und: ›wenn es Dich nicht langweilt‹ -- und dann, wo Du gerade da bist, im Vorbeifahren‹ … ›Aber, wie soll ich denn in drei Stunden mit all diesen Besorgungen fertig werden, meine Teure?‹ ›Ach was, wenn Du einen Wagen nimmst.‹ Das Hauptunglück ist übrigens, daß ich infolge der Absicht, nur drei Stunden zu bleiben, ohne Hausschlüssel gefahren bin.«

»Das ist allerdings … Und deshalb …«

»Ich habe den ganzen Berg von Paketen und Paketchen am Bahnhof in Verwahrung gegeben, habe in einem Restaurant zu Abend gegessen und bin dann, um meinen Ärger verrauchen zu lassen, ins Theater gegangen. Man kam um vor Hitze. Und was sollte ich tun, als es zu Ende war? Mich in einem Gasthaus schlafen legen? Es ist schon Mitternacht. Um vier Uhr geht der erste Zug; den nehme ich. Sich für drei Stunden hinlegen, lohnt die Ausgabe nicht. So bin ich denn hierher gekommen. Dieses Café schließt doch nicht?«

»Nein, es schließt nicht. -- Und Sie haben also sämtliche Pakete am Bahnhof in Verwahrung gegeben?«

»Warum nicht? Sind sie dort nicht sicher? Sie waren alle gut verschnürt.«

»Aber nein, nein, das meine ich nicht. Gut verschnürt, ja, ich kann es mir denken, mit dem besonderen Geschick, das die jungen Leute in den Geschäften beim Einwickeln der verkauften Sachen zeigen … Was sind das für Hände! Ein großer Bogen, doppelt gelegt, rosig, schön geglättet … ihn zu betrachten ist allein schon ein Vergnügen … so glatt, daß man sein Gesicht herauflegen möchte, um sich von seiner Frische liebkosen zu lassen … Den breiten sie auf dem Ladentisch aus und packen den leichten, ordentlich zusammengelegten Stoff mit bestrickender Unbefangenheit mitten darauf. Dann heben sie von unten mit dem Rücken der Hand das eine Stück, holen das andere von oben und falten zum Überfluß, aus reiner Liebe zur Sache, das Ganze noch einmal mit flinker Anmut. Darauf schlagen sie das Papier auf beiden Seiten zu einem Dreieck um und stopfen die geknickten Ecken nach innen, strecken eine Hand zur Bindfadenrolle aus, ziehen so viel heraus, wie sie zum Schnüren gebrauchen, und machen das so schnell, daß Ihnen nicht einmal Zeit genug bleibt, die Geschicklichkeit zu bewundern; denn schon wird Ihnen das Paket mit einer Schlinge zum Durchstecken des Fingers überreicht.«

»Nun, man steht, daß Sie den jungen Leuten in den Geschäften viel Zeit gewidmet haben.«

»Ich? Ganze Tage bringe ich bei ihnen zu. Ich bin imstande, eine Stunde lang vor einem Laden zu stehen und durch die Scheiben zu gucken. Mich dünkt, ich wäre, und ich möchte auch wirklich das Stück Seide oder Leinen, oder das rote oder blaue Band sein, das die jungen Mädchen im Kurzwarengeschäft nach dem Meter ausmessen -- Haben Sie gesehen, wie sie es machen? -- und sich dann in Form einer Acht um den Daumen und den kleinen Finger der linken Hand schlingen, bevor sie es einwickeln … Ich betrachte den Käufer oder die Käuferin, die mit dem Paket aus dem Laden treten, das sie am Finger hängend oder in der Hand oder unter dem Arm tragen, folge ihnen mit dem Blick, bis ich sie aus den Augen verliere, und denke mir dabei … ja, was ich mir nicht alles denke! -- Sie können sich keine Vorstellung davon machen. Aber ich brauche es. Ich brauche das.«

»Sie brauchen das? Verzeihung! Was eigentlich?«

»Mich so anzuklammern, ich meine, mit der Phantasie an das Leben zu klammern wie einer, der sich an den Stangen eines Gitters hochwindet; die Phantasie keinen Augenblick ruhen zu lassen, mit ihr unablässig dem Dasein Anderer nachzugehen, aber nicht von Leuten, die ich kenne. Nein, das nicht. Das könnte ich nicht. Wenn Sie wüßten, wie mich das langweilt, wie mich das anekelt … aber wohl dem Dasein Unbekannter, wo meine Phantasie ungestört arbeiten kann, jedoch nicht nach ihrer Laune, sondern mit Berücksichtigung der geringsten Äußerlichkeiten, die ich bei dem und jenem entdecke. Und wenn Sie wüßten, wie lange und wie sie arbeitet: bis ich ganz eingedrungen bin. Ich sehe das Haus von dem und jenem, lebe und atme dort und spüre sogar … Sie wissen, daß in jedem Haus eine besondere Luft weht, in Ihrem wie in dem meinen … allein in unserem spüren wir sie nicht mehr, weil es der Atem unseres eigenen Lebens ist. Drücke ich mich recht aus? Aber ich sehe, daß Sie es bejahen …«

»Gewiß, denn ich sollte meinen, daß Sie ein schönes Vergnügen empfinden müssen, wenn Sie sich so viel ausdenken.«

»Vergnügen? Ich?«

»Ja, so stelle ich es mir vor.«

»Was für ein Vergnügen wohl? Sagen Sie: Haben Sie jemals einen tüchtigen Arzt konsultiert?«

»Ich? Nein! Weshalb? Ich bin keineswegs krank.«

»Das meine ich auch nicht. Ich frage es, um zu erfahren, ob Sie im Hause eines solchen tüchtigen Arztes den Raum kennen, in dem die Patienten warten, bis sie zur Untersuchung an der Reihe sind.«

»Ja, ja, ich mußte einmal eine meiner Tochter begleiten, die an den Nerven litt.«

»Schön. Aber das ist nicht, was ich wissen möchte. Ich meine diesen Raum … Haben Sie acht gegeben? Altmodische Sofas aus dunklem Stoff, die gepolsterten, oft gar nicht zueinander passenden Sessel, die Lehnstühle? Es sind zufällig erworbene, für alt gekaufte Sachen, die man den Patienten hingestellt hat, und die gar nicht zum Hause gehören. Für sich und die Freundinnen seiner Gattin hat der Herr Doktor einen ganz andern, prächtigen und eleganten Salon. Wer weiß, wie mancher Stuhl und mancher Lehnsessel aus diesem Salon schreien würde, wenn man ihn in das Wartezimmer brächte. Denn die einfache Einrichtung genügt. Ich möchte wissen, ob Sie, als Sie Ihrer Tochter wegen beim Arzt waren, mit Aufmerksamkeit den Sessel oder Stuhl betrachtet haben, auf dem Sie während des Wartens saßen.«

»Nein, wahrhaftig nicht.«

»Nun ja, weil Sie nicht krank waren. Aber auch die Kranken achten häufig nicht darauf, weil sie mit ihrem Leiden zu sehr beschäftigt sind. Und doch gibt es viele, die gespannt auf ihren Finger sehen, während er leere Zeichen auf die blanke Lehne des Sessels schreibt, auf dem sie sitzen. Sie denken und sehen nicht. Aber was für ein Eindruck, wenn man nach der Untersuchung noch einmal durch das Zimmer geht und den Stuhl wiedersieht, auf dem man eben noch in Erwartung des Bescheides über das unbekannte Leiden saß. Man findet ihn von einem andern Patienten besetzt, der auch ein heimliches Übel hat, oder leer und gleichgültig einer neuen Person harrend, die sich auf ihn setzen wird … Aber wovon sprachen wir doch? Ach ja … vom Vergnügen, das die Phantasie gibt … Warum habe ich dabei nur sofort an einen Stuhl aus diesen Zimmern der Ärzte gedacht, wo die Patienten auf die Untersuchung warten …«

»Ja, wirklich …«

»Begreifen Sie es? Ich nicht. Aber es ist so, daß jedem von uns bestimmte Verknüpfungen zeitlich getrennter Vorstellungen eigen sind, Verknüpfungen, die von so besonderen Umständen und Erfahrungen abhängen, daß wir uns gegenseitig nicht verstehen würden, wenn wir es im Gespräch nicht vermieden, sie zu erwähnen. Oft ist nichts unlogischer als diese Analogien. Aber die Beziehung, sehen Sie, könnte vielleicht diese sein: Kann es den Stühlen Freude bereiten, sich auszudenken, wer der Patient sein mag, der in Erwartung der Konsultation auf ihnen Platz genommen hat; was für ein Leiden er hat, wohin er nach der Untersuchung gehen, und was er tun wird? Nein. Und so leugne auch ich mein Vergnügen. Es kommen so viele Patienten, und die armen Stühle sind da, um besetzt zu werden. Nun, meine Beschäftigung ist eine ähnliche. Bald interessiert mich der, bald jener. Augenblicklich gebe ich mich mit Ihnen ab, aber glauben Sie nur nicht, daß es mir das geringste Vergnügen bereitet, daran zu denken, daß Sie den Zug verfehlt haben, oder an Ihre Familie, die in der Sommerfrische auf Sie wartet, oder an all die Verdrießlichkeiten, die Sie vermutlich erleben …«

»Ach, genügend, das dürfen die mir glauben.«

»Danken die Gott, wenn es nur Verdrießlichkeiten sind. Denn es gibt Schlimmeres, lieber Herr. Ich weiß es, weil ich das Bedürfnis habe, mich mit der Phantasie an das Dasein anderer zu heften. Aber das geschieht nur so, ohne Vergnügen, ohne irgendwelche Teilnahme, vielmehr, um zu fühlen, wie langweilig, um beurteilen zu lernen, wie töricht und eitel das Leben ist; so eitel, daß wirklich keiner zu bedauern braucht, wenn es ein Ende hat. Und eben dies müssen wir uns unerbittlich mit ständigen Belegen und Beispielen vorhalten. Denn, lieber Herr, wir wissen zwar nicht, woher es kommt, aber wir alle spüren es wie ein Würgen in der Kehle, daß die Lebenslust nie Befriedigung findet, nie Befriedigung finden kann, weil das Leben in jedem Augenblick so gierig nach sich selber ist, daß es sich nicht genießen läßt. Der Genuß liegt in der Vergangenheit, die sich in uns lebendig erhält. Die Lust am Leben kommt daher, kommt von den Erinnerungen, die uns binden. Binden, jedoch woran? An eine Dummheit, an einen Verdruß, an viele törichte Illusionen, an fade Beschäftigungen … an etwas, das jetzt ein Verdruß ist -- ja, ich gehe so weit, zu behaupten: auch an etwas, das jetzt ein Unglück, ein richtiges Unglück für uns ist. Jawohl. Wer weiß, wie das nach vier, nach fünf, nach zehn Jahren aussehen wird, in welche Lust sich die Tränen verwandeln werden. Und, bei Gott, der bloße Gedanke, das Leben zu verlieren, zumal, wenn es nach Tagen zählt … Da … Sehen Sie? Dort in der Ecke meine ich … Sehen Sie die traurige Larve da, die einmal Frau war? Jetzt hat sie sich versteckt.«

»Von wem sprechen Sie? Wer hat …«

»Haben Sie sie nicht gesehen? Sie hat sich versteckt.«

»Eine Frau?«

»Ja, meine Frau.«

»Ah, Ihre Gattin.«

»Sie überwacht mich aus der Ferne. Und ich hätte Lust, glauben Sie mir, es sie büßen zu lassen. Aber es wäre unnütz. Denn sie ist wie eine Hündin, die sich verlaufen hat und sich um so hartnäckiger an die Fersen heftet, je mehr Fußtritte man ihr gibt. Was diese Frau um meinetwillen duldet, können Sie sich nicht vorstellen. Sie ißt nicht mehr, sie schläft nicht mehr … Tag und Nacht folgt sie mir … wie jetzt … in einem bestimmten Abstand. Wenn sie wenigstens daran dächte, die Lumpen zu bürsten, die sie auf dem Kopf trägt, und diese Kleider … Sie sieht ja nicht mehr wie eine Frau aus, sondern wie ein Wischlappen. Auch die Haare an den Schläfen sind für alle Zeiten verstaubt, und dabei ist sie kaum vierunddreißig Jahre alt. Sie können sich nicht denken, wie sie mich reizt. Manchmal springe ich auf sie zu, schüttle sie und schreie ihr ins Gesicht: Dumme Person! Sie nimmt alles hin, steht da und sieht mich mit einem Blick an, einem Blick, daß ich in meinen Fingern wahrhaftig eine wilde Lust verspüre, sie zu erdrosseln. Keine Wirkung! Sie wartet, bis ich mich entferne, um mir aufs neue zu folgen. Da, sehen Sie … jetzt steckt sie den Kopf wieder vor …«

»Arme Frau! …«

»Ach, arme Frau! Sie möchte nämlich, daß ich zu Hause bleibe und mich friedlich dort aufhalte, wie es ihr behagt, damit sie mir ihre innige und verliebte Pflege angedeihen lassen und sich wieder der makellosen Ordnung in sämtlichen Räumen, der Sauberkeit aller Möbel, der vollkommenen, vom Ticktack der Pendeluhr im Eßzimmer gemessenen Stille, die vormals in meiner Wohnung herrschte, erfreuen kann. Das möchte sie. Aber nun frage ich Sie, um Ihnen die Ungereimtheit, ach was Ungereimtheit: die mörderische Grausamkeit dieses Ansinnens begreiflich zu machen, frage ich Sie, ob Sie es für möglich halten, daß die Häuser von Avezzano und Messina, wenn sie gewußt hätten, daß sie von einem Erdbeben zerstört würden, dem Grundriß der städtischen Baukommission treu, in Reih und Glied an Straßen und Plätzen ruhig im Mondschein stehen geblieben wären. Bei Gott, Häuser aus Stein und Balken wären davongelaufen! Man stelle sich die Bürger von Avezzano und Messina vor, wie sie sich ausziehen, um sich schlafen zu legen, wie sie ihre Kleider falten, die Stiefel herausstellen, unter die Decken kriechen und das reine, weiße, frischgewaschene Bettzeug genießen in dem Bewußtsein, daß sie binnen weniger Stunden tot sein werden … Dünkt Sie das möglich?«

»Aber vielleicht denkt Ihre Gattin …«

»Lassen Sie mich aussprechen! Nehmen Sie an, lieber Herr, der Tod wäre so etwas wie ein eigenartiges, häßliches Insekt, das jemand unvermutet an uns entdeckt. Sie gingen also auf der Straße, und ein anderer Passant hielte Sie plötzlich fest, streckte behutsam zwei Finger aus und sagte: »Verzeihung! Gestatten Sie, verehrter Herr! Sie haben den Tod auf sich sitzen.« Und mit den beiden ausgestreckten Dingern nähme er ihn und würfe ihn weg -- das wäre herrlich! Allein der Tod ist leider nicht so ein ekelhaftes Insekt. Mancher, der harmlos und ahnungslos umherwandelt, hat ihn vielleicht auf dem Rücken. Keiner sieht ihn, und er denkt indessen ruhig an das, was er morgen und übermorgen tun will. Ich nun, lieber Herr … hier … kommen Sie … hierher, unter die Lampe … kommen Sie … ich will Ihnen etwas zeigen … Sehen Sie hier unter dem Schnurrbart das kleine, bläuliche Geschwür? Wissen Sie, wie das heißt? O ein zauberhafter Name -- süßer als eine Karamelle. Epithelioma heißt es. Sprechen Sie ihn aus, sprechen Sie ihn einmal aus, dann werden Sie den Wohllaut empfinden: Epitheli-o-ma … Der Tod ist nämlich vorbeigekommen, hat mir diese Blüte in den Mund gesteckt und gesagt: »Bewahre sie gut, Lieber. In acht oder zehn Monaten komme ich wieder«. Und nun sagen Sie mir bitte, ob ich mit dieser Blüte im Mund ruhig und unbekümmert zu Hause sitzen kann, wie die Unglückliche da es gerne möchte. Ich schreie ihr zu: ›Willst wohl gar noch, daß ich dich küsse?‹ ›Ach ja, küsse mich!‹ Und wissen Sie, was sie getan hat? Mit einer Stecknadel hat sie sich in der vorigen Woche eine Kratzwunde an der Lippe beigebracht und dann meinen Kopf genommen. Sie wollte mich küssen, auf den Mund küssen. Denn sie will durchaus mit mir sterben, die Närrische. -- Ich halte es zu Hause nicht aus. Vor den Glasscheiben der Läden muß ich stehen und die Geschicklichkeit der jungen Verkäufer bewundern. Denn, wissen Sie, wenn es nur einen Augenblick leer in mir würde, dann könnte mich ohne weiteres -- Sie werden das begreifen -- die Lust ankommen, in irgendeinem Unbekannten gewissermaßen das ganze Leben zu erschlagen; ich könnte den Revolver ziehen und jemanden umbringen, der, wie Sie, unglücklicherweise den Zug versäumt hat … Nein, nein, fürchten Sie nichts, lieber Herr! Ich scherze. Ich gehe jetzt. Wenn überhaupt, würde ich mich selber töten. -- Übrigens gibt es in diesen Tagen schon gute Aprikosen. Wie essen Sie sie? Mit der Schale, nicht wahr? Man teilt sie in der Mitte, dann faßt man sie der Länge nach wie zwei saftige Lippen … Was für ein Genuß! -- Empfehlen Sie mich Ihrer verehrten Gattin und Ihren Töchtern in der Sommerfrische. Ich sehe sie, weiß und himmelblau gekleidet, auf einer schönen, grünen, schattigen Wiese vor mir. Und tun Sie mir einen Gefallen, wenn Sie morgen früh ankommen! Ich nehme an, daß der kleine Ort etwas abseits vom Bahnhof liegt. In der Frühe können Sie den Weg zu Fuß gehen. Pflücken Sie den ersten Grasbüschel am Straßenrand und zählen Sie für mich die Halme. Soviel Halme sind, soviel Tage werde ich noch am Leben sein. Aber suchen Sie einen recht großen Büschel aus, ich bitte darum, gute Nacht, lieber Herr!«


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