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II.
Prinz Robert de Courtenay

Als Napoleon III. zur Macht kam, sandte der Prinz Robert de Courtenay seinen Sekretär Mérigneux, der dem erstaunten Herrscher einen stolzen Protest vorlas. Gedrängt, seinen Schritt zu erklären, zitierte er diese Zeilen von Saint-Simon: »Der Prinz von Courtenay überreicht dem Regenten einen sehr schönen Protest, der kräftig, aber achtungsvoll und gut geschrieben ist, um seine Staaten und Rechte zu behaupten, wie er das bei jeder Erneuerung der Herrschaft getan hat.«

– Ich wußte nicht, daß Frankreich seine Herzöge von Medina Celi hatte? Was will Ihr Herr?

– Den Thron, den Sie mit Unrecht einnehmen.

Napoleon fand diese Forderung, die in sanftem Ton gestellt wurde, etwas stark.

– Wenn der Prinz etwas von seinen Ansprüchen ablassen möchte?

– Nein.

– Warum denn dieser Schritt?

– Um sein Recht zu behaupten.

Und Mérigneux ging mit Würde.

Als die Republik erklärt wurde, war das Schicksal des Prinzen entschieden. Der Nachkomme des Kreuzfahrers Josselin de Courtenay, des Grafen von Edessa, von Robert, dem Erzbischof von Reims, würde auf alltägliche Weise erlöschen. Jedoch war beständig auf einem Pult ein Oktavband von 1662 ausgebreitet, der nur elf Blätter hatte und dessen Titel lautete: »Protest S. H. des Prinzen von Courtenay, in die Hände des Königs gelegt, um die Rechte seines Hauses zu behaupten.«

Als ihm Lady Astor zum ersten Male bei einem Künstlerdiner vorgestellt wurde, konnte der Prinz einer so fein entarteten Schönheit gegenüber seine Bewegung nicht verbergen; aber, obwohl bezaubert, sträubte er sich gegen den Zauber.

Von Gadagne beraten, hatte Lady Astor in der pariser Welt auf eine Weise Fuß gefaßt, welche die Beobachter beunruhigte. Das Gerücht ging, daß Saint-Méen und Talagrand, zwei bizarre Dichter, für sie ein Stück schrieben, das etwas von der »Sarrasine« Balzacs und der »Fragoletta« Latouches hatte.

Ganz persönliche Einladungen wurden versandt für die einzige Aufführung von »Nino-Nina«, im Théâtre des Menus-Plaisirs, das für diesen Abend gepachtet war. Ein Verkauf von Karten fand nicht statt.

Ob nun die vierhundert Geladenen Vergnügen daran fanden, die Neugier des Publikums zu erregen, oder ob sie aufrichtig waren: am nächsten Morgen äußerten sie sich in bewundernden Aussprüchen. Wie auf eine geheime Losung nannten die eingeladenen Journalisten das Stück ein Meisterwerk, die Schauspielerin göttlich und beklagten die Menschheit, denn dieses Wunder sollte nie wieder gespielt noch gedruckt werden: es folgten Pausen, von Gedankenstrichen besternt, welche die geeignetste Sammlung von Besen sind, auf denen die Phantasie des Lesers zum Hexensabbat reiten kann.

Der Prinz war der erste gewesen, der zu dieser seltsamen Aufführung eingeladen wurde. Als der Vorhang unter einem Donner von Applaus fiel, ging er in ihre Loge, um ihr zu gratulieren.

Sie kleidete sich nicht um, sondern behielt ihr Kostüm als Pifferaro des Stückes.

Journalisten fragten, welchen Namen man ihr im Feuilleton geben sollte.

– Den Namen der Rolle, sagte einer, die … »Nina«.

– Da bin ich getauft, erwiderte sie, ohne zu ahnen, daß ihr der Name bleiben werde.

Das Lob des Prinzen schien auf sie mehr Eindruck zu machen als das aller andern: sie lud ihn zum Souper ein, das in ihrem Hause auf dem Boulevard de Courcelles stattfand.

Als der Tag graute und alle Gäste gingen, kam Courtenay, nachdem er zum Scheine ebenfalls gegangen war, in dem Augenblick zurück, als sie ihr Zimmer betrat. Sie hatte es vorausgesehen.

Ohne etwas zu sagen, ergriff der Prinz ihre Hände und sah ihr in die Augen mit einem begehrenden Blick, der bedeutete: »Wollen Sie?«

Infolge einer genialen Eingebung, die ihn in seinem großen und leidenden Stolze köstlich berührte, warf sie sich an seine Brust und murmelte: »Dem König widersteht man nicht!«

Mittags erwachte Courtenay verliebt.

Sie erhoben sich erst am nächsten Morgen.

Mit dieser königlichen Anmut, die dem geringsten liebenswürdigen Worte eines Ludwig XIV. soviel Wert gab, sagte er, ihr erneut die Hand küssend:

– Mylady, ich halte mich für Ihren Ritter.

Als er nach Hause zurückkehrte, fand der Prinz dort den Marquis von Donnereux vor. Wütend, zu »Nino-Nina« nicht geladen worden zu sein, hatte dieser mit der Witterung des Lasterhaften alles geahnt, als sich Fräulein von Urfé über das Ausbleiben des Prinzen beunruhigte. Er brachte das Gespräch auf die Premiere von vorgestern und erzählte heuchlerisch, ohne boshaft zu erscheinen, dem Prinzen im Einzelnen, wie er Claire gekauft und welche Streiche sie ihm gespielt hatte; schließlich gab er ihm die Nummer der Pförtnerin Pitau, der Mutter der Lady Astor.

Courtenay hörte alles, mit fieberndem Ohr, mit abgewandtem Gesicht.

Sobald der alte Wüstling gegangen war, eilte er, ohne sich die Zeit zu nehmen, sein Mündel zu begrüßen, nach Rue Saint-Antoine 173. Er wartete eine Stunde in der Allee auf die Türschließerin, die ihre Besorgungen machte. Als sie kam, drückte er ihr Goldstücke in die Hand und fragte sie aus.

Aufgebracht, von ihrer Tochter zu Boden geschlagen zu sein und nur zwölfhundert Franken Pension zu beziehen, erleichterte sie ihr Herz. Ihr Geschimpfe stimmte genau zu der Erzählung des Marquis.

– Wie hat Ihre Tochter Lord Astor geheiratet? fragte er.

Mutter Pitau wußte es nicht. Das müsse eine Lüge sein, um die Männer besser zu betören.

– Da ist ein Herr Gadagne, brummte sie, der hier im fünften Stock hauste: er wohnt jetzt Rue de Turenne 10. Er hat der Dirne Stunden gegeben. Von ihm werden Sie vielleicht mehr erfahren. Aber ich warne Sie: beide sind gute Freunde.

Der Prinz stieg die sechs Stockwerke zu Gadagne hinauf und fand einen Mann, der sich in einer Menge von Büchern verlor, auf denen Katzen spazieren gingen.

– Mein Herr, fragte er, sehr erleichtert, einen Gelehrten zu finden, statt des zweideutigen Menschen, den ihn die Türschließerin hatte ahnen lassen, kennen Sie Lady Astor?

– Verzeihung, sagte Gadagne, Sie kenne ich nicht!

– Ich bin der Prinz von Courtenay und bitte Sie, mir zu sagen, ob Claire Pitau und Lady Astor dieselbe Person sind.

– Dieselbe! erklärte Gadagne.

Der Prinz ging lebhaft fort.

Oh! dachte der Philosoph, was ist das?

Während Courtenay nach Hause zurückkehrte und an die Nina einen Brief schrieb, den er mehrere Male anfing, ging Gadagne nach dem Boulevard de Courcelles und trat brüsk ein:

– Was bedeutet es für den Prinzen von Courtenay, ob Lady Astor und Claire Pitau dieselbe Person sind oder nicht?

Sie erbleichte bei der kurzen Erzählung des Philosophen.

– Allein der Marquis könnte … aber ich habe Briefe, die seine Frau …

– Die Marquise von Donnereux ist gestorben.

– Dann ist es dieses Ungeheuer, rief sie.

– Ich glaube, ich bin weise gewesen, als ich Ihnen von der großen Welt abriet: Ihr Sturz wäre tief gewesen.

– Das kann er noch sein; lassen Sie mich nachdenken.

Die Ellbogen auf den Knien, den Kopf in den Händen, stützte sie in Gedanken das einstürzende Gebäude ihrer Träume.

Ein Brief kam vom Prinzen, der lang war. Sie las ihn mehrere Male und antwortete mit diesem Billett:

 

»Sie sagen, daß Sie mich lieben, mein Prinz? Und Sie klagen mich an, während Sie mich beklagen müßten. Worin habe ich Sie getäuscht? Haben Sie irgend eine Frage an mich gerichtet? War der Augenblick, den wir zusammen verlebten, der einer Generalbeichte? Sie brauchten mich nur zu begehren: da habe ich mich Ihnen hingegeben. Sie sind mir verpflichtet.

Man hat Ihnen gesagt, daß meine Mutter mich verkauft hat! Ist das Mädchen, das man verkauft, zu beschuldigen oder zu beklagen? Was die Verleumdungen des Marquis angeht, so werde ich nicht darauf antworten. Es steht Ihnen frei, auf das zu verzichten, was Sie eine sehr glückliche Leidenschaft nannten.

Sie haben mich zu sehr verletzt, als daß ich Ihnen etwas anderes als mein Erstaunen melden kann: dieses Benehmen ist des reizenden Prinzen nicht würdig, den ich noch für vornehmer von Herzen als von Rasse gehalten hatte.

Lord Astor hat mich genug geliebt, um mich zu heiraten. Eure Hoheit scheint über eine Liebesnacht zu erröten, die sie vergessen kann, wie man einen Traum vergißt.

Nina.«

 

Als der Prinz diesen Brief las, geriet er in große Verlegenheit. Er hatte ein dreistes Ableugnen oder ein zynisches Zustimmen erwartet: diese Zurückhaltung feinen Geschmackes verwirrte ihn. Es war wohl eine dauerhafte Neigung, die sich in seinem Fleische erhoben hatte: er schrieb also einen Brief der Entschuldigung, ohne sich über die Zukunft auszusprechen, unbestimmt lassend, was er beschlossen habe.

Die Nina antwortete nicht.

Als fünf Tage vergangen waren, hielt er es nicht mehr aus: die Oper verlassend, machte er sich auf den Weg nach dem Boulevard de Courcelles, in einem bald fieberhaften, bald gehemmten Schritt, wie gegen seinen Willen von einem unbesiegbaren Magnetismus angezogen. Mehrere Male kehrte er auf seinen Spuren um, ging vor dem Hause auf und ab. Der Schweiß brach ihm aus, die Ohren summten ihm, so kämpfte er innerlich.

Plötzlich läutete er: die Kammerfrau öffnete ihm, ohne ein Wort zu sagen. Den Mund trocken vor Angst und Begierde, trat er in das Zimmer, wo eine Nachtlampe leuchtete. Vom Spitzenbett kam eine Stimme, die zugleich liebkosend wie vorwurfsvoll war.

– Seit fünf Nächten erwarte ich Sie.

Er schob mit einer Gebärde die ausgestreckten Arme der Nina beiseite und setzte sich wie zu einem Besuch, da seine Kniekehlen vor Erregung versagten.

Bei dieser Einleitung warf die Nina mit einer plötzlichen Bewegung, die ihr Hemd hochhob, die Decken zurück und setzte sich halb nackt auf den Rand des Bettes.

– Prinz, sagte sie, Lady Astor stört Sie in der Nina. Als Gräfin erscheine ich Ihnen zweifelhaft, aber als Dirne gefalle ich Ihnen, glaube ich. Nun, ich werde ganz einfach die Nina sein, die vom Prinzen Courtenay ausgehalten wird: willst du?

Der Prinz stammelte etwas.

Mit einem Satze, der ihr Hemd ganz emporhob, war sie auf seinen Knien.

– Ich liebe dich, das ist alles!

Courtenay trug sie ins Bett.

»Dummkopf, dachte sie, der dem Karpfen Dank weiß, daß er in den Schlamm zurückkehrt.«


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