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Sie ist allein.
Voll erschlaffendem Schatten und wiegendem Schweigen, dem Licht verschlossen, dem Lärm verschlossen, hat das kreisrunde Gemach die träumerische Sammlung, die süße Schlaftrunkenheit einer italienischen Kapelle zu den Stunden der Siesta; ein buen retiro, dem Stockwerk eines runden Turmes gleich, ohne Fensteröffnung in seinen elliptischen Mauern, auf denen der heraldische Purpur, in den Falten mit silbernen Stiften festgeheftet, seine königliche Trauer und seine traurige Pracht in violettem, mit rot durchdrungenem Atlas ausbreitet.
An den Türvorhängen aus Sammet ersticken die Stimmen von draußen und die Decke rundet sich in eine Kuppel, durch die der Tag hereinfällt, von einem blauen Velarium gehemmt und abgeschwächt.
In dieser weltlichen Krypta, deren Halbdunkel das Violett stellenweise fast schwarz macht, erheben sich große Lilien um einen Schlafsessel, auf dem die Prinzessin, sanft die Kissen eindrückend, den Rücken ausstreckt und ohne Gedanken sinnt, Körper und Geist in der Einsamkeit ausruhend.
Auf ihren an Correggio erinnernden Formen macht das Hausgewand aus violetter Seide Reibungen, die dem Schmollen der Lippen, schüchternen und streifenden Liebkosungen gleichen. Ein Arm, den das Zurückfallen des Aermels entblößt, umfaßt ihren Kopf mit den rötlichen schweren Haaren; der andere hängt mit der Biegsamkeit der Liane, mit der Geschmeidigkeit des Efeus herab und der Rücken der spitzen Finger berührt den geschorenen Plüsch des Teppichs.
Durch ein Klaffen des Stoffes ist der Busen zu sehen, vom Azur der durchscheinenden Adern filigraniert: die sehr von einander getrennten und hoch angesetzten Brüste laufen spitz zu. Von den Füßen sind die Pantoffeln abgefallen: nackt, zeigen sie dieses Abstehen der großen Zehe, das die Leiste des Kothurns bei den Statuen hervorbringt; und das Bad, aus dem sie kommt, hat dieses an Primaticcio Primaticcio, geb. 1504 in Bologna, Schüler Giulio Romanos, Hofmaler Franz' I. von Frankreich, Haupt der Schule von Fontainebleau. erinnernde Ephebentum in weiche Mattheit verweiblicht. Es schien eine Venus Anadyomene dieser frühen italienischen Meister zu sein, die sich mit einem noch frommen Pinsel am wiedererstehenden Heidentum versuchen; ein Botticelli, bei dem die Heilige, als Nymphe entkleidet, ihre Steifheit in der Entartung einer Plastik der Schändung beibehält; eine törichte Jungfrau Dürers, unter italienischem Himmel geboren, durch eine Mischung dieser florentinischen Magerkeit, bei der es keine Knochen gibt, und dieses lombardischen Fleisches, bei dem es kein Fett gibt, verfeinert!
Das Augenlid halb geschlossen über einer undeutlich gesehenen Vision, den Blick in den Horizonten des Traumes verloren, die Nasenflügel durch feine Düfte geschmeichelt, den Mund halb offen wie für einen Kuß – sinnt sie.
Denkt sie an ein Kleid in der Farbe der Zeit, oder an ein Herz, das sie versteht, an die Unendlichkeit oder an Putz? In welcher Gegend des blauen Landes, an die Pforte welches verlorenen Paradieses schlägt ihr Wunsch mit dem Flügel? Auf dem Rücken welcher Chimäre macht sie ihren Ausflug im Traum?
Sie denkt an nichts, weder an jemand, noch an sich selbst!
Diese Abwesenheit jeglichen Gedankens macht ihre Augen verliebt und öffnet halb ihre schmalen Lippen zu einem glücklichen Lächeln.
Sie hat sich ganz der Wollust dieser Stunde reiner Triebhaftigkeit hingegeben, wenn der Gedanke, dieser unruhige Pendel, der immer die Bewegung des Lebens mitmacht, stillsteht; wenn die Wahrnehmung für die Zeit, die vergeht, aufhört, während der Körper allein lebt und in einem unsagbaren Wohlsein der Glieder aufblüht. Da ihre Nerven sich in Ruhe befinden, nimmt sie nur das Gefühl ihres frischen geschmeidigen gesunden Körpers wahr; sie genießt das Glück der Tiere, dieser Kühe von Potter, die gesättigt im hohen Grase kauern und in ihren großen halb geschlossenen Augen einen paradiesischen Frieden spiegeln.
Die Prinzessin ist glücklich wie ein Tier. Ihre Augen, die in die Luft gerichtet sind, erblicken, ohne zu sehen, das Wappen der Este, das auf das Velarium gestickt ist; und der gekrönte Adler aus Silber, mit Gold geschnäbelt und gegliedert, blickt sie auch an; er scheint sein heraldisches Gesicht über das Lazzaronitum des Boudoirs zu verziehen, dessen Decke er verkürzt.
Die Lilien, die königlichen Blumen, die reinen Blumen, treiben, heiter und erhaben, ihre geraden Stengel von den Füßen aus Bronze empor, und ihre silbernen Kelche, mit Gold gestempelt, färben das Purpurgewebe mit keuschen und edlen Tönen.
Ihren Händen entglitten, breitet ein Buch seine Blätter wie ein Fächer aus.
Die völlige Windstille des Geistes und des Meeres ist kurz in dem bedeutenden Kopfe und an der weiten Küste: die Flut des Gedankens erobert schnell den Körper wieder, den sie einen Augenblick verlassen hat. In der Ferne steigen die Bilder und die Wogen auf, bewegt und gedrängt, um den schon trockenen und glänzenden Sand des Strandes und das schon leere und freie Gehirn ihrer kurzen Ruhe zu entreißen.
Der Dampf, der aus der Badewanne aufstieg, ihre Nacktheit verschleiernd, schwebt noch in ihrem Kopfe, in dem sich die Gedanken träge und langsam erheben.
In diesem Erwachen des Unsterblichen im Menschen, wo die Nebel einer Morgendämmerung verdunsten, herrscht, allein deutlich, ein gelesener Satz, der wiederkehrt, sich belästigend wiederholt; wie diese Hälften vergessener Verse, die den Belesenen verfolgen, und diese Melodien, in der Ferne eines Abends gehört, die das Ohr wie eine Spieldose sich eingeprägt hat; ähnlich auch dem sonoren Antwortgesang von Litaneien, die eine Fromme schlaftrunken murmelt; oder auch dem Refrain einer Ballade, deren Strophen man nicht kennt: »Albine gab sich ganz hin, Serge besaß sie, furchtbar war die Zustimmung des Parkes.« Zola, Die Sünde des Abbé Mouret, ein Roman, den Strindberg liebte. Peladan zitiert seinen Antipoden Zola höchst selten: sein Meister ist Balzac.
Bei diesem Kapitel, in dem alle überströmenden Säfte einen Schrei der Brunst ausstoßen, hatte die Prinzessin nicht gebebt. Diese tierische Glut weckte nichts in den zarten und verfeinerten Sinnen dieser Dekadentin. Mit einer kalten Hand hatte sie diese fieberhaften Seiten umgeblättert; aber die Neugier, bei ihr analytisch, hatte sich für dieses Bild eines unbekannten Eindrucks, eines noch unbekannteren Gefühls interessiert.
Die Frau, die einen Roman liest, versucht infolge eines unvermeidlichen Triebes mit ihrer Seele die Leidenschaften des Buches, da sie es liebt, sich in der Heldin wiederzufinden; wie sie unfehlbar einen Mantel von seltener Form, den sie auf einem Möbel findet, auf ihren Schultern probieren wird. Eine Ausnahme, hätte die Prinzessin darunter gelitten, sich beschrieben zu sehen; und wenn sie Balzac las, wurde sie gereizt, weil sie darin Winkel ihres eigenen Wesens enthüllt fand.
Die Pflege ihres Ruhms, von den tierischen Berauschungen der Geschlechtlichkeit nicht beschädigt zu werden, gibt ihr Genugtuung; überzeugt, daß ihr Charakter selten ist, empfängt sie ein Lob von der auffallenden Verschiedenheit, die sie in sich entdeckt, und ihre Ueberlegenheit verstärkt sich durch alles, was sie Andern unähnlich macht.
In ihrer Vergangenheit kein Blühen eines Paradou Paradou, das Paradies des Romans von Zola, in dem Serge und Albine sich lieben.; in ihrer Erinnerung keine Gestalt wie Serge, keine!
Eben im Bade fiel das Wasser in Perlen von ihrer Nacktheit, und sie fand Gefallen an den Lilien ihrer Haut, die kein Kuß jemals erröten ließ; eine Wollust, die den Pharaonen und den Cäsaren gefehlt hat, kommt ihr jetzt von der Enthaltsamkeit ihrer Lenden, von der Kaltblütigkeit ihres Herzens: die kaiserliche Befriedigung, ihren vollen Willen über sich selbst gehabt zu haben.
Sie ist weder Semiramis noch Kleopatra. Ihr berühmter Name hat für sie nur das Ansehen der Ahnen; die Geschichte wird nicht erfahren, ob sie gelebt hat: das ist nur eine große Dame unserer Tage und des alten Adels. Wenn sie aber ihre wirklichen Tugenden als Laster, ihre ruhigen Laster als Tugenden betrachtet, wiederholt sie sich den Titel »Divi Herculis Filia« von Ferrara. Denn sie selbst ist das Ungeheuer, das sie besiegt hat! Ihre Seele, voll von Leidenschaft, ihren Körper, von Begierden durchdrungen: beide hat sie geformt, mit ihrem langen Daumen, mit ihrem eigenwilligen Spatel, nach einem entarteten Ideal der modernen Artemis. Nach einer Idee hat sie gelebt: das ist ihr Ruhm.
Die lyrische Bewegung ihres Hochmuts beruhigt sich; langsam beschwört sie die Einzelheiten, aus denen das Leben gemacht ist, die eine nach der andern.
In die Totengruft der Erinnerungen eintretend, empfängt sie diesen Windstoß kalter und feuchter Luft, den die Stätten haben, aus denen sich Licht und Leben zurückzogen; und die staubige und schimmelige Fadheit der alten Dinge legt ihr deren unbestimmte Rührung auf.
Verworren erwachen: das Echo der Regungen, über die das Herz geschlagen; ein nachträglicher Eindruck der Empfindungen von einst. Ein Leben von Personen und Handlungen findet seinen Rahmen wieder; und während gewohnte Gedanken ins Gehirn zurückkehren, perlt in den Augen die Feuchtigkeit von Tränen, die sie einst geweint.
Sie betrachtet aus der Ferne, von der Höhe ihres Stolzes, das Panorama der verstorbenen Zeit und belebt ihr ganzes totes Leben wieder, indem sie ihre Vergangenheit zur Gegenwart macht.