Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII.
Perseus und Andromeda

Zweieinhalb Uhr morgens: der Saal strahlte.

Als Merodach an der Seite des Marquis von Donnereux vorbeiging, summte er ihm unter die Nase: »Sie werden von der Hand jemandes sterben, den ich kenne.«

Der alte Lüstling glaubte, es sei ein Scherz, der nichts zu bedeuten habe.

– Da wir im Theater sind, sagte der Eingeweihte zum Provenzalen, werde ich dir die Namen auf die Kostüme setzen lassen, durch diesen Pierrot, der hier kommt.

– Herr von Quéant, ich stelle Ihnen meinen Freund, den Dichter Marestan, vor: er würde Ihnen verpflichtet sein, wenn Sie die Anwesenden entkleideten.

– Gern, sagte der Pierrot; aber suchen wir eine Wand, damit wir nur unsere Ohren hinter uns haben.

– Das schwache Geschlecht zuerst, begann er. Gott hat es anders gemacht; aber wir, die Beklatscher der »Schönen Helena«, wir pfeifen auf die Schöpfung, diese verfehlte Zauberposse, bei der die Verwandlungen nicht sichtbar genug sind. Glauben Sie an die Tugend, Herr Dichter, an die der Frauen?

– Besonders an diese, antwortete Marestan.

– Das »besonders« ist heldenhaft; Sie sind nicht blasiert; das ist selten. Ja, es gibt hier ebensoviel Tugend als in … und deren Tugend ist nicht dumm. Der Kopf zieht in die Sünde hinein, und alle diese blonden, braunen und kastanienfarbenen Köpfe teilen sich in zwei Gemeinden: die Getreuen des Louvre und die Anhänger des Bon-Marché, die dem Putz ergeben sind … Sie zitierten uns, Merodach, ein lateinisches Sprichwort, das ich auf französisch behalten habe: »Der Körper kann leicht aufrecht erhalten werden, wenn die Einbildungskraft ihn nicht erregt.« Die Herrin des Hauses ist ein unlösbares Problem; ihre Einbildungskraft erregt sie gewiß und sie berauscht um sich, ohne daß sie den Kopf verliert. Die glücklichen Völker und die ehrbaren Frauen haben weder eine Geschichte noch einen Roman: aus Rücksicht auf diese beiden literarische Formen stürzen Völker und Frauen in das Böse. Was ist denn Roman, Geschichte anders als eine Erzählung von Laster, von Verbrechen, mit einigen Brocken Tugend als Gegensatz? … Die Tugend hat zur ersten Bedingung Schönheit, die selten ist; während das Laster, zu dem die Mittelmäßigkeit ebensowenig zugelassen werden sollte wie zu den Versen, von Tag zu Tag banaler wird. Dieser Cupido, die Marquise de Trinquetailles, ist eine bessere Dirne; ihr Kostüm gibt Ihnen keinen Begriff, wie leicht sie sich entkleidet. Sie hat mehr Männer besessen als eine Hure, aber sie bewahrt den äußeren Anstand in ihrem Saus und Braus mit den unzähligen Sünden, von denen keine sie um ihr Ansehen gebracht hat.

– Sie verleumden, sagte er.

– Cujus pars fuisti, erwiderte Quéant; nehmen wir an, ich habe nichts gesagt. Diese starke Dame im Reifrock, die Gräfin Prébaudet, ist eine alte Frau, welche die Liebe kauft; doch liefert man ihr nicht immer die Ware. Plélan, der viel erhielt, zwanzigtausend Franken, glaube ich, hat nichts gegeben. Haben Sie bemerkt, daß die jungen Leute bei Balzac, die zu etwas kommen, alle, ausgehalten werden? Lucien de Rubempré, ein sympathischer Mensch, wird von einer Schauspielerin, einer Dirne und einem Sträfling ausgehalten Balzac, Glanz und Elend der Kurtisanen. … Uebrigens, wenn eine Frau ihr Kleid öffnet, kann sie auch ihre Börse öffnen.

– Das Gold, sagte Merodach, ist so sehr das Symbol des Bösen geworden, daß es infolge einer geheimnisvollen Alchemie beschmutzt, was es berührt. Ein Gefühl vergolden, heißt es faulen lassen.

– Sehen Sie dieses Gretchen und diesen Gavarni, die Baronin Stains, die blonde, und die braune, Frau von Montmagny. Die erste ist in die Arme der zweiten gefallen, weil sie, von ihrem Gatten verlassen, von ihren Liebhabern betrogen, nur in der sapphischen Liebe die sichere Leidenschaft finden konnte, die für ihre wollüstige und träge Natur paßt …

Quéant hatte sich auf ein Zeichen des jüngeren Fräulein von Chamarande heimlich davon gemacht; Marestan hatte sich mit der Marquise vereinigt; Merodach, unbeweglich wie eine Karyatide, umfaßte das Fest mit einem gelangweilten Blick. Die Tirade von Jean Jacques dem Melancholischen fiel ihm wieder ein. Jedes Jahrhundert, jedes Land schien eine Person seiner Handlung in die menschliche Komödie abgesandt zu haben; und Fresken, Gemälde, Personen der Kunst schienen auch herabgestiegen zu sein.

Der brausende Saal hatte den großartigen Stil der Cella eines Tempels, mit seinen vierundzwanzig dorischen Säulen, seinen zehn großen Bogenfenstern, seinen beim Schein der Kandelaber leuchtenden Marmorplatten, seinen Statuen der zwölf Säulenweiten, die auf Sockeln von blühenden Hügeln aus exotischen Pflanzen auftauchten; mit seinen hohen Spiegeln von abgeschliffenem Rand, welche Teile der Gemälde und das Kommen und Gehen dieser Adligen zurückwarfen, die etwas vom Akzent ihrer Rasse unter den Kostümen ihrer Ahnen wiederfanden.

Keine Chlamys, kein Peplon; Wülste, Reifröcke, alle Elemente der plastischen Lüge, die der traurige Körper der modernen Frau nötig hat. Frau von Chamarande und ihre Töchter wurden sehr bewundert in ägyptischem Schurz, mit ihrem Pschent Pschent, ägypt., Doppelkrone als Symbol für den Beherrscher beider Welten., dessen Ureus bei jeder Bewegung seine mechanische Zunge ausstreckte. Einige Japanerinnen waren sehr umringt; doch, wie Antar in seiner Halluzination bemerkt hatte, triumphierte die Hosenrolle, die Frau als junger Mann, die Gynandre.

Von dem Nackten der Arme, dem Nackten der Hälse, dem Nackten der Schultern, dem Nackten der aus den Miedern springenden Brüste, dem Nackten der Rücken, welche die Lenden ahnen ließen: von all diesem Nackten liefen Strahlen aus von weißem Fleisch, von rosigem Fleisch, von rotem Fleisch, von braunem Fleisch, und von dieser ganzen unbedeckten Haut erhob sich eine duftende Ausdünstung.

Während die Einen die Büste zeigten, vollendeten die Andern, schlimmer mit der wollüstigen Steifheit ihrer eiligen Schrittchen und mit der schamlosen Beleibtheit in den erotischen Kniehosen, wie Grévin sie zeichnet, die Herausforderung, indem sie alle Formen des Weibes zeigten oder betonten.

Den Kindern dieser Welt mußte dies nicht so intensiv erscheinen; von diesem Reiz erfaßt, hielten sie ihn für korrekt und beunruhigten sich nicht mehr.

Mit dem scharfen Eindruck des Enthaltsamen fühlte Merodach, wie unter der Vornehmheit und der Zurückhaltung der Geist der Wollust, mit dem der Entartung vereint, in Szene gesetzt wurde. Es war eine Ausschweifung der Begierde, des Lasters, des Ergötzens, des Berührens, des Witterns, aber so wirklich, daß der Eingeweihte zu dem Schlusse kam: »Feste der Welt, Feste des Tieres.«

– Ich frage, sagte der Herzog von Nimes, als Hauptmann Fracasse Gautier, Kapitän Fracasse, Roman. gekleidet, zum Prinzen von Baux, der den Anzug Karls V. trug, ob eine Dekadenz das Recht hat, von ihren Priesterinnen Geist im Bösen und Kunst im Laster zu fordern.

– Der Satz stammt von Beauville, sagte Quéant, der zurückkam; es fehlt diesem mageren Falstaff nichts weiter, als einen Stenographen mit einer Bergmannslampe unter dem Tisch des Herrn zu verbergen, um sich mit dem »perversen Wort« zu versehen, wie er Ihnen nachspricht.

Merodach zog die Augenbrauen zusammen und antwortete nicht. Dem Marquis von Donnereux war es gelungen, sich Fräulein von Urfé zu nähern: sein gemeines Gesicht ihr zuneigend, sprach er, während eine Blutwelle in die Wangen und in die Stirn des jungen Mädchens stieg.

Merodach ging lebhaft auf die Prinzessin zu.

– Sehen Sie, sagte er.

Die Prinzessin trat an den Marquis heran und sagte mit leiser Stimme, ohne ihr Lächeln zu unterbrechen:

– Verschwinden Sie!

Er schien sie nicht zu begreifen.

– Ich jage Sie hinaus! Ist das deutlich? wiederholte sie.

Der Marquis wurde blaß, verbeugte sich, wie ein Theaterschurke kurz auflachend, blickte die Prinzessin, Merodach, Corysandre giftig an, drehte sich auf seinen Hacken gemächlich um und verließ langsam den Saal.

Kaum hatte man diese kurze Szene bemerkt, die sich niemand erklären konnte.

– Danke, Prinzessin; danke, Merodach, sagte Corysandre. Ach, dieser Mensch ist boshaft; ich habe eine Ahnung, daß er mir etwas Böses antun wird.

– Bin ich nicht da? antwortete der Eingeweihte, sie mit einem zärtlichen Blick wieder beruhigend.

Mit Mühe gelangte er bis zum Prinzen.

– Sire, ich brauche Ihren Wagen für eine Stunde.

– Gut, antwortete Courtenay, ihm die Hand drückend, und auf Sonntag; Sie fehlten uns sehr das letzte Mal; Sie sind das Salz der Orgie, da Sie ein Weiser sind.

Die Marquise de Trinquetailles, die vorbeiging, fragte der Eingeweihte:

– Herr Cupido, was haben Sie mit Marestan gemacht?

– Herr Teufel, was wollen Sie mit ihm machen?

– Ihn entführen und von Ihnen abbringen.

Die Marquise fühlte, daß er nicht scherzte, und lachte böse.

– Sollten Sie der Korydon dieses Alexis sein?

Merodach zuckte nur die Achseln.

Marestan kam mit Antar.

– Komm mit uns, sagte der Eingeweihte.

– Warte, bis ich mich von der Prinzessin verabschiedet habe.

– Nicht nötig; ein Schein von Kälte wird sie entflammen. Wir haben uns viel zu sagen, und ich muß dir viel Lichter anzünden.

– Ich sehe nicht mehr, wo ich gehe, gestand Marestan.

– Ich werde für dich sehen! Aber wirst du mit meinen Augen schauen können? fragte Merodach nachdenklich.


 << zurück weiter >>