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II.
Die Bewerber

Die Prinzessin empfängt nicht; sie hat sich indessen nicht für sich allein so gekleidet. Ihre hohe Stirn ist nackt wie die, welche Bronzino gemalt hat. Ihre feinen und blonden Haare, glatt und schlicht, ihre im Nacken aufgesteckten Zöpfe haben eine Einfachheit, die mehr trügt als jeder Schmuck.

Sie trägt das schwere und gewürfelte Kleid der Laura de Noves Geliebte Petrarcas.. Nur der viereckige Ausschnitt, der die Brüste frei läßt, entblößt den Rücken noch tiefer. An den Füßen Sandalen.

Auf einem Pult liegt ein lateinischer Virgil mit Miniaturen, beim vierten Buch aufgeschlagen.

Der kleine Salon scheint eine Betkapelle zu sein und die Prinzessin, in ihrem Stuhl aus Ebenholz, der ein Ciborium als Wappen trägt, sieht aus wie eine jener zu halben Madonnen passenden Frauen, zu deren Ehre die Ritter die Opfer, die den Himmel gewinnen, parodierten, indem sie der Liebe zu einer Frau die Hingebung und die Gebräuche der Liebe zu Gott preisgaben.

Die Portiere hob sich und es wurde angemeldet:

– Herr Baron Guy de Quéant.

Die Prinzessin runzelte die Lippen.

– Ich habe Ihnen eine Ueberraschung bereiten wollen.

– Danke für die Absicht; aber Sie werden mich zwingen, Benoît zu entlassen.

– Es ist nicht seine Schuld: ich habe es ihm ganz bestimmt gesagt, daß Sie mich erwarten.

– Und welcher Teufel führt Sie her?

– Der größte aller Teufel, die Langeweile: der herrscht über das Jahrhundert. Der König langweilt sich über sein Königtum und lebt als Bürger, der Bürger über sein Bürgertum und lebt als Bummler, der Bummler über sein Bummlertum und lebt als Wilder. Man denkt nicht mehr, man gafft!

– Und um mir das zu sagen, sind Sie gekommen?

– Ich bin gekommen … um etwas von Ihrer nackten Haut zu sehen.

– Tu quoque, spottete die Prinzessin.

– Ich nicht quoque … Sie wollen mich durchaus für einen Dummkopf halten. Ich sehe so aus, kleide mich so, benehme mich so, das ist alles. Hinter meinem Monokel ist ein Auge, das sieht, und unter dem Scheitel meiner Haare ein Gehirn, das denkt. Ich trage die Uniform eines Weltkindes, aber ich bin entartet.

– Die Entartung ist der Adel des Bösen. Worin kann Ihre bestehen?

Quéant nahm eine wichtige Miene an.

– Der erotische Dilettantismus; die Leckerhaftigkeit, aufs Sinnliche angewandt. Die gewöhnliche Wollust ist eine Gefräßigkeit des Vielfraßes. Stellen Sie sich einen Feinschmecker vor, der nur seine Lippen anfeuchtet, ohne zu trinken; nur seinen Finger in die Saucen taucht, ohne zu essen; nur die gut gedeckten Tische ansieht, ohne sich daran zu setzen. Dieser würde eine große Feinheit des Geschmacks und eine außerordentliche Schärfe des Eindrucks bewahren. Nun, diese Methode habe ich auf den Genuß der Frau angewandt: ich sehe sie an, ich berühre sie manchmal mit den Lippen, aber ich esse sie nie. Eine Magenverstimmung ist nicht möglich; da der Magen immer frei bleibt, ist er immer bereit zur Mahlzeit, die der Zufall bietet.

– Und in der Anwendung? fragte die Prinzessin interessiert.

– Glauben Sie, daß der Anblick Ihres Busens, der so weiß ist, daß er leuchtet, nicht eine Liebkosung für meine Augen ist? Und erregt der Raum zwischen Ihren Brüsten, voll von einem Halbdunkel der Liebe, nicht im Gedanken Vergleiche zwischen dem Nabel Buddhas und Ihrem Nabel?

Er stand auf und trat hinter sie:

– Ihr Rücken spricht; dessen Modellierung ist von der Kralle der Chimären selbst geschrieben worden; und von Ihrem Nacken, der mit seiner goldenen Wolke beunruhigt, steigt die Wirbelsäule herab, ein enges und langes Tal nervöser Bezauberungen. Ich vermute, daß Sie eine Sirene sind, und wenn ich dahin komme, mir Ihr Kreuz vorzustellen, dann habe ich von Ihnen, in Form von Eindrücken, Ihre ganze Sinnlichkeit genossen. Lächeln Sie nicht … Niemals befriedigt, ja, aber auch niemals übersättigt. Nichts vom Besitz wird meinen schönen erotischen Traum beflecken. Meine Freuden gibt mir die Welt im Ueberfluß, und darum bin ich ein Kind der Welt … Oh, ich habe einen seltsamen Ruf. Man behandelt mich wie einen Impotenten, manchmal noch schlimmer: ich lächle. Mein Laster entschlüpft der Analyse, und keine Frau ist vor meiner Begierde sicher. Sie selbst, Prinzessin, die Sie mir nicht die Hand zum Kusse geben würden, sind in der Gewalt meiner Phantasie. Ah, diesem Monokel, das sich hinter den Sesseln der Damen nicht bewegt, mißtraut niemand: und es geht auf den Armen, den Schultern spazieren, es zieht die Mieder aus … Ein ungreifbarer Inkubus, genieße ich in kleinen Dosen die ganze Wollust, die jede Frau enthält. Ist es nicht süßer, hundert Blumen einzuatmen, als eine davon zu entblättern? … Habe ich ein Vergehen begangen? Habe ich eine Unschuld mißbraucht oder eine Tugend zu Falle gebracht? Meine Begierde befriedigt sich, ohne zu beflecken. Es kommt vor, daß die Gelegenheit mir eine Frau in die Arme wirft: ich küsse sie, das ist alles! Basia catulliana Küsse des Catull: Martial II, 6, 14.: Sie verstehen Latein. Ich habe mehr als einen Mantel in Frauenhänden zurückgelassen … Ah, Sie hören mir zu! Das entzückt mich: ich halte viel von Ihrer Meinung. Schon lange streife ich um Sie herum: habe ich Ihnen je eine Erklärung gemacht? Ich habe Ihnen nur soviel Worte gesagt, wie nötig waren, um meine Anwesenheit zu begründen … In meinem Serail ist jeder Salon von Paris ein Harem; aber Sie sind die Favoritin, Ihnen verdanke ich die seltensten Wollüste. Ich kenne von Ihnen nur Ihre Büste, aber ich habe es gelernt, die plastische Form unter den Lügen der Toilette so zu ahnen, daß Sie mich für einen Gyges halten würden, wenn ich ein Aquarell von Ihrer Nacktheit machte. Ich male mit Wasserfarben die Frauen, die mich sehr beschäftigen: wenn ich die den Liebhabern zeige, wollen die Einen mir die Kehle abschneiden, die Andern mich meiner Sammlung berauben. Ich werde Ihnen Ihr Aquarell geben.

– Ich gestehe Ihnen den Titel eines Entarteten zu, sagte die Prinzessin; aber das muß Sie … Anstrengungen kosten.

– Ja, ich habe viel Sinnengymnastik getrieben. Das dauert lange, ist schwierig, und man muß mit Stolz wollen: ich habe gewollt. Jetzt, Ihr Urteil über meine Lehre, die Begierde in Betrachtung zu verwandeln; eine Lehre, die man nicht Seminaristen lehrt, aber deren Verderbtheit, die niemanden verdirbt, mir von einer Art zu sein scheint, die ich eine höhere nennen werde, wenn Sie, Prinzessin, mich in Ihrem Geiste nicht mehr zu den Gecken rechnen wollen, denen ich gleiche …

– Ich schätze Sie, erwiderte sie mit ernster Ironie.

– Ich habe also meinen Tag nicht verloren, rief der junge Mann.

– Warum nicht? Weil mein Busen entblößt ist?

– Weil ich in Ihrem Geiste Platz genommen habe; für das Andere brauche ich Ihre Erlaubnis nicht.

Und er erhob sich.

– Ein Wort noch, Herr de Quéant! Wenn die oberen Klassen dort sind, wo Sie sind …

– Bei dem, was ich fliehe, sagte er grüßend, beim Consummatum.

– Herr General Pianère, meldete der Diener fast gleichzeitig.

Das war einer von diesen Männern, die mutig durch das Temperament sind, wie die Andern Memmen; zu seiner Kühnheit fügte er ein großes mathematisches Wissen; auch war er mit vierzig Jahren General. Ein schöner Mann, der die Uniform gut zu tragen verstand, hatte er diesen Befehlston, diese despotische Gebärde, dieses offene Wesen, denen die dummen Frauen nicht widerstehen. Als er die Prinzessin zum ersten Male sah, sagte er zu ihr: – Sie sehen aus wie eine Gottheit. – Und Sie, hatte sie geantwortet, wie ein schweizer Reiter im Solde von Ferrara. – Er wurde leichenblaß. – Gnädige Frau, rief er. – Ich nenne mich Hoheit: lernen Sie etwas Wappenkunde. – Wenn ich oft einem Offizier begegnen müßte, fügte sie für die Zuhörer hinzu, würde ich zu Hause bleiben.

Am nächsten Morgen war der General toll verliebt; aber es wäre ihm leichter gewesen, Elsaß-Lothringen zurückzugewinnen, als ein Wort zu erreichen, das nicht ironisch gewesen wäre. Drei Male im Jahr empfing die Prinzessin ihn allein, »um, wie sie sagte, sich im Hasse gegen den Säbel zu stärken«. Zum siebenten Male stand er an diesem Tage ihr Auge in Auge gegenüber. Er hatte sich oft geschworen, nicht mehr wiederzukommen, wenn er nicht erreichte – was? … Er fühlte wohl, daß er nichts erreichen konnte, aber er suchte sich zu überzeugen, daß eine lange Belagerung eine Frau wie eine Stadt erobert, zu mittelmäßig, um zu begreifen, welcher Unmöglichkeit er nachhing.

– Frau Prinzessin, ich bringe Ihnen …

– Sie hätten Ihren Säbel im Vorzimmer lassen können, unterbrach sie ihn trocken.

– Der Degen ist eine edle Waffe!

– Der Degen, ja, aber nicht der Säbel! Nun, setzen Sie sich und erklären Sie zum siebenten Male, welche Rechte französische Generale über das Herz italienischer Prinzessinnen besitzen.

– Warum sind Sie so boshaft? …

– Mein lieber General, warum sind Sie so starrköpfig? Schon zwei Jahre belästigen Sie mich mit Ihren Verfolgungen. Ich habe Ihnen sechs Gespräche bewilligt, in der Hoffnung, daß Ihre Würde mich von Ihnen befreien werde. Nein! In welchem Ton, in welchen Ausdrücken muß ich Ihnen sagen, daß ich auf meinen Etageren keinen türkischen Affen, kein chinesisches Schaukelmännchen habe.

– Ihre Füße sind schön, sagte der General.

– Und Sie glauben mir zu schmeicheln. Wenn das von einem Bildhauer gesagt worden wäre, vielleicht … Aber sehen Sie Ihre Füße an, Unglücklicher; vergleichen Sie meinen Knöchel und den Ansatz Ihres Handgelenkes. Jahrhunderte des Müßiggangs und der Vornehmheit sind nötig gewesen, um das hervorzubringen. (Sie erhob ihren Arm.) Wenn man nur die Rassenfrage der Liebe entscheidet, so stehen Sie vor mir wie ein Percheron neben einem arabischen Vollblut. Im dreißigsten Jahrhundert werden Sie Nachkommen haben, die vielleicht verfeinert genug wären, mir den Hof zu machen. Der Adel ist eine organische Tat der Zuchtwahl.

– Aber, Prinzessin, ich bin tapfer, ehrlich; ich diene meinem Lande.

– Ich bin also ein Ungeheuer, daß ich nicht die Seufzer eines jeden französischen Generals erhöre.

– Befreien Sie mich von Ihrem Bilde, und ich werde Sie von meiner Gegenwart befreien. Ist es meine Schuld, daß mein Blut siedet, wenn ich nur an Sie denke; daß …

Mit einem Blick hielt ihn Leonora zurück.

– Ich bin sehr unglücklich, sagte er, und Tränen traten ihm in die Augen.

– Was kann mir Ihr Unglück oder Ihr Glück bedeuten? Ob Sie lachen oder ob Sie weinen? Und vor allem, welche Kühnheit, mir zu sagen, daß Sie mich lieben! Sie glauben also, daß 89 und 93 sich nur für die Einfältigen ereignet haben? Wenn ich Königin von Spanien und Sie Wasserträger wären, so würde der Abstand nicht größer sein als zwischen der Prinzessin Este und dem General Pianère. Die Königin liebt man wie die heilige Jungfrau, aus der Ferne, zum sterben; man stirbt sogar daran, wenn man will, aber man hat nicht die Frechheit, es ihr zu sagen. Wenn ich mich recht achtete, würden die republikanischen Generale und die Wasserträger …

Sie machte die Gebärde, die beim Theater verabschiedet.

– Es gibt keinen anderen Adel als den persönlichen!

– Gut! Sind Sie Shakespeare? Sind Sie Balzac? Sie sind nur eine Mittelmäßigkeit! Und angenommen, ich wäre einfach Frau Dubois oder Durand: das würde Sie mir durchaus nicht nähern. Selbst als Bürgerin, würde ich noch das gelten, wofür ich mich halte.

– Zum letzten Male, Prinzessin, Sie wollen nicht? fragte er, sich erhebend.

– Ihre Geliebte werden? fragte sie ironisch.

– Oh, Prinzessin, meine Frau, rief er aus und streckte beide Arme aus.

– Das ist nicht mehr Kühnheit, das ist eine Beleidigung und ich jage Sie hinaus.

– Ich werde Sie immer in der Gesellschaft, im Elysée sehen, stammelte Pianère.

– Die Prinzessin Este, mein Herr, beschmutzt ihre Füße nicht, indem sie einen Salon der Prätorianer betritt.

Sich etwas beugend, klingelte sie.

Ein Diener erschien.

– Führen Sie den Herrn hinaus und führen Sie ihn nie mehr hinein!

– Madame, rief der General bleich, wenn ich wiederkomme, komme ich mit dem Volk und ich werde Sie vergewaltigen …

Wütend ging er.

Die Prinzessin erstickte ein Gähnen. Während der ganzen Szene hatte sie weder die Stimme erhoben, noch eine heftige Gebärde gemacht. Gelangweilt, blickte sie nach der Wanduhr und wunderte sich, daß Herr de Quercy nicht kam.

Sie klingelte.

– Ist Sarkis im Palast?

– Er ist ausgegangen, Hoheit.

Die Prinzessin streckte sich anmutig wie eine Katze aus, blätterte in ihrem Virgil, las einige Verse des zweiten Hirtengedichts, über welche sie lächelte; als sie ihre nackten Füße erblickte, kam ihr dieser Vers Victor Hugos ins Gedächtnis:

Die Rosen beneideten den Nagel ihrer Zehe.

Ihre Augen irrten über das Gemälde der Decke: Phaëtons Sturz von Gustave Moreau; dann blieben sie auf ihrem Porträt im Kostüm der Lukrezia Borgia haften, das Bojo gemalt hatte.

Sie erinnerte sich an die glückliche Zeit, die sie als Schülerin erlebt hatte. Zu dieser Stunde mußte Bojo Leonardo kopieren, nicht mehr nach den Faksimiles, sondern nach den Originalen, die sie ihm gesandt hatte. Warke dachte sicher an sie, während er ein Oratorium spielte. Die hatten sie um ihrer selbst willen geliebt, nicht ihretwegen.

– Fräulein Corysandre d'Urfé, meldete der Diener.

Die unter diesem Namen Honoré d'Urfé schrieb 1610 den Liebesroman »Asträa«, aus dem der schmachtende Liebhaber Seladon noch lebt., dem Synonym für feine und keusche Liebe, erschien, war würdig, dem Titelblatt der »Asträa« eingraviert zu werden, als die wahre Muse dieser altmodischen Dichtung, in der die Leidenschaften wie Tugenden lächeln. Auf ihren blonden Haaren, deren Locken flogen, saß ein grauer Filzhut, auf der einen Seite hochgeschlagen, mit langen weißen Federn geschmückt: man konnte an die schönen Damen der Fronde denken, die so eifrig das Buch ihres Ahnherrn lasen. Aber die Tollheit lag nur in ihrem Kopfschmuck und ihren Stulphandschuhen. Sanft, unendlich sanft waren ihre blauen Augen; sanft, unsagbar sanft das Lächeln ihres zu kleinen Mundes; sanft, engelhaft sanft, ihre teerosenfarbige Haut. Man hätte sie für eine dieser wunderbaren Mädchen von Reynolds halten können, denen vom Engel nur die Flügel fehlen. Waise und Mündel des Prinzen von Courtenay, wurde sie von allen verehrt, auch von der Prinzessin, die sich erhob, um sie mehrere Male mit echter Herzlichkeit zu küssen.

– Wissen Sie mir nicht zu viel Dank für meinen Besuch, Patin (ein Name der Freundschaft, den sie ihr gab): ich habe Sie um etwas zu bitten.

– Meine liebe Corysandre, es ist bewilligt.

– Sie sind gut, sagte das junge Mädchen; ich sage es den Leuten, sie wollen es mir nicht glauben.

– Die Leute haben recht: ich bin boshaft gegen sie, weil die Leute nicht weise sind, sagte die Prinzessin lächelnd. Aber um was wollen Sie mich bitten?

– Sie haben mir gesagt, stammelte das junge Mädchen errötend, wenn jemand mich … ärgere, sollte ich es Ihnen sagen.

– Gewiß, Liebling! Aber wer sollte sich erlauben?

– Der Marquis von Donnereux.

– Der Schändliche! rief die Prinzessin.

– Auf dem Ball, in der Gesellschaft verfolgt er mich, sagt er mir …

– Was? fragte die Prinzessin, deren Brauen sich runzelten bei dem Gedanken, daß jene Schnecke sich dieser Rose nähere.

– Wenn ich ihn nur sehe, bin ich so verwirrt, daß ich die Worte nicht fasse, aber es ist gemein.

– Ich werde Ordnung schaffen, mein Kind.

– Merodach hat mir gesagt …

Sie hielt bestürzt inne, als wäre dieser Name ein Geheimnis.

– Ah, fragte Leonora, wer ist dieser Mann, den Sie so kurz bei seinem Namen nennen?

Corysandre errötete bis in die Augen.

– Er ist ein Freund meines Vormunds.

– Ist er jung? fragte die Prinzessin.

– Ja, erwiderte Corysandre, deren Verlegenheit wuchs.

– Ist er schön? fuhr Leonora fort.

– Aber, Patin! rief Corysandre, von diesem Ungestüm verletzt.

– Ich sehe, schloß die Prinzessin; aber Sie werden mir diesen Herrn zeigen, der einen assyrischen Namen trägt.

– Herr von Narsannes, meldete der Diener.

– Ich rette mich, sagte Corysandre.

– Ich bringe Ihnen …, sagte der Kommende, sich verbeugend.

– Fräulein d'Urfé, zu deren Patin ich mich eingesetzt habe, unterbrach ihn die Prinzessin.

– Ich habe die Ehre, das Fräulein zu kennen, und wenn sie jemals einen Ritter braucht …

Corysandre umarmte die Prinzessin und ging.

– Sie lieben sie? fragte Leonora, sich setzend.

– Vielleicht; aber der Platz ist besetzt.

– Wie?

– Sie wissen also nicht, daß der Prinz von Courtenay zur Gesellschaft eine ganze Sippschaft von Deklassierten hat, Galgenstricke oder Genies, die Gespräche führen, bei denen man nichts versteht. Quéant gehört dazu, dieser Merodach auch, ein junger Mann von ernstem Aussehen, dem sowohl das Haus des Prinzen Courtenay wie das Herz des Fräulein von Urfé offen stehen.

– Ich wußte, daß der Prinz jeden Sonntag bei der Nina seltsame Menschen zum Abendessen sieht, aber nicht, daß diese mit seinem Mündel verkehren dürfen. Dieser Merodach liebt Corysandre?

– Nein.

– Das ist ein recht widerwilliges Nein.

– Ich habe diesen Mann einmal mit Iltis, der zu dieser Menagerie gehört, also sprechen hören: »Die Liebe«, sagte Merodach, »ist von allen Problemen der Seele das verführerischeste, und ich beklage den, welchen sie nicht verwirrt hat; aber ich schätze kaum den, der sich ihr widmet. Die Frau kann nicht das Ideal des denkenden Mannes sein. Die Liebe ist eine Religion: man muß den Glauben haben! Ich aber werde niemals glauben, was jede Frau von sich selbst lehrt: daß ihr Handschuh die Welt wert ist, daß nichts ruhmvoller sei, als ihr zu dienen, daß sie das vollkommene Glück gibt, wie Balzac sagt. Uebrigens gehöre ich zu denen, die den traurigen Mut gehabt haben, von dem Tee der Wasserrose »Die anaphrodisischen Eigenschaften von Nymphäa alba sind sicher magisch.« Guaita. zu trinken …«

– Das ist seltsam. Aber Sie lieben mich, glaube ich? fragte Leonora.

– Ah, das ist wahr! Wann löschen Sie mein Feuer? erwiderte der Marquis mit gespielter Offenheit. Man sieht es nicht, aber ich brenne im Innern.

– Warten Sie! Sie haben also zwei Feuer: das eine für Corysandre, das andere für mich. Wie passen die zu einander?

– Leicht: das Gute und das Böse.

– Danke.

– Wenn ich Ihnen sagte, daß Sie das Gute bedeuten? Was würden Sie sagen?

– Wenn ich Ihnen sagte, daß Sie die Langeweile bedeuten?

– Ich würde ja sagen. Mein Leben ist das von allen Menschen. Ich bin irgend jemand; ich habe wohl einen Namen als Bürger; aber in meinem Dasein bin ich des Morgens im Bois, des Abends in den Premièren, ein Schauspieler, ein Statist in der pariser Posse. Wenn ich sterbe, wird ein Anonymus, ein Whistspieler, ein Klubmitglied, ein Führer des Kotillons, ein Wetter der Rennen verschwinden … Hätten Sie mich geliebt, würde ich etwas getan haben.

– Oh, Lysikles, ich mache mir nicht die Mühe einer Aspasia; aber ich denke, daß Sie mein Zuhälter sein würden; ich werde schlechter bedient als die Herzogin von Longueville, die schmutzige Hände hatte, wie Tallemant Tallemant des Réaux, Historiettes, 17. Jhrh. (Deutsch bei Georg Müller.) erzählt. Weiter, ich höre Ihnen zu, Herr von Bachaumont.

– Oh, je mehr das wechselt, desto mehr … Auf Seite der Frauen Ehebrüche ohne Liebe, vielleicht ohne Lust. Auf Seite der Männer Abendessen, Wetten und Dirnen. Das einzig Neue ist das »Neue Frankreich«, das einen außerordentlichen Aufschwung nimmt: haben Sie für jene legitimistisch-katholische Stiftung gezeichnet, die nach der Idee des Bankiers Marcoux die Rückkehr Heinrichs V. zum Ziel hat?

– Sie kennen meine Ansicht über den Grafen von Chambord Graf von Chambord, der bourbonische Prätendent Heinrich V.: Peladan, Der letzte Bourbon (Roman).. Auch sind die Arier schlechte Bankiers: das ist eine historische und ethnographische Feststellung.

– Verzeihung, Prinzessin, die Arier, von denen Sie sprechen, sind doch nicht die Anhänger des Arius? …

– Oh, Herr von Narsannes, wenn ich denke, daß Sie mir den Hof machen: machen Sie zuerst Ihre Studien. Wie soll ich die Huldigung eines Mannes annehmen, mit dem ich nicht plaudern könnte?

– Sie sind eine gelehrte Frau.

– Nur gebildet.

– An dem Tage, an dem die Frau die Wissenschaft besitzen und die Herren Arier kennen wird, werde ich zu den Hottentotten fliehen, denn »babil«, das Geschwätz, wird Babel wiederbringen und die Verwirrung der Geschlechter und ihrer Vorrechte wird ein 93 der Sitten herbeiführen.

– Seine Exzellenz der Herzog von Quercy, meldete der Diener.

Der Marquis machte eine unzufriedene Gebärde und ging, einen kalten Gruß mit dem neuen Besucher wechselnd.

– Ich komme zu spät, absichtlich.

– Setzen Sie sich, um die Beschlüsse zu bestätigen, die Sie gefaßt haben.

– Ich habe beschlossen, diese Folter zu beenden.

– Eine Folter, und ich bin der Henker; Ihre Flüche sind vorbereitet, erleichtern Sie Ihr Herz.

– Prinzessin, Sie haben mich veranlaßt, mich mit der Demokratie gemein zu machen, und ich, ein Quercy, habe die Dekrete gezeichnet.

– Jeder Mann, der sich vor der Laune einer Frau beugt, sei es auch für eine Kleinigkeit, ist ein Feigling! Was ist also der Mann, der seinen Gott verleugnet? Und was kann er dafür anders erwarten als die Verachtung, statt der Dankbarkeit, deren er sich schmeichelt?

– Sie verachten mich?

– Durchaus.

– Im Namen des Himmels, warum haben Sie mich dazu getrieben?

– Weil ich es wollte! Dieser Grund müßte genügen. Hier sind zwei andere weniger gute. Zuerst will ich einen Minister haben, der mir ergeben ist, um denen zu schaden, die mir mißfallen, und denen zu dienen, die ich schätze. Dann habe ich mein Handwerk als Müßiggängerin getrieben. Die Frau, die liebt, fordert im Namen der Leidenschaft, daß man ihr alles opfert, selbst die Ehre. Die Frau, die nicht liebt, fordert es ebenfalls, nur um ihren Stolz zu befriedigen. Ist sie toll, teilt sie ihre Tollheit mit; ist sie vernünftig, macht sie toll: immer will die Frau den Mann erniedrigen.

– Sie sind ein Ungeheuer.

– Wahrscheinlich. Aber Sie sind ein Mann, der nichts tut: das ist schlimmer. Das Böse, das will, hat mehr Wert als das Gute, das nicht weiß, was es will; die Untätigkeit des Mannes ist schmachvoller als jede Entartung der Frau.

– Sie sind ein Ungeheuer, aber Sie haben recht. Was würden Sie an meiner Stelle tun?

– Ich würde verschwinden, sagte die Prinzessin.

– Selbstmord? Sie werden meine Mörderin sein, Hoheit!

– Herzog, habe ich Ihnen gesagt, daß ich Sie liebe, daß ich Sie lieben würde? Habe ich Ihnen jemals die geringste Hoffnung gegeben? Sie haben mir gesagt: »Machen Sie mit mir, was Sie wollen.« Ich habe es getan. Oh, ich habe kostbarere Puppen als Sie zerbrochen, ohne mich zu amüsieren.

– Sie stammen von der Rasse der Lukrezia Borgia.

– Das ist meine Ahnfrau! Die Begierde, die man mir ausdrückt, beleidigt mich: ich muß mich rächen.

– Ave moriturus, rief der Herzog, aufs Aeußerste erregt.

Er küßte ihr die Hand, auf die seine Tränen fielen, und ging langsam.

Mit einem seltsamen Lächeln sah die Prinzessin diese Tränen auf ihrer Hand trocknen.

Sarkis hob einen Vorhang auf.

– Ich werde dem Herzog sagen, daß Sie ihn nächstens erwarten.

– Und warum? fragte Leonora hochmütig.

– Weil, betonte Sarkis, Machiavelli lehrt, daß die Prinzessin keine Verbrechen begehen soll … die unnötig sind!!!


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