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V.
Im Pensionat

Die alte Gräfin Oliva, Leiterin dieser »Vögel« (Couvent des) oiseaux, Pensionat für junge Mädchen (Sardou). von Florenz, empfing Leonora mit den kriechenden Schmeicheleien italienischer Unterwürfigkeit.

– Sie werden hier als Prinzessin von Este behandelt werden.

– Ich rechne darauf …, antwortete Leonora mit Ruhe.

Nachdem sie eine Woche das Bett gehütet hatte, kam sie zur Erholung herunter. Obwohl ihr stolzer Gang durch die kaum geheilte Verstauchung entkräftigt war, begrüßte sie diese Eifersucht der Frauen, die der, die sie erregt, die Bewunderung und die Verehrung der Männer prophezeit.

Aber der gerade Blick ihrer schwarzblauen Augen und die Wölbungen ihrer hohen Stirn trugen so deutlich den Geist der Revolte geschrieben, daß die Rivalinnen ihr die siegreiche Schönheit verziehen, zu Gunsten der Zuchtlosigkeit, die sie mit dem Rauschen ihres Kleides brachte. Sobald sie sich unter die Schülerinnen mischte, wehte ein Hauch des Ungehorsams in den plötzlich summenden Klassen, löschte die Nachtlampen in den Schlafsälen, ließ die Deckel der Pulte geräuschvoller zuschlagen und jede Morgenhaube sich aufs Ohr neigen.

Infolge ihrer männlichen Erziehung fesselten die Schülerstreiche, die Klatschereien sie nicht einen Augenblick. Sarkis' Finger hatte ihren frühreifen Gedanken vorgerückt: es war das Sinnen der Frau, nicht des jungen Mädchens, das ihre Stunden ausfüllte.

Jeden Morgen fuhren die drei Professoren, die Knie mit Büchern, Albums, Partituren beladen, in Torellis Kutsche im Galopp durch das Römische Tor, die Eichen- und Zypressenallee hinunter, die nach Poggio führt, um erst zur Nacht nach Florenz zurückzukehren.

Diese Erziehung begeisterte sie bis zu dem Grade, daß alle von der mystischen Krankheit des Skrupels erfaßt wurden. Bojo suchte das Geheimnis der Linie und der Farbe bei den alten Meistern; Warke dachte ein Buch über die Harmonie zu schreiben, das klar sein sollte; Sarkis, ganz Denker, bemühte sich, die Maschen des Panzers der Wissenschaft, den er um die Seele der Prinzessin schmiedete, fest zu vernieten. Sie hatten also viel zu denken und zu überlegen.

Dem Herzog hatte Gaga eine schreckliche Szene gemacht: sie wollte gerächt werden. Als Florentiner ließ er, statt zum Mitleid bewegt zu werden, dieses Durchpeitschen der Sicherheit und dem Behagen seines Lasters dienen. »Wenn du mir nicht gefällig bist, rufe ich die Prinzessin zurück,« drohte er, sobald sie ihn beleidigen wollte. Und das Mädchen beruhigte sich mit der Angst des Kindes, das man mit dem Popanz bedroht: dieser Erzengel, der sie gestraft hatte, betörte sie.

– Versichern Sie Leonora, hatte der Herzog zu Sarkis gesagt: fern davon, ihr böse zu sein, liebe ich sie noch mehr, weil sie so um ihre Würde besorgt war … Unter uns, setzte er hinzu, ich schulde ihr, daß Gaga sich fügt: die Reitpeitsche meines Mündels hat meine Geliebte fügsam gemacht.

Leonora hörte diese Worte mit einem bösen Lächeln.

– Da sehen Sie, Sarkis, was es für einen Zweck hat, sich tugendhaft zu entrüsten und sich den Fuß zu verstauchen.

In Poggio fand sie die Versuchung von Pratolino wieder, unter den anbetenden Formen dieser dienenden Liebe, die den Stolz verführt und die Leidenschaft am tiefsten bekundet.

Betty, eine Wienerin, nach der Formel des Gozzi, melancholisch schüchtern, von dem linkischen Liebreiz des Schoorel Schoorel, holl. Maler, gest. 1562, pilgerte nach Jerusalem, führte die ital. Richtung in seine Heimat ein: David und Bathseba, Salomo und die Königin von Saba., bedeckte Leonora mit verwirrten Blicken; verehrte sie so, daß sie die Hände der Prinzessin mit Küssen ableckte, wie ein Tier, das einen liebkosen will. Vielleicht hätte Leonora ihre schmalen Lippen mit lesbischen Küssen bedeckt, wenn Betty die Liebkosung Biancas gewagt hätte: aber die letzte Ermahnung des Paters Francesco hielt sie aufrecht einer Versuchung gegenüber, die nicht kühn war. In dieser Begegnung hatte sie die hohe Wollust, die man empfindet, wenn man an eine starke leichte geheime verweigerte Sünde stößt.

Bojo ließ Leonora einen Engelsgruß als Altarwand und zwei Chöre von Heiligen entwerfen, welche die Werkzeuge ihrer Marter trugen. Als Gerüste in der Kapelle errichtet waren, sagte er:

– Diese Sixtina für uns beide, Hoheit.

Seitdem fanden die Kurse auf eigentümliche Weise statt. Während die Prinzessin auf Ultramarin die lilienhafte Weiße der Jungfrauen erscheinen ließ, ging Sarkis vortragend auf und ab; sobald er schwieg, setzte sich Warke an die Orgel und spielte Fugen von Bach.

Fünf Monate vergingen auf diese künstlerische Art.

Als die Verteilung der Preise bevorstand, bat Signora Oliva, die entzückt war, ihre Kapelle mit Fresken bemalt zu sehen, Leonora und ihre Lehrer, ein Spiel für dieses Fest zu schreiben.

– Der Hof von Ferrara, das ist der Titel, rief Sarkis.

Die Bücher durchsuchend, zog er daraus alle Einzelheiten für eine genaue historische Wiedergabe.

Warke, als Erklärer, schlug die »Casa Estense« oder die Einnahme von Ferrara unter den Torelli vor.

– Ich will, sagte Leonora, die Rolle der Leonora von Este, meiner Ahnfrau, ausführen: es wird also unter Alfonso II. spielen.

Durch Sarkis gebildet, ersann sie eine Celimene Typus einer geistreichen Koketten: Molière, Misanthrop. der Renaissance. Die Handlung war gering: ein zigeunernder Dichter, wie Glatigny, wird verhaftet, weil er Verse gegen Alfonso gerichtet hat, und von Leonora begnadigt.

Bojo zeichnete die Einladungskarte: der ironische und wunderbare Johannes des Louvre deutet mit einer Gebärde auf das Programm. In der Zierleiste stand:

»Die Rolle der Prinzessin Leonora von Este wird von der Prinzessin Leonora von Este gespielt.«

Das ganze toskanische »goldene Buch« begab sich nach Poggio und bewunderte die kalten Fresken. Doch hatte Leonora in der stolzen Haltung diesen höchsten Adel wiedergegeben: die Jungfräulichkeit.

Warke spielte bestimmte Stücke seiner Kompositionen, die von der Prinzessin stammen sollten.

So hatte dieses Publikum der Ausnahme bereits zwei Male Leonora bewundert, als es im Theatersaal Platz nahm.

Während Leonora ein genaues Kostüm ihrer Ahnfrau anzog, trat Torelli in ihre Loge und umarmte sie:

– Du errötest über deinen Vormund, er ist stolz auf sein Mündel!

So wurde der Friede geschlossen.

Hinter dem Herzog kam jemand, den er vorstellte, ohne daß Leonora sich stören ließ: sie bewegte nur den Kopf im Spiegel.

– Fürst Sigismond Malatesta …

Der Vorhang erhob sich über der Terrasse des herzoglichen Palastes. Ariost und Garofalo Garofalo, ital. Maler, Schüler Raffaels, gest. 1556: Madonna in Wolken mit Heiligen, Auferweckungswunder, Anbetung der Könige, Vision des Augustinus … sprechen von einem vagabundierenden Dichter, den Alfonso wegen einer spottenden Canzone hat gefangen nehmen lassen.

Dann erscheint Leonora und ist so ganz Este, daß dieses adlige Publikum der Gestalt aus der Renaissance wie wahnsinnig Beifall klatschte. Während des ganzen Stückes hielt die Begeisterung an.

Als Leonora dem Dichter die Urkunde seiner Begnadigung überreicht, wirft dieser sich ihr zu Füßen und ruft in toller Liebeserklärung aus: »er ziehe es vor, bei ihr Dienste zu tun, als sie nicht mehr zu sehen; für einen Kuß von ihr würde er mehr als sein Talent geben: seine Unabhängigkeit.«

Die Prinzessin verweist ihn an seine Leier.

– Sei dem Ideal getreu, o Dichter! Liebe nur die Chimären und überlaß den Alltagsmenschen die Liebe: das ist deren ganze Poesie. Entzücke uns in deinen eigenen Ekstasen; aber schleppe dich nicht mit uns in leere Liebkosungen! Sieh: die Sirenen singen, die Kruppen der Chimären zittern, die Sphinxe schlagen die Hände, wenn du dich näherst! Suche nicht das Rätsel der Frau: sie hat keins und würde dich verschlingen. Möge sich keine Hand, stolz oder kosend, auf deine Stirn legen: je weißer sie wäre, um so eher würde sie deinen Geist ersticken. Drücke nichts Anderes an dein Herz als Träume. Diesen Kuß, den du um den Preis deiner Freiheit kaufen willst, weigere ich dir. Du hast schon einen auf der Stirn, der meinen Kuß zur Lästerung machen würde. Die Lippen der Frau würden da profan sein, wo sich die der Muse aufgedrückt haben. Du bist mehr als ein Mensch: deine Liebe darf nicht irdisch sein wie unsere. Geh, sei gut und keusch; singe und schreite. Sprich nie die schwächliche Sprache der Gemeinheiten; halte dich nicht auf, besonders nicht vor der Frau. Kurz, sei erhaben: das ist deine Sendung! Danke Gott, daß dein Geist dich vor meiner Seele bewahrt hat!

Das Erstaunen, der florentinische Stolz brachen in Beifall aus. Nur der Fürst Sigismond, die Augen wie hypnotisiert auf Leonora gerichtet, hatte nicht geklatscht.

Der Vorhang fiel unter Hervorrufen. Von der Kälte des Malatesta überrascht, rief Torelli aus:

– Wie, Sie applaudieren nicht?

– Ich applaudiere nicht, aber ich bitte Sie um die Hand Ihres Mündels, sprach Sigismond ernst.

– Mein lieber Fürst, fragen Sie die Prinzessin selbst. König Karl X. hatte nur seinen Platz im Parterre; ich habe nur meine Unterschrift unter den Ehevertrag zu setzen.


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