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XV.
Die ewige Täuschung

Mit dem Ellbogen aufs Fenster des Sonderzimmers gestützt, zerknitterte Nebo in übler Laune ein Telegramm. Er drehte sich um, schmerzhaft zusammenfahrend, als zwei Kellner eintraten, um auf silbernen Wärmpfannen die Gerichte eines Liebesmahles zu bringen, bei dem die Bedienung den Kuss nicht unterbrechen und das Zwiegespräch nicht stören soll.

– Wenn der Herr gütigst nachsehen wollen, ob nichts fehlt.

– Das ist Ihre Sache, gab er launisch zurück; dann, ihn zurückrufend: Drei Cliquot und die Rechnung schon jetzt.

Darauf stellte er sich wieder ans Fenster, den Rauch seiner Zigarette in Stössen einziehend. Ein Gehen und Kommen, munter und gesprächig, belebte unabsehbar diese Stelle des Strassenlebens; auf den Terrassen der Cafés erhoben Leute, die sehr gut gespeist hatten, ihre Stimme; die hellen Toiletten der auf Jagd ausgehenden Mädchen, das ewige Gewühl der Wagen – all das zitterte in einer seltsamen Symphonie schäumenden und heiteren Lebens.

Neun Uhr schlug, und nach einem Augenblick schloss Nebo wieder das Fenster und zog die Vorhänge zu.

– Hier ist die quittierte Rechnung, sagte der Kellner.

Nebo bezahlte.

– Haben Sie genau angegeben, dass eine Dame kommen und nach Herrn Nebo fragen wird? Dass sie nicht Zeit verliert, um an den Türen herumzutappen! Hier ein Goldstück dafür.

Der Platoniker warf sich aufs Sofa von rotem Sammet, das breit wie ein Bett war, immer das gleiche verdriessliche und von einer seltsamen Unruhe gefaltete Gesicht ziehend.

Es klopft, und im selben Augenblick tritt eine Dame ein, Kopf und Gesicht bis zu den Augen von weisser Spitze verborgen, den Körper in eine Art Domino aus schwarzer Seide verloren; tritt ein wie ein Windstoss, die Tür mit dem Schlüssel abschliessend.

– Endlich, da bin ich, Nebo, verzeihen Sie meine Verspätung, und lassen Sie mich sofort ablegen; ich ersticke.

Geschwind warf sie ihr Schleiertuch ab, knöpfte ihren Domino auf und erschien im Ballkleid, lächelnd und glücklich über das Erstaunen des jungen Mannes.

– Meine liebe Paula, sagte Nebo, dessen schlechte Laune vor dieser entzückenden Schönheit entwaffnete, Sie behandeln mich wie eine Gesellschaft: von einer Frau ist's die grösste Schmeichelei, sich für einen einzigen die Mühe zu geben, schön zu sein, die sie nie spart, wenn viele Augen darüber urteilen sollen.

– Um offen zu sein, ich gehe heute abend auf den Ball, auf einen Pflichtball vom gesellschaftlichen Gesichtspunkt; da ich meine Toilette sehr gelungen fand, und mich selbst sehr schön, habe ich Ihnen meinen ersten Anblick gebracht, als dem Würdigsten, ihn zu schätzen, und dem einzigen, dem ich gefallen möchte.

Die Prinzessin Riazan schmeichelte sich nicht, als sie sich für schön erklärte: ein Kleid aus blassem Blau, mit silbernen Punkten übersät, schien durch alte Spitzen von einem fast roten Weiss; tiefer als gewöhnlich ausgeschnitten, Schleifen aus silbern gefransten Bändern auf den Schultern, einen Brillantstern ins Haar gesteckt, das einfach wie ein Helm gewunden war, erweckte sie den Gedanken einer unwiderstehlichen Verführung. Und so stark war die Magie des jungen Mädchens, dass bei ihrem blossen Anblick die schlechte Laune Nebos verflogen war.

– Ihr Telegramm ist mittags eingetroffen, ich hätte nicht zur Zeit heimkehren können, und Sie wären allein hierher gekommen: das war sehr unklug.

– Ich bin zu hübsch, um gescholten zu werden, sagte sie mit reizendem Selbstbewusstsein; übrigens, ich ahnte es, dass ich Sie treffen würde.

– Wenn ich selbst die Gefahr gelaufen wäre, Ihr Anblick ist sie wert; aber die Gefahr bedrohte Sie, und aus Fürsorge tadle ich.

– Es ist dumm; ich weiss, was ich tue, nachdem ich, wie man sagt, alle Wölfe Mit allen Hunden gehetzt werde. auf den Steinen aus Eisen und aus Holz gesehen habe; ich fühle mich vollkommen, Stil Buttes-Chaumont, bewegt, entzückt, Ihnen allein gegenüber zu stehen, mein Professor.

– Mir allein gegenüber! Sie haben diese Gemütsbewegung, wenn es eine ist, mehr als zwanzig Male gehabt! Oder ist es der Gedanke an das Sonderzimmer, der in Ihrem Geist Liebeserinnerungen hervorruft?

– Sie sind noch nicht so weit, Sie werden es später sein: geben Sie mir zu trinken, o Plato.

Und sie streckte ihren schönen Arm aus, während Nebo einen Korken springen liess.

– Sehen Sie doch, Nebo, meine Adern, dieses blaue Netz unter der weissen Haut; ich finde es hübsch; man könnte sagen, es sei etwas Himmel unter meiner Haut eingeschlossen.

– Fräulein Narciss, Sie erfinden sich die schönsten Madrigale, um mir meine Armut an Einfällen vorzuwerfen.

– Ich werfe Ihnen nichts vor, mein Freund; aber heute abend bin ich voll Zärtlichkeit für meine köstliche Person; wenn Sie wüssten, wie ich mich liebe, Nebo.

Sie trank in einem Zuge und sagte, ihr Glas hinstellend:

– Ich liebe mich so, dass ich mich im Spiegel küssen könnte.

– Küssen Sie sich in meinem Geiste, der Sie widerspiegelt, unter Ihrem doppelten Glanze als Weib und als Androgyn.

– Oh, lassen wir den Androgyn für diesen Abend; meine Brüste sind zu sehr zu sehen, und das Wort klingt falsch; wenn ich mich verkleide, habe ich Ihr geliebtes Geschlecht; heute abend fühle ich mich als Weib, bis in die Art und Weise, wie ich Sie anblicke.

– Nun, Prinzessin, aus dieser Art mich anzublicken: welches Urteil folgt daraus?

– Oh, das ist nicht so einfach, mein Freund: geben Sie mir zu trinken.

– Paula, ich bin nicht für die halben Freuden: trinken Sie wenig oder viel.

Sie brach in Lachen aus und hielt eine Auster hin, die sie eben geöffnet hatte:

– Aha, wer wird hier angeführt? Ich weiss, was Sie denken, und Sie glauben zu wissen, was ich denke; und, was sehr wenig androgynisch von Ihrer Seite ist: je mehr ich meine Karten aufdecke, desto mehr decken Sie Ihr Spiel zu. Ihre Befangenheit ist so stark, dass Sie eben eine Brotkrume kneteten, im Glauben, eine Zitrone auszudrücken. Ergeben Sie sich darein, diesen Abend der Diotima Diotima, in Platons »Gastmahl« der Name der (erdichteten) Priesterin, von der Sokrates das Wesen der Liebe erfahren haben will. zu widmen; heute abend wird nichts mir, niemand mir widerstehen: ich fühle, wie ich ausstrahle, junger Mann, in fluidischen Erklärungen – geben Sie mir Ihre Karten, Sie haben verloren.

Nebo erhob sich, ergriff die Hand der Prinzessin und küsste sie. Eine Röte des Vergnügens stieg Paula ins Gesicht.

– Der Friede ist unterzeichnet, sagte der Platoniker. Und nun meine Befangenheit, wie sie wirklich ist! Indem Sie mich entboten, Sie im Sonderzimmer zu erwarten, wollten Sie eigenmächtig die Erfahrung machen, mit dem einzigen Manne, der Ihnen nicht missfällt, zu soupieren; deshalb habe ich versucht, unangenehm zu sein, um Sie dafür zu strafen, dass Sie sich verstellt haben. Habe ich Ihnen bisher jemals etwas verweigert? Warum haben Sie nicht gesagt: »Nebo, heute abend werden Sie mir den Hof machen; ich bestehe auf diese Komödie.« Dann hätte ich eine Haltung vorbereitet und die Liebesdienste der Natur unserer Freundschaft angepasst.

– Eben diese Vorbereitung wollte ich vermeiden, mein Meister! Ich habe vorhergesehen, dass die schlechte Laune, die ich Ihnen verursache, Ihnen die Fähigkeit nehmen würde, mich mit einer Komödie zu bedienen; ich liebe Ihre wahre Kälte mehr als Ihre falsche Wärme; und Sie sehen, dass es mir gelungen ist. O Verrochio, wie Lionardo in der »Taufe Christi« einen der Engel schöner malte als die seines Meisters, so habe ich, nach der Rolle Ihrer Einweihung, meine kleine Szene ausgesonnen, die, glauben Sie mir, mich am meisten lehren wird.

Es ging eine solche Bestimmtheit von der Betonung dieser Rede aus, dass Nebo, der immer lächelte, Mühe hatte, den heftigen Schmerz zu verbergen, dass er gegen eine zu süsse Verführung kämpfen musste.

– Ja, begann Paula wieder, indem sie die Spitze ihres Mieders ordnete, in einem Augenblick werde ich Ihnen eine Frage stellen, auf die es nur eine Antwort gibt; und aus dieser Antwort wird mehr Licht entspringen als aus allen unseren Studien.

– Sie klagen mich an, Prinzessin, Sie den längsten Weg geführt zu haben, statt quer durch; zum ersten Male machen Sie sich frei, nicht von meiner geistigen Leitung, aber von einer gewissen Dankbarkeit, die Sie mir schulden würden, wenn ich nicht selbst Ihnen die ganze Freude meines Lebens und das ganze Lächeln meines Gedankens schuldete.

Die Bewegung, die er in diese letzten Worte legte, traf das Herz der Prinzessin.

– Ich bin Ihre Freude, sagen Sie, Nebo; aber ich bin keine ungemischte Freude; Sie sind immer gerecht, immer gut, aber Sie sehen in mir ein Wesen, das ich nicht bin.

– Sehen Sie nicht auch in mir ein Wesen, das ich vielleicht nicht bin?

– Ich war begabt; ich habe einen solchen Lehrer wie Sie getroffen, ich habe gesehen, was keine Jungfrau gesehen hat; ich habe die Schärfe der Wahrnehmung eines noch reinen Wesens; kurz, mein Herz steht auf dem Spiele und Sie, Sie wollen, dass es nicht ebenso weit sieht wie Ihr Genie?

– Was sehen Sie denn, Paula?

– Ich sehe, dass Sie sich anstrengen, nicht zärtlich zu sein, aus Furcht, dass diese Zärtlichkeit Ihrem Traume schaden werde. Nun, statt List zu gebrauchen, komme ich ehrlich zu Ihnen und sage: Bruder Nebo, Sie, Sie schaden unserer Brüderlichkeit, indem Sie fürchten, dass die kleine Diotima Ihnen in die Arme fällt; Sie, Sie werden auf immer Ihren Traum verlieren, wenn Sie sie zurückstossen.

Sie kreuzte die Arme und fuhr fort:

– Auf Ehre, waren Sie es nicht, der die allerersten Besorgnisse hegte, als wir die erste Fahrt antraten? Sie zittern, dass Sie freundlich blicken könnten und, sehen Sie, eben haben Sie meine Hand vermieden. Sollten Sie es also sein, welcher der geschlechtlichen Liebe verfallen ist, während ich fest Ihre Schwester bleibe? Aber eine Schwester, die in einer Aufwallung ihren Bruder küssen könnte. Um jeden Preis, Nebo, er muss verschwinden, dieser Zwang, in dem wir uns befinden: das fühlen Sie ebenso wie ich.

Während er ihr zuhörte, hatte Nebo seine Sicherheit wiedergefunden.

– Das Verwickelte erzeugt nicht das Einfache, und ich fühle mich langweilig; was schlimmer ist als schuldig; an Ihnen liegt es, mir den Ton anzugeben; so zärtlich er auch sein mag, er wird es nicht mehr sein als das Gefühl, das ich Ihnen gewidmet habe. Ich kann Ihnen sagen, dass ich Sie liebe: ich würde nicht lügen; ich kann aus Ihrem Glase trinken und von Ihrem Teller essen, und ich bin sicher, dass es besser schmecken wird; und sehen Sie, ich werde die Bedienung ausser Fassung bringen und mich ganz nahe bei Ihnen niederlassen.

Zum Erstaunen der Prinzessin setzte er sich an ihre Seite.

– Sie schreiben sich ein grosses Heldentum zu, fuhr er fort, da Sie sich nicht vor mir hüten; aber ich biete nicht diese positive, im Sehen und Berühren unmittelbare Anziehung, die Sie bieten. Hier sitze ich und lasse meine Augen über Ihren Busen gleiten; ebenso gut könnte ich sagen, ich blicke in ein Feuer der Abstraktion. Wenn ich erst den Kopf küsse, die Lippen küsse, so werde ich die Brust küssen: welches Aussehen haben wir dann?

Bei diesen Worten schlug der Busen der Prinzessin ans Mieder.

– Nicht vor der Liebe hüte ich mich, sondern vor der Ausstrahlung, die von Ihrer Schönheit und Ihrer Jugend ausgeht; als ich auf Montmartre Blausäure einatmete Peladans Roman »Weibliche Neugier«., war ich ebenso unklug, wie ich es bin, wenn ich Ihre Schultern betrachte.

Und der Platoniker wandte seine Augen nicht von dem bebenden Busen.

Mit einer unsagbaren Sanftheit der Stimme murmelte sie, seine Augen berührend:

– Sie blicken mich zu sehr an So beginnt Peladans Roman »Weibliche Neugier«., Nebo.

– Zu sehr oder nicht genug, das ist immer so, liebe Prinzessin; wer mit dem einen beginnt, endet mit dem andern.

– Ist das eine Prophezeiung? fragte Paula. Sie haben versprochen, dass Sie aus meinem Glase trinken werden.

– Ich trinke auf Ihre Gedanken, Prinzessin.

– Nehmen Sie sich in acht, dass Sie nicht Ihre Verurteilung trinken.

– Worin verurteilt mich die berühmte Frage?

– Sie verurteilt nicht den Nebo, der aus meinem Glase trinkt; sie verurteilt den Nebo von vorher.

– Wir sind schon bei unserer bürgerlichen Zeitrechnung angelangt; vor Ihrem Glase waren wir heroisch, nach Ihrem Glase sind wir modern.

– Warum eine Kinderei verspotten, wenn sie der linkische aber achtbare Ausdruck des Gefühls ist.

– Ich spotte nicht, das wäre ruchlos; Sie sind heute abend ein Meisterwerk, ich bin nur Bewunderung, mit einem Anflug von Ungeduld.

– Meine Frage, hier ist sie!

Während der Platoniker sich eine Zigarette anzündete, sprach sie, sich zu ihm neigend, einen Ellbogen auf dem Tische, den andern Arm auf Nebos Schulter:

– Sie haben mich mit Schrecken gesättigt, Sie haben die denkbaren Ekel weise gesteigert, und jetzt habe ich die Welt satt. Ich bin überzeugt, dass man schlecht, dass man wenig liebt, und dass die Liebe an sich nichts weiter als eine Erscheinung der Anziehung ist, viel weniger bedeutet in der göttlichen Weltordnung als die Schwerkraft der Sphären. Ich glaube nicht an die Liebe, aber ich glaube an ein Wesen, und dieses Wesen sind Sie. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich in einem Augenblick mehr wissen würde, als ich unter Ihrer Führung gelernt habe; und Sie begriffen mich so gut, dass Sie den Unschuldigen spielten. Unterbrechen Sie mich nicht, ich bin mit Ihnen in allen Punkten einig; Sie haben mir die Laterna magica gezeigt; heute abend habe ich die Kühnheit gehabt, sie anzuzünden, und ich habe darin klar gesehen. Als ich hierher kam ohne einen andern Gedanken, als mit Ihnen zusammen zu sein, als ich Sie meine Hand küssen liess, als ich Ihren Blick auf mich zog, habe ich gefühlt: das ist die wahre Einweihung. Sie machen mir keine verbindliche Miene, mit diesem gezwungenen Lächeln und diesen abgewandten Augen; der Atem der Prinzessin Riazan ärgert Sie beinahe; und doch, die stolze Kleine widersetzt sich, demütigt sich, weil sie es vorzieht, ihren Arm auf Ihrer Schulter zu haben, die sie herausfordert, als die Lippen irgendeines anderen Mannes auf ihrem Schuh. Und jetzt, antworten Sie mir: die Liebe ist nichts an sich, wer sie aber einflösst, wird alles! Bis zu ihm und ausser ihm ist das Sakrament, das Verlangen und die Sünde; er aber ist der Einweihende, das Ideal und der Erzengel.

– Prinzessin, rief Nebo, in dessen Augen eine Flamme plötzlich aufleuchtete, und ergriff ihre beiden Hände: Spielen Sie mit mir oder träume ich? Sie würden mich lieben? Sie würden mich so lieben, dass Sie sich mir hingeben?

Seine singende und geschickt erregte Stimme senkte sich.

– Paula, wenn dies ein Spiel ist, so ist es grausam; versuchen Sie nicht meine Brüderschaft, sie würde vor Ihren Reizen nicht bestehen; Paula, Paula, das Weib ist es, das ich in Ihnen liebe, ich sehe es jetzt; meines Irrtums überführt, lasse ich meinen Traum. Ja, du hast gesiegt, allmächtige Schönheit, Seele des Himmels, meine Seele.

Nebo war auf die Knie der Prinzessin geglitten; das junge Mädchen ergriff mit fieberhafter Gebärde den Kopf des Platonikers mit beiden Händen, erhob ihn mit Anstrengung und küsste ihn mit einem Kusse, in den sie ihre ganze Seele legte.

– Sie, Sie haben verloren, Paula, sagte Nebo, sich plötzlich aufrichtend.

Die Prinzessin schrie auf.

– Nehmen Sie sich in acht, man wird glauben, ich vergewaltige Sie.

Die Ironie, die dieses Wort für die Situation hatte, peitschte die Prinzessin wie eine Karbatsche. Sie bäumte sich:

– Ungeheuer!

– Das Ungeheuer, sagte er, ist das Phantom der Wollust, das sich immer zwischen zwei Seelen aufrichtet, um sie in die Netze des Fleisches fallen zu lassen: das Ungeheuer, das ist das Tier, das sich mit uns zu Tisch gesetzt hatte. Ich habe diese ewige Täuschung, welche die reinsten Geister verwirrt, vor Ihren Augen erscheinen lassen, um Sie davor zu warnen; ein vertrauter Freund, einige zitternde Worte, und alles wird vergessen; aber ich liebe Sie zu sehr, um Sie je von unsern Sinnen anführen zu lassen. Verzeihen Sie mir, Paula, dass ich Ihnen weh getan habe, um unsern Ruhm zu retten.

– Ich habe mit Ihnen kämpfen wollen, ich bin geschlagen; aber Sie hätten mich weniger hart treffen können: Sie haben mir in derselben Minute die höchste Lust und den tiefsten Schmerz gereicht. Schliesslich sind wir beide in unserer Rolle; ich nehme selbst die Härten Ihrer Belehrung an, gewähren Sie mir im voraus eine Gnade.

– Sie ist gewährt.

– Ich reise in drei Tagen nach dem Schlosse von Saint-Fulcran; meine Tante hat durchaus eine Luftveränderung nötig; ich bitte Sie, eine Nacht in den Park zu kommen, in der Tracht des Hamlet oder des Romeo. Sie werden dort übrigens Ihre Statue sehen, die nach Ihrem Wunsche in einem Gebüsch aufgestellt ist.

– Woher diese Idee auch kommen mag, ich unterschreibe sie.

– Danke, Nebo, ich denke nicht mehr an das, was eben geschah, da Sie mir dies gewähren. Diese Idee ist mir aus einer Stelle bei Jean Paul gekommen, die Ihre Belehrung abrundet:

»Glücklich ist, dessen Herz nur ein Herz verlangt und weder einen englischen Park, noch eine grosse Oper, noch Musik von Mozart, noch ein Gemälde von Raffael, noch eine Mondfinsternis, ja nicht einmal Mondschein, noch Romanszenen, noch deren Erfüllung wünscht.«


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