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Vor vierzig Jahren hielt Balzac durch den Mund des Grafen Marsay der grossen Dame Frankreichs die Leichenrede, indem er die Ankunft der anständigen Frau verkündete; heute sind wir bei der Frau von Welt. Man geht zu ihr und man empfängt sie: ihr Gatte ist nicht vorbestraft, noch ihre Tugend durch die Zeitungen geschleift worden. Keine andere Bezeichnung; es ist einerlei, ob sie des Porcellets heisst und ihr Haus auf dem linken Ufer hat oder Poirier und auf dem rechten Ufer wohnt: das Vermögen hat selbst in der öffentlichen Meinung zwischen den beiden reichen Stadtteilen, Saint-Germain und Saint-Honoré, eine Brücke geschlagen; und eine gute Nachbarschaft, seit dem Fall des Kaiserreiches begründet, lässt im selben Kreise das heruntergekommene Wappenbuch und den erst gestern gefüllten Geldkasten tanzen.
Die Frau von Welt ist mehr ein Ort als eine Person. Zubehör ihres Salons, gibt sie zu speisen und zu tanzen: sie hat nur den Wert einer Station auf dem Wege der Mode.
In der Mitte des Jahrhunderts wurde der Adel wie Herakles auf einen Scheideweg gestellt: sich auf den Aventin des Wappens zurückziehen, trotz alledem Edelleute bleiben, wie die Juden überall Juden bleiben, und aus dem Ansehen seiner Geringschätzung und der Beredsamkeit des Schweigens Vorteil ziehen; auch die Republik durch geheime und dauernde Drohungen mit Verschwörung entnerven; oder aber das Spiel der Demokratie halten und gewinnen, denn in der Politik ist der Erfolg alles. Der alte Adel hat alle Partien verloren, die der Lüge wie die des Geldes; da er in den Staub des allgemeinen Wahlrechts hinabgestiegen ist, auf immer durch die Ellbogen der Juristen verletzt wurde, findet er sich nicht mehr wie früher als Adel wieder: das Ansehen ist dahin. Denn dem »Ich bin nicht Graf, nicht Marquis, bin der Herr von Coucy« den Titel des Stadtrates hinzufügen; dem »König kann nicht, Prinz geruht nicht, Rohan bin ich« den Titel des Bürgermeisters folgen lassen – bedeutet, seiner Vergangenheit entsagen und vorziehen, Volk zu sein, wie Labruyère sagt.
Auf dem Lande sind die Träger grosser Feudalnamen von den Söhnen ihrer einstigen Pächter geschlagen worden, und auf dem grossen Theater des republikanischen Singspiels hat es weder die Grobheiten eines Maury Vertrat 1789 die Geistlichkeit in der Nationalversammlung. noch die Falschheiten, die den parlamentarischen Minderheiten nötig sind, gegeben. In Frankreich kümmert man sich nicht darum, jemand zu sein: man will etwas sein; das heisst, die Achtung vor sich selbst auf die amtliche Zustimmung der andern gründen; und zwar der Adel ebenso wie das Volk. Nicht gehorchend der Ehre des Namens, die verlangt, dass die Zehntausend des Rassenstolzes sich vor der gleichmachenden Woge zurückziehen, konnten die Edelleute noch diese Furcht einflössen, ohne welche man sich unter Ehrgeizigen verachtet, indem sie in die Kammer Rasende ohne Titel sandten, in der Art des Krapotkin; auf diese Weise gaben sie dem roten Gespenst Gestalt, vor dem der Spiessbürger immer Furcht hegt, trotzdem er seinen Voltaire und seinen Jean Jacques hat! Nein, sie haben albern gegrinst: »Nach Ihnen, meine Herren Rote«, und sind zu Advokaten gesunken: das ist so niedrig, dass weder die einzelnen noch die Völker sich von einem solchen Falle wieder aufrichten. Selbst die Literatur hat nicht mehr gewagt, den grossen Herrn noch die grosse Dame zu schildern: die haben ihr Grabmal in den Werken Balzacs; und der Meister hat sicher um mehrere Lustren das Ansehen der betitelten Klassen verlängert, indem er das Adelsprädikat angriff und sich über die Farben der Wappen lustig machte.
Wenn die jungen Schriftsteller eine allgemeine Beichte ablegten, wieviele würden da nicht bekennen, in die Hallen der Kirchen des Thomas von Aquino und der heiligen Clotilde gegangen zu sein, um wie Ruy Blas Drama von Victor Hugo. Herzoginnen ein- und ausgehen zu sehen? Und sie haben nur Weltdamen erblickt. Als sie später in die Salons eindrangen, haben sie begriffen, dass alle in Luxus und Kunst aufgewachsenen Frauen sich ausser den Kasten aufspielten. Welcher Denoisel oder welch anderer echtester Pariser könnte an einem Schauspiel-Dienstag oder Opern-Freitag von einer Unbekannten sagen: »Die ist Gräfin!« Der Wert des Namens wird ausschliesslich ehelich; bei gleicher Leere sieht der Reichgewordene, der den Edelmann als Schwiegersohn dem Soldaten und Anwalt vorzieht, richtig: ein Name, der Vergangenheit besitzt, wird immer ein Luxusgegenstand und ein Toilettenartikel für die Gesellschaft bleiben.
Die lateinische Kultur wird keine Aristokratie mehr besitzen; indem man annimmt, dass Frankreich auf seine alten Tage die Denker nicht mehr den Fuhrleuten gleichstellt, säumt die Weihe eines wahrhaften Ruhmes solange, dass sie dem Tode vorauszugehen und ihn anzumelden scheint. Was die Erbschaft des Geistes anlangt, kann niemand daran glauben, wenn nicht aus Eselei. Die Söhne Victor Hugos waren nur achtungswert, seine Enkel laufen Gefahr, Alltagsmenschen zu werden.
Indessen, der Ruf und die öffentliche Meinung gehorchen der Regel, welche die menschlichen Strömungen festsetzt und absondert, so wechselreich und veränderlich sie auch sein mögen: sieht man die Zeitung nicht fortwährend damit beschäftigt, der Oeffentlichkeit die eintägigen Führer des genusssüchtigen Reigens zu bezeichnen. Mit den Familiennachrichten, den Echos des Barons de Vaux und andern Berichterstattungen werden in mehreren Jahrhunderten die Neuigkeitskrämer der Gelehrsamkeit die Liste der Toiletten und die Einzelheit der Einrichtung jeder Frau haben, die in dieser Dirnenzeit Bälle gibt.
Die Fürstin Ywanowna Dinska vertritt die Art gut; ihr Salon ist der »Figaro« der Salons; man durchschreitet ihn im Augenblick des Erfolges, der wirklichen Avignonbrücke der Berühmtheit: der Sträfling, der die Ehre gehabt hätte, Gegenstand einiger Zeitungschroniken zu sein, würde mit der Achtung empfangen, die Balzac dem Vautrin zuteil werden lässt.
Ganz Paris kennt das Haus mit der moskowitischen Kuppel in der Allee Kleber. Der »Gaulois« hat es in dreihundert Zeilen auf der ersten Seite beschrieben, ohne die Spitzen des Bettes und die silberne Knute, die auf dem Tische des Boudoirs liegt, auszulassen.
Von vornehmem Benehmen, hoher Gestalt und roten Haaren, ist die Fürstin Dinska eher elegant als hübsch; sie hat einen Band Gedichte in Prosa auf dem Gewissen und bildet Nergal Eine Spaltung Peladans, die durch seine Romane geht. nach, den sie als eine der ersten bewundert hat. Den Cliquen gegenüber gleichgültig, klug, ohne bedeutend zu sein, zieht sie einen geistvollen Mann einem Dummkopfe vor, einen Gedanken einer Tresse, ein Buch einem Titel: das gibt ihr den Ruf, aussergewöhnlich zu sein und nicht wie die andern zu denken. Ihre Empfänge, die sich eines grossen Zulaufes erfreuen, werden eines besonderen Umstandes wegen genannt: man fragt sich, wenn man zu ihr geht, welches die Tagesgerichte sein werden.
An dem Tage, an dem Paula und Nebo sich dort treffen sollten, war der Empfang offiziell: die neuen Gesandten und die letzten Minister.
Das junge Mädchen, in ihrer Ungeduld, ihren lieben Virgil wiederzusehen, fast zu früh gekommen, fragte ihre Freundin, die den Blick eines Regisseurs um sich warf, wenn der Vorhang aufgeht:
– Was denken Sie über Herrn Nebo?
– Das ist ein junger Mann, wie er sein soll.
Das war alles. In ihrer Bewunderung verletzt, erwiderte Paula:
– Sie sprechen von ihm wie von dem ersten besten: es ist ein bedeutender Geist.
– Davon habe ich noch nichts gemerkt … Es ist wahr, er hat ein sehr schönes Bild von Ihnen gemacht, und man hat immer die Eigenliebe seines Malers! …
Sie unterbrach sich, um die Begrüssungen der ersten Gäste zu erwidern.
Man stellt sich gewöhnlich nicht vor, was selbst der blasseste Nimbus des Ruhmes der Liebe zufügt; nie wird ein unbekannter Liebhaber, sei er nachts ein Herkules und am Tage Herr de Montausier Widmete 1641 die Gedichte »Guirlande de Julie« der Julie Rambouillet, die später seine Frau wurde., die eigentümlichen Freuden bereiten, die der berühmte Mann, vielleicht ohne sein Wissen, der ihn liebenden Frau verschafft. Den Neid auf das zu erregen, was man besitzt, ist die stärkste Art, sich daran zu erfreuen: das Ansehen der Schauspielerinnen hat keinen anderen Grund. Wenn ein ganzer Saal von Bravos und Wünschen prasselt, hat der, den die Tänzerin durch einen Blick vorzieht, ein starkes Gefühl des Stolzes, das sehr geeignet ist, ihn zu berauschen. Welcher Rausch für eine Frau, die sich sagen kann: »Jeder Brief, den er mir schreibt, gilt mehr als eine Banknote, wenn man ihn verkauft; die Zeit, die er mir widmet, nimmt er seinem Ruhme, und ich besitze die Wirklichkeit dieses Zauberers, dessen Dichtungen die Frauen vor Liebe ausser sich bringen.«
In diesem Augenblick hätte Paula Nebo die Hälfte seines Genies genommen, um die andere öffentlich bekannt zu machen; sie begeisterte sich an der Idee, sie könnte ihn bewegen, für einen widerhallenden Ruf zu arbeiten; schon suchte sie in Gedanken, in welchem Schaufenster des Boulevards sie den Eros ausstellen könnte, gegen den Willen des Bildhauers. Dann schalt sie sich, von einer sinnlosen Furcht ergriffen, er könne sogleich ihre Abschweifung ahnen; sie fühlte sich dem Platoniker gegenüber im Unrecht und stritt sich mit seltsamen Besorgnissen für diese Anwandlung des Despotismus. Endlich festigte sich diese Gewissensqual in etwas gedemütigter Traurigkeit: dieser unter so milden Formen so widerstandsfähige Charakter legte ihr eine oft schwere Achtung auf; das Missverhältnis ihrer Wesenheiten verletzte sie, am Ende ihrer Vergleiche fand sie sich als junges Mädchen wieder, und diese Unterlegenheit vergiftete ihr köstliche Eindrücke.
Von Jugend prangend, in ihrem blauen, ganz mit Silberstoff bedeckten Kleide, zeigte Paula, kühn ausgeschnitten, wirklich nackte Schultern, ohne jeden Reispuder; und der dumpfe Ton dieser blonden, von blauen Adern durchzogenen Haut war eine Köstlichkeit, an der sich das Auge erfreute. Diese unwirkliche Hautfarbe der Kinder der grossen englischen Familien, die Reynolds und Lawrence malten, blendete. Antar Antar, Bildhauer, siehe Peladans Roman »Weibliche Neugier«., nicht fähig, seine Bewunderung für diesen geistigen Körper, von dem Baudelaire spricht, auszudrücken, sagte ihr eines Tages: »Ihre Haut ist wie durch Milch schimmerndes Licht.« Am Schulterblatt, am Ellbogen keine Härten der Form, keine Schärfen des Umrisses, wie sie das junge Mädchen zeigt; noch am Oberarm die Fülle der reifen Frau. Ihr Hals erklärte das biblische Bild, das ihn mit einem Turm vergleicht, und eher behelmt als bedeckt von ihrem glänzenden Haar, war sie schön.
Nach der Ansicht der Oberflächlichen verdarb sich das Antlitz durch verwickelte Ausdrücke, und ihr sichtlich denkender Kopf passte nicht zu der Puppenhaftigkeit ihrer Nachbarinnen. Das grüne Gold ihrer Augen beunruhigte und verbot die galante Rede; seit mehreren Monaten sagte man sich in ihrer Umgebung, Prinzessin Riazan habe recht tiefe Blicke, gebe seltsame Antworten, verziehe den Mund in heimlicher Geringschätzung: in der jungen Weltdame trat manchmal Nebos Schülerin hervor, und die Erinnerungen an die Umschiffung Peladans Roman »Weibliche Neugier«. beleuchteten die sie umkreisende Welt mit grausamem Schein. Ihr Blick sah oft furchtbare Schauspiele; und der Panzer des Ekels, den der Platoniker ihr um die Lenden geschnallt hatte, schützte sie, obgleich unsichtbar, gegen die Begierde, die sich vorgewagt hätte.
Bei den Vorstellungen zerstreut, wurde sie ungeduldig, je voller die Säle wurden, da ihr Erwarteter nicht auftauchte.
Trotz seiner Pracht glich das Hotel Dinska einem Ministerium; alles trug darin das Gepräge eines planlosen Lebens; nichts Vertrautes, keine Persönlichkeit waren zu spüren; trotz der Menge und der Kerzen fühlte man, dass es eigentlich nicht bewohnt war: die Fürstin Dinska selbst war nur ihr erster Gast.
Nebo erschien endlich, freundlich, aber verschlossen, um den Hals den Orden tragend, der den Prinzen de Trèves so beunruhigt hatte, als er mit Rose Combe Konkubinenhochzeit feierte Peladans Roman »Weibliche Neugier«.. Der Platoniker begrüsste die Fürstin Dinska mit der üblichen Redensart, dann nahm Paula seinen Arm und führte ihn beiseite.
– Warum sind Sie zu Ywanowna alltäglich gewesen?
– Aus Bequemlichkeit, liebe Schülerin; man muss die Sprache derer sprechen, mit denen man spricht, und des Ortes, wo man sich befindet. Auf einem so gemischten Balle und mit einer Weltdame soll ich Orlando Shakespeare, »Wie es euch gefällt«. im Ardenner Walde sein? Hat eine Frau, die zweihundert Personen empfängt, fast alle von Ansehen, Zeit, eine Artigkeit neuer Fassung mit passenden Adjektiven anzuhören? Paula, wenn Sie wüssten, was es kostet, sich selbst in kleinen Dingen überlegen zu zeigen! Sehen Sie diesen alten Jungen, der aus seinem Klapphut einen Ventilator macht, während er sich auf den Kamin stützt? Sein Unglück war die Wahrsagekunst aus der Hand, ein Opfer der Desbarolles. Dieser Mann hatte mit dreissig Jahren nur eine Rettung, um das Pariser Leben zu führen: sich reich zu verheiraten. Um aus dem Halbdunkel herauszukommen, wo die Leute wimmeln, die nach einer Mitgift jagen, verfiel er darauf, aus den Händen lesen zu lernen. Zu seinem Unglück wurde er sehr tüchtig; statt zwischen den Zeilen zu lesen, las er die Zeile selbst. Die erste Wirkung dieser schönen Wissenschaft bestand darin, dass er sich das offene Herz eines jungen Mädchens verschloss, dem er erklärte, sie würde ihrem Gatten viel zu schaffen machen. Die zweite ist köstlich: als er darauf verzichtete, die Hände der heiratsfähigen Fräulein anzuschauen, glaubte er sich gerettet; und eine zweite Heirat tauchte an seinem Horizonte auf, als er zu seiner Schwiegermutter, die ihn aufforderte, ihre Vergangenheit zu erraten, sagte: »Sie haben die allgemeine Barmherzigkeit genossen!« Diese Fabel zeigt, wie Aesop sagt: eins Forderung zur Schau tragen heisst den Nächsten herausfordern, der immer böse und immer gefährlich ist; man soll seinen Geist in einem Salon nicht mehr zeigen, als seine Brieftasche auf den grossen Strassen.
– Als ich auf Sie wartete, mein Freund, dachte ich das Gegenteil: ich wünschte Sie berühmt! Ihr Name ist so gut gemacht, um wiederholt zu werden; als Sie eintraten, hätte ein Wirbel von Neugier und Neid …
– Wenn Sie meine Frau oder meine Geliebte wären, würden Sie mich sehr beunruhigen mit diesen Hirngespinsten: meine Persönlichkeit braucht keinen Beifall; gross sein für mich und die Meinen, darunter verstehe ich Menschen, die selbst lieb und gross sind; Spiegel, die mir schmeicheln, ohne mich zu belügen, das genügt. Unbesonnene, die Sie sind, wenn Nebo ein Werk schaffen würde, leitete er nicht die Erziehung der Prinzessin Riazan! Sagen Sie Nergal, er solle sein Androgynat entwickeln; er wird Ihnen antworten: »Ich habe es schon getan und fange nicht von neuem an«; dann nennt er Ihnen einen seiner Romane.
– Kommen wir zu unserer grossen Belehrung, sagte Paula, und beginnen Sie bei der Hausherrin.
– Gut, gehen wir ins Gewächshaus.
Sie verliessen die Säle und kamen in eine Art Wintergarten, der mit chinesischen Laternen erleuchtet war. Sie setzten sich ganz im Hintergrunde hinter ein dichtes Gesträuch.
– Wenn Sie es fertig bringen, Ywanowna eines Verbrechens anzuschwärzen, werde ich alles für möglich halten.
– Halten Sie es also! Das Buch des Verlangens ist gewidmet: »ihr«. Ihr bedeutet Katharina Ridze, ihre eigene Schwester, die mit Lord Bedforest, einem britischen Oberst in Indien, verheiratet ist. Sie wissen nicht, dass die beiden Schwestern bis zu ihrer Volljährigkeit im Schlosse Zaslavl aufgewachsen sind; in diesem Lande der Wölfe, das die Hälfte des Jahres mit Schnee bedeckt ist, ohne Zerstreuung und besonders ohne Aufsicht: ihr Vater war ein alter General, schweigsam und wahnsinnig. Sie lasen Romane, und da sie keinen einzigen Velmoje Russisch, bedeutet Mächtiger (Herr). hatten, mit dem sie hätten flirten können, ersannen sie ein gefährliches Spiel: Katharina verkleidete sich als Mann und machte ihrer Schwester den Hof. Eines Tages, von ihrer Liebeskomödie berauscht, haben sie sich länger als gewöhnlich geküsst. Da ist Zaslavl ein Tourlaville geworden, verbrecherischer als das normannische Schloss, und die Ridzes übertrafen das Verbrechen der Rovalet. Bedenken Sie, Prinzessin, die naturwidrige Blutschande.
– Welcher Greuel! rief Paula aus.
– Der Henker hat diese köstlichen Nacken nicht berührt noch die Geschichte diese Schande; die ist in Zaslavl begraben, und kein d'Aurevilly wird sie je erzählen. Nur hat sich Ihr Ausruf des Entsetzens übereilt, und Sie werden ihn am Ende der Geschichte wiederholen müssen. Kannte der alte Ridze die Freveltat seines Schlosses? Als der Fürst Dinski, durch den Zufall einer Jagd herbeigeführt, sich in Ywanowna verliebte, verheiratete der Vater sie fast mit Gewalt. Ihre Schwester nahm sie mit. Wie lange blieb Dinski ohne Verdacht? Wann kam er ihm? Sechs Monate waren kaum verstrichen, als er Katharina bat, sie zu verlassen, und mit seiner Frau nach seiner Besitzung bei Zaslavl abreiste. Ywanowna schien sehr gelassen zu sein. Aber an einem Winterabend klopfte ihr Gatte vergebens an die Tür ihres Zimmers und brach sie auf: das Bett war leer. Da nimmt er seinen Revolver und steigt in den Park hinab; der helle Mondschein zeigt ihm Spuren von Schritten auf dem frischgefallenen Schnee; er folgt ihnen eine Strecke von zweihundert Metern bis zu einem Gartenhaus, aus dem Licht drang. Als er hinhorcht, vernimmt er ein leidenschaftliches Gespräch, das von Küssen und Seufzern unterbrochen wird. Zornig schreit er: »Oeffnen Sie, Madame, oder ich stecke den Pavillon in Brand.« Ein Schweigen der Bestürzung antwortet ihm; dann die fieberhafte und kopflose Aufregung des überraschten Ehebruchs; und als er sich mit seiner starken Schulter gegen die Türe stemmt, öffnet sich das Fenster und eine menschliche Gestalt, kaum mit einer Hose bekleidet, fällt fast zu seinen Füssen nieder, um sich zu einem tollen Laufe zu erheben. Dinski stürzt sich auf die Verfolgung, ein Zweig peitscht ihm den Arm im Vorbeistürmen, sein Revolver fällt; hinter ihm ruft eine halb entkleidete Frau, die ihren Rock rafft, um ihn einzuholen: »Dinski, es ist meine Schwester.« – »Ich werde sie töten,« heult der Fürst. Da hebt die Prinzessin den Revolver auf, bleibt stehen, um besser zielen zu können, und drückt ab: der Fürst fällt. Als der Schuss kracht, macht Katharina halt, und die beiden Schwestern blicken sich auf vierzig Schritte mit Entsetzen an. Zwischen ihnen als furchtbare Schranke, die sie für immer trennt, der Leichnam dieses Mannes. Einen langen Augenblick betrachten sie sich, ohne dass eine wagt, sich der andern zu nähern; dann kehrt die Fürstin, ohne eine Gebärde des Abschieds, ins Schloss zurück. Einen Monat später heiratete Katharina Lord Bedforest, Obersten der Spahi. Sie haben sich nie wiedergesehen.
– Geliebte ihrer Schwester und Mörderin ihres Gatten! Ywanowna, murmelte Paula vernichtet.
Sie schwiegen, als das Geräusch von Stimmen und Schritten sich ihnen näherte.
– Hier sind wir allein, sagte eine Frauenstimme.
Man setzte sich, mit dem Rücken gegen das Gebüsch von Kakteen und Palmen, das die jungen Leute verbarg.
– Sprechen wir uns aus, mein Lieber, begann die Frau; ich weiß, was für ein Mann Sie sind, und ich glaube nicht an Ihre Liebe. Was für ein Interesse haben Sie daran?
– Was geht Sie das an? Ich biete Ihnen fünfzigtausend Franken.
– Die Sie nicht haben! Wer gibt sie Ihnen? Der das grösste Interesse an diesem Geschäft hat; denn Sie erhalten mindestens ebenso viel, als Sie bieten. Also, die Karten auf den Tisch, oder das Spiel beginnt nicht.
– Ich decke mein ganzes Spiel auf, wenn ich Ihnen sage: ich verführe, um das Vermögen zu heiraten.
– Machen Sie das andern weis! Der Graf würde sie Ihnen nicht geben, selbst wenn sie schwanger wäre; Sie wissen es wohl, er würde sie töten oder ins Kloster sperren, und das ist alles. Das ist kein Mann, dem man die Hände binden könnte, auch mit einem Skandal nicht.
– Was glauben Sie denn?
– Ich glaube, mein geschickter Herr, daß der Interessierte der Bruder aus zweiter Ehe ist, Enguerrand! Wenn Blanche entehrt wird, glaubt er, wird sein Vater sie enterben und sie ins Kloster stecken; dann fällt ihm das Vermögen der Nogent ganz zu! Nicht wahr? Sagen Sie nein! Ich will hinzufügen, dass Sie Vollmacht besitzen für die Kosten der Schlinge; und ich verlange hunderttausend Franken für meine Hilfe.
– Topp, sagte der Mann, aber Sie mißbrauchen die Lage, und ich könnte mich daran erinnern.
– Mein Lieber, Sie erschrecken mich nicht genug, dass ich auf die Verdoppelung des Preises verzichte.
– Nun gut! Wann? Wie?
– Wann, das weiss ich nicht; wie, so: vom ersten Tage an werde ich Blanche zum Abendessen einladen, auf mein Landgut Créteil; ein Schlafpulver in ihr Glas, ich bette sie aufs Ruhebett und ziehe mich zurück; das übrige ist Ihre Sache.
Sie erhoben sich; auf der Schwelle des Treibhauses drehte sich die Frau um.
– Haben Sie nicht ein Geräusch hinter den Palmen gehört?
Aber der Mann achtete nicht darauf: es war Paula, welche die Blätter auseinandergeschoben hatte, um die Sprechenden zu sehen, deren Stimmen ihr unbekannt waren.
– Mistress Connaught! rief sie aus; doch ihren Genossen habe ich nie gesehen. Aber Sie werden dieses Verbrechen verhüten, Nebo.
– Ja, seien Sie davon überzeugt, und vergleichen Sie diesen Anschlag mit dem des grossen Trimard In Peladans Roman »Weibliche Neugier«.; das Heer des Verbrechens hat nicht nur seinen Hof der Wunder; es hat auch ein Elitekorps, in dem der Mörder behandschuht ist, und Mistress Rakings, die zwanzigtausend Franken Diamanten auf ihren nackten Schultern tragen. Die Moral, das heisst die öffentliche Meinung über die Leidenschaften, ist eine Staatsrücksicht, ganz und gar lokal. Die Bigamie wird in Paris verurteilt, in Konstantinopel geehrt; die Engländer predigen die Suche nach der Vaterschaft in London und den Verkauf von Frauen in Malta; sie gründen Mässigkeitsvereine auf ihrer Insel und beschiessen die chinesische Küste, sobald der Kaiser des Himmlischen Reiches ihr Opium zurückweist. In Marseille gibt derselbe Mann, der den Negerhandel von Gabon treibt, seiner Tochter »Onkel Toms Hütte« zu lesen. Die Franzosen betrachten die Einverleibung von Elsass-Lothringen als ein schreckliches Verbrechen und sie stehlen den Tonkin. Der französische Priester und der deutsche Pastor bitten denselben Gott, jedem von ihnen den Sieg zu geben; und mag der Krieg gerecht oder ungerecht sein, man singt das »Te Deum« auf dem einen wie auf dem anderen Ufer. Ein erschreckendes Schauspiel, diese Selbstsucht der Völker, welche die Selbstsucht der Gemeinde, die Selbstsucht der Sippen und die Selbstsucht der Industrie vereinigt. Den Begriff der Gerechtigkeit gibt es nicht in den Handlungen der Zivilisation; in der Politik hat der Ausländer unrecht und in der Moral das Volk. Wer eines Tages dem lieben Frankreich zu sagen wagte, dass es ungläubig ist, würde als Ischariot beschimpft werden; jedesmal, wenn ein Sittenlehrer den duftenden Handschuh der reichen Klassen umgekrempelt hat, um die mit langen Fingern versehene und mit Blut bedeckte Hand zu entblössen, welche die Schranke des Schwurgerichtes kratzt, hat man es als Verleumdung und höllische Erfindung eines verderbten Geistes verschrien … Doch eine andere Seite der Frage reizt uns. Eine Gesellschaft auf die Tugend gründen, daran kann nur ein Heiliger denken, kein Seelenkenner; indessen darf das Tier mit zwei Rücken nicht mittags an der Strassenecke auftauchen, noch das Messer um Mitternacht: man hat die bösen Triebe nur ablenken, nur eindeichen können, indem man sie gegen eine Düngergrube stiess; und man hat Hurenhäuser und Gaunerkneipen. Wenn man die gesellschaftliche Leiter hinaufsteigt, befindet man sich Verbrechen gegenüber, die nicht zu unterdrücken sind; die menschliche Klugheit hat unendliche Hilfsmittel, um Böses zu tun, und dann ist die Bedingung der gesellschaftlichen Existenz die Heuchelei. »Tummle dich zwischen deinen vier Wänden, stehle, vergewaltige, töte; aber wenn du deine Leichen nicht gut begräbst, werde ich, die Gesellschaft, zu meinem lebhaften Bedauern gezwungen sein, streng gegen dich zu verfahren.« Nehmen Sie an, ich könnte morgen der Gerechtigkeit die zwanzig Aktenstösse der Verbrecher, die in diesem Hause tanzen, ausliefern, Ich würde sie in grosse Verlegenheit bringen. Die Moral ist ein Mieder: von einer gewissen gesellschaftlichen Zone an gerechnet, tragen es alle; aber zu gewissen Stunden legen es alle ab; dieselbe Frau, die gegen den Ehebruch donnern wird, geht morgen ins Grand-Hotel, um ihren Geliebten zu treffen; wenn sie nicht ohne Mieder gesehen wird, bleibt sie geachtet. Der Gesellschaftsvertrag hat nur ein Wort: »Die den Schein wahren, sind gerettet.« Um das berühmte Gebot des Beaumarchais zu parodieren, sagt die Gesellschaft: »Sei weise, wenn du willst; verderbt, wenn es dir gefällt, aber lass es nicht sehen.« Auch muss man sich in der Weisheit mässigen und einen gegebenen Umfang nicht überschreiten: das Uebermass der Tugend ist eine Unklugheit und wird als solche von der allmächtigen öffentlichen Meinung bestraft. Die Legitimisten, die es mehr als der König waren, die Sündenböcke von Froschdorf Asyl der Bourbonen, südlich von Wien. wissen, was es kostet, Puristen einer Partei zu sein. Noch furchtbarerem Schicksal sind die Sittenpuristen verfallen. Nichts darf hervorragen. Das Graue, das die moralische Farbe der Welt ist, hat eine hohe Berechtigung zu sein: dieses Auslöschen bringt die Sicherheit hervor; kommt eine rote oder blaue Persönlichkeit dazwischen, so erscheint das Graue als das, was es ist, schmutzig, wenn es erleuchtet wird. Man tränkt die hervorragenden Männer mit so viel Galle, nur weil man das Licht scheut, das sie ausstrahlen: und wenn Nebo für diese Salonwelt etwas anderes wäre, als ein schwarzer Anzug mehr, könnte er Ihnen nicht diese Wissenschaft des Bösen lehren, die Sie zwingen wird, sich einzig und allein dem Guten zu widmen.
Das Vorspiel eines ungarischen Walzers liess sich hören: sie erhoben sich.
– Ein Ball, Prinzessin, ist für das junge Mädchen das erste Kleid; für die Frau von dreissig Jahren der Geliebte; für alle das Schlachtfeld, auf dem sich die Eitelkeiten und die Begierden entwickeln, auf dem die Leidenschaften beginnen und sich auflösen. Der »Ball« findet in der Provinz nicht statt; es müssten denn die Subskriptionsbälle des Bürgermeisters, die Kneipenbälle und die Jahresfeier der Präfektur sein. Aber der wahre Pariser Ball, wie dieser hier, ist eine Art der Prostitution.
– Ihre vernunftwidrigen Aussprüche bringen mich auf; ich bin sehr oft zum Ball gegangen und bin auch jetzt da: wie prostituiere ich mich.
– Oh, ich weiss, meine Prinzessin, dass diese Worte einem Furcht machen; spricht man sie aus, kommt man in den Ruf eines Schmutzsehers! Tut nichts, hören Sie mich an. Wenn ein Noroudine, ein Graf von Antiochien, Sie im Hotel Vologda überrascht, während Sie die Arme entblösst haben und so tief ausgeschnitten sind, dass vorn der Ansatz Ihrer Brüste, hinten die Schulterblätter zu sehen sind, würden Sie in grosser Aufregung schnell verschwinden, einen Schleier überwerfend. Doch zeigen Sie das alles unter einem grellen Licht und unter den lüsternen Augen von hundert Männern. Es gibt also zwei Arten von Scham, eine erste dem einzelnen Manne gegenüber, die zweite für die Männer in Menge. Noch sind Sie reine Jungfrau, und die Kasuistik ermächtigt Sie, die Sinne zu erregen, wenn Sie nach dem Werke des Fleisches trachten, das die Ehe ist: aber nehmen Sie an, Sie seien verheiratet. Es kommt ein Unbekannter herein, der Sie um den Leib fasst, Sie gegen seine Weste drückt, sein Auge in Ihren Busen bohrt, seine Beine so unzüchtig wie möglich in Ihren Rock wickelnd, während Sie einen Arm um seinen Hals schlingen und eine Hand in seine Hand legen. Würde Ihr Gatte Sie so überraschen, so bleibt ihm nichts anderes übrig, als den Mann zu töten oder Scheidung zu beantragen.
Und er führte sie an die Tür des grossen Salons, wo die sich drehenden Paare den Duft des Verlangens verdunsten liessen.
– Sehen Sie diese Frauen, die ohnmächtig auf den Schultern von Unbekannten ruhen, das sind verheiratete Frauen und ehrbare Frauen. Es gibt also eine Ehrbarkeit für das, was öffentlich ist, und eine andere für das Private; und die Ehe leidet keinen Schaden von unzüchtigen Berührungen, wenn Zuschauer dabei sind. Wer Sie zu Hause beim Tanzen überrascht, wäre überzeugt, dass dieser Mann Ihr Geliebter sei; hier nennt er sich einfach Ihren Tänzer. Sollte vielleicht die öffentliche Meinung eine Wollust freisprechen, die zu nichts führt, die nicht wählt?
Und mit dem Blick auf die umschlungenen Paare deutend:
– Sehen Sie diese verlorenen Blicke, diese krampfhafte Ungeduld der behandschuhten Hände auf der Schulter des Kavaliers; sehen Sie diese Beine, die in dem Rocke verschwinden; sehen Sie diese Köpfe, die sich neigen, und diese Taillen, die sich beugen; sehen Sie diese Umarmungen, aus denen der Taumel aufsteigt; diesen gelinden Schweiss, der den Rücken schaudern macht; sehen Sie diese Busen, die ans Mieder klopfen, diese trocknen Lippen und diese zuckenden Nüstern. Hören Sie dieses Reiben der Stoffe: darunter reibt sich auch das Fleisch; hören Sie dieses Keuchen: es ist nicht das der Ermüdung.
Und Paula sah beim Worte des Platonikers das unzüchtige Phantom der Pollution über dem Tanze schweben.
– Sie sind abscheulich, Nebo!
– Die freiwillig geschlossenen Augen öffnen, jeden bei seinem sittlichen Namen nennen und die Dinge zeigen, wie sie sind: ja, das ist abscheulich! Mit welchem Rechte nennt man die Trinker Säufer, die Geschickten Diebe und die Korrekten unzüchtig? Das heisst, ruchlos an den Vertrag rühren, der zwischen Anstand und Laster geschlossen ist. Als wir unsere Reise Peladans Roman »Weibliche Neugier«. durch die Sitten antraten, wollten wir den Schlüssel zu ihrer Erklärung im Kaffeehause holen. Auf dem Balle werden Ihnen die Formen der Leidenschaften selbst erscheinen. Von den Einfältigen aus gesehen, gibt es hier nur Leute in Toilette, die andere hüpfen sehen; wer tiefer blickt, erschaut alle wesentlichen Schrecken einer Zivilisation. Wir haben sie getrennt studiert, jeden an seinem Orte, den Mann im Cafe und im Klub, die Frau im »Bon-Marche« und im »Printemps«. Hier sind die Geschlechter zugegen und verbunden: und der Hauptfall, der in die Augen springt …
– Ist der Ehebruch.
– Nein, der Ehebruch der reichen Leute setzt voraus, wenn nicht Liebe, so doch Wahl, Vorziehen, würdige Vorbereitungen und einige Seufzer vor den Umarmungen, anmutige Bettelei und einige Langsamkeit der Vereinigung. Auf dem Balle bewilligt man einem Unbekannten, ja fast jedem der Anwesenden, einen äusserlichen und augenblicklichen Besitz, der moralisch der völligen Hingabe gleichkommt, und auch körperlich zuweilen … Und zuerst, Prinzessin, viele Dirnen würden sich im voraus bezahlen lassen, bevor sie sich so entkleidet zeigen, wie Sie es sind.
– Sie sind ein Vergifter des Lebens, Nebo; Ihre satanische Vorstellung schlägt die meinige und Sie ekeln mich an, ohne mich zu überzeugen.
– Gut! Ich werde schweigen und Sie bitten, aufzuhorchen; wenn Brocken des Gespräches meine Worte nicht beredt erläutern, verzichte ich auf das Virgiliat bei Ihnen.
Als sie am Büfett vorbeikamen, hörte Paula in einem kleinen Gewühl dieses Geflüster junger Leute.
– Du hast sie zu sehr gedrückt; ihre Augen wurden weiss davon.
– Das war sie ja, mein Lieber; ich wette, dass meine Schulter das Zeichen ihrer Finger trägt; eine Frau, die als sittsames Weib Erklärungen loslässt, das hätte ich nie gedacht.
– Ei, sagte der andere, das sind die Ueberraschungen des Walzers und des Bazars.
Nebo kreuzte auf eine Gruppe von sehr eleganten Klubleuten zu und tat so, als unterhalte er sich mit Paula, die mit beiden Ohren aufhorchte.
– Wer hat gesagt, Frau von Guébriant habe keine Beine? Sie hat sogar Waden.
– Ich wette hundert Goldstücke, dass ich sie herumkriege, rief der Herzog von Nimes aus.
– Gewiss, sagte de Quéant, wenn du sie zur Hälfte in die Wette steckst.
– Ich empfehle Ihnen, meine Herren, sagte ein anderer, den Balkon der Frau von Ganges; da lohnt es sich, sich darüber zu beugen. Form und Festigkeit, das ist meine Losung.
Und zynisch, mit leisen Worten, tauschten sie ihre Eindrücke aus, entkleideten die Frauen, deren Fehler oder Schönheit beschreibend, ihr Temperament erklärend.
– Oh, Nebo, rief Paula aus, mit ihrem Arm den des Platonikers pressend, Gott bewahre mich davor, mich so entkleiden zu hören.
– Sprechen Sie hier nicht von Gott; Sie allein müssen sich bewahren, und glauben Sie, dass die neun Chöre sich wenig darum kümmern, Ihren Tänzern Schweigen zu gebieten. Ich bewundere die Feigheit der christlichen Gewohnheit, die auf Gott die Verantwortung für unsere Laster wirft. »Herr, ich setze mich allem aus, mache, dass ich keiner Sache erliege«: das sind die weiblichen Vaterunser. Und die der katholischen Partei: »O Jesus, wenn wir ohne allen Verdienst sind und wenn wir keine Anstrengung machen, geschieht es für dein Ansehen, auf dass deine Vermittlung mehr zu sehen ist. Jehova, deine Rechte wird besser erscheinen, wenn sie Unwürdige rettet, und wir sind der Dünger Ahab 1. Könige 16-22., um deinen Ruhm zu vermehren.
Die Fürstin Dinska kam zu ihnen.
– Herr Nebo, Sie nehmen Ihr Modell in Beschlag und können sich nicht von ihm trennen.
Und zu Paula:
– Meine Liebe, Sie tanzen nicht, Sie sprechen mit niemandem und Sie stellen sich bloss. Kommen Sie und machen Sie mit mir eine Runde durch den Salon! Hat man je eine ähnliche Beschlagnahme gesehen?
Als die Prinzessin aus ihrer verletzten Unabhängigkeit erwidern wollte, sagte Nebo:
– Prinzessin, befolgen Sie diesen Rat; ich mache mir Vorwürfe, dass ich ihn nicht selbst gegeben habe; aber die Gunst Ihrer Gesellschaft ist so gross, dass ich zu entschuldigen bin, sie so lange in Anspruch genommen zu haben, ohne auf den Brauch, der hier herrscht, Rücksicht zu nehmen.
Und er entfernte sich, die beiden Damen förmlich grüssend.
– Welchen Zauber besitzt denn Herr Nebo, fragte Ywanowna Paula; Sie müssen eine Leidenschaft für ihn haben, sonst würden Sie ihn mit geringerem Bedauern verlassen.
– Sein Zauber ist, dass er mir nicht den Hof macht, dass er mir nicht den Arm drückt, sich nicht über meine Schultern beugt; wenn ich ihn verlasse, bin ich den Geschmacklosigkeiten ausgeliefert, den albernen Schmeicheleien; ich trete wieder auf die Bühne, mit ihm war ich in der Kulisse: darum mein Bedauern.
– Wie seltsam Sie seit einigen Monaten sind; sogar die Art, mit der Sie mir antworten, ist sonderbar.
Aber die Fürstin Dinska wurde von einem Minister aufgehalten, den sie Paula vorstellen musste; diese antwortete mit einer so kurzen Bewegung, dass dieser Verteiler von Tabaksläden und Aemtern zu zweitausendfünfhundert es nicht für würdig hielt, die Geringschätzung des jungen Mädchens hinzunehmen.
– Die Macht, Prinzessin, bedeutet recht wenig neben der Schönheit.
– Aber die Klugheit, Herr Minister, übertrifft die Schönheit.
– In diesem Falle werde ich neben Ihnen auf meine Geburt pochen, die dunkelste der Welt: ich bin der Sohn meiner Werke, wenn ich mich meines Vaters nicht rühmen kann.
– Ihrer Werke? artikulierte Paula; wenn Sie sagten, Ihrer Schwindeleien, das wäre genauer. Sie haben zuerst in einem Café, dann in einem Klub, schliesslich in der Kammer geschwindelt. Gavarni, ein ernsterer Historiker als Louis Blanc, hat in zwei Worten die Geschichte der Zeit geschrieben: »Schwindler und Beschwindelte«: wollen Sie gegen mein Urteil Berufung einlegen?
Einen Augenblick warf sich der Minister in die Brust; sah dann aber, dass man sie nicht hörte.
– Mein Fräulein, Sie wollen mich kränken und Sie ergötzen mich; eine Riazan, die Geheimsprache mit einem Gelehrten spricht, sei er auch Minister geworden, das ist heiter … Unter Auguren will man gern verrucht sein, wenn man nur nicht einfältig ist. Ueber den Minister machen Sie sich lustig; über den Mann können Sie nicht lachen. Halten Sie uns, meine Kollegen und mich, für so dumm, dass wir uns ernst nehmen? Die Republik, eine Regierung? Wir, Minister? Possen! Konkursverwalter, ja; und wenn Frankreich seinen Vergleich mit den Gläubigern durchsetzt, werden wir am meisten erstaunt sein.
Der Marquis von Hou-Hang-Li, in schwarzem Anzuge, mit seinen schelmischen Augen blinzelnd, trat heran und sagte zur Prinzessin in ausgezeichnetem Französisch:
– Gnädigste, Sie sind das Himmlischste und Lieblichste, was der Gesandte des Himmlischen Reiches im Abendland gefunden hat. Sie müssten nur auf Teppichen von Pfirsichblüten gehen.
– Dieses Kompliment des Landes von Li-Tai-Pe gefällt mir; und eine Abendländerin kann auf Ihren Selam aus Worten nur mit einer Blume ihres Strausses antworten.
Sie reichte ihm eine weisse Kamelie; der Asiate führte sie andächtig und schelmisch an seine Lippen; den Rückzug des Ministers sich zunutze machend, näherte er sich Paula, wie um ihr ein Geheimnis anzuvertrauen.
– Die Franzosen der höheren Klassen, sagte er, gebrauchen Worte, die nicht im Wörterbuche des französischen Mandarins stehen; ich wage die offiziellen Mandarine nicht um die Erklärung zu bitten; sie halten mich für einen Dummkopf; Sie aber kennen einen chinesischen Dichter: erklären Sie mir dies. Ich fragte kürzlich: Was macht das Staatsoberhaupt, wenn es nicht unterschreibt? Man hat mir geantwortet: Es macht seine »pelote«. Eben suchte ich Herrn Roncan, und ein Beamter der Gesandtschaft antwortet mir: Stören Sie ihn nicht, er »pelote« Frau Borie. Wie kann man dasselbe Wort »pelote« auf den Müssiggang eines alten Herrn und auf das Geplauder eines Mannes und einer Frau anwenden? In einer Zeitschrift habe ich noch dies gelesen: »Renan ist ein ›peloteur‹ der Ideen.« In Frankreich »pelote« man in der Regierung, man »pelote« in der Gesellschaft, man »pelote« selbst in der Stille des Zimmers – ich kann das nicht fassen.
– Seine »pelote« machen, erwiderte die Prinzessin, muss bedeuten, seine persönlichen Geschäfte erledigen, seinen Magot machen.
– Magot reimt mit Chinois auf französisch, unterbrach der Asiate lachend Magot, Affe, Ersparnisse..
– Was die andern Bedeutungen betrifft, so muss ich gestehen, ich weiss ebenso wenig wie Sie; aber ich werde fragen … Herr von Nimes, erklären Sie dem Marquis das Wort »pelote«.
Der Herzog machte grosse Augen, dann gab er dem Chinesen ein Zeichen, sich von der Prinzessin zu entfernen.
– Nein, ich will mich auch belehren, sagte sie.
– Ich soll es vor Ihnen erklären? Umschreibungen fallen mir zu schwer, um mich damit zu bemühen!
Und er entfernte sich lebhaft.
– Es darf nicht sein, dass ein Wort so ein Geheimnis bewahrt. Bieten Sie mir den Arm, Marquis, und suchen wir Nebo auf: der wird uns antworten.
Sie fanden den Platoniker, wie er leise mit dem Grafen von Nogent sprach; er war sehr bleich und seine Stirn lag in Falten.
– Warten wir, sagte Paula zum Gesandten; sein Gespräch ist sehr wichtig.
– Der Marquis von Hou-Hang-Li fragt mich, was »peloter« bedeutet.
– Ich werde es ihm sagen.
Und er neigte sich ans Ohr des Chinesen, dessen Gesicht ein Spiel der Geilheit wurde.
Paula machte sich eine Vorstellung von dem Worte, das Nebo, dessen Kühnheit vor nichts zurückscheute, ihr nicht übersetzte.
– Ihnen, Prinzessin, werde ich es in Konjugation zeigen, und vielleicht an Ihnen selbst: haben Sie nur Geduld.
Wie es Mode war, brachte die Fürstin Dinska, als der Ball seinen Höhepunkt erreicht hatte, eine Glanznummer: Schauspieler von Ruf, berühmte Musiker; für diesen Abend war das ungarische Orchester, mit Zimbelsolo, angekündigt.
Diener überfielen den Saal und richteten Sessel und Stühle.
– Setzen Sie sich neben mich, sagte die Prinzessin.
– Nein, erwiderte Nebo, wir werden uns nachher wiedertreffen; setzen Sie sich neben Varnage; er schlägt nicht den Takt mit seinem Fusse und wackelt nicht mit dem Kopfe, was sonst der Nachbar bei einer musikalischen Aufführung unbedingt zu tun pflegt.
Zwei hübsche Frauen, mit einem Lächeln auf den Lippen, aber mit etwas fieberhafter Stimme, flüsterten:
– Du glaubst, ich habe dich nicht gesehen? Du hast dich hingegeben; du hast mich betrogen.
Und sich kokett neigend, liess sie mit einem unbestimmbaren Tonfall von verhaltener Eifersucht das Wort fallen:
– Schmutzig!
Dieses Wort liess Paula erstarren, wie es so inmitten der zärtlichsten Schöntuereien ausgesprochen wurde.
Die Leidenschaft, dieser Strom des Herzens, hat also so furchtbare Ueberschwemmungen, dass sie alle Würde verschlammen und Selbstachtung wie Zurückhaltung fortspülen, dachte sie.
– Gaston, mach das nicht mehr beim Tanzen; mich schaudert wirklich, ich kann das Schreien nicht zurückhalten, sagte ein junges Mädchen zu ihrem leiblichen Vetter.
Man nahm Platz, und vorm Auge der Prinzessin, deren seelische Fähigkeit Nebo entwickelt hatte, fanden sich die Paare; jeder näherte sich dem Liebling.
– Wie süss, Sie in meinen Armen zu halten, Ihre Brüste zu sehen, wie sie in der Erregung des Tanzes aus dem Mieder springen möchten! Wenn Sie wüssten, was ich empfunden habe …
– Sie sind doch begabter als ich, antwortete die Frau; ich habe gar nichts empfunden, nur die Stösse Ihrer Knie, die mich falsche Schritte machen liessen; Ihre fallsüchtige Hand, welche die Fischbeine meiner Turnüre knetete; es gibt Frauen, die das lieben; ich mache nur eine Sache auf einmal; wenn ich tanze, so tanze ich, und die Herren, die aus einem Stein zwei Würfe machen wollen, und aus einem Walzer eine … Sie verstehen mich: die verurteile ich, ohne Berufung, als ebenso schlechte Liebhaber wie armselige Tänzer! Lassen Sie sich das gesagt sein, im Vorbeigehen, mein schöner Herr!
Eine Familie zankte sich lächelnd.
– Du warst unanständig; sein Bart …
– Sein Bart? Ich habe seinen Bart nicht gesehen.
– Er hat dir den Hals gekratzt; er ist noch rot.
Und eine Mutter zu ihrer Tochter:
– Du hast die Dirne mit diesem Herrn gespielt.
– Aber, Mama, du hattest mir selbst gesagt …
– Ich habe es dir für deine Versorgung gesagt, und nicht für dein Vergnügen; wenn du verheiratet sein wirst, gut; aber bis dahin nichts als Tänzer, mein Fräulein.
Diese Fetzen verderbter Gespräche bestürmten von allen Seiten das Gehirn der Prinzessin, die sich sträubte vor Abneigung und Unbehagen. Nebo hatte ihr die Ohren wie die Augen geöffnet: in wenigen Stunden erwachte sie zu der furchtbaren Wahrnehmung der menschlichen Gemeinheit.
Die Zimbel warf plötzlich ihre metallischen Schwingungen, und die Bogen griffen den phantastischen Marsch an, mit dem Staccato des Feuers eines Reiters. Alsbald entrollte der Ritt der Noten die düstern Aussichten der Pussta; man hätte meinen können, die Stimmen wilder und betrogener Leidenschaften in der Steppe heulen zu hören.
Von der kraftvollen Melodie der Zigeuner getragen, atmete die Prinzessin leichter bei dieser Musik der freien Luft, wo der Wind selbst über die gedrängten Töne fährt und sie umlegt wie die Mähne eines durchgegangenen Pferdes, als verschiedene Empfindungen sie ihrer Träumerei entrissen.
Unbehandschuhte Finger streiften ihr den Rücken; ein Hauch reizte ihren Arm; ein Fuss suchte ihren Fuss; Augen richteten sich auf ihre Brust und wichen nicht davon. Bei dieser vierfachen Unverschämtheit sträubte sie sich mit der Heftigkeit ihres Zornes und ihres Ekels, als die Gräfin von Sommières nicht weit von ihr ziemlich laut, um von mehreren gehört zu werden, sagte:
– Mein Herr, es ist lange her, seit mir das noch etwas machte.
– Aber, meine Dame, zu meinem Vergnügen tue ich das, nicht zu Ihrem.
– Wenn ich meine Börse hätte, erwiderte die Gräfin, würde ich Ihnen ein Goldstück geben; dann könnten Sie auf die Strasse gehen, um sich viel besser zu befriedigen.
– Das würde nicht dasselbe sein, antwortete der Mensch ruhig und entfernte sich.
Nachdem Paula ihre Belästiger mit einem Blick gemustert hatte, dessen Zorn diese sehr erstaunte, wartete sie ungeduldig, bis das Stück zu Ende war. Dann fand sie Nebo wieder, der am Eingang des Saales stehengeblieben war.
– Werden Sie mir endlich die Erklärung dieses Wortes geben?
– Haben Sie es nicht eben erprobt? Ich sehe ja, dass Sie aufgeregt sind.
– Sagen Sie es, sagen Sie es doch, rief sie fieberhaft.
– Peloter, Prinzessin, bedeutet in der erotischen Sprache kleine Zärtlichkeiten, heimliche Berührungen, weil die Partnerin oder der Ort nicht mehr erlauben.
– Und das wird geduldet, rief sie aus.
– Hören Sie einen Urkundenbeweis zu diesem Gegenstand! Als der Kaiser noch herrschte, wollte der militärische Befehlshaber einer der grössten Städte Frankreichs, krummbeinig und unzüchtig, ein edles Fräulein heiraten, das die Absicht hatte, Mädchen zu bleiben, da es reich war. Der Vater dieser geistvollen Dame, ein alter Soldat, empfing den Gouverneur oft zum Essen, und der verliebte Affe wurde neben die junge Dame gesetzt. Solange die Mahlzeit dauerte, streifte er die Beine der, die er liebte, indem er seine Serviette aufhob. Um diesen Berührungen zuvorzukommen, verfiel das Fräulein darauf, ihm zwei Bediente, einen rechts, einen links, an die Seite zu stellen und jeden mit einem Dutzend Servietten zu versehen. Nun, raten Sie: wieviel Servietten waren in den Händen der Lakaien geblieben, als man zum Nachtisch kam? Je eine! Der Gouverneur hatte zweiundzwanzig Versuche von »pelotage« gemacht und, als er ging, zweiundzwanzigmal die Serviette gewechselt. Denken Sie nicht, dass die unzüchtige Berührung zwischen Unbekannten ein besonderer Zug der Bälle ist; dort ist er unvermeidlich, das ist alles. Aber in jedem Gedränge, bei den Ausstellungen von Neuheiten in den Magazinen des Louvre, im Gewühl von Leuten, die einen öffentlichen Umzug erwarten, auf dem Sitz des Theaters und des Omnibus, selbst in den Kirchen schleicht und versucht sich die Pollution. Sie können sehen, wie alte verheiratete Lebemänner einen Freund bitten, sich auf der Rennbahn an die Seite ihrer Frau zu stellen, damit man ihr nicht »das Knie mache«, wie sie sagen. Man macht den Ellbogen, man macht die Schulter, man macht alles was möglich ist, und selbst das, was nicht möglich scheint. Die Polizei nennt diese Leute »frotteurs«, Reiber; in der Mandarinensprache, wie Ihr Frager sagen würde, haben sie keinen Namen … Warum ist das Leben in Paris nach allgemeinem Urteil so angenehm? Weil selbst die Luft dort die Laster kost: Arm, reibt man sich am Luxus; allein, atmet man, sobald man ausgeht, diesen odor di femina ein, der darin wogt! Welcher Spaziergänger ist je vom Boulevard de la Madeleine zum Wasserschloss hinaufgegangen, ohne einen hübschen Blick, ein angenehmes Rauschen aufzufangen? Ueber diesen Berührungen, die Sie empören, gibt es eine Verdunstung der Sünde, so fein, dass man sich ihrer kaum erwehrt; man kann sie nur wahrnehmen mit Hilfe eines Verstandes, den die böse nennen, welche nichts Böses darin sehen, weil es nicht zu groben Handlungen kommt.
Das Konzert hörte auf; diese vertrauliche Mitteilung erreichte sie.
– Ich habe Dinge erfahren … ich fühle, dass es schlecht ist. Ich werde es meinem Gatten sagen, wenn wir heimkommen, denn ich liebe ihn.
– Sieh dich vor, Liebe; wenn du ihn nicht mehr lieben wirst, werden dir diese Dinge nicht mehr als schlecht erscheinen.
– Da kommt die Fürstin Dinska, sagte Nebo; sie wird uns bemerken und ihren Vortrag über die Schicklichkeiten wieder anfangen.
Und er entschlüpfte.
Paula blieb auf demselben Platze stehen; ihre Ohren waren rot, die Adern geschwollen und eine Falte erschien an der Stirn.
– Und er wird ernannt werden, Sie schwören es? Gut! Dann auf Dienstag, Sie wissen, wo.
Als Paula sich plötzlich umwandte, bemerkte sie statt Balzacs Frau Marneffe, eine Frau mit schmerzlichem Blick und einem beleibten Unterstaatssekretär.
Unfähig, den Dienstfertigen ohne Laune zu antworten, erreichte sie einen kleinen abgelegenen Salon; ihren Fächer hinwerfend, setzte sie sich auf einen Diwan und begann, die Arme kreuzend, nachzudenken.
Sie hatte die Welt der rohen Menschen durchkreuzt, ohne davon berührt zu werden, und in ihrer Welt, der höchsten nach der Welt der Höfe, entging sie nicht den Berührungen, die beschmutzen. Die lesbische Glut, die ihr zuerst unter den Zügen eines Bierhausmädchens erschienen war In Peladans Roman »Weibliche Neugier«., rötete sich durch einen ehelichen Mord in der Person einer Freundin; in den fürstlichen Sälen wagten die Männer im Gebärdenspiel mehr als im Hause des Tanzes: das Liebeskontor In Peladans Roman »Weibliche Neugier«. erschien ihr nicht mehr ungeheuerlich nach dem Anschlag der Mrs. Connaught und dem Handel des Unterstaatssekretärs. Der Zuhälter entfaltete sich unter den Zügen des Ehrgeizigen, der die Reize seiner Gattin den Leuten in Amt und Würden preisgibt; der eheliche »Fleischtopf« Marmite, Dirne, die ihren Zuhälter ernährt. erschreckte sie mehr als der des äusseren Boulevards. Die Verbrechen, sie erriet sie, wie sie ausgeführt wurden, das Gesetzbuch in der Hand; die allgemeine Rechtschaffenheit war ein schlaues Verdrehen von Repressalien; und über allem der Zynismus des Mannes, der, die Unwissenheit der Jungfrauen missbrauchend, die von Phryne gelernten Geheimnisse anwendet, um noch schlummernde Sinne zu stören. Die Maske fiel endlich, welche die höhere Klasse so gut befestigt trug; so dicht neben sich den ganzen Schlamm der Strassen wiederfindend, sich beschmutzt fühlend, wurde sie rasend, wenn sie die Zukunft beschwor, die ihre schreckliche Erziehung ihr brachte.
Während sich das junge Mädchen schmerzlich gegen diesen unbesiegbaren Ekel sträubte, wie ihn Baudelaire ausschreit, sass der Platoniker auf einem Diwan des Rauchzimmers halb liegend und schaute, wie sein Rauch ihn in eine Wolke hüllte.
Es war etwas Ausserordentliches zu entziffern für den, der die Haltung des Lehrers und der Schülerin hätte vergleichen können, wie jeder von ihnen an einem Ende des Hauses allein war. Nebo wusste, wie es um die Seele der Prinzessin stand, und seine beinahe grausame Heiterkeit offenbarte den unerschütterlichen Willen eines beschlossenen Zieles. Dieser Denker, der so gut zu schweigen wusste, dass man ihn fast für eine Null hielt; dieser Wagehals, so klug, dass man kein Misstrauen in seine Macht setzte, schien auf dem Gipfel seiner Persönlichkeit angelangt zu sein. Seit er ins Hotel Vologda gekommen war, hatte sein Körper sich erleuchtet; er liess jetzt seine dunkelblonden Haare wachsen, als Sinnbild seines Königtums, das er künftighin leidenschaftlich verwirklichen würde; seine Gesichtsfarbe war klarer, der Bogen der Lippen schwingender, selbst sein früher weichliches Benehmen zeigte mehr Kraft und eine Herrschaft über sich, die sich in bestimmte Gebärde übersetzte. Das Gesicht seines sich ermöglichenden Traumes wandelte seine Augen in Sterne.
Balthasar des Baux trat ein; sie hatten sich während des Abends mehrere Male gekreuzt, ohne dass sie sich zu kennen schienen.
– Du hast die Pflanze der Anziehung an dir?
– Ja, sagte Nebo, aber kein Gottesmann hat sich sterblich verliebt.
– Ich selbst!
– Und du liebst Blanche de Nogent!
Nebo erhob sich.
– Du müsstest dich der Schwüre erinnern; man wird das Geheimnis des van Helmont Die Pflanze des Okkultisten van Helmont (1577-1644), die lieben lässt; siehe Peladans Roman »Das höchste Laster«. nur gegen Frauen anwenden, die anfangen unterzugehen, oder vielmehr gegen jede Frau, um einen von uns zu retten, in seiner Freiheit oder in seinem Leben zu retten.
Der Prinz des Baux liess den Kopf sinken.
– Dir allein sind die Handlungen des äusseren Mutes anvertraut; ich befehle im Laboratorium; hättest du mir auch das Leben gerettet, ich würde dir das Elixier, das du verlangst, nicht geben, weil an diesem Tage das Dominikat gebrochen wäre. Unsere Kraft ist unser Meister; und wenn du tiefer eingeweiht wärest, würde dir der Gedanke, den Willen des Merodach Merodach, Nebo, Balthasar des Baux sind »Rosenkreuzer«. ungestraft zu verletzen, nicht kommen. Wir kennen uns nicht: man nähert sich.
Nebo trat wieder in die Säle, Alltäglichkeiten wechselnd; er wurde bald von der Prinzessin eingeholt, die seinen Arm nahm.
– Uebersättigen Sie mich mit Schrecken, da Ihre bedauernswerte Phantasie einmal so ist. Gibt es hier etwa Mörder und Diebe?
– Zuerst gibt es die, welche im Duell einen Gegner getötet haben, der nicht schiessen oder nicht fechten konnte; ferner die Bankiers. Wenn Sie aber eine cause célèbre haben wollen, die noch nicht bekannt ist, so wollen wir suchen. Dieser Mann mit dem scharfen Profil hat auf das Zeugnis von drei Aerzten seine Frau ins Irrenhaus bringen lassen, und nach drei Tagen wurde sie wirklich verrückt: der Fall Adrienne de Cardoville, nur noch schlimmer. Dieser Staatsanwalt, so zuckersüss neben dieser blonden Engländerin, hat einen Romandichter verurteilen lassen, und der Romandichter ist an einer Krankheit gestorben, die er sich im Gefängnis zugezogen hat. Jener General hat einen Philosophen in den Silo Strafe in der Fremdenlegion; Graben in Form einer umgekehrten Pyramide, in dem der Bestrafte Tage lang, bei Kälte und Hitze, gehalten wird. gesteckt. Dieser zweite Justizbeamte, der die Fürstin Dinska anspricht, hat viel Leichen auf dem Gewissen: er hat das Untersuchungsgefängnis missbraucht. Jener kahle Schädel ist ein Dekan der Fakultät, der einen Kandidaten zurückgewiesen hat, weil seine Arbeit zu bemerkenswert war, um nicht abgeschrieben zu sein. Wir wüssten kein Ende zu finden, Prinzessin, besonders wenn ich Ihnen das Gesicht zeigen muss, indem ich Ihnen den Verbrecher enthülle. Es genüge Ihnen, über die Gefahren aufgeklärt zu werden, die Ihre allzu anziehende Person läuft, unter diesen Taschendieben der Geschlechtlichkeit.
– Es gibt also keine einzige Tugend hier.
– Mehrere, von unserer abgesehen!
Um den Platz einer Gruppe zu lassen, die sich umdrehte, zogen sich Paula und Nebo in eine Fensternische zurück, so dass sie von Noroudine Peladans Roman »Weibliche Neugier«. und dem Vicomte d'Antioche Peladans Roman »Weibliche Neugier«. nicht gesehen wurden, die vor ihnen stehen blieben.
– Nichts geht über die Haut der Riazan, sagte der Vicomte.
– Ihre Beine, rief Noroudine aus; die Beine einer Diana!
– Du hast sie gesehen?
– Ich habe sie gefühlt.
Nebo legte seine beiden Hände auf Paulas Arme, um sie zurückzuhalten.
– Nebo, flüsterte sie mit zischender Stimme, als die jungen Leute gegangen waren, Sie werden sie züchtigen.
– Wer sich nicht nass machen will, gehe nicht ins Wasser; und wenn man auf das Geheimnis seines Kleides hält, lässt man nicht die Knie eines Tänzers darin wühlen.
Zwei Tränen der Scham, schwer und heiss, rollten Paula aus den Augen, und eine von ihnen fiel Nebo auf den Handschuh: in ernster Bewegung beugte er sich und trank sie.
– Oh, Nebo, ich weiss nicht, für wen ich mich bewahre; doch schwöre ich, unbarmherziger Meister, künftig unbefleckt zu bleiben: ich werde nicht mehr tanzen!