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III.
Wilde Ehe

Allein im Arbeitszimmer des Platonikers betrachtete die Prinzessin, als Graf Noroski verkleidet, starr Kristallscherben, die auf einem silbernen Teller lagen, und Nebos Ausspruch Peladans Roman »Weibliche Neugier«. klang ihr in den Ohren: »Zerbrechen Sie also diese Schale, das Sinnbild aller Unkenntnis, auf die Sie verzichten.« Ihr Stolz erlaubte es ihr nicht zu bereuen; aber ein unbestimmter Schrecken beschlich sie vor all der Entlarvung, welche die Hand ihres Virgils immer weiter trieb. Wie würde der Ausgang dieser Einweihung sein? Würde er sie nach fünfzehn neuen Abenden wieder verlassen? Aufruhr kochte in ihr, dass sie nicht sehen konnte, wohin sie dieser schmerzliche Weg der Enttäuschung führte.

Als sie Nebo kommen hörte, verstellte sie ihr Gesicht. Zwei Sporen machten sie jetzt nachgiebig gegen den unbekannten Plan: der eigensinnigen Neugier, auf den Grund und ans Ende zu gehen, gesellte sich ein unbestimmtes Gefühl, dessen Symptom das gebieterische Bedürfnis war, dem Menschen nahe zu sein, den sie allein schätzte und ihrer würdig hielt.

– Sie haben mir verziehen, sagte er, ihr einen männlichen Händedruck gebend, sowohl meine Abwesenheit wie meine Bitte, sich vor meinem Kommen zu verkleiden, um keine Zeit zu verlieren? Ich habe mich nicht früher vergewissern können, dass sich dort, wohin ich Sie führen will, eine menschliche Komödie abspielt.

Paula fragte ihn nicht, weil sie nicht neugierig erscheinen wollte, sondern bezeigte geschickt eine andere Neugier als die des Augenblicks.

– Da die Kenntnis des Lebens das Studium der Geheimsprache ist, fällt mir ein anderes Wort ein, das mir ganz unverständlich ist. Er ist »collé«, habe ich sagen hören, und das konnte nicht bedeuten, dass er durchs Examen gefallen sei.

– »Collage«, fleissige Prinzessin, hat zu Synonymen in der theologischen Sprache »Konkubinat« und in der Sprache Emile Augiers »faux ménage«, wilde Ehe; im amtlichen Ausdruck der Polizeipräfektur »wie in der Ehe« leben, das heisst, mit seiner Geliebten zusammen wohnen.

– Nun, die Tatsache, eine Geliebte zu haben, vor der Kirche wie vor der Moral tadelnswert, einmal zugegeben, begreift für mich fast das Zusammenleben ein.

– Die öffentliche Meinung hat hier nicht Ihre Augen; sie ist streng gegen das Konkubinat. Mag es allgemein bekannt sein, dass Sie von einem Lupanar nur fortgehen, um in ein anderes einzutreten: Sie sind ein Lebemann. Wenn Sie aber mit Ihrer Chloris leben, sind Sie verrufen.

– Absurd, wahrhaftig! Eine Leidenschaft schändet weniger als die Ausschweifung; und die Beständigkeit in der Hurerei erscheint mir nicht so niedrig als ein phallisches Herumflattern.

– Die Gesellschaft, welche die Tugend foppt, hält sehr auf die Sitte, das heisst, auf die Konventionen. Einen Mann ohne Zeugen töten, ist morden, und man läuft Gefahr, »die Witwe zu heiraten«, wie der selige Jamais Pris Jamais Pris, Niemals gefasst. vom Fallbeil gesagt hätte; einen Mann vor vier Zeugen töten, erhöht Ihr Ansehen sehr. Auch in der Hurerei liegt alles in der Form, wie Richter Gimpel Beaumarchais, Figaros Hochzeit. ganz richtig urteilt. Nun erlaubt die Gesellschaft nicht die ehemässige Form der Hurerei: sie verwirft diesen Mittelweg zwischen Sakrament und Sünde. Ausserdem ist collé das Synonym von »augenblicklich beendigt«: der Konkubin ist ein Mensch, der sein Leben aus Zufall geschlossen hat und dessen ganzes Streben nur darauf hinzielen wird, sich schwimmend zu halten. Dann weiss man aus Erfahrung, dass das schlimmer als eine Ehe ist: das Falsche der Stellung verbittert die Laune; der Mangel an Sicherheit, der Bruch, dieses Damokles-Schwert, das über dem einen oder dem andern hängt, schärft die Eifersucht und säuert den Charakter. »Heirate, wenn du liebst, oder verlass, wenn du nicht liebst,« sagt die Welt; und die Konkubinen antworten: »Man wählt seine Geliebte und die Mutter seiner Kinder nicht in gleicher Weise.« Balzac hat in der »Muse des Kreises« die wilde Ehe Lousteaus, des Journalisten, gemalt; aber in dieser Zigeunerwelt verliert er etwas von seiner Folgerichtigkeit. Zwischen Rubempré und Coralie Balzac, Verlorene Illusionen. ist es ganz entehrend, weil die Frau den Geliebten ernährt. Heiratet man einige Millionen, so ist man ein Schlaukopf; gibt einem die, welche einem die Brut Kinder gibt, auch das Futter, so ist's um unsern Ruf geschehen.

– Auch das geht über meine Begriffe, erwiderte Paula. Ich sollte dem meine Börse verschliessen, dem ich mein Kleid und mein Herz öffne! Kann man den ohne Brot lassen, den man liebt?

– Die Frau kann denken wie Sie; aber hier ist der Mann von Ehre der Ansicht der Welt; er wird in der Not das Darlehn einer Freundschaft annehmen, aber nie das Geschenk einer Geliebten. Die Menschenwürde verbietet es, sein Brot in einem Bett zu backen, und sei es auch das leidenschaftlichste der Welt. Aber es hat eben neun Uhr geschlagen und der Wagen wartet unten auf uns.

*

– Boulevard Bineau, sagte der Platoniker zum Kutscher.

Dann wandte er sich an Paula:

– Warum wollen Sie büssen und legen sich diese Anstrengung auf? Zu dem einzigen Zweck, mich glauben zu machen, dass dasselbe junge Mädchen, das aus Neugier ihr Leben und ihren Ruf aufs Spiel gesetzt hat, nicht wissen möchte, wohin ich Sie in der Hosenrolle führe. Sie sind übler Laune, liebe Seele, und ich führe Sie zu Leuten von schlechter Laune, in die wilde Ehe einer früheren Pensionärin von Saint-Denis mit einem Ingenieur Rumond. Sie werden in diesem Paare den höchsten Grad der Verbesserung sehen, den das Konkubinat erreichen kann. Sie werden die krankhafte Empfindlichkeit bemerken, die der falschen Stellung entstammt, und mit welchen Sorgen die Frau den fehlenden Vertrag zu stützen sucht: denn sie nennt sich in Neuilly Frau Rumond. Sprechen Sie nicht von d'Alembert und der Lespinasse noch von einer andern Geschichte, die sich mit der Lage reimt; dieser arme Rumond hätte nach Ihrem Fortgehen einen Sturm zu bestehen.

– Ich beklage diese Frau, sie muss schrecklich leiden.

– Aber sie macht auch leiden; Sie werden mir den Vorschlag der Welt sagen: »verlass oder heirate«; ich werde Ihnen darauf antworten, wenn wir fortgehen, falls Sie nicht die Unmöglichkeit der beiden Vorschläge erraten haben.

Sie stiegen vor einem schmucken Landhause ab und läuteten am Gitter eines ziemlich ausgedehnten und bepflanzten Hofes. Ein Kindermädchen in weisser Schürze führte sie in den elegant bürgerlichen Salon: in der Kaminecke sass eine Frau von fast vierzig Jahren und stickte; ihr gegenüber der Architekt in Schlafrock und Pantoffeln. Der Eindruck einer Ehe war gegeben, mit einer Kunst der Biederkeit, die einer Theaterinszenierung würdig war. Rumond stellte die jungen Leute feierlich vor, indem er sagte: Meine liebe Frau!

Diese schrie auf vor Freude über die Güte, nachts zu kommen, Wilde wie sie zu besuchen, in dieser verlorenen Gegend; dass sie sich ausserhalb der Mauern eingerichtet, schrieb sie der Brust ihres Mannes und seiner Liebe zum heimischen Herd zu. Noch hübsch aussehend, sich ungezwungen benehmend, fliessend sprechend, schien sie Paula für Alter und Wesen Rumonds gut zu passen. Durch ihren Gatten überzeugt, dass Nebo sie für verheiratet hielt, glaubte sie gut daran zu tun, für die Ehe um jeden Preis einzutreten …

– Mein Gatte, Herr Nebo, hat mir viel von Ihnen erzählt, und ich sehe, dass bei Ihnen der Mann von Welt den Künstler so gut verhüllt …

– Zu gut, meine Dame, und das ist ein grosses »Umsoschlimmer«: ich bin gesellig und nicht produktiv; besser wäre es, ich jagte den Damen Furcht ein, und meine Werke erfreuten die Manen der Genies. Der Künstler im ästhetischen oder Naturzustande ist ein seltsamer Igel; seine Stacheln sind notwendig, um seine Persönlichkeit zu wahren; schneidet er sie, sofort fühlt, lebt und denkt er wie alle Welt; er ist dann nur noch ein Schwimmholz in der Wassertracht seiner Zeit.

– Aber, mein Herr, wandte die Dame ein, welche Sitten haben Ihre Künstlerigel! Hurenjäger, und die meisten hängen sich an liederliche Frauenzimmer. Oh! Pfui! Ich schätze vor allem Haltung und Anstand.

Rumond schien die Eier des Frieses zu zählen, die Augen zur Decke gerichtet. Plötzlich wandte sie sich an ihn.

– Mein Lieber, ich weiss, dass die Männer nur gegen ihre Geliebte freundlich sind, aber wenn man Besuch hat …

Der Ingenieur senkte seinen Blick auf die Feuerböcke; die Beklemmung der Stimme und das Schweigen bezeichneten schon eine furchtbare Lage.

– Graf Noroski, Sie haben fast das Aussehen eines jungen Mädchens.

– Das hilft mir, zu verführen, antwortete sie und machte ein verwegenes Gesicht.

– Wieso verführen? fragte sie mit dem Spiel einer Lady Tartuffe.

– Ei, sagte Paula, wenn ich meine dummen Streiche nicht jetzt machte, blieben sie mir zu machen übrig, und so beeile ich mich, mit Nebos Hilfe. Glauben Sie, lieber Freund, dass ich bald fertig bin?

– Mein Gott! rief Nebo aus, den die Komödie Paulas belustigte, noch sechsundzwanzig Ehebrecherinnen, die Hälfte Betschwestern, die Hälfte Herzoginnen; einunddreissig Grisetten; eine Entführung …

– Sie entrüsten mich, Herr Nebo; ich begreife noch die Liebe im Alter des Grafen, aber die Liebe für eine einzige.

– Es ist die Schuld aller, Frau Rumond, wenn ich noch keine gesehen habe, die mir mehr wert zu sein schien als acht Tage.

Sie kniff die Lippen zusammen und warf sich in die Brust, beleidigt, dass man, sie erblickend, von einer Wochenliebe sprechen konnte.

– Und Ihre Arbeiten, Ingenieur-Architekt, der Sie sind, hatte ich Cora Peladans Roman »Weibliche Neugier«. empfohlen. Hat sie Sie gut aufgenommen?

– Allerdings, aber meine Frau …

Die Augen der Frau Rumond richteten sich wie Pistolen auf ihn …

– Ich sehe, und zwar etwas Seltenes, unterbrach der Platoniker: auf seinen Gatten eifersüchtig sein, Madame, ist die höchste Schmeichelei, die in der Macht einer Gattin liegt.

– Gewiss, ich bin, wie alle Frauen, die lieben, etwas parteiisch, aber ich habe Vertrauen zu Rumond; doch Sie werden zugeben, wenn man für die Dirnen arbeitet, müsste man eine Naumachie Wasserbecken für Darstellung von Seegefechten. für die erotischen Belustigungen dieser Hure bauen, und ich hätte dieses Geld nicht sauber gefunden.

– Leonardo da Vinci, der Ingenieur war, der alle Künste wie alle Wissenschaften kannte, baute die Lustschlösser für die Geliebten des Herzogs Sforza.

– Andere Zeiten, andere Sitten, sagte sie in schneidendem Tone.

Man brachte den Tee, und das peinliche und alltägliche Gespräch schleppte sich noch einen Augenblick hin. Frau Rumond hatte die Feindseligkeit der Besucher verstanden und liess es merken, dass sie diese fortwünschte.

– Ich begleite diese Herren bis an ihren Wagen, meine gute Freundin, sagte der Ingenieur als sie sich erhoben.

Als sie die Freitreppe hinunterschritten, platzte die Verwünschung von den Lippen des Konkubinen.

– Dieses Weib! Sie hat es fertiggebracht, dass mir jenes Geschäft mit Belfont entgangen ist, fünfzigtausend wenigstens, aus Furcht, Cora könne mich verführen! Und sie liebt mich, wie ich sie liebe; Sie können sich nicht vorstellen …

Er wollte gerade seinen Gefühlen freien Lauf lassen, als seine Frau im Schatten der Freitreppe erschien.

– Komm herein, Rumond, du wirst dich erkälten.

Beim Klang dieser Stimme senkte der Ingenieur den Kopf.

– Vermeiden wir einen Auftritt; wie feige man doch in den intimen Kämpfen wird!

Er nahm die Hand der Prinzessin und drückte sie mit einer Kraft, in der sein ganzer Groll zu fühlen war.

– Junger Mann, bevor Sie jemals einer Geliebten ein Geheimnis anvertrauen, erinnern Sie sich an die Hölle des Boulevard Bineau.

Und er ging wieder hinein.

Die eiserne Tür knirschte, als sie sich schloss.

– Ach, sagte Paula, welch schreckliches Leben! Sie verabscheuen sich und bleiben doch zusammen: ich fasse das nicht.

– Diese Frau, die durch ein sehr buntes Leben gesunken ist, hat doppelten Grund, dieses Spiel zu spielen; nachdem sie ein lockeres Leben geführt hat, endet sie in einem Schein von Anständigkeit und Bequemlichkeit. Was Rumond betrifft, so ist er durch ein Geheimnis gebunden, ich weiss nicht welches. Stellen Sie sich vor, sie weiss von einer Fälschung: ich führe das nur als Beispiel an. Dann hat Rumond Bedürfnisse nach Familienleben; ein Knopf fehlt, sein Flanellhemd ist verlegt; dieser Mann ist unglücklich, er hat die bürgerlichen Bedürfnisse des Fleischtopfes, der gargekochten Hammelkeule, der kleinen Gerichte und der gut gebügelten Hemden. Diesen Abhängigkeiten des Temperaments fügen Sie noch die verborgene Leiche hinzu und Sie sehen das Wie des Bruches.

– Wenn er sie heiratete, würde das wenigstens der innere Friede sein.

– Irrtum! Sie hält sich nur, weil sie keine Rechte hat; dem Tage, an dem der Standesbeamte zu ihnen kommt, wird der Morgen des Gedankens an Ehebruch folgen. Dann hat Rumond, trotz seinen Entsagungen, doch Verstand genug, um seinen Namen nicht einer so belasteten Vergangenheit zu geben. So werden sie sich auf unbestimmte Zeit quälen, mit täglichen und gegenseitigen Nadelstichen.

*

Der Wagen hielt an der Ecke der Levisstrasse.

– Wir gehen? fragte Paula.

– Zu Ligneuil, dem, der Ihnen in der »Grossen Landstreicherei« Peladans Roman »Weibliche Neugier«. am wenigsten missfiel; hier habe ich Ihnen keine andere Ermahnung zu geben als die, unweiblich zu sein; die Dame schätzt Wahnsinn mehr als Anstand.

Im zweiten Stock eines Arbeiterhauses, öffnete Ligneuil ihnen selbst. Er trug mit ziemlichem Anstand eine Bluse aus rotem Tuch und rauchte eine neue Pfeife. Nachdem sie ein Zimmer von Bastardaussehen, eine Küche ohne Feuer und eine Rumpelkammer ohne Möbel durchschritten hatten, befanden sie sich in einem Zimmer von verräterischem Aussehen. Merkmale geistvollen Luxus und schmutziger Kindereien zeigten, dass dort eine doppelte Strömung von Kunst und Dummheit herrschte. Auf dem Kamine aus gemaltem Holz war eine Verkleinerung des Mandara vom Tempel Too-dji von einem Kamm und einem Pantoffel umgeben. Kläglich hing da ein alter Strumpf, einen Astarte-Ritus des Félicien Rops versperrend, und an den vier Wänden dieselbe Jagd von Lumpen und Kunstgegenständen.

– Ich habe Sie schon gesehen, vor sieben bis acht Monaten, Graf Noroski, in der »Grossen Landstreicherei«, sagte Ligneuil zu Paula; ich kannte Herrn Nebo damals noch nicht.

Die Vorhänge des Alkovens öffneten sich;

– Meine Frau, die Herren Nebo und Noroski.

Diese reichte jedem der jungen Leute die Hand. Es war ein grosses Mädchen, augenscheinlich hysterisch; mit dem Auge, das Halluzinationen hat, mit wallendem Körper machte sie den Eindruck einer Horizontalen, die träumt. Sie hatte zuviel Puder und an den Füssen Ueberschuhe, die bei jedem Schritt, den sie schleppte, ihre Schlaffheit läuteten.

Sie warf sofort einen leuchtenden Blick auf den falschen Grafen.

– Seien Sie willkommen, meine Herren, in Helsingör, sagte sie mit der rauhen Stimme einer unkeuschen Frau.

Paula, welche die beiderseitigen Treulosigkeiten dieses Paares nicht kannte, liess ihr Erstaunen sehen, dass sie gleich so offen begehrt wurde.

– Lalia, du erregst bei dem Herrn Aergernis, sagte Ligneuil ironisch, und du blinzelst vergebens. Dieser Neigung, mein Kind, wirst du nicht freien Lauf lassen; also nimm zur Losung heute abend: Anstand und Verzicht.

Der Blick der Frau wurde dunkler und ihr Ellenbogen bohrte sich in das Sofakissen. Der Autor der »Seltsamen Gewerbe« sprang von dem stillen Schrecken seiner Lage zur allgemeinen Seelenkunde über, einen tiefen Seufzer ausstossend, und wandte sich an Nebo.

– Treu sein oder nicht treu sein, das ist die Frage der Leidenschaft. Liegt mehr Adel der Seele und der Kunst darin, sich in einer und derselben Frau die ganze Weiblichkeit vorzustellen? Oder soll ein Wesen, ins Seltene und Heftige verliebt, die Lippen, die vorübergehen, als die Noten des Liebesklaviers durchlaufen, bis es auf sein entzücktes C stösst? Scheiden wir aus dem Problem die aus, die es ausgeschieden haben, die Insichversunkenen und Belästigten, Stil Montausier Widmete Julie de Rambouillet 1641 die Gedichte »Guirlande de Julie«.. Eine Frau? … oder alle Frauen? … Eine, das ist der Tod der Begierde … alle, das ist Satyriasis, krankhafte Begattungswut … Und wenn man bedenkt, dass diese Qual, die man Erziehung nennt, von der Biblischen Geschichte und dem Garten der griechischen Wurzeln bis zur Entfaltung der Empfindlichkeit, welche die katholische Abrichtung erzeugt, dass all das auf eine Lalie hinausläuft! … Die Entwicklung der »Kultur«, wie die Deutschen sagen, ist der Tod aller Gefühle zu Ehren eines einzigen, das selbst nur eine sinnliche Empfindung ist. Eine Frau? … oder alle Frauen? … oder keine Frauen? … Ja, das ist die Schwierigkeit. Denn, welchen Hang zum Traume müsste man haben, um nicht das gebieterische Bedürfnis zu besitzen, etwas Leben zu umarmen? Das muss uns hemmen. Wenn man darüber nachdenkt, wie selten der Taumel auf dieser Erdkugel ist, das heisst, die nervöse Minute, in der das Wesen sich begeistert und in Lust aufgeht, verzeiht man den unheilvollen Lalien. Wer möchte in der Tat die Missbilligung und den Tadel der Welt ertragen, die Schwächung seines Körpers, den Verlust seines Geistes, die Verneinung jeder Zukunft, die wie der Pulsschlag eilenden und aufeinander folgenden Enttäuschungen; den Ekel, der das ganze Sein füttert, und die Eifersucht, die es dreht, wenn er mit dem einfachen Verzicht auf die Liebe loskäme? Wer wollte einem albernen, bösen, kindischen und weinerlichen Wesen gehorchen, wenn nicht die Furcht vor etwas Schlimmerem seinen Willen beunruhigte; wenn ihn nicht die Angst, die in einem kalten Bett und in einer einsamen Seele wohnt, die Uebel der Leidenschaft überwältigen liesse? So macht das Gefühl Feige aus uns allen; so entnerven sich die zum Wirken Fähigsten in den Netzen eines Weibchens; so scheitert das Heldengedicht eines Geistes in einer wilden Ehe, und der ganze vergebliche Wille hängt wie ein Theaterschwert ironisch an der Seite eines Leichnams. Still! Die reizende Ophelia … Mannstolle, erinnere dich meiner Reden, wenn du sündigst.

Während er so den Monolog Hamlets parodierte, hatte sich Eulalia eine Zigarette gerollt und angesteckt.

– Mein Lieber, begann sie mit dieser toten Stimme der Frau, die mit den Worten beissen will; du hast die Sucht, dein Herz auszuschütten, sobald Besuch da ist, und zu sagen, indem du auf mich weist: das ist mein Brandmal. Wenn ich dein Schandfleck bin, verberge ihn; aber du breitest mich so aus, dass du glauben machst, ich sei der Krebs deines Lebens: du bist eben verdorben genug, um an deinem Krebs zu hängen.

– Man fällt einander zu gewissen Stunden schwer zur Last, sagte Nebo, und die rechtmässige Frau bringt einen Mann oft gerade so gut zum Sinken wie eine Geliebte. In meinen Augen sind es nicht diese vorausgehenden Gebräuche, welche die Würde oder die Unwürdigkeit einer Verbindung ausmachen.

– Das ist eine Sprache, die ich gern höre, rief Eulalia.

– Sie klatschen jetzt Beifall, Madame, und gleich werden Sie mich auszischen. Was jede andere Erwägung für die Beurteilung eines Falles freier oder gesetzlicher Verbindung übertrifft, ist die Entsagung suchen, die darin steckt. Zwischen dem ersten besten (ich verstehe darunter jedes Wesen, das sich weder um Kunst noch um Wissenschaft kümmert) und einer Frau gibt es eine relative Gleichheit, die vom geringeren Wert des Männlichen herrührt: die gewöhnliche Frau ist dem gewöhnlichen Manne überlegen. Sobald es sich aber um ein Wesen handelt, das denkt und das schafft, ist es Aufgabe der Frau, sich zu opfern, sonst liebt sie nicht. Wenn in der Liebe eine Frau bewundert, ohne sich aufzuopfern …

– Ich bewundere Ligneuil sicher nicht, rief Eulalia aus; selbst sein Werk ist mir antipathisch.

– Wie, fragte Paula, Sie leben mit einem Künstler, dessen Werk Sie verabscheuen? Das ist, als liebten Sie die Küsse eines Mundes, den Sie hässlich finden! Das Werk ist Leib und Blut eines Mannes, und diesen Leib und dieses Blut verabscheuen, heisst diesen Mann hassen.

– Herr Noroski, sagte Ligneuil, Sie haben vielleicht das Richtige getroffen: Lalia und ich, wir hassen einander; sie ist die Befriedigung meiner niedrigen Triebe, meiner starken Erotik; und wenn ich sie mit dem Auge der Begierde ansehe, erhebt sich ein Gewissensbiss: hinter ihr steht der Geist Banquos, das edle und grosse Ich, das wir beide in uns getötet haben.

– Und du, erwiderte die Frau, du bist auch nur der Ersatz für meine Wollust; ich bleibe dir oder ich behalte dich, wähle eins von beiden, weil du allein die feige Nachsicht hast, mich noch zu umarmen, wenn ich, von andern Küssen marmoriert, zu dir zurückkehre. Glaube nicht, dass deine Gutmütigkeit mich rührt; ich schäme mich manchmal, mich nur an einem Menschen schadlos zu halten, der unfähig ist, mir die Schläge zu geben, die ich verdiene.

– Friede, sagte Ligneuil, da die Sünde uns zu Kettenkameraden gemacht hat, wollen wir uns nicht morden, indem wir uns streiten: bieten wir dem Schicksal unsere beiden Stirnen; um die Schläge besser zu ertragen, teilen wir sie!

Nebo hatte sich erhoben.

– Wo kann man Sie sehen? flüsterte Lalia Paula zu.

– Nirgends, erwiderte diese.

– Glauben Sie nicht, nach den Derbheiten, die wir eben gewechselt haben, dass ich eine Dame Shylock bin, die nichts ausser dem versprochenen Fleische sieht; eine höhere Neugierde zieht mich zu Ihnen …

– Gehen wir, Noroski, sagte Nebo; nehmen wir Abschied!

Auf der Treppe warf Ligneuil, der ihnen leuchtete, Paula die Worte hin:

– Kommen Sie nicht während meiner Abwesenheit: Sie würden verschlungen werden, oder ich würde, heimkehrend, Ihren Mantel finden.

– Die Leidenschaftlichen scheinen mir viel unmittelbarer bestraft zu werden als die Lüstlinge, sagte die Prinzessin, als sie wieder in den Wagen stieg.

– Ohnehin vereinigen sie die doppelte Verirrung des Geistes und des Körpers; doch der leidenschaftliche Mensch steht von Natur unendlich viel höher als der Triebmensch, und demgemäss bringt er in die menschliche Komödie die gefährlichsten Elemente hinein. Eine romantische Frau ist der Anlass von mehr Sünden und mehr Unordnung als eine öffentliche Frau. Mit dem blossen und einfachen Gebrauch ihres Körpers wird die Frau niemals Katastrophen hervorrufen, die ihre Schritte bezeichnen werden, wenn sie durch die Romane der Sand gespalten ist und vom falschen Ideal widerstrahlt. Ligneuil und Lalia haben einander äusserlich gebeichtet; es gibt eine seelische Anziehung, die sie sich nicht eingestehen; in ihrer krankhaften Verfolgung der Sensation, die ihr das Trottoir an gewissen Tagen gibt, gefällt sie sich in der weisen Umarmung des Schriftstellers. Aber wir werden, trotzdem es spät ist, ein anderes Familienleben studieren, das nichts Holländisches als die Frau hat.

*

Sie stiegen beim Square Monge aus dem Wagen und kletterten zum vierten Stockwerk hinauf, in einem dieser hässlich bürgerlichen Gebäude, welche die bisher malerische Gegend des Schulviertels verunstalten.

Als Nebo klopfte, schrie eine kräftige Stimme:

– Warten Sie, ich stehe auf.

Nach einem Augenblick öffnete eine Virago die Tür, in Hemd und Unterrock, so flämisch, dass sie einen Antwerpener Maler erfreut hätte.

– Treten Sie doch ein, meine Herren; achten Sie nicht auf mein Aussehen; Adolf ist gegangen, um Einkäufe für morgen zu machen, und da Sie spät kommen sollten, hatte ich mich niedergelegt; ich habe ein Schläfchen gehalten, während ich auf Sie wartete.

Neugierig betrachtete Paula diese Rubenssche Sirene, deren rosiges Fleisch in den Falten Polster bildete. Um ihre Strümpfe anzuziehen, hob jene ihren Unterrock mit tierischer Schamlosigkeit hoch. Ihre enormen Brüste wippten bei jeder Bewegung.

Als Adolf eintrat, glaubte Paula, er irre sich in der Tür, da sie sich sträubte, in ihm den Partner dieser schönen Metzgerin zu sehen. Der junge Mann, blond und zart, mit blauen Augen, mit aristokratisch langen Händen, schien der Adolf des Benjamin Constant selbst zu sein, verliebt in ein Riesenweib. Um die Ironie voll zu machen, nannte er sie »mein Liebling, meine Kleine«, während sie zu ihm »mein grosser Liebster« sagte.

Ihre Geschichte war einfach: Als Adolf nach seinem Examen die Schule verlassen hatte, war er zu seiner Familie zurückgekehrt, die ein Gut bei Rouen besass. Der junge Student, ein Cherubin ohne Patin und Bärbchen, hatte sich in die Köchin seiner Eltern, eine Normannin, verliebt; und als man ihn nach Paris schickte, um die Rechte zu studieren, nahm er sie mit. Die Geliebte blieb auch die Dienerin und die Vasallin; für den armseligen Ruhm der Lieblingsdienerin, liebte sie es, ihren Besuch im Bett zu empfangen und zu sagen: »Adolf macht Besorgungen«; zu Hause aber pflegte sie ihren Geliebten mit der Mütterlichkeit der Geduld und Nachsicht.

– Sehen Sie, sagte sie zu Nebo, ich mache ihm nicht viel Ehre, wenn ich mit ihm ausgehe; ich kann kein Mieder anziehen, und man macht sich über seine Bäuerin lustig. Das hindert nicht, dass ich ihn mehr liebe, als alle anderen Mädchen des Viertels ihren Freund lieben. Solange er Student ist und das Leben eines jungen Mannes führt, gerade so gut ich wie eine andere, nicht wahr? Am Tage, an dem er sich häuslich einrichtet, wird es sich zeigen, ob Jeanne ein ehrliches Mädchen ist. An diesem Tage schnüre ich mein Bündel und kehre aufs Land zurück; ich will dann nichts haben als das Geld für die Eisenbahn. Dann habe ich ihm vier Jahre meiner Jugend gegeben, für vier Jahre seiner Jugend, und wir werden einander nichts schuldig sein: er kann mich vergessen. Ach, es wird nicht lange dauern, bis ich merke, dass ich für sein Wohl überflüssig bin; und er wird nicht, wie seine Freunde, seine Befreiung zu bezahlen haben.

Die Ehrlichkeit der Normannin klang offen aus ihrer sonoren und freien Stimme; die jungen Leute drückten ihr die Hand, fast ohne sie geringzuschätzen.

– Das ausserordentliche Glück dieses Adolf, sagte Nebo zur Prinzessin, als sie die dunkle Treppe hinabstiegen, das Gas war erloschen, zeigt besser als unsere früheren Studien die weibliche Selbstsucht, welche die wilde Ehe beherrscht. Ausser den Leuten des Volkes oder den Angestellten, deren untergeordnetes Los auf Werkstätte, Holzplatz, Kontor begrenzt ist, wird der, welcher sich zum gemeinsamen Leben verführen lässt, nie geliebt, im höheren Sinn des Wortes; man müsste denn als Leidenschaft diese Erklärung der Selbstsucht auffassen: »Gib deinen Hals her, damit ich mich wie ein Stein daran hänge; verbinde dein Leben mit meinem Leben, damit ich dich gesellschaftlich ertränke, wie ich ertrunken bin.«


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