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Friedrich Wilhelm der Zweite sprach – und aus der Tänzerin Barberina wurde eine Gräfin Campanini. Das Prädikat »Hochwohlgeboren« wurde ihr ausdrücklich zugestanden, und die Stempelgebühren wurden ihr in Gnaden erlassen. Das Diplom bekam sie aber auf ausdrückliche Anordnung des Königs erst ausgeliefert, nachdem sie alles zur »vorgebenden Errichtung des Armen-Fräulein-Stifts Erforderliche völlig in Richtigkeit« hatte. Denn die Errichtung eines solchen Stiftes wurde ihr vom König zur Bedingung gemacht und von ihr widerspruchslos angenommen.
Der neugebackenen Gräfin wurde ein wunderschönes Wappen, »nur selbiges solange Sie lebt zu führen«, zugeteilt, mit grünen Myrtenkränzen, »italienisch quer geteiltem« Herzschild, goldenen Glocken mit Klöppeln, springenden Pferden, Kranichen mit Edelsteinen in den erhobenen Krallen, mit himmelblauer Farbe, Turnierhelmen und allerlei daran baumelnden Kleinodien und, was die Hauptsache war, einem am Wappenschild hängenden achteckigen Kreuz, zwischen dessen Spitzen vier schwarze schlesische Adler zu sehen waren, und daran in goldenen Lettern die Devise: » Virtuti Asylum«.
Friedrich Wilhelm wußte, was sich gehörte. Und nolens volens mußte also die Barberina auf ihre alten Tage den Weg alles sündigen Fleisches gehen und die Maske der Frömmigkeit anlegen. Sie wurde selbst die erste Äbtissin ihres »Schlesischen adeligen Fräuleinstiftes« und trug als solche auf ihrer Brust eine Nachbildung des an ihrem adeligen Wappen baumelnden Kreuzes, auf dem die Devise » Virtuti Asylum« von Brillanten umgeben prangte. Die Brillanten entnahm sie den von ihren Liebhabern ihr so reichlich gespendeten Schätzen und wurde dabei von ihrem dienstbeflissenen Haushofmeister und Begleiter durch alle Wirrsale des Lebens, Fossano, getreulich beraten.
Bei dieser Gelegenheit hatte sie auch die Gnade, ihn mit dem Statut der Stiftung bekannt zu machen.
Er bekam also zu wissen, daß das Stift achtzehn adlige Fräulein, nicht unter sechzehn Jahre alt, und eine Superiorin, sämtliche aus dem schlesischen Adel, neun von römisch-katholischer und neun von protestantischer Religion, unterhalten sollte. Dazu wurden die sämtlichen Güter Barberinas hergegeben.
»Die Herrschaften, die die geschiedene Baronin Cocceji mieden, werden wohl nicht umhin können, den Weg zu der von der königlichen Gnade umstrahlten Äbtissin Gräfin Campanini zu finden«, sagte er gelassen. »Insofern hätten Madame ihr Ziel erreicht!«
Barberina blickte ihn über die Schulter an.
»Sie werden zu Kreuze kriechen, darin hast du recht. Sie werden nicht umhin können, einer Dame, in deren Obhut sie ihre Töchter geben, mit der gebührenden Auszeichnung zu behandeln!«
»Der Gedanke an das Schicksal ihrer Töchter wird ihnen dabei sicherlich nicht allzu lästig werden«, sagte Fossano.
»Meinst du?«
»Ich bin so frei. Wer die Führung seiner Kinder auf dem Pfade der Tugend und der guten Sitte fremden Händen anvertraut, denkt wohl an nicht viel mehr, als daß er selbst die Last und die Verantwortung los sein will. Um so größer ist die Verantwortung, die Madame auf sich nehmen!«
Sie sah ihn wieder scharf an. »Meinst du, ich wäre nicht imstande, diese Verantwortung zu tragen?«
»Oh«, beeilte er sich zu antworten, »vor dem Straucheln werden Madame die Fräulein besser als irgendeine bewahren können. Ich wüßte nicht, wo man ein größeres Sachverständnis in dem, worum es sich hier handelt, finden könnte!«
Sie biß sich auf die Lippen, antwortete aber nicht. Kühn geworden, fuhr Fossano fort:
»Die Herrschaften werden keinesfalls nach so schwerwiegenden Gründen suchen, um wieder der Gastfreundschaft von Madame genießen zu können. Sind sie nach der Scheidung ausgeblieben, so geschah es, weil die Schicklichkeit es gebot. Die passende Gelegenheit, zurückzukehren und zu tun, als wäre gar keine Trübung der guten Beziehungen eingetreten, haben Madame den Leuten gegeben. Sie werden auch neugierig sein. Sie werden auf das Vergnügen nicht verzichten wollen, die ehemalige Tänzerin in der klösterlichen Tracht einer Äbtissin bewundern zu dürfen. Die Tracht wird Madame übrigens vorzüglich stehen!«
»Meinst du?«
»Ich bin so frei! Nur die Farbe gefällt mir nicht recht. Das Aschgrau erinnert zu sehr an Buße. Und was für ein Grund zur Buße liegt denn darin, daß man gelebt hat? Seine Majestät der König, der dem Leben huldigt, kann doch unmöglich – –«
»Ich selbst habe die Farbe gewählt!« sagte sie kurz. »Lassen wir das! Ich mache dich mit dem Statut nicht bekannt, um deine Ansicht zu hören, sondern nur, damit du deine Obliegenheiten kennenlernst!«
»Madame hatten also die Gnade, meiner Wenigkeit einen Platz in Dero Heiligtum einzuräumen?« fragte er einigermaßen überrascht.
»Der dir gebührende Platz im Rahmen des Ganzen ist vorgesehen. Dessen sei gewiß. Du wirst es gleich sehen. Erst aber höre, was die Statuten im wesentlichen weiter bestimmen, damit du siehst, welche Aufgaben dir erwachsen. Jede, die in das Stift aufgenommen werden will, muß feierlich versprechen und angeloben, sowohl innerhalb als außerhalb des Stiftes ein tugendhaftes, regelmäßiges und anständiges Leben zu führen!«
Fossano räusperte sich.
»Das werden sicherlich alle geloben und versprechen«, sagte er. »Aber, Hand aufs Herz – geben Madame wirklich etwas auf Versprechungen in solchen Dingen?«
Sie biß sich auf die Lippen – ihm schien es fast so, als wolle sie ein Lachen verbergen.
»Ich gebe ein Statut«, sagte sie dann kurz. »Und das Statut bestimmt sofortige Ausschließung eines jeden Fräuleins, das sein Versprechen durch ausschweifendes Leben verletzt.«
»Eine ganz überflüssige Bestimmung«, sagte Fossano. »Ich bin bald achtzig Jahre, ich habe viel vom Leben gesehen – noch niemals aber ist mir eine Dame vorgekommen, der man die Verletzung ihres Tugendgelübdes nachweisen konnte. Wir Männer waren immer galant genug, ihnen das zu besorgen und ihnen jede Schuld abzunehmen. Und wir leisten gewiß keinen Meineid, wenn wir darauf schwören, daß die holden Schönen am unschuldigsten sind – wenn sie's nicht mehr sind!«
Barberina verbiß sich wieder ein Lachen. Fossano sah es.
»Das ist das erste Gebot der Galanterie!« sagte er.
»Der Galanterie wird im Nahmen meiner Stiftung kein Spielraum gegeben«, sagte Barberina, »wir haben dem einen Riegel vorgeschoben!«
»Vorgeschobene Riegel lassen sich gewöhnlich auch zurückschieben«, entgegnete Fossano.
»Hör nur zu! Das Statut verbietet den Stiftsdamen ausdrücklich, ohne Erlaubnis der Äbtissin auszugehen und Besuche anzunehmen, insbesondere heimliche Besuche von Mannspersonen!«
»Pardon«, sagte Fossano, »wenn ich mir eine Frage gestatte, hat der König das sanktioniert?«
»Du siehst seine Unterschrift!«
»Ja, es hat seine Richtigkeit«, sagte er dann kopfschüttelnd. »Genau, wie ich dachte!« Er wiederholte leise: »Das Statut verbietet, ohne Erlaubnis der Äbtissin heimliche Besuche von Mannspersonen anzunehmen! – Mit Erlaubnis der Äbtissin wären also solche heimlichen Besuche gestattet!«
Sie schlug auf den Tisch. Er ließ sich aber nicht erschrecken.
»Madame haben da eine bequeme Hintertür offengelassen – Madame haben es sich leicht gemacht, unter Umständen auch menschlich zu sein. Die Stiftsdamen werden nicht klagen können!«
»Darüber zu befinden ist nicht deines Amtes!«
»Pardon, wenn ich danach frage – aber was wäre denn im Rahmen des Ganzen mein Amt?«
»Nur Geduld! Wir kommen jetzt zu den Domestiken!«
»Domestiken?!«
Er fuhr zurück. Sie sah, daß der Hieb saß, freute sich sehr und fuhr in gelassenem Ton fort: »Das Statut sieht von männlichen Domestiken vor: einen Koch, einen Gärtner, einen Förster und einen Bedienten, der schreiben und rechnen kann. – Du kannst ja vorzüglich schreiben und rechnen!«
»Pardon«, sagte er scharf und richtete sich auf. »Madame wollen mich wohl zum besten halten? Es kann nicht Dero Ernst sein, mir diese Stellung eines Bedienten –«
»Es ist mein Ernst, dir diese Stellung zu geben. Eine andere ist im Institut nicht vorhanden. Und schließlich, was wäre dagegen einzuwenden? Du hast dein ruhiges Leben, wirst ausreichend bezahlt; ob du dich dabei Hofmeister oder Bedienter nennen darfst – das ändert an der Sache nicht das geringste! Um Titel warst du ja nie besorgt. Und schließlich – eine Schar der entzückendsten jungen Damen zu bedienen, das muß dir doch zusagen; du hast ja immer so viel für galantes Wesen übrig gehabt!«
»Ich danke«, sagte er kurz; »um mich mit jungen Mädchen abzugeben, bin ich zu alt. Möge Madame sich da andere Helfershelfer suchen. Ich bin nicht dafür zu haben! Ich gehe.«
»Du gehst von mir fort?«
»Ja – meine Rolle bei Madame ist ja sowieso ausgespielt! Ich hatte hier nur noch eine wesentliche Pflicht zu erfüllen!«
»Nicht, daß ich wüßte!«
»Eine Pflicht, die mir das Leben auferlegt hat – nicht du«, sagte er und duzte sie zum erstenmal wieder. – »Ich hatte dich verführt, ich hatte dich von der Bahn der Tugend abgebracht – jetzt habe ich dich der Tugend wiedergegeben, so gut es ging – ich habe meine Schuld bezahlt! Ich gehe!«
»Du willst doch nicht zum Bettelstab greifen, jetzt noch?«
»Das habe ich nicht nötig. Ich habe Ersparnisse gemacht. Und – wenn ich noch in Dienst wollte – an Anerbietungen von sehr exzellenter Seite fehlt es mir nicht! Madame brauchen sich darüber keine Sorge zu machen!«
Er ging nach der Tür. Dort wandte er sich noch einmal um, und in seinen Augen leuchtete es teuflisch, als er ihr den letzten Hieb versetzte, mit dem er sich für all die Jahre der Schmach rächen wollte, in denen sie ihn mit Füßen getreten hatte.
»Pardon«, sagte er kurz und ganz von oben herab, »fast hatte ich vergessen – der Kammerdiener Seiner Exzellenz des Staatsministers Grafen Hoym schrieb mir gestern über die Antwort des Königs auf das Gesuch von Madame, Dero Gräfinnentitel das Prädikat ›Exzellenz‹ hinzufügen zu dürfen!«
»Du brauchst dir keine Mühe zu machen – der Staatsminister hat mir selbst darüber geschrieben!«
»Der Staatsminister ist galant und hat es wohl verstanden, die bittere Pille zu überzuckern, wie ich aus seinem Briefe ersehen konnte, als ich den gnädigen Papierkorb leerte, wohin Madame ihn in Höchstdero Arger geworfen hatten. – Der Bescheid des Königs war aber nicht so höflich!«
Sie starrte ihn mit offenen Augen an.
»Der König schrieb geradeheraus: ›Ich bin nicht geneigt, ihr den Titel Exzellenz zuzugestehen, weil ich es ridicule finde, daß eine gewesene Theatertänzerin dieses Prädikat führe!‹ So schrieb der König. Und nun wissen Madame, daß die ›gewesene Theatertänzerin‹ noch nicht ausgetanzt hat, trotz Gräfinnenprädikat, Tugendasyl und in frommen Stiftungen angelegtem Sündengeld. Ich tanze aber nicht mehr mit!«
»Wenn du denkst, daß ich es tue, irrst du dich!« rief Barberina zornig. »Ich werfe lieber alles hin! Wenn der König so undankbar ist, mache ich die ganze Schenkung wieder rückgängig!«
Fossano, der sich gar keine Mühe gab, seine Schadenfreude zu verbergen, sagte: »Ich glaube schon, daß Madame das möchten! Ich weiß aber auch, daß es zu spät ist. Was der Fiskus einmal hat, das behält er. Wovon wollten Madame leben? Jugend, Schönheit, Talent – das ganze vom Leben mitgebrachte Kapital ist verbraucht oder wird zum mindesten nichts mehr abwerfen. Den bisherigen Ertrag haben Madame unwiederbringlich auf dem Altar der Tugend geopfert! Madame sind eben auf Lebenszeit der Tugend verfallen und sitzen nun fest! Daran ist nichts zu ändern! Aber – das ist ja nicht so tragisch zu nehmen! Die Bequemlichkeit hat ja was für sich, wenn man über die Jahre der Aufregungen hinaus ist. Und – schließlich haben Madame sich ja so geschickt eine Hintertür offengelassen! Votre serviteur!«
Er verbeugte sich mit ausgesuchter Galanterie, machte kehrt und ging, hoch aufgerichtet, auf alterssteifen Beinen, aber mit der ganzen Grandezza des ehemaligen Tänzers, hinaus. Sie sah ihn nicht wieder.