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3

Er hatte sich nicht geirrt. Babara strotzte von Talent. Sie war ein Genie – von einer Ursprünglichkeit in ihrer ganzen Art, sich zu geben, und von einer Poesie der Unberührtheit, die, im Verein mit ihrer jugendlichen Anmut, einen unbeschreiblichen Reiz ausübte.

Sie lebte noch in der Ahnung, da aber stark und voll, mit der ganzen Keuschheit einer natürlichen Leidenschaftlichkeit, die sich ihrer noch nicht bewußt geworden war. Sie hatte, obwohl noch Kind, die Kraft voll entwickelter Triebe. Und die erste Aufgabe seiner Erziehung wurde: sie bewußt einzudämmen, sie zu leiten und erst allmählich zu entfesseln, indem er sie mit ganzer Gewalt auf die Kunst losließ, ihr aber das Leben im übrigen verschloß.

Das Leben im Kunstwerk sollte zunächst ihr Leben sein. Wenn sie da alles erschöpft hätte, dann erst wollte er sie freigeben, denn dann wäre es notwendig zur vollen Entfaltung! Erst den Gipfel besteigen, und dann erst den Abflug!

So aber, wie sie jetzt war, war sie prädestiniert dazu, die Psyche zu geben! Dafür hatte sie von Natur aus alles in so reichem Maße, daß er nur leise daran zu rühren brauchte, damit sie es hergab, mit einer Sicherheit der Empfindung und einer Vollendung, die durch kein Studium je erreicht werden kann, wenn sie nicht von vornherein da ist.

Hatte sie es einmal erfaßt, so war sie sofort mittendrin, kaum daß er ihr den darzustellenden Vorgang erzählt hatte! – Sie war Psyche, wie sie ihm in seiner kühnsten Phantasie vorgeschwebt hatte! – Und seine ganze Lehrtätigkeit konnte sich darauf beschränken, ihr die Situationen zu erklären – ihr die Stellungen zu zeigen und die einfachen kunstlosen Tanzschritte mit ihr einzuüben, deren sie bedurfte – kurz, dem Gedicht, in dem sie auf der Bühne zu leben hatte, das Gerüst zu geben!

Ihr Triumph wurde auch vollständig.

Sie siegte – weil sie gar nicht daran dachte, überhaupt zu siegen – sie verstand noch nichts von »Wirkung«, war sich nicht bewußt, daß sie die vielen Zuschauer in ihren Bann zu bringen hatte – sie dachte nur an ihre Aufgabe, gab sich ganz dem hin, was sie darzustellen hatte; sie erlebte es und vergaß darüber alles andere.

Freilich – im ersten Augenblick, als sie auf der Bühne stand und durch den Vorhang das Stimmengewirr der draußen Harrenden hörte, da kam etwas wie Angst über sie.

Sie blickte hinaus, sah die vielen tausend fröhlichen Menschen, die lachten und plauderten und ihre Toiletten, ihren Schmuck zur Schau trugen. Sie entsetzte sich beim Gedanken, daß all diese Augen sich auf sie richten – all diese Lippen das Urteil über sie sprechen würden! Sie zitterte – das Herz klopfte hörbar – ein Schwindel befiel sie – sie vergaß alles außer der Angst – sie wußte nichts mehr von alledem, was sie darzustellen hatte – sie konnte sich kaum noch aufrecht halten!

Ganz vernichtet schlich sie in die Kulisse hinein, und da brach sie zusammen.

»Heilige Mutter Gottes, hilf mir«, flüsterte sie inbrünstig und schloß die Augen. Und da war sie wieder in der Kathedrale, deren hohe Gewölbe sich über sie erhoben! Und hoch über ihrem Haupte schwebte wie ein Kranz von Sommerblüten in den Wolken die Mutter Gottes, von seligen Geistern umgeben, der Verklärung entgegen, und allen voran Psyche! Sie vergaß alles andere, vergaß, wo sie war – die Erregung legte sich, kühle Besonnenheit, Sicherheit und Kraft kehrten in ihre Seele zurück.

»Ich danke dir – ich danke dir«, flüsterte sie und stand erquickt wieder auf. Und als Fossano, der sie voll Unruhe gesucht hatte, sie endlich fand und ihr Mut zusprach, da war's längst nicht mehr nötig!

Sie ließ sich von ihm zu ihrem Platz hinführen. Und als der Vorhang aufging und das Spiel begann, da dachte sie nicht mehr daran, daß sie sich den vielen Neugierigen zeigen mußte, sondern ging ganz in der Wonne auf, sich geben zu dürfen.

Gleich in der ersten Szene der Psyche nahm sie die Huldigung an Stelle der Schönheitsgöttin Venus mit einer Demut und einer holden Beschämung an, aus der sich die Hauptstimmung der nächsten Szene folgerichtig ergab. So kam die Empfindung ihrer Unwürdigkeit und ihrer Strafbarkeit, weil sie sich hatte göttliche Ehren erweisen lassen, natürlich zum Ausdruck, ebenso der Schrecken bei der Verkündung ihrer Strafe durch Merkur sowie ihre Zerknirschung und die Ergebenheit in ihr Schicksal, als sie unter Trauertänzen beim Fackelschein nach dem Felsen hingeleitet wurde, wo sie dem ihr zum Gatten ausersehenen Ungeheuer ob ihres Frevels geopfert werden sollte. Und als die Fackeln eine nach der andern zu ihren Füßen gelöscht wurden und Eltern und Geschwister als letzte sie weinend verließen, da waren ihr Schmerz und ihre Verzweiflung ebenso echt wie die dann allmählich wiedergewonnene Fassung, die Ergebung in das Unabwendbare. Wie sie dann in banger Erwartung die Augen schließt und sich unbeweglich, ohne sich mit einer Zuckung des Gesichts oder der Glieder zu wehren, von der unsichtbaren Gewalt des Zephirs packen läßt, um im sanften Fluge vom Felsen nach dem blumenbedeckten Rasen an dessen Fuße hinabzuschweben – eine staunenswerte maschinelle Leistung des damaligen Theaters –, da wurde es draußen unter den Zuschauern so still, daß man das eigene Herz schlagen hören konnte. Und alle Augen blickten gerührt zu dem zarten, kindlichen Wesen, das da, wie ein Schmetterling vor dem Winde, von einem unerbittlichen Schicksal dahingeweht wurde, um unten regungslos liegenzubleiben.

Aber die qualvolle Spannung bei den vielen tausend Zuschauern löste sich in ein Gemurmel des Entzückens auf bei der unmittelbar darauf einsetzenden Szene ihres Wiedererwachens zu neuem Leben!

Sanfte Musik trifft die Schlummernde. Sie öffnet die Augen, erhebt sich halb – lauscht den lieblichen Liedern unsichtbarer Geister – erhebt sich – sucht die Sänger bald hier, bald dort zu entdecken – immer mehr wird ihr Körper von den Rhythmen der aufjauchzenden Musik bewegt, wirbelt schneller und schneller dahin, daß das leichte Kleid in tausend Wellenlinien den Körper umspielt und dessen Formen heraushebt – die Hände flehend emporgestreckt, die Blicke bittend, die Lippen halb offen, sehnsüchtige Seufzer aushauchend. Aber die unsichtbaren Sänger bleiben unerbittlich und zeigen sich nicht, senden nur einen Regen von Rosen auf sie herab, die sich zu ganzen Gewinden verdichten und allmählich die Bühne mit ihrem bunten Netzwerk verhüllen.

Dann erhebt sich der Blumenschleier unter langsam wallenden Wogen der Musik, und um sie herum ist alles verwandelt. Ein Palast hat sich aufgetan – die Wohnstätte Amors. – Alles glitzert und glänzt von edlem Metall und buntem Gestein – staunend steht sie da, ohne zu wagen, sich zu rühren, und blickt alles scheu an. Dann, von Neugier überwältigt, betastet sie alles in kindlicher Freude. Sehnsüchtig blickt sie sich nach Gespielinnen um, aber vergebens! Alles Erdenkliche, was ihr zur Erquickung oder zur Bequemlichkeit dienen kann, ist, kaum gewünscht, sofort zur Stelle! – Der Becher mit Wein, den Durst zu löschen – der reich besetzte Tisch, um den Hunger zu stillen! Und als sie, vor Erschöpfung müde, umsinkt, empfängt sie ein prachtvolles Lager, auf dem sie sanft einschlummert. Da kommt im Traum Gott Amor – in rosenrotem Dämmerlicht schwebt er einher. Sie sieht ihn nicht, fühlt aber seine Nähe. Eine leichte Unruhe bemächtigt sich ihrer. Ohne die Augen aufzutun, wirft sie sich unruhig hin und her, die Lippen flüstern leise, sie streckt die Arme sehnsüchtig aus. Da schleicht er an ihr Lager, schmiegt sich an sie – sie erwacht – der Traum ist aus – der Geliebte verschwunden. Sie setzt sich auf, blickt sich nach ihm um – selig glaubt sie seine Stimme zu hören – schmerzvoll seufzend horcht sie auf seinen Befehl, legt die Hände auf die Augen, wie um ihnen das Sehen zu verbieten, drückt sie gegen den Mund, um ihm das Fragen zu untersagen – alles mit einer Natürlichkeit der Empfindung und einer Intensität im Ausdruck, die keinen Zweifel über den Vorgang aufkommen lassen.

Dann sinkt sie wieder um – ein Traum erschreckt sie. – Die Schwestern – neidisch auf ihr Glück, erscheinen, um sie zu verhöhnen, zeigen ihr – im Traum – das Ungeheuer, dem sie angeblich vermählt wurde, reden ihr vor, es wäre der Gebieter des Hauses und wage wegen seiner grausigen Gestalt nicht, sich ihr zu zeigen! Sie belehren sie, wie sie es töten soll, wenn es das nächste Mal im Dunkel der Nacht ihr zur Seite ruht, und schleichen davon – ihr heimlich den Dolch und die Lampe lassend.

Sie erwacht voll Entsetzen, flieht von ihrem Lager, wankt, von Angst und Grausen gepackt, durch die jetzt dunkle Halle – findet die verhüllte Lampe und den Dolch und schleicht dann, mit ihrer immer mehr zunehmenden Angst kämpfend – die Lampe hoch in der ausgestreckten Hand haltend, das Gesicht abgewandt, den Dolch an den keuchenden Busen gedrückt – zurück zum Lager, wo Amor wieder schlummernd liegt, schaudernd zögert sie und bricht halb zusammen! Und dann der schnelle Entschluß – der sich aufbäumende Trotz – der jähe Wille zur befreienden Tat – das Aufraffen der letzten Kraft – das zaghafte Hinblicken – die Überraschung – das Staunen beim Anblick des schlafenden Gottes – das Fallenlassen des Dolches – die Zerknirschung, die Gewissensbisse – die wuterfüllte Drohung gegen die unsichtbaren Traumschwestern, deren Hohnlachen sie um sich zu hören glaubt! Dann das schrankenlose Aufgehen in diesem ungeahnten Glück – die Bewunderung, die Anbetung – das zaghafte Nahen – das Erhaschen und Fallenlassen seiner herabhängenden Hand – die Betastung seiner Flügel – das Auffinden seiner Waffen, das Spiel damit, die Verwundung an seinen Pfeilen und dann das sofort einsetzende Auflodern der Leidenschaft, die sie alles vergessen macht – das Hinsinken auf die Knie neben dem Schlafenden – das Aufgehen in einem namenlosen Glücksgefühl – und schließlich das Besitzergreifen des Glückes – das Zusammenbrechen über dem Geliebten und der Kuß, der ihn halb erweckt. Dann das Aufschrecken ob ihrer Dreistigkeit – die Flucht, die Wiederkehr, das unwiderstehliche Hingezogenwerden – das leichte Hinschleichen auf den Fußspitzen, um sich wieder an seinem Anblick zu weiden – das Zittern der Hand, die die Lampe hält, und dann die Katastrophe – der Tropfen brennenden Öls, der ihm auf die Schulter fällt und ihn jäh erweckt – das Zusammenbrechen unter seinem Zorn – ihr vergebliches Flehen, ihr Schluchzen, ihr Haschen nach seiner Hand, seiner Kleidung – ihr Versuch, ihn gewaltsam zurückzuhalten, und dann die Verzweiflung, als sie sich verlassen sieht und ohnmächtig zusammenbricht – das waren alles Momente der höchsten Kunst, die Babara mühelos geben konnte, weil sie's im Moment des Gebens sah und erlebte. Sie weilte in einer anderen Welt, hoch über allem Irdischen, und als der Vorhang fiel und der tosende Beifall der aufs höchste aufgeregten Menge draußen einsetzte, da erwachte sie mit einem heftigen Schrecken aus ihrem Traum. Sie war wieder auf der Erde, aus allen Himmeln gefallen; und mehr tot als lebendig ließ sie sich von Fossano an die Rampe schleppen, um die begeisterte Huldigung des Publikums anzunehmen.

»Nie mehr werde ich's können – nie mehr werde ich so voll darin aufgehen und alles vergessen«, jammerte sie, als der Vorhang zum letztenmal fiel und Fossano sie umarmte und beglückwünschte.

»Du kannst«, erwiderte er, »wenn du nur mir folgst! An meiner Hand, unter meiner Führung wirst du das und noch viel mehr lernen! Aber – du mußt dich führen lassen – du mußt mir unbedingt gehorchen. Willst du?«

»Ja«, antwortete sie ohne Bedenken, aber auch ohne ihn zu verstehen.

Er war sich auch nicht ganz klar über die Tragweite seiner Worte, aber er folgte seinem Instinkt. Aus der Kulisse hatte er ihr Spiel verfolgt, sie innerlich Szene für Szene vorwärts getrieben; mit seiner ganzen Geisteskraft war er dabei gewesen, hatte alles miterlebt, jede ihrer Empfindungen voraus empfunden und sie so gestützt. Und jetzt, als es aus war, war er ebenso erschöpft wie sie. Und so sehr er sich auch über den Sieg freute – er empfand nur, wie sie, Angst, daß das alles verloren gehen könnte, daß es nie wiederkehren würde; aber auch, daß es seine Aufgabe sein würde, dafür zu sorgen, daß nicht dies echte schlackenfreie Talent, dem kein Mißerfolg je etwas anhaben könnte, durch den Triumph hochmütig gemacht und so zugrunde gerichtet werde.

»Demütigen, demütigen!« war sein erster Gedanke. Und so fing er, noch ehe sie die Bühne verlassen hatte, an, sie zu kritisieren und sagte ihr alle Fehler, die sein scharfes Auge, trotz seines Entzückens, gesehen hatte. Ernst und sachlich setzte er ihr auseinander, wie weit sie von der Vollendung entfernt sei – wieviel sie noch zu lernen hätte – wie wenig die Leute im Zuschauerraum begriffen, und wie wertlos ihre Beifallsäußerungen seien! So nahm er ihr sorgsam jedes eigene Verdienst, schon ehe sie sich ihres Sieges bewußt worden war und sich daran berauschen konnte. Er hatte sie wieder unterjocht – er hatte sie in der Gewalt und gewann damit auch seine eigene Sicherheit wieder.

Der Mutter spendete er, als sie, im Überschwang ihres Glückes, sich in Lobeshymnen erging, herablassend einige kühl bemessene Worte der Anerkennung für das unzweifelhafte Talent ihrer Tochter.

Es würde schon was aus Babara werden! Er glaubte es schon! – Aber – man könnte ja nicht wissen! Das Leben hinge von soviel Zufälligkeiten ab! Jedenfalls wollte er sich ihrer annehmen und mit ihr weiterarbeiten! – Sooft seine »Psyche« gegeben würde, sollte sie darin spielen dürfen, vorläufig ohne Gehalt, denn man könne nicht anders – wegen der anderen Tänzerinnen! Man müsse ihre Gefühle schonen! Sie wären schon ohnehin ärgerlich, daß er nicht einer von ihnen die Rolle gegeben hatte!

Er wolle aber mit aller Energie an ihrer Vervollkommnung arbeiten! Er wolle nichts dafür haben! – Aber sie müsse sich ganz seiner Führung anvertrauen! Das wäre die Bedingung!

Das sagte ihm die Domina auch zu, ehe sie beglückt dem Ausgang zuschritt, wo Tausende von Menschen sich gestaut hatten, um dem neuaufgegangenen Stern ihre Huldigung darzubringen. Begeisterte Zurufe flogen Babara entgegen, als sie sich zeigte – schüchtern blickte sie Fossano an, wie um Erlaubnis zu fragen, ob sie auch das alles auf sich beziehen dürfe! Er verzog keine Miene. Er gab ihr nur den Arm und führte sie ironisch lächelnd zu seinem Wagen, um sie nach Hause zu bringen und sie so ihren Verehrern zu entziehen!

Das gelang ihm freilich nicht. Ein Dutzend junge Leute nahmen den Wettlauf auf und folgten dem wegen des Gedränges nicht übermäßig schnell fahrenden Wagen.

Kaum waren sie in der bescheidenen Behausung der Campanini angelangt, so sammelte sich schon eine ganze Menschenmasse unter den Fenstern. Bald erklangen die Gitarren, und liebegirrende Stimmen schmetterten ihre sehnsüchtigsten Töne in die Nacht hinein. Die Passanten blieben stehen und nahmen an der Kundgebung teil. Und bald war an kein Durchkommen mehr zu denken.

Die Domina schwelgte in Wonne. Babara wurde auch freudig bewegt. Die Geschwister waren außer sich vor Freude über den Triumph – das ganze Haus in größter Aufregung.

Nur Fossano blieb ruhig. Seine Züge verfinsterten sich mehr und mehr.

Schließlich konnte er nicht an sich halten.

»Höre nicht hin!« rief er. »Bei allem, was dir heilig ist, höre nicht hin! Wenn es dir ernst um die Kunst zu tun ist, dann höre nicht hin! Erst wenn du eine große Künstlerin bist, darfst du's wagen! Heute bist du nur eine große Hoffnung! Ein Versprechen, das nur durch emsige Arbeit in strenger Abgeschiedenheit einzulösen ist! Erst das! Dann tu, was du willst!«

Sie blickte ihn groß an. Sie verstand ihn nicht – hörte kaum zu. Draußen lockte das Leben – von dort drangen liebliche Klänge herein und schmeichelten ihrem Ohr mit süßem Wohllaut! In ihr jauchzte es von Glück und Stolz! Das Leben brauste durch ihre Adern und rief sie hinaus zum Genuß und zum Glück! – Und er, der ihr den Weg in dieses Leben gezeigt hatte – er hielt sie zurück!? Er zeigte ihr das Ziel – und verbot ihr, es im Flug zu nehmen?!

»Wer etwas werden will«, sagte er noch eindringlicher, »darf sich nicht von den Freuden der Welt verlocken lassen! Nicht hinsehen! Nicht hinhören! Alle Sinne nur auf das Ziel richten, mit allen Trieben ganz und voll in der Kunst aufgehen! – Dein ganzes Sehnen, dein gesamtes Trachten mußt du nur darauf richten, die Schwierigkeiten des Weges zu überwinden! Nur so kannst du den höchsten Gipfel erklimmen! Und dazu bist du unter Tausenden ausersehen, wenn du treu bleibst! Einmal oben, dann entfalte die Schwingen – dann heb an zum Flug und bewege dich frei – aber erst dann! – Willst du's so halten?«

»Ja!«

»Dann bringe ich dich auch so weit! Aber du mußt geloben, blind meiner Führung zu folgen. Du mußt mir unbedingten Gehorsam versprechen! Willst du das?«

»Ja.«

»Du darfst nie einen jungen Mann mit liebenden Augen ansehen, nie den Worten der Verführung lauschen – streng darauf achten, deinen Sinn rein von aller Betörung zu halten! Schwöre es bei allem, was dir heilig ist – bei der Madonna – –«

»Bei der Himmelfahrt im Dom«, sagte sie und lächelte inbrünstig – »dabei schwöre ich – –«

»Stets so zu bleiben, wie's die heilige Kunst von mir verlangt –« sprach er ihr vor.

»Stets so zu bleiben, wie's die heilige Kunst von mir verlangt«, wiederholte sie feierlich.

Aber es genügte ihm nicht.

»Und brichst du den Eid«, sagte er, und es funkelte drohend in seinen Augen, »so jage ich dich auf der Stelle fort. Dann bist du nicht mehr meine Schülerin! Dann mußt du selbst sehen, wie du dich durchschlägst!«

Große Tränen drangen ihr in die Augen.

»Ich bleibe treu«, sagte sie fast schluchzend. »Die Madonna wird mir helfen! Alle Tage will ich ihr Blumen opfern.«

Draußen klangen noch die Lieder ihr zu Ehren. Sie hielt sich die Ohren zu.

»Ich will gehen und sie fortjagen!« sagte Fossano. »Lebe wohl – morgen in der Probe sehen wir uns wieder.«

Er ging. Draußen versuchte er die Sänger zum Schweigen zu bringen. Aber sie lachten ihn aus. »Er ist eifersüchtig – er will sie selbst für sich behalten. Der Schwerenöter! Das Schleckermaul! Don Juan du!« riefen sie. »Psyche hat schon ihren Amor gefunden! Fossano – evviva! Fossano – amoroso! Evviva!«

Lachend nahm er die Huldigung an und bestritt es mit keinem Worte, daß er ihr Liebster sei. Mochten sie's nur glauben – dann würden sie sie in Frieden lassen! Sie würden sich hüten, es mit ihm aufzunehmen!

Sie mochten dasselbe gedacht haben. Denn sie zogen lachend und johlend ab und widmeten im Gehen schnell noch ein Spottlied der spröden Schönen, die sich zum Dank für das Ständchen nicht einmal gezeigt hatte.

Fossano schickte seinen Wagen fort und ging zu Fuß nach Hause.

Er kam sich in der Rolle eines Sittenpredigers sonderbar vor! Weiß der Teufel, was in ihn gefahren war! Sonst hielt er es in der Beziehung nicht streng mit seinen Schülerinnen! – Sonst war er eben für jede Freiheit! Aber diese – – um die war ihm bange! Sie war ein seltenes Juwel, das ihm das Glück in die Hände gespielt hatte und das er nicht herausgeben wollte, ehe er ihm den besten Schliff und die schönste Fassung gegeben hätte, damit es über alle Welt leuchten könnte.

Und das war nur so möglich! Ihr ganzes Triebleben mußte ganz folgerichtig und mit vollem Bewußtsein auf den Ehrgeiz gerichtet werden, in der Kunst das Höchste zu leisten, bis sie ganz Meisterin geworden wäre! Da würde er sie auf das Leben loslassen!

Aber er – er selbst mußte das tun – kein anderer durfte es, und vor allem keine Minute zu früh!

Solange wollte er die eigene Leidenschaft, die schon jetzt in ihm loderte, zurückzukämmen suchen! Und wenn er selbst als Lohn für seine Mühe die Blume gepflückt hätte, dann wollte er ihre Leidenschaft in die richtige, die für die Karriere einzig mögliche Bahn leiten, ins Vergnügen, zum Rausch! Aber sie nimmermehr zur großen Passion oder gar zur hingebenden Liebe werden lassen. Die mußte gründlich abgetötet werden, sonst würde sie die Kunst töten.

Das sollte der Gipfel seiner Erziehung sein! Denn nur so könnte er ihrer Kunst die letzte Weihe geben, die der bewußten Sinnlichkeit, die ihr jetzt mangelte und auch noch lange nicht zur Entfaltung kommen durfte – ehe sie auch als Künstlerin reif genug wäre, zu begreifen, wie in dieser Welt der Sinne die Selbstherrlichkeit des Fleisches herrscht und wie der Geist Fleisch werden muß, um hier zu gebieten – –

Er lächelte befriedigt bei dem Gedanken, schlug selbstgefällig den Mantel um die Schultern, drückte den Hut in die Stirn und ging halblaut summend nach Hause.

Babara aber verbrachte eine schlaflose Nacht voll unruhiger Gedanken. Und als der Morgen kam und alles noch in Schlaf versunken lag, schlich sie hinaus nach dem Dom, mit Blumen für die Madonna, und kniete da lange inbrünstig betend und in Betrachtung des Meisterwerks von Correggio versunken.


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