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22

In seinem Schlafzimmer in Sanssouci saß der König am Schreibtisch. Er war allein. Die Morgenarbeit war beendigt, die Post erledigt, die täglichen Empfänge desgleichen.

Die Vorhänge des Alkovens hinter der Balustrade waren zugezogen. Durch die hohen, bis zum Fußboden reichenden Fenster fiel grell die Frühlingssonne und zeichnete die Konturen der Fensterrahmen auf den Teppich. Die Tür nach der Terrasse stand offen und ließ die Düfte der Gärten und das betäubende Vogelgezwitscher herein. Die Schritte des Wachtpostens draußen auf der Terrasse knarrten auf dem Kies, verloren sich in der Ferne und kamen wieder näher, mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks.

Auf dem Tisch vor dem König lag ein Brief, den er bei der Erledigung der Post weder geöffnet noch fortgeworfen hatte. Die Schrift war ihm wohlbekannt, der Inhalt sicherlich nicht geeignet, ihn in gute Laune zu versetzen. Er nahm ihn, drehte ihn um, besah wieder genau Schrift und Siegel und warf ihn wieder hin. Stand dann auf, pfiff den Hunden und ging in die nach Norden gelegene lange Bildergalerie, um das Modell eines Denkmals, das er dem Andenken des »Alten Dessauers« errichten wollte, zu besichtigen.

Er ging ein paarmal hin und her durch den langen, schmalen Raum, besah sich einige neugekaufte französische Gemälde und die antiken Skulpturen, die er mit großen Kosten angeschafft hatte.

Schließlich blieb er vor dem Modell des Denkmals stehen, das man an einem Fenster aufgestellt hatte. Er schüttelte den Kopf.

Gut gemacht! – Aber der alte Trotzkopf war das nicht, dessen Widerborstigkeit ihm im letzten Kriege mehr Mühe gemacht hatte als die Österreicher und die Sachsen!

Er hatte seine liebe Not mit ihm gehabt!

War der alte Herr bei den Beratungen schwierig gewesen, so hatte er sich in der Ausführung der ihm gegebenen Ordres ebenso saumselig wie eigensinnig gezeigt. Er wollte alles besser wissen als sein junger Herr und Gebieter und gefährdete geradezu den ganzen Feldzug!

Da half nur eins: seine Eigenliebe in rücksichtslosester Weise zu kitzeln!

»Ich kann nicht leugnen«, hatte Friedrich ihm schreiben müssen, »daß ich gar übel von Ihro Durchlaucht Manövres zufrieden bin! Sie gehen so langsam, als wenn Sie sich vorgenommen hätten, mich aus meiner Avantage zu setzen. Weil diese Sachen ernsthaft sind, so rate ich Ihnen, solche mit mehr Vigeur zu tractieren, meine Ordres ponctueller zu executieren, sonsten ich mir gezwungen sehe, zu Extremitäten zu schreiten, die ich gern evitieren wollte!«

Das brachte den alten Haudegen ganz aus der Haut! Er zog vom Leder und hieb los, als gälte es, nicht nur die Sachsen, sondern auch Himmel und Hölle in die Pfanne zu hauen. In solcher Berserkerwut, wie er war, schien ihm nicht einmal der Herr der himmlischen Heerscharen geheuer! – »Besser, der hält sich neutral!« dachte er und rief ihm vor Beginn der Schlacht laut die Parole zu: »Hilf mir heute – und tust du's nicht, so hilf auch nicht dem Feind, dem Schurken, sondern sieh zu, wie's kommt

Und dann schlug er seinen Schlag mit Wucht, erfocht bei Kesselsdorf den größten und schönsten Sieg seines Lebens und gewann seinem König den Feldzug!

Jetzt war er längst ins Jenseits alles Heldentums eingezogen und sollte für seine Heldentat sein Denkmal haben. Aber – und das hatte sich Fritz vorgenommen – auch für seinen Eigensinn!

»Der Bildhauer taugt nichts!« entschied Friedrich und kehrte dem Denkmal den Rücken. »Um den Querkopf richtig zu treffen, müßte er so viele Renkontres mit ihm gehabt haben wie wir!«

Er ging in das Schlafzimmer zurück, nahm den Brief vom Tisch und begab sich dann in die danebenliegende kreisrunde Bibliothek, setzte sich in das Sofa hinter dem Schreibtisch und ließ die Blicke durch das gegenüberliegende Fenster schweifen. Vom Fenster gerade hinaus streckte sich eine von Schlingpflanzen überwucherte Pergola mit einem durch die Sonne grell beleuchteten Rondell abschließend, dessen Mitte ein betender Knabe in Bronze einnahm.

Eine Weile saß der König da, die Ruhe und die absolute Stille genießend. Die endlose Perspektive, in die er hineinblickte, wirkte hypnotisierend auf ihn. Die hin und her wogenden Gedanken legten sich zur Ruhe. Der vom Sonnenschein beleuchtete dunkle Körper des bronzenen Adoranten mit den nach oben gerichteten Blicken und Händen zwang mechanisch auch das Sehnen und Trachten des Beschauers mit hinauf zur Quelle des Lebens! Licht, Klarheit, Wärme brauchte auch er – wie alles Lebende – und Anregung von außen, um den Geist geschmeidig zu erhalten und ihn fähig zu machen, selbst zu geben.

Er war aber allein. Von Freunden umgeben, die nur von ihm empfingen, aber ihn wenig zu geben hatten, außer höfischer Schmeichelei und leerem Adorantentum! Der eine, der ihm an Geist gleichkam, an dem er deshalb mit begeisterter Hingabe hing, war nicht zu bewegen, zu ihm zu kommen! Eine Einladung nach der anderen hatte er an Voltaire geschickt. Aber dieser fand von seiner Egeria in Cirey nicht fort und verschob sein Kommen unter allerlei Ausreden. Er stellte auch Bedingungen materieller Natur, die Friedrich übrigens anstandslos bewilligte. Geld, Orden, Hofamt – alles wurde ihm zugesagt. Aber – er machte sich trotzdem rar und war unerschöpflich in Ausreden! So mußte auch die bevorstehende Niederkunft der Marquise du Châtelet zu dem Zweck herhalten.

Friedrich schrieb ihm: »Sie sind keine Hebamme, also kann die Marquise ihre Niederkunft ohne Sie abhalten!« – Und dann: »Wahrscheinlich befiehlt Ihnen Apollon, als Gott der Medizin bei der Niederkunft der Marquise zugegen zu sein.« Und: »Da Madame du Châtelet Bücher verfertigt, so wird sie aus Zerstreutheit niederkommen. Sagen Sie ihr, daß sie sich etwas beeilt, denn ich muß Sie bald sehen. Ich fühle, daß ich Ihrer sehr bedarf, und daß Sie mir großen Beistand leisten werden!«

Nichts half. Voltaire blieb, bis das große Ereignis, an dem er, nebenbei gesagt, keinerlei persönliche Schuld hatte, eingetreten war. Und als die Dame seines Herzens jäh daran starb, kam er wieder nicht, sondern richtete sich in Paris häuslich ein, nach der Gnade der Pompadour schielend und von ihrer Protektion mehr erhoffend als von der des Königs von Preußen.

Da griff Friedrich zu seiner alten, bewährten Methode, die er seinerzeit beim Alten Dessauer so erfolgreich erprobt hatte, und packte Voltaire bei der Eitelkeit!

Er sandte nicht ihm, sondern einem jungen, ihm von Voltaire als Sekretär empfohlenen Dichter eine Einladung nach Berlin, nebst einem Gedicht, worin er Voltaire als die untergehende – ihn aber als eine aufgehende Sonne bezeichnete. Das half!

Voltaire, grün vor Eifersucht und Wut, machte endlich Ernst. Heute war ein Brief von ihm eingegangen, worin er seine Bereitwilligkeit aussprach, sofort nach Potsdam zu kommen, wenn der König ihm noch viertausend Taler, die er unumgänglich zur Reise benötige, schicken wollte.

Friedrich hatte nichts anderes von ihm erwartet, konnte aber nicht umhin, ihn zu verspotten.

Er nahm den Gänsekiel und schrieb – wie sich's für einen Jünger Apolls gebührte – die Antwort in Versen:

»Für eine wunderschöne Jungfrau,
Die seine wilden Sinne reizte.
Verstand es Jupiter, mit Würde
Aus reicher Hand zu schenken!
Da regnet's Gold, das magisch wirkt

*

Auf dich soll auch ein goldner Regen strömen,
Wie einst auf Danae – – – – – – –

*

Aber, da der Herr Mettra einen Wechsel in Versen zurückweisen könnte, so lasse ich einen förmlichen durch seinen Korrespondenten abgehen; derselbe wird mehr ausrichten als mein Geschwätz. Sie gleichen dem Horaz; Sie vereinen gern das Nützliche mit dem Angenehmen. Ich bin der Meinung, daß man das Vergnügen nicht hoch genug bezahlen kann, und ich glaube einen sehr vorteilhaften Handel zu schließen. Ich bezahle eine Mark Geist nach Verhältnis wie der Wechsel steigt.«

Dies und noch mehr schrieb er, faltete den Brief zusammen und versiegelte ihn eigenhändig.

Dabei fiel ihm der am Morgen eingegangene, ungeöffnete Brief, der noch dalag, wieder in die Hand. Ungeduldig riß er ihn auf und entfaltete ihn.

Der Brief war unterzeichnet: »Barberina von Cocceji« und enthielt einen Appell an die Gnade und »die väterliche Güte« des Königs und die Bitte an ihn, befehlen zu wollen, daß alle Verfolgungen wegen ihrer Heirat eingestellt werden möchten. Nebenbei auch die Mitteilung, daß sie bald »den Staaten« Seiner Majestät einen Untertan zu schenken hoffte!

Der Brief stellte den vorläufigen Abschluß eines Romans dar, der mit der Vorstellung in der Oper angefangen hatte, wo der von seiner Leidenschaft hingerissene junge Cocceji auf die Bühne stürzte und die Ohnmächtige forttrug. – Ein Roman, der dem König viel Ärger und Verdruß einbrachte und ihm, da er nicht umhin konnte, tätig in ihn einzugreifen, auch die Erkenntnis gab, wo die Grenze seiner Macht lag.

Die Leidenschaft des jungen Cocceji war unbezwinglich. Ebenso der Eigensinn Barberinas, die sich vorgenommen hatte, in der Gesellschaft Berlins eine Rolle zu spielen, und, da sie nicht die Erste sein konnte, wenigstens an zweiter Stelle, als Schwiegertochter des Großkanzlers, glänzen wollte!

Der König hatte nichts unversucht gelassen, um die Heirat zu hintertreiben. Er entließ die »perfide und verführerische Kreatur« sofort ihres Dienstes und bedeutete ihr, daß sie wohl daran tun würde, seine Land: zu »quittieren«, da sie »durch ihre Conduite sich seiner Protektion ganz unwürdig gemacht« hätte! Um zu verhindern, daß der liebestolle junge Cocceji ihr außer Landes folgte, um sie zu heiraten, befahl Friedrich gleichzeitig dem Kommandanten von Berlin, den »gedachten jungen Cocceji« unter gute Aufsicht zu nehmen, um »seinen würdigen Eltern dergleichen Chagrin und seiner Familie sothane Prostitution« zu ersparen – ihn nötigenfalls zu arretieren und »wohlverwahrt zu halten«, damit er nicht »echappieren« oder »einigen Connex« mit der Barberina haben könnte! Das sollte so lange dauern, bis der junge Herr sein »ohnvernünftiges Betragen erkenne« oder sich der »ihm so sehr unanständigen Passion entschlagen« haben würde!

Ein wenig spielte wohl das Rachegefühl dem bevorzugten Nebenbuhler gegenüber mit sowie die Freude, dies Gefühl mit einem Schein von Recht, wegen der Rücksicht auf die »würdigen Eltern«, unter Zuhilfenahme der königlichen Gewalt befriedigen zu können.

Wer verliebt ist, ist nicht der Mann, darin ein »ohnvernünftiges Betragen« zu erkennen.

»Gedachter« junger Cocceji wurde also »gantz in der Stille« arretiert und weggebracht und mußte anderthalb Jahre als unfreiwilliger Gast auf einem der entlegensten königlichen Schlösser verbringen.

Als er endlich freikam, quittierte er für die königliche »Gastfreundschaft« dadurch, daß er Barberina, die inzwischen von einem längeren Ausflug nach England zurückgekehrt war, aufsuchte und sich sofort mit ihr trauen ließ.

Jetzt lag als Abschluß der jahrelangen Kampagne der Brief Barberinas da vor dem König auf dem Tische und teilte ihm die Tatsache mit, sowie, daß sein eifrigster und längster Feldzug auf dem amourösen Gebiet mit einer Niederlage geendigt hatte.

»Wird nicht beantwortet!« sagte er halblaut und warf den Brief hin. »Unterfängt sie sich, gegen meinen Willen zu tun, so wird eben der Generalfiskal scharf mit ihr verfahren!«

Er klingelte und befahl den Hoftresorier vorzulassen.

Fredersdorff kam. Der König übergab ihm den Brief an Voltaire.

»Sofort zu bestellen!« befahl er. »Du sollst ihm einen Wechsel über viertausend Taler senden! Der Herr de Voltaire tritt jetzo in unsere Dienste! Du sollst ihm aus unserer Privatschatulle ein Jahresgehalt von fünftausend Talern bereit halten! Er wird im Schlosse wohnen, freie Tafel, Dienerschaft, Equipage und alles nötige haben! Das Patent als Kammerherr und Ritter des Ordens Pour le mérite nimmst du für ihn in Empfang! Er bekommt die Auszeichnungen erst, wenn er hier ist! – Folge mir in den Garten, da können wir das Weitere besprechen!«

Fredersdorff verbeugte sich schweigend, meldete dann, daß das Gemälde Pesnes, Pygmalion und Galathée darstellend, eingetroffen und im Musikzimmer aufgestellt wäre, um vom König besichtigt zu werden.

Friedrich machte eine ungeduldige Gebärde. Die Darstellung Pesnes der Pygmalionlegende mißfiel ihm ebensosehr wie deren Aufführung in der Oper! Immer wieder hatte er etwas daran auszusetzen gehabt. Immer wieder wanderte das Bild in das Atelier des Meisters zurück, wo es den größten Teil der Zeit verbrachte, die der Liebesroman Barberinas mit dem jungen Cocceji dauerte.

Jetzt war es wieder so weit, vom König besichtigt und dann refüsiert zu werden. Der Brief Barberinas genügte dem König aber für heute.

»Man soll uns mit jener perfiden Kreatur nicht mehr behelligen!« rief er unmutig.

»Befehlen Eure Majestät also, das Bild zu entfernen?«

Friedrich dachte einen Augenblick nach.

»Wegen Pesnes werden wir es wohl – nachher erst ansehen müssen! Er ist ein großer Künstler und hat uns treu gedient! Vor ihre Cochonnerien kann er nicht! – Vorerst wollen wir aber das schöne Frühlingswetter genießen!«

Er ließ sich den Krückstock geben – den Hut hatte er stets auf – und, von Fredersdorff gefolgt und von den Windspielen umwedelt, trat er auf die Terrasse hinaus.

Die Hunde schnupperten und kläfften und schienen etwas Ungehöriges zu wittern. Der König gab nicht acht darauf, sondern ging langsam auf der Terrasse auf und ab. Er vertiefte sich schließlich in den von modisch gestutzten Hecken und Bäumen beschatteten Garten und gab seinem getreuen Fredersdorff alle möglichen Verhaltungsmaßregeln wegen der Reise Voltaires und seines Empfanges.

Plötzlich blieb er stehen. An der Biegung des Weges vor ihm tauchte eine weibliche Gestalt auf, eine alte, dicke, auffallend ausgeputzte Matrone, die beim Anblick des Königs ein so tiefes Kompliment machte, daß sie halb in die Erde zu versinken schien.

»Ridicule!« rief Friedrich ungehalten und stieß wiederholt mit dem Krückstock auf die Erde. »Heute passiert es uns schon zum dritten Male! Sooft wir an Voltaire denken oder von ihm reden, muß uns das alte Weib über den Weg laufen! Man frage sie, wer sie ist, und warum sie in unseren Gärten marodiert!«

Fredersdorff ging zu der alten Frau hin und kehrte mit dem Bescheid zurück, es wäre die Mutter Barberinas, die Signora Campanini. Und sie bäte um die Gnade, den König sprechen zu dürfen.

Friedrich konnte die Alte nicht leiden. Sie war ihm widerwärtig, und er hatte sie nie der Ehre einer Ansprache gewürdigt. Jetzt war es ihm recht, an ihr seine Galle auszulassen. Er ging rasch auf sie zu, beachtete ihren Gruß nicht, stieß heftig mit dem Krückstock auf den Boden und rief ihr in ärgerlichem Ton zu:

»Sie hat ihre Tochter schlecht erzogen, Signora! Sie ist eine schlechte Mutter gewesen! Ihre Tochter ist eine ungehorsame und undankbare Kreatur! Unser Generalfiskal wird aber die renitente Canaille schon zur Räson zu bringen wissen!«

Die Alte stammelte eine demütige Bitte, er möge Gnade walten lassen und von rigourösen Maßnahmen Abstand nehmen.

»Was sie gefehlt hat, soll sie büßen!« sagte Friedrich kurz.

»Wenn sie auch das Unglück gehabt hat, Eure Majestät zu erzürnen«, sagte die Alte, die allmählich den Mut wiederfand, »ein strafwürdiges Verbrechen war es nicht, dem Gebot ihres Herzens zu folgen!«

»Ihre Tochter hat kein Herz! Sie ist lauter Koketterie und kalte Berechnung! Bei uns aber sind ihre Manövers mißlungen! Die Ehe mit dem Geheimen Rat Cocceji wird ihr weder Freude noch Ehren bringen – dafür wollen wir sorgen! Unerlaubte Ehen estimieren wir nicht!«

»Die Ehe ist in aller Ordnung geschlossen, Sire!«

»So wird sie auch in aller Ordnung gelöst werden! Wir dulden nicht, daß eine hergelaufene Person die Köpfe der jungen Leute verdreht, sie zu Ungehorsam gegen ihre Eltern verleitet und uns die ersten Familien des Landes prostituieret! Mache Sie sich darauf gefaßt, mitsamt Ihrer sauberen Tochter von unserer Polizei über die Grenze spedieret zu werden, falls Sie sich nicht bescheidet und gutwillig unsere Lande quittiert! Gehe Sie!«

Die Mama machte einen noch tieferen Knicks als vorher, ging aber nicht, sondern sagte mit siegesgewissem Grinsen:

»Meine Tochter hat ein großes Vermögen nach Preußen gebracht! In die Hunderttausende geht es! Wollen Eure Majestät verantworten, die schöne Summe Geldes außer Landes gehen zu lassen?«

»Wir wollen von dem Schürzengeld Ihrer Tochter nichts wissen!« rief Friedrich noch heftiger. »Gehe Sie sofort!«

Aber die Alte ging nicht. Die Gelegenheit, den König persönlich zu attackieren, kam nie wieder, und sie hatte noch einen Pfeil im Köcher.

»So wollen Eure Majestät auch nichts von Allerhöchst Dero eigenen Briefen an meine Tochter wissen?! Wenn man sie draußen in der Welt zu lesen bekommt und von dem strengen Gericht über sie wegen ihrer Liebe zu einem anderen hört, so wird man sich schon den Vers darauf machen! Sie sind – in sicherem Gewahrsam!«

Friedrich blickte sie, wutentbrannt über solche Keckheit, an. Dann winkte er Fredersdorff.

»Man schaffe uns das Frauenzimmer aus den Augen«, rief er. »Wir haben hier kein Konventikelhaus für alte Weiber gebauet! Das sage Er mir dem Hofgärtner! Und daß er auf Wasser und Brot nach Spandau kommt, wenn er uns noch von denen losen Schürzen in die Gärten läßt!«

Worauf er ihr den Rücken drehte und wieder nach dem Schloß zurückging. Die Treppen der Terrassen waren aber viele und wurden trotz seiner Wut nicht weniger. Als er sie hinaufgestiegen war, war der Zorn verraucht. Und als er in sein Arbeitszimmer eintrat, lachte er über die Szene.

»Wir haben an Wichtigeres zu denken!« sagte er schließlich. »Mag die Dirne laufen! Sie soll ihren Willen haben! Viel Freude wird sie in der Ehe mit jenem Brausekopf nicht haben! Das mag ihr zur Strafe gereichen! Sie hat's selbst so gewollt!«

Er klingelte, ließ den Privatsekretär kommen, übergab ihm den Brief Barberinas und diktierte ihm einige Zeilen an den Generalfiskal, worin er »resolvierte« und ihm befahl, nicht weiter »wider gedachte Barberina zu agieren«, sondern die Sache »gänßlich fallen zu lassen«!

Dagegen sollte der Fiskal herauszubringen suchen, wer der Geistliche gewesen war, der sich unterstanden hatte, die Liebenden zu kopulieren! Das wurde jetzt die Hauptsache.

Dem Pfaffen wollte Friedrich »recht scharf zu Halse gehen und à la rigeur« sein Verbrechen untersuchen! Denn er sei »intentionieret, denen Geistlichen nachdrücklich zu deklarieren«, daß sie, wenn sie sich unterfingen, »ohne vorherige Approbation« Leute heimlich zu kopulieren, »auf Lebenszeit nach einer Festung gebracht und bei Wasser und Brot gehalten werden sollten«!

»Den Brief an den Generalfiskal überbringst du ihm persönlich und sagst ihm noch mündlich von uns: Er möge sehen, unsere Briefe an jene Person in seine Hände zu bekommen und ihr bedeuten, das sei die Bedingung, gegen die wir uns dahin resolvieret haben, Gnade vor Recht gehen zu lassen!«

Der Sekretär ging, um die Briefe auszufertigen. Der Kammerdiener trat ein und meldete, daß der Großkanzler von Cocceji draußen warte und dringend um Audienz bitten lasse.

»Laß ihn vor!« sagte Friedrich, der darauf gefaßt war, auch seine Suppliken in jener heiklen Angelegenheit anhören zu müssen.

»Haben wir uns damit inkommodieret, der Mutter der einen Partei den Kopf zu waschen, so müssen wir wohl – von Rechts wegen – dem Vater der anderen Partei dieselbe Gnade erweisen!«

Der Großkanzler trat ein, das Gesicht von unermeßlichem Gram durchfurcht, verbeugte sich tief und fing in ehrerbietiger und wohlgesetzter Rede sein häusliches Unglück zu bejammern an.

Friedrich hörte geduldig zu, ließ die Klage des alten Herrn über die Passion »seines unglücklichen Sohnes mit der berüchtigten Barberina« über sich ergehen, wegen deren »übler Conduite« der König, wie der Großkanzler sagte, ja selbst »Höchstdero Indignation« mit wohlverdient scharfen »Expressions« bereits verschiedentlich »bezeigt« hatte!

Er gab dem König zu bedenken, daß er es ihm nicht verübeln könne, wenn er seine durch den König »fundierte« Familie vor Schaden zu sichern bestrebt sei, da der König geruht hätte, ihn »zu hohen Ehrenämtern zu erheben«; und erbat sich die Erlaubnis, die Sache durch den »Weg Rechtens« auszumachen, um so die Ehe, die ohne seine väterliche Erlaubnis geschlossen war, rückgängig zu machen, oder, wenn der König besondere Ursachen hätte, sein diesbezügliches Gesuch nicht zu deferieren, ihm wenigstens die Gnade zu erweisen, »jene Leute an einen anderen Ort zu versetzen«!

»Ich habe«, schloß er, »diesen Sohn alle Tage vor Augen, wenn ich in den Geheimbden Rat gehe, und kann ihn ohne Alteration nicht mehr ansehen. Eure Majestät werden nicht zugeben, daß ich meine grauen Haare mit Herzeleid in die Grube trage!«

Friedrich antwortete ihm nach kurzer Überlegung, daß er in eine Versetzung seines Sohnes einwillige, jedoch auf eine billige Art und so, daß er dabei weder verliere noch gewinne. Er betonte aber ausdrücklich, daß es nur aus »Faiblesse« gegen den Großkanzler geschehe! Denn sein Sohn hätte in königlichen Diensten nichts versehen und wäre also nicht zu bestrafen, da dessen »unbesonnene Heirat« eigentlich »den Dienst nicht affiziere«! Diesbezügliche Vorschläge könne ihm der Großkanzler selbst machen.

»Wir haben«, schloß der König, »zur Verhinderung jener Eheschließung bereits so viel getan, daß kein Mensch sagen kann, wir hätten unsere gewesene Liaison durch Einheiratung in eine hochangesehene Familie entschädigen und mit einem vornehmen Namen ausstatten wollen. Wenn wir aber noch weitergehen, würde man denken können, wir würdigten uns so weit herab, wegen einer hergelaufenen Tänzerin jaloux zu sein! Deshalb bleibt die Ehe, die ja recte geschlossen wurde, bestehen! Er wird sich wohl mit der Zeit darüber hinwegsetzen können! Sowohl Er wie wir haben an Wichtigeres zu denken! Das Leben hat uns andere und höhere Ziele gegeben, hinter denen unsere persönlichen Wünsche verschwinden müssen! Gehe Er, und sei Er unserer königlichen Gewogenheit gewiß, jetzo wie immer!«

Er reichte ihm die Hand. Der Großkanzler küßte sie schweigend, verbeugte sich und entfernte sich, wie er gekommen war, in gemessener Würde.

Dann ging der König in das Musikzimmer hinaus und besichtigte das Gemälde Pesnes. Er blieb lange davor stehen.

»Das, was wir wollten, ist's immer noch nicht! Am Ende wollten wir etwas Verkehrtes! Wir ließen uns von einem unerfüllbaren Traum leiten! Die antike Legende stellte die Sache auf den Kopf! Die Tat Pygmalions war nichts als eine schöne Phantasmagorie! Das Leben macht's umgekehrt: Nicht der Stein wird zu Fleisch – das Fleisch wird zu Stein; so ist's gewesen, und so hat's Meister Pesne auch ganz richtig hingepinselt!«

Er rief seinen Kammerdiener.

»Hänge Er mir die Mamsell an den Nagel!« befahl er. Und so schloß auch der Liebesroman Friedrichs des Großen – der letzte seines Lebens!

Er hatte andere und höhere Ziele als sein persönliches Glück. – Wie er aber in harter Arbeit mit eiserner Energie das ihm anvertraute Amt erfüllte und den Staat aufbaute, als dessen erster Diener er sich stets fühlte – wie er diesen Staat vergrößerte und dessen Großmachtstellung gegen den Ansturm einer ganzen Welt von Feinden verteidigte und ruhmvoll behauptete – seine Großtat, auf der die heutige Größe Deutschlands beruht, das gehört der Geschichte als heiligstes Vermächtnis an und hat im Roman keinen Platz!


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