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9

Im königlichen Schlafzimmer des Schlosses zu Fontainebleau waltete noch Gott Morpheus seines Amtes. – Allerdings nicht ganz gehorsamst! – Denn der allerchristlichste Monarch – Ludwig der Vielgeliebte – war zu seinem eigenen Entsetzen längst wach.

Müde von den Jagden des vorhergehenden Tages, hatte er beschlossen, sich heute gründlich auszuschlafen.

Aber draußen schien die Sonne, die Vögel zwitscherten, und auch das allerhöchste böse Gewissen ließ seine Stimme hören. Laut und vernehmbar sprach es, und weit respektloser, als es der Gemütsruhe – oder, sagen wir, dem Schlaf – eines großen Königs zuträglich war.

Er, dessen Macht unbegrenzt war, konnte nichts dagegen tun. Er hatte am Abend befohlen, daß es heute erst viel später Tag werden sollte bei ihm. Und das Wort eines Königs ist heilig!

Er mußte sich also mit seinem bösen Gewissen abgeben, ob er wollte oder nicht. Jeder Versuch, einzuschlafen, war vergeblich! – Drehte er sich auf die linke Seite, so flüsterte es ihm ins rechte Ohr, und er hörte die Stimme seines Erziehers, des guten Kardinals Fleury, wie sie sich in ernster Mißbilligung seines sittenlosen Lebens erging; legte er sich aufs rechte Ohr, so raunte es ihm ins linke von dem schweren Unrecht, das er seiner getreuen Gemahlin, der guten Königin Maria Leszczynska, antat, als er ihr eine Nebenbuhlerin nach der anderen bescherte; und begrub er den Kopf ganz in den Kissen, dann summte ihm ein ganzer Schwärm zärtlicher Frauenstimmen um den Kopf und zauberte ihm wollüstige Bilder vor. – – Es war zum Wahnsinnigwerden!

Und doch war etwas dabei, was ihn gewissermaßen beruhigte. In puncto Regieren war sein Gewissen rein! – In der Beziehung schwieg die mahnende Stimme.

Er war also ein ausgezeichneter König! – Menschlich vielleicht nicht ganz einwandfrei – aber sonst – – wer könnte ihm etwas vorwerfen? Er führte ja die Geschäfte nicht selbst – er kümmerte sich fast gar nicht um die ganze Geschichte, konnte also unmöglich den geringsten Fehler begangen haben! – Das besorgten schon die Minister! – Das auch! – Mein Gott – wozu waren sie schließlich da?!

Aber die Weiber! – Da war etwas dabei, was ihn zum mindesten beunruhigte!

Er liebte sie – er verehrte sie! Und schließlich sollte das den holden Schönen genügen!

Aber sie wollten mehr! – Sie wollten Macht – oder andere wollten sie durch sie! – Wenn er da nicht von vornherein aufpaßte, würden sie ihn schließlich zwingen, in höchsteigener Person etwas zu wollen – ja, gar zu regieren! – Und da wäre es um seine Ruhe geschehen!

Der Gedanke erschreckte ihn so, daß er sich plötzlich im Bette aufsetzte und nach der brillantierten Uhr auf dem Nachttische griff. Noch eine ganze Stunde bis zu dem für das Lever festgesetzten Glockenschlag!

Seufzend warf er sich wieder im Bette zurück und nahm sich vor, mit dem bösen Gewissen aufzuräumen.

Mit der Königin wurde er am schnellsten fertig.

Erstens war er nicht nur König, sondern auch ein Mann von Welt und hatte also gewisse Privilegien in amourösen Dingen, die sie als Frau und fromme Dienerin der Kirche nicht begreifen konnte oder durfte, und die er ihr also nicht klarzumachen brauchte!

Zweitens hatte sie die nicht ganz einwandfreie Gabe, ihm Töchter zu bescheren. Manchmal sogar zwei auf einmal! – Zum mindesten war das langweilig! Und die Langeweile war nicht seine Sache!

Drittens – und das war das schlimmste – war sie, wenn auch unfreiwillig, die Veranlassung zu einer höchsteigenen Willensäußerung, ja zu einer persönlichen Regierungshandlung Seiner, in dieser Hinsicht äußerst maßvollen königlichen Majestät gewesen!

Er hatte ihretwegen seinen Premierminister und lieben Vetter, den Herzog von Condé, höchstselbst zum Teufel gejagt, sobald er merkte, daß dieser, im Verein mit seiner Geliebten, Madame du Prie, ihm die Maria Leszczynska als Königin zugeführt hatte, nur um durch sie Einfluß auszuüben! – Allerdings merkte er's erst nachträglich, mit Hilfe seines getreuen Richelieu! – Aber es hatte die Bedeutung einer Katastrophe seines Gemütslebens gehabt! Seit dem Augenblick war das Mißtrauen wach und verleidete ihm auch jede illegitime Liaison!

Die gute du Mailly und ihre Schwestern, die sich mit ihr in sein Herz teilten, repräsentierten ebenso viele herrschsüchtige Cliquen des hohen Adels! Und was nach ihnen käme – wer könnte wissen, was das mit sich brächte?!

Sie würden ihn zwingen, sich im Kreise der Bürgerschaft eine Freundin zu wählen, damit er Ruhe hätte!

Allerdings drängte sich auch da bereits jemand an ihn heran! Die kleine d'Etioles – die geborene Poisson – wer konnte wissen, ob sie nicht auch von irgendwelchen Kreisen geschoben wurde? – Bachelier wußte da so viel Bedenkliches zu erzählen! Auch da galt es, sich in acht zu nehmen!

Wo er sich auch hinwandte, überall flüsterte man ihm bald über diese, bald über jene Schönheit Empfehlendes zu! Richelieu hatte einen unerschöpflichen Vorrat an Protegés, für die er plädierte! Und seit einiger Zeit lag ihm, zum Überfluß, noch der Geck Carignan in den Ohren mit jener Tänzerin, von der ganz Paris sprach! – Man würde sie wohl ansehen müssen! – Aber nur ansehen!

Denn in betreff jener Dame schwieg das Mißtrauen Bacheliers total! – Er nahm sich sogar heraus, Zuversicht zu äußern – ja, begeistert von ihr zu reden! – Das war gefährlich! Der Hüter des allerhöchsten Mißtrauens funktionierte nicht mehr! Da galt es aufzupassen! Jene Dame durfte also gar nicht in seine Nähe! – Sie sollte nie bei Hofe tanzen! – Niemals!

Er setzte sich wieder auf.

Wozu hier liegen und sich wegen der eigenen Weibergeschichten Gedanken machen?! – Er war ja der König! – Er hatte sich also vor allem mit dem Sündenregister seiner lieben Untertanen zu befassen! Das war doch seine landesväterliche Pflicht! Man durfte nicht nur an sich selbst denken!

Wenn er aber an seine Landeskinder dachte, da schwieg das höchsteigene böse Gewissen vollends! Denn was die Leute zustande brachten, das spottete jeder Beschreibung! – – Allerdings fingen die Nachrichten an, in der letzten Zeit spärlich zu fließen! – Das Schwarze Kabinett lieferte auf einmal nur politische Nachrichten – statt der befohlenen Resümees aus den täglichen Liebesbriefen! Der Generalpostmeister war wohl amtsmüde?

Ob gestern auch nichts passiert war? – – Das mußte er sofort wissen!

»Bachelier!« rief er. Aber niemand hörte. Kein Bachelier meldete sich.

Entgegen aller Etikette warf der König die Decke ab, setzte sich auf, warf höchstselbst den Schlafrock um, ging zur Tür, öffnete sie und rief: »Bachelier soll kommen!« – Eilte dann wieder zum Bette, schlüpfte in die Pfühle zurück und wartete den Effekt ab!

Bachelier kam atemlos herbeigestürzt und wurde sehr unsanft empfangen.

»Man muß ein König von Frankreich sein, um so schlecht bedient zu werden! – Wir müssen uns selbst aufwarten – müssen aus dem Bette steigen – allein, ganz allein! Wir müssen sogar rufen! Wenn wir hier verrecken, kein Mensch kümmert sich darum, kein Mensch ist da! Obwohl wir das Haus voller Tagediebe haben! – Sonst lauschst du immer an den Türen!«

»Majestät wollen gnädigst verzeihen! Ich hatte aber strengen Befehl, erst um elf anzuklopfen!«

»Und wenn ich nun um zehn sterbe?«

»Der Himmel bewahre uns vor dem Unglück!«

»Du bedienst uns schlecht, Bachelier! Wir sind mit dir unzufrieden! Seit einer Woche hast du uns nichts zu erzählen! – Wenn du wenigstens so viel Eifer zeigtest, uns den Bericht des Generalpostmeisters zu bringen! Aber auch da müssen wir erst befehlen! – Schnell, den Bericht – oder –« und die Blicke des Königs wurden scharf und stechend – »oder sollte auch gestern in meinem Lande nichts vorgefallen sein? Sind wir nach einer Wüste verschlagen – von lauter Schlafmützen umgeben? – Sind meine Granden alle heilig geworden?«

»Alles andere, nur das nicht! Sie sind so unternehmend wie immer!«

»Gott sei Dank! Wir fürchteten schon, der einzige zu sein, der hier etwas Courage hätte! Denke dir, Bachelier, wir liegen hier seit Stunden und ängstigen uns wegen der paar Weibergeschichten, die wir uns geleistet haben! Wir mußten böses Gewissen erdulden – wir kamen sogar in Versuchung, uns schwer schuldig zu fühlen – bloß, weil das Schwarze Kabinett seit geraumer Zeit von andrer Leute Laster schwieg – wir mußten uns geradezu als einziger Sünder in ganz Frankreich vorkommen – wir haben Höllenqualen gelitten!«

»Entsetzlich!«

»Nicht wahr?! Da ist es doch zu verstehen, wenn wir so etwas wie Neugier empfinden! Und du läßt uns warten!«

»Ich bitte alleruntertänigst, Gnade walten zu lassen! Es soll nie wieder vorkommen!«

»Für diesmal denn – wenn du endlich zu berichten beliebst!«

»Befehlen Majestät erst das Resümee der gestrigen Begebenheiten – oder den Bericht des Postmeisters?«

»Erst das Resümee!«

»Ich gestatte mir denn alleruntertänigst zu melden, daß Mademoiselle, Madame du Charolais – –«

»Von Mademoiselle wollen wir nichts wissen! Sie ist unsere Freundin!«

»Eben! Und da ist es von Gewicht, daß sie gestern gebeichtet hat!«

»Kennt man die Beichte schon?«

»Zu dem Zwecke hat sie sie ja abgelegt!«

»Was hat sie denn gestanden?«

»Für ihre Person nichts! Sie beichtet ja nur die Vergehen ihrer Freunde!«

»Himmel, wie wird sie mich denn beim lieben Gott blamiert haben! – Daher das böse Gewissen zu solch ungelegener Zeit! Wer war denn ihr Beichtvater?«

»Wer denn sonst, als der Mitwisser aller Boudoirgeheimnisse – der treue Freund und Berater aller galanten Damen von Welt – –«

»Abbé Bernis?«

»Sehr richtig.«

»Dann ist Gefahr im Verzug! – Schnell ein lettre de cachet

»Ich war schon so frei, es mitzubringen!«

»Du bist ein getreuer Diener, Bachelier! Rasch, fülle es aus!«

»Es ist bereits geschehen!«

»Sieh nur, wie eifrig! Ja, bist du denn sicher, daß wir ihn nicht zum Minister machen wollen?«

»Ich gestatte mir sogar, gehorsamst anzunehmen, daß er einmal ein sehr hohes Staatsamt bekleiden wird!«

»Und trotzdem schickst du ihn in die Bastille?«

»Nicht trotzdem, sondern zu dem Zweck! Damit er beizeiten dem allerhöchsten Willen gefügig wird!«

»Sehr gut! Schicke ihn also hin!«

»Er ist schon da!«

»Das auch noch! Sage mir, Bachelier, wen verdammst du noch dazu? Erledigen wir erst die Bastille! Wen schicken wir heute noch hin?«

»Den Dichter Voltaire!«

»Was hat denn der verbrochen?«

»Er hat sich gestern auf offener Straße durchprügeln lassen!«

»Nun, dann hat er ja, was er braucht!«

»Zu Befehl, Sire! Diesmal war er aber unschuldig!«

»Er hat sooft keine Prügel bekommen, wenn er welche hätte haben müssen! Und schließlich: wenn er in die Lage kommt, welche zu bekommen, dann hat er sie sicher verdient!«

»Er scheint anderer Ansicht zu sein! Er schickt uns diese Bittschrift!«

» Ad acta legen! Dieser suffisante Mensch! Er hat seinen Teil, und er suppliziert noch! Er malträtiert uns! Von der öffentlichen Ordnung nicht zu reden, die er durch den Skandal gestört hat! In die Bastille mit ihm!«

»Zu Befehl, Sire, es ist ihm schon besorgt!«

»Sag mal, Bachelier, es wird wohl gut sein, wir schicken dich auch hin! Du wirst schon dreist!«

Bachelier zitterte – lächelte aber gehorsamst mit, da der König selbst bei dem Gedanken lachte.

»Das wäre schon das beste, Bachelier! Aber wer schickt mir denn die anderen hin? Sei also unbesorgt! Und jetzt den Bericht des Generalpostmeisters! Wer figuriert auf der Liste heute? Richelieu?«

»Leider nicht!«

»Der Graf von Sachsen?«

»Auch nicht!«

»Unser Vetter de Chartres? – Der Prinz de Conti? Der Herzog de la Vallière? – d'Argenson? – Maurepas?«

»Seine Exzellenz der Marineminister, ja!« sagte Bachelier, der bei den anderen Namen den Kopf geschüttelt hatte. – »Die hohen Herren sind alle in der Benutzung der Post sehr vorsichtig geworden! Wenn sie nicht gerade andere kompromittieren wollen, senden sie jetzt alles durch Boten!«

»Und warum macht Maurepas da eine Ausnahme?«

»Damit man weiß, daß auch er zu den Verehrern der Tänzerin Barberini zählt!«

»Jene Tänzerin, von der alle Welt – und auch du – uns vorschwärmt?«

»Ganz recht!«

»Sie scheint hier zu gefallen?«

»Alles liegt ihr zu Füßen! – Das heißt, alles, was sich die Erlaubnis der Frau Mama zu erwirken vermochte! Und das sind viele!«

»Wer?«

»Offiziell nur Seine Hoheit der Herr Prinz von Carignan!«

»Das läßt sich denken! Sie ist also seine Geliebte geworden?«

»Seine Hoheit hat ihr ein Hotel einrichten lassen, ihr Toiletten, Schmuck, Gespann geschenkt und ihr eine artige Rente ausgesetzt!«

»Das kann unserer Oper teuer zu stehen kommen – wenn sie ihm Treue hält!«

»Treue ist ein Wort, das sie nicht zu kennen scheint!«

»Glaubst du?«

»Wir haben gestern nicht weniger als zwei Dutzend Briefe ihrer Mama an ebenso viele Verehrer der schönen Dame aufgefangen! Die Briefe waren alle sehr deutlich! Die Mama wird bald ein artiges Vermögen zusammengebracht haben!«

»Zwei Dutzend Verehrer?!«

»Zu Befehl!«

»Und alle begünstigt?«

»Zweifelsohne! – Wenn man bedenkt, daß sie bloß achtzehn Jahre ist und keine drei Monate in Paris – –«

»Eine sehr respektable Leistung!«

»Sie hat eben eine sehr respektable Mutter, Sire!«

»Wer sind denn die Glücklichen?«

»Der Prinz de Conti war darunter! Dann der Marquis de Thibouville, der Herzog von Durfort und der Bischof von – –«

Bachelier flüsterte dem König respektvoll einen Namen zu. Der König lachte.

»Also Hochwürden auch! – Sie scheint jedenfalls keinen üblen Geschmack zu haben! – Und von alledem hat Carignan keine Ahnung?«

»Nein! Seiner Hoheit Ahnungsvermögen scheint in betreff ihrer leiblichen Reize vollauf zu tun zu haben! Denn er ist immer noch rasend verliebt! Und also blind für alles andere!«

»Seine Liebe scheint ihn aber auch stumm zu machen! Das letztemal hat er uns kein Wort mehr von ihr gesagt!«

»Er wird fürchten, schon zuviel gesagt zu haben!«

»Wir sind damit nicht unzufrieden! Aber – er ist ein Geck! Wir wollen ihn heute beim Lever ein wenig vornehmen! Mit wem gedenkt sie ihn heute zu betrügen?«

»Für heute hat sich Mylord Arundel bei ihr zum Souper angesagt!«

»Der tolle Engländer?! Wir haben von ihm gehört! Er scheint sich vorgenommen zu haben, auf dem Felde der Galanterie Frankreich zu erobern! Das geht nicht, Bachelier! Wir gönnen zwar unserem Vetter von Carignan seine Hörner! Er ist aber nicht nur unser Vetter – er ist auch General unserer Armee! – Und die Ehre unserer Armee erlaubt keine englischen Victoiren! – Wir müssen da Sukkurs geben, Bachelier!«

»Wenn Majestät nur zu befehlen geruhen, daß sie heute in Fontainebleau tanzt – dann wird sie heute nicht in Paris soupieren können.«

»Nein, nein! – Wir wollen nicht in Versuchung kommen! – Wir neigen zu sehr dazu, aus einem gelegentlichen Amüsement Folgerungen zu ziehen, die uns nachher lästig werden! Wir sind zu sehr Gewohnheitsmensch! – Wir haben schon zuviel an unseren Fesseln zu tragen! Wir wollen von jener Dame nichts mehr hören! Kein Wort, Bachelier! Kein Wort!«

Und er warf sich in die Kissen zurück und erwartete mit Ungeduld von seinem Getreuen den striktesten Ungehorsam. Aber Bachelier blieb stumm.

»Sag mal, Bachelier«, fing der König von neuem wieder an, »ist sie wirklich so hübsch?«

»Wie ich schon zu berichten die Ehre hatte, liegt ganz Paris ihr zu Füßen!«

»Dann wird sie sicher ein Scheusal sein! Nicht wahr, Bachelier – sie ist abscheulich?«

»Zu Befehl, Sire, abscheulich wie Venus selbst!«

Der König schwieg einen Augenblick. Dann fragte er – anscheinend ganz gleichgültig:

»Welches Ballett steht heute abend auf dem Programm?«

»Der Herzog von Richelieu glaubte, da Ihre Majestät die Königin in Versailles geblieben ist, heute von den feierlichen Sachen absehen zu müssen!«

»Also, was wird denn getanzt?«

»Das Urteil des Paris –«

»Wer stellt die Venus dar?«

»Madame Sallé!«

»Das kann man mir unmöglich zumuten!«

»Eigentlich gibt es nur eine, die die Göttin der Liebe mit voller Illusion verkörpern kann, und das ist, nach Ansicht aller Kenner – –«

»Die Dame Barberini! – Ich weiß! – Man liegt mir seit Wochen in den Ohren damit! Als hätte ich gar nichts dabei zu bestimmen! Ja, sag einmal, Bachelier, wer gibt denn hier an unserem Hofe eigentlich den Ton an?«

»Wer würde sich wohl erdreisten, da den allerhöchsten Entschließungen vorzugreifen?!«

»Das möchte ich auch wissen! Man scheint da aber revoltieren zu wollen! – Man trifft Entscheidungen ohne uns! – Das geht nicht! Jene – – Dame soll heute tanzen! – Aber nur, weil man, ohne uns zu fragen, eine andere dazu designiert hat! Wir wollen zeigen, wer hier regiert! – Sie soll also die Venus darstellen! Und wir – wollen sie schlecht finden! Wir wollen uns nicht weiter von dem Gerede irritieren lassen! Du sollst gleich einen Kurier nach Paris senden! Aber unser guter Vetter Carignan darf es nicht wissen! Es soll eine Surprise für ihn sein! Du veranlaßt also alles!«

»Zu Befehl!«

»Und jetzt laß mich in Ruhe!« Bachelier ging.

»Bachelier!« rief der König ihm nach, ehe er noch an die Tür gelangt war.

»Majestät befehlen?«

»Wir hatten dir den Auftrag gegeben, für alle Fälle auch jene Tänzerin – anzusehen! Wir wollen immer sicher gehen! Hast du den Auftrag erfüllt?«

»Zu Befehl, ja!«

»Du hast also Gelegenheit gehabt?«

»Ja. Ich gab der Mutter ein angemessenes Geschenk und bekam dann Gelegenheit, sie aus einem Versteck beim Baden zu beobachten!«

»Nun?«

»Wie eine griechische Statue! – In jeder Beziehung vollendet! – Meine Augen haben noch nie etwas Schöneres gesehen!«

»Wir wollen dich heute eines Besseren belehren! Du kannst gehen!«

Bachelier ging, war aber jetzt nicht einmal halbwegs bis zur Tür gelangt, als der König – jetzt aber sehr aufgeregt – rief:

»Sage einmal, Bachelier – hast du sie dir auch ganz genau angesehen?«

Bachelier zitterte und antwortete nicht. Der König blickte ihn scharf an.

»Hatte sie auch gar keine Leberflecken?«

Bachelier wurde immer blasser. Er kannte die Angst Ludwigs vor den Blattern und wußte, daß er immer an jene Krankheit denken mußte, wenn ihm derartige Schönheitsflecken zu Gesicht kamen. Sein Abscheu davor war unüberwindlich.

Ludwig konnte nicht umhin, die Verlegenheit seines Getreuen zu bemerken.

»Du wirst auf einmal so still? – Du zitterst?! – Also, hat sie welche?«

»Ich gesteh's«, stotterte Bachelier – »ich habe sie im Verdacht! – Ich glaube etwas bemerkt zu haben! – Bestimmt kann ich's aber nicht behaupten! Aber etwas ganz Kleines – fast Unscheinbares unter dem linken Busen war's!«

»Gnad' dir Gott!«

»Von meinem Versteck aus war's nicht genau zu kontrollieren! Ich habe aber die Signora, ihre Mutter, nachher examiniert! Und sie hat mir auf Ehre versichert, daß die Schönheit der Tochter makellos sei! – Bei der Jungfrau hat sie's beschworen!«

»Da hat sie sicher einen!« rief Ludwig entsetzt. »Und so etwas empfiehlst du mir! Du wagst sogar, mir von ihr vorzuschwärmen! Ich dachte, ich hätte in dir einen treuen Diener, Bachelier – ich sehe aber, ich habe mich geirrt! Du hast mein Vertrauen mißbraucht – du kannst nicht mehr in meiner Nähe sein! Betrügst du mich in einer Sache, dann wirst du mich auch in anderen Dingen hintergehen!«

»Eure Majestät wollen doch gnädigst in Anbetracht meiner langjährigen treuen Dienste geruhen, Gnade walten zu lassen. Eure Majestät wollen doch höchstselbst sich heute abend überzeugen, daß jene Mißgestaltung bei ihr kaum noch als solche zu betrachten ist!«

»Wir wollen dein Schicksal vom Ausfall unserer Besichtigung abhängig machen! – Sie soll heute tanzen – du fertigst sofort den Kurier ab! – Wenn ich aber degoutiert werde, Bachelier, dann brauchst du morgen nicht mehr Dienst zu tun! Du kannst gehen!«

Bachelier ging.

Kurz darauf schlug die Stunde, wo die Sonne Frankreichs aus den Wolken zu steigen geruhte. Ludwig erhob sich aus den Pfühlen. Das Lever begann. Das kleine Entree der höchsten Würdenträger fand statt – das große Entree der Fernerstehenden folgt – das Hemd Frankreichs wurde gewechselt, und heute hatte der Prinz von Carignan den Vorzug, es, von allen beneidet, zu überreichen.

Der König war sehr aufgeräumt.

»Wir sind allerdings keine Tänzerin, mein lieber Vetter«, lachte er. »Aber wir wollen doch Ihre Dienste in betreff des Hemdes annehmen, damit Ihr nicht aus der Übung kommt! Wie wir hören, seid Ihr bei Eurer neuesten Eroberung, bei jener vielgerühmten italienischen Tänzerin, noch nicht so weit gekommen!«

Der Hof lachte. Carignan verbiß sich den Ärger.

»Macht deswegen kein betrübtes Gesicht, lieber Vetter«, fuhr der König gnädig fort. »Unsere königliche Fürsorge ist schon darauf bedacht gewesen, für Abhilfe zu sorgen! – Wir haben also angeordnet, daß die Dame Barberini im heutigen Ballett die Rolle der Venus zu übernehmen hat! – Wir haben von ihrer Sprödigkeit Euch gegenüber gehört! – Wir wollen sie denn unserem ganzen Hofe entschleiern – als gerechte Strafe für sie! – So bekommt Ihr sie auch einmal zu sehen!«

Der Hof war entzückt. – Carignan machte gute Miene zum bösen Spiel. – – Der Tag verging. Der Abend kam und mit dem Abend das Ballett.

Der ganze Hof war versammelt. Die Damen im Glanz ihrer Schönheit und ihrer Toiletten, vor allem die Damen des intimen Kreises: die Gräfin von Toulouse, Madame du Charolais, die Gräfin du Mailly und ihre beiden Schwestern. – Eine gewisse Unruhe hatte sich ihrer bemächtigt. Sie hatten alle von der neuen Schönheit gehört und der Neugier des Königs, sie zu sehen, geschickt entgegenzuarbeiten gewußt. Ihr Schicksal konnte davon abhängig sein, ob sie dem König gefiele oder nicht. Denn seine Entschließungen waren unberechenbar. Und sein Befehl, heute die gefürchtete Schöne vorzustellen, war so plötzlich gekommen, daß dagegen nichts hatte unternommen werden können!

Die Spannung stieg, je weiter der Abend fortschritt.

Ludwig lag, behaglich ausgestreckt, in seinem Fauteuil, in der ersten Reihe – er schien sehr aufgeräumt zu sein, plauderte angeregt mit seiner Nachbarin, der Gräfin von Toulouse, und blickte gelegentlich auch die Auftretenden an.

Endlich kam der große Moment, wo die Göttin der Liebe Paris naht. Barberina betrat die Bühne. Ein Ausruf der Bewunderung unter den Zuschauern! Dann wurde alles still. Auch der König schwieg und blickte, wie alle anderen, gespannt die schöne Erscheinung an.

Nur eine blickte nicht hin. Es war die Gräfin du Mailly. Sie hatte nur Augen für den König.

Der große Moment der Entschleierung kam, die letzte Hülle fiel. Venus zeigte sich den entzückten Blicken des trojanischen Hirten in vollendeter Grazie, mit den lässig erhobenen Armen den letzten Schleier lüftend – –

Der König sah sie mit Kennermiene an, nickte wiederholt, nahm schließlich die Lorgnette und hielt sie an die Augen.

Plötzlich ließ er sie fallen. – Ein kurzer Ausruf, den niemand verstand, entfloh seinen Lippen. – Er erhob sich halb aus dem Sessel, sichtbar aufgeregt, und fiel dann zurück.

Seine Aufregung fiel allgemein auf. Man fing an zu flüstern – man zog sich von der Gräfin du Mailly zurück. Sie saß da, bleich, zerknirscht und von ihrer vermeintlichen Niederlage überzeugt.

Noch einmal hob die Barberina den Schleier – noch einmal hielt Ludwig die Lorgnette an die Augen – kein Zweifel, dort, unter dem linken Busen, war er zu sehen – deutlich zu sehen, jener winzige Fleck, vor dem er eine solche Aversion hatte! Kein Zweifel!

Er ließ die Lorgnette wieder fallen und saß da, stumm das Ende der Vorstellung abwartend. Dann stand er auf, ohne sich um die Damen zu kümmern, rief seinen Maître des plaisirs, den Herzog von Richelieu, und zog sich, von ihm allein begleitet, in seine Gemächer zurück. Im Saale war alles in heller Aufregung. Auf der Bühne ebenso, wo Carignan Barberina strahlend zu ihrem Sieg beglückwünschte.

»Noch niemals, solange ich mich erinnern kann, zeigte Majestät eine solche Teilnahme! – Sie haben einen Erfolg gehabt, wie nur Sie ihn haben konnten! Sie werden noch heute mit dem König soupieren – er zog sich mit Richelieu zurück! Dieser wird sicherlich alles veranlassen. Vergessen Sie aber in Ihrem Glück Ihren getreuen Diener nicht! – Vergessen Sie nicht, wer Ihnen den Weg ebnete!«

Er wurde von einem Kammerdiener des Königs unterbrochen, der zu Barberina herantrat und ihr ein Etui überreichte. Und dieser Kammerdiener war nicht Bachelier, sondern der Onkel der Madame d'Etioles, der bisherige zweite Kammerdiener, Binet.

»Von Seiner Majestät dem König«, sagte Binet herablassend, als sei er selbst die Majestät, und öffnete das Etui, das einen kostbaren Schmuck von Brillanten und Saphiren enthielt. – »Seine Majestät lassen allerhöchst Dero Zufriedenheit mit Mademoiselle aussprechen sowie Dero Absicht, Mademoiselle demnächst in Versailles im Beisein Ihrer Majestät der Königin – in einer anderen Rolle tanzen zu sehen!«

Sprach's, verbeugte sich kalt und ging.

Das war der ausgesprochenste Mißerfolg! – Keine persönliche Vorstellung – kein Souper! – Ein kostbarer Schmuck allerdings – aber die allerhöchste Befriedigung durch den Mund eines Lakaien – –!

Barberina erblaßte, biß sich auf die Lippen, verlor aber die Contenance nicht.

»Ich bitte mir aus, Monseigneur«, sagte sie dann gelassen zu Carignan, der wie ein begossener Pudel dastand, »ich bitte mir aus, mir in Versailles einen anderen Partner geben zu wollen, der mir nicht die Szene verdirbt! – Mit Signore Fossano tanze ich nicht mehr! Er quält mich, er irritiert mich! Und wie hat er als Tänzer dekliniert!«

»Allerdings, mein lieber Fossano«, sagte Carignan, froh, seinen Ärger an jemand auslassen zu können, »ich kann nicht umhin, Ihnen zu sagen, daß Sie mir in diesem Jahre Enttäuschung über Enttäuschung bereiten! Sie sind lange nicht mehr der geistvolle Tänzer, als den ich Sie bisher kannte und bewunderte! Ihr Engagement war ein Fehler! Nun – er hat uns unsere liebe Freundin hier gebracht – das wollen wir Ihnen zugute halten. Aber bei Hofe haben Sie ausgetanzt!«

Womit er die Bühne verließ und sich zum König begab, der ihm jedoch sagen ließ, daß er seiner Dienste heute nicht mehr bedürfe.

Der König konferierte mit dem Herzog von Richelieu.

Hochwichtige Entscheidungen von weitestgehender politischer Tragweite wurden getroffen. – Bachelier, der allmächtige Hüter der Schlafzimmergeheimnisse Seiner Majestät, war in Ungnade gefallen, und Richelieu hatte geschickt die Gelegenheit benutzt, seinen Protegé, Binet, in Erinnerung zu bringen. Und so wurde die Brücke geschlagen, über die die schöne Madame d'Etioles, geborene Poisson, spätere Marquise de Pompadour, ihren Einzug ins Allerheiligste halten sollte, um da unumschränkt zu gebieten!

Das Schicksal Frankreichs war entschieden!

Wer weiß aber, wie es sich gestaltet hätte, wenn die schöne Barberina nicht jenen fast unmerklichen Leberflecken unter dem linken Busen gehabt hätte und Bachelier nicht so ehrlich gewesen wäre, dessen unseliges Vorhandensein dem Könige zu verraten?!


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