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Es war ein bitterkalter Januarmorgen im Jahre 1744. Vom Turme der Garnisonkirche zu Potsdam schlug es fünf, und das Glockenspiel klimperte seinen Choral ins Dunkel hinaus. Die Stadt schlief noch.
Im Stadtschloß war es aber schon seit einer Stunde lebendig. Von der Brücke aus konnte man Licht in einem der ersten Fenster des linken Flügels sehen, wo der König residierte.
Die Ofenheizer waren schon dabei, in den Kaminen Holz und Kohlen aufzuschichten. Im Vorzimmer wartete der Kammerdiener Michaelis.
Als der letzte Schlag aus dem Turme verklungen war, trat er durch das Schreibzimmer ins Schlafzimmer, gefolgt von den Heizern, die sich sofort anschickten, das Feuer im Ofen anzumachen. Er ließ die Kerzen in der Krone anstecken, öffnete die silberne Balustrade nach dem Alkoven, zog die hellblauen Vorhänge auseinander und trat an das von einem Baldachin überdachte Bett heran, dessen versilberte Schnitzereien im Schein der Kerzenflammen fröhlich aufglänzten.
Der König schlief noch fest.
Rechts vom Bett stand die Tür zum kleinen, runden »Konfidenzzimmer« halb offen, wo Friedrich seine intimen Soupers abzuhalten pflegte, bei denen keine Bedienung anwesend sein durfte.
Über dem runden Tisch glimmte noch eine fast niedergebrannte Kerze in der vielarmigen Bronzekrone und warf ihren flackernden Schein über das kleine, intime, ganz in Rosa und Gold gehaltene Kabinett. Der Tisch war mit den Resten des gestrigen Soupers bedeckt.
Schnell ging der Kammerdiener hinein, ließ die leeren Flaschen durch die Öffnungen an den Seiten des Tisches hinuntergleiten, schob Geschirr und Gläser auf die Mitte des Tisches zusammen und drückte auf einen Knopf. Die Tischscheibe senkte sich lautlos mit allem, was darauf stand, in das unten befindliche Kredenzzimmer hinab. Er zog noch kräftig an einer Klingelschnur, um die Bedienung da unten aufmerksam zu machen, löschte die hinsterbende Flamme aus, ging wieder in den Alkoven hinaus und schloß lautlos die Tür. Feierlich trat er dann an das Bett heran und hustete dreimal laut und vernehmlich.
Der Eroberer Schlesiens ließ sich nicht stören.
Der Kammerdiener streckte die Hand aus und berührte die Schulter des Schlafenden. Umsonst.
Der König drehte sich auf die andere Seite und schnarchte weiter. Er hatte den Schlaf offenbar sehr nötig heute, und es tat dem getreuen Diener im Herzen weh, ihm die Ruhe nicht gönnen zu dürfen. Er hatte aber bestimmte Befehle und hatte sofortige Entlassung zu gewärtigen, wiche er nur einen Zoll breit vom Pfade des Gehorsams ab.
Seufzend trat er an die Waschtoilette heran, entnahm einem ihrer Schubfächer eine zusammengefaltete Serviette, tauchte sie in Wasser und legte sie dann auf das Gesicht des Schlafenden.
Fluchend setzte sich Friedrich auf, lachte aber laut, als er das erschrockene Gesicht von Michaelis sah.
»Hast heute wieder zum Äußersten greifen müssen?« sagte er gähnend und schielte nach der Tür des Konfidenzzimmers.
»Eure Majestät hatten streng befohlen – –« stotterte der Diener beklommen.
»Es wäre dir schlecht bekommen, hättest du da nicht Ordre pariert!« sagte Friedrich gelassen und ließ sich die Strümpfe und die schwarzsamtenen Hosen reichen. »Aber es ist schlimm, sehr schlimm! Wie lange hast du heute Reveille geblasen?«
»Eine Viertelstunde!« antwortete Michaelis.
»Wir können nicht soviel Zeit verlieren! Das gestrige Souper hat zu lange gedauert! Die Dame Cochois wird nicht mehr hierher befohlen!«
Er ließ sich die hohen Stiefel anziehen, trat aus dem Alkoven heraus und nahm in einem Sessel am Feuer Platz.
Michaelis zog zweimal die Klingelschnur an der Wand und trat dann an den König heran, um ihm die Haarpeitsche zu machen.
Ein Kammerpage kam mit einem Korb herein, in dem die soeben eingegangenen Briefschaften lagen, kniete vor dem König nieder und hielt ihm den Korb hin.
Friedrich entnahm ihm Brief für Brief, prüfte sorgfältig Aufschrift und Siegel, warf diesen oder jenen ungeöffnet in den Ofen, machte die anderen auf, las den Inhalt halblaut durch und schichtete die Briefe in drei Haufen auf den neben ihm stehenden Tisch. Im ersten Haufen bekamen die Briefe einen Kniff nach innen – im zweiten einen nach außen und im dritten einen nach innen und nach außen, je nachdem, ob sie abschlägig beantwortet werden sollten oder nicht, oder ob die Antwort noch ungewiß sei.
Einen einzigen Brief behielt der König heute auf den Knien. Der Inhalt dieses Briefes mochte nicht angenehmer Natur sein. Denn nach Lesen der ersten Worte hielt er unwillig inne, las den Rest gegen seine Gewohnheit still durch und machte dabei so zornige Bewegungen, daß Michaelis den Haarbeutel wiederholt neu binden mußte.
Ein scharfes: »Nimm dich besser in acht!« wurde ihm höchst ungnädig zugerufen. Und der Kammerpage mußte mit dem geleerten Korbe wieder abziehen, ohne vom König einen Blick, geschweige denn einen Gruß zu erlangen.
Friedrich las den Brief noch einmal durch.
»Eine süffisante, kapriziöse Kreatur wie all die anderen Mamsells! Ohne Gewalt nicht zur Räson zu bringen!«
Er warf den Brief zu den anderen.
Michaelis, der inzwischen mit dem Frisieren fertig geworden war, öffnete eine Tür links im Alkoven und ließ den Kammerhusaren herein, der ohne weitere Zeremonien das königliche Gesicht einzuseifen begann. Er hatte keinen leichten Stand.
Friedrich war äußerst nervös und aufgeregt. Seine gewöhnliche Ruhe und Überlegenheit schienen ganz geschwunden. Er saß keinen Augenblick still. Der arme Kammerhusar bekam Angst, ihn zu schneiden; seine Hand fing an zu zittern, und er mußte die ganze Ungeduld des Königs über sich ergehen lassen.
»Er ist heute aber auch zu ungeschickt!« rief Friedrich, dem beim Einseifen ein wenig Schaum in den Mund gekommen war. Er schielte mißtrauisch nach dem Messer, das sein Getreuer über einen ledernen Riemen hin und her gleiten ließ.
»Nehme Er sich zusammen! Kratzt Er mir nur die kleinste Ritze in die Haut, so kommt Er noch heute nach Spandau!«
Der Kammerhusar setzte das Messer an und begann zu schaben, kam aber nicht weiter als bis zur halben Wange, als Friedrich ihn sans façon beiseiteschob und Michaelis winkte, der mit einem Waschbecken in einiger Entfernung wartete.
»Winterfeldt!« befahl der König.
Michaelis stellte das Becken fort und ging, immer noch die Serviette in der Hand, zur Tür des Schreibzimmers, öffnete sie und ließ den Generaladjutanten herein.
»Den Rapport!« befahl Friedrich, den untertänigen Gruß seines Getreuen kaum beantwortend, und setzte sich im Sessel zurecht.
Der Kammerhusar fing an weiterzuschaben, der Generaladjutant zu berichten, und Friedrich, das Messer an der Kehle, mußte vieles über sich ergehen lassen.
Zunächst lagen da militärische Angelegenheiten vor, Urlaubsgesuche und so weiter, die Friedrich, den Kammerhusaren nochmals beiseiteschiebend, kurz erledigte.
»Von jetzt ab wird kein Urlaub bewilligt! Die Beurlaubten sollen binnen vier Wochen bei den Fahnen sein! Den Kommandanten der Artillerie ist einzuschärfen, daß sie mit allem Fleiß dafür sorgen, mit Einbruch des Frühlings die Geschützbespannungen vollständig zu haben!«
Damit überließ er sich wieder dem Messer. Aber da kam Winterfeldt mit einem Gesuch um Heiratskonsens für einen Offizier, und die Hand des Kammerhusaren wurde wieder beiseitegeschoben.
»Wird abgelehnt! Die Herren Offiziers denken nur an Mariage und sind im Dienste danach!«
Winterfeldt versuchte einen schwachen Einwand. Die betreffende Braut wäre reich und die Tochter eines angesehenen Bürgers! – Da kam er aber schlecht an.
»Wir halten nicht Soldaten zum Amüsement der Bürgertöchter! Wir permittieren keine Mesalliancen! Überhaupt keine Offiziersmariagen! Das gibt allemal Chagrin und böse Suiten! Und ich habe das Frauenzimmer auf dem Hals, nachher, wenn's in die Kampagne geht und der Herr Offizier tot bleibt! Kopulieret wird nicht!«
»Krieg in Sicht«, dachte Winterfeldt und hielt mit weiteren derartigen Gesuchen zurück. Er schloß mit der Meldung, daß auf der heutigen Parade Rekruten zur Besichtigung da sein würden, damit der König die für seine Grenadiergarde geeigneten aussuchen könnte.
» Eh bien!« sagte der König. »Wer ist zur Audienz da?«
»Der Staatsminister von Podewils, der Finanzminister Boden, Baron von Pöllnitz –«
»Der Schwätzer! Und Knobelsdorff? Ich hatte ihn heute befohlen!«
»Knobelsdorff hat sich krank gemeldet!«
»Das sind leere Exkusen! Er hat sich echauffiert, weil er mein Sommerhaus draußen in den Weinbergen nach meinem Kopf bauen muß! Geh Er hin zu ihm! Er soll mir heute bei der Parade seine Krankheit präsentieren! Wir werden ihn höchstselbst kurieren! Zum Diner werden heute befohlen: Pöllnitz, Maupertuis, der malade Knobelsdorff und Er selbst! Lege Er die Liste der Herrschaften, so Audienz haben wollen, draußen auf meinen Schreibtisch! Au revoir!«
Winterfeldt salutierte und ging.
»Nun kratz endlich zu! Sonst wirst du, meiner Seele, nimmermehr fertig!« herrschte Friedrich den Kammerhusaren an. Und dieser kam denn endlich dazu, seine kitzliche Arbeit ohne weitere Störungen zu beenden.
Friedrich musterte sein Gesicht genau im Spiegel. Er schien eher ärgerlich als zufrieden damit zu sein, daß nicht die geringste Schramme zu sehen war, und fertigte sein Faktotum ab mit einem kurzen: »Er kann gehen!«
Darauf befahl er die Kabinettsräte, die die aufgeschichteten Briefe an sich nahmen, kurz den Inhalt referierten und die Antwort des Königs auf der Rückseite notierten. Sie entfernten sich dann, um die Antworten ins reine zu schreiben, und ließen nur den einen Brief zurück, dessen Inhalt den König so sehr geärgert hatte, und den er nochmals las und wieder hinwarf.
Dann stand er auf, entnahm einem Etui auf der weitbauchigen Kommode zwischen den Fenstern eine Flöte, ließ die beiden Windspiele, die die letzte Nacht nicht in seinem Bett, sondern im Vorzimmer verbracht hatten, ein und ging, von ihnen umwedelt, ins Schreibzimmer, um den Kaffee zu trinken.
Der Kaffee mundete ihm heute nicht. Gegen seine Gewohnheit trank er nur eine Tasse, nahm dann die Flöte und fing, auf und ab gehend, an zu blasen. Aber die Hunde wollten nicht Ruhe halten. Sie witterten die Nervosität und die Verstimmung ihres Gebieters und waren auch ob der nächtlichen Zurücksetzung indigniert. Nach den ersten paar Takten fühlten sie sich bemüßigt, auch ihrer Verstimmung in Tönen Luft zu machen, und heulten brav mit.
» Tu beau, Biche!"« rief Friedrich und blies weiter. Aber Biche war nicht zu besänftigen, und auch Alkmene machte brav die Musik mit.
Halb belustigt, halb geärgert, legte Friedrich die Flöte fort, nahm die Liste der im Audienzzimmer Wartenden in die Hand und las sie laut durch, während er im Zimmer auf und ab ging. Einen Augenblick blieb er stehen und blickte durchs Fenster in den grauenden Tag hinaus. Unter der Linde draußen auf der Straße standen ein paar Leute und stampften und froren ganz erbärmlich!
»Michaelis!« rief der König. »Laß den Leuten ihre Suppliken abnehmen! Wenn sie da stehen sollen, bis ich Zeit für sie habe, frieren sie mir fest und machen die Aussicht malproper! Und laß mir den Staatsminister herein!«
Michaelis ging in das kleine ganz mit Zedernholz getäfelte Kabinett, das das Schreibzimmer des Königs von den übrigen Gemächern trennte, schickte einen Lakaien die von dort direkt nach dem Lustgarten führende kleine Treppe hinunter, um den Befehl auszuführen, öffnete dann selbst die Tür zum angrenzenden Musikzimmer, wo die zur Audienz Befohlenen warteten, und machte dem Herrn Staatsminister feierlichst die befohlene Mitteilung.
Podewils verfügte sich zu Friedrich hinein und mußte zu seinem Schrecken wahrnehmen, daß sein allergnädigster Gebieter sich über Nacht in das Gegenteil verwandelt hatte.
Friedrich saß im Sofa hinter dem Schreibtisch, den ominösen Brief in der Hand, und lächelte seinen Staatsminister sarkastisch an.
»Exzellenz wollen sich bei uns nach dem Stand der auswärtigen Angelegenheiten erkundigen? Das ist recht! Das ist brav! Als Staatsminister müssen Exzellenz doch auch Bescheid wissen! Wir können also wieder mit der alten Neuigkeit aufwarten, daß wir schlecht – sehr schlecht – bedient sind! Unsere Diplomaten taugen alle nichts! Sie sind, wie immer, nur unsere Briefträger! Wir selbst müssen jeden Schritt der Herren dirigieren – müssen an alles denken! Da schwätzt uns unser Botschafter in Paris eine Tänzerin auf! Den Vertrag hat er wirklich zustande gebracht! Das ist aber auch alles! Der gute Chambrier wird senil! Wir werden ihn rappellieren müssen! Wir lassen jene Tänzerin zur Dienstleistung hierher befehlen! Und was tut sie? – Sie weigert sich! – Es konveniert ihr, in Venedig ihren Amouren nachzulaufen! Und in Venedig kennt man den König von Preußen nicht! Man kennt nicht einmal Podewils – unseren unvergleichlichen Podewils! Seiner höflichen Bitte, die leichtfüßige Schöne festzunehmen, setzt man ein unverblümtes ›Nein‹ entgegen! – Wir müssen uns echauffieren! Wir nehmen unseren Podewils vor! Wir waschen ihm den Kopf! Wir fragen ihn: ›Podewils, wozu haben wir unsere Verbündeten?! Wozu haben wir Spanien, wozu haben wir Frankreich?!‹ – Und Podewils, der exzeptionell gescheite Podewils, setzt Spanien, er setzt Frankreich in Bewegung! Die Botschafter der Großmächte werden in der hochwichtigen Sache vorstellig! Und Venedig sagt ›nein‹! – Wir lassen – immer noch durch Podewils – unseren Ambassadeur in Wien ersuchen, sein diplomatisches Genie zu unserem Faveur in dieser fatalen Sache zu betätigen! Wir denken: Dohna, der es so gut verstand, Maria Theresia warm zu halten, wird uns auch jenes obstinate Frauenzimmer zur Räson zu bringen wissen! Er wird sich noch lange nicht pensionieren lassen wollen! Und Dohna, galant wie immer, unterliegt dem einen Unterrock wie dem anderen! Dohna schreibt uns – – aber lese Er selbst den Wisch!«
Er warf ihm den Brief zu. Podewils las ihn und legte ihn dann achselzuckend auf den Tisch.
Friedrich blies inzwischen ein paar Passagen auf der Flöte. – Biche sekundierte, prompt wie ein alter routinierter Kapellmusiker einsetzend. Ärgerlich warf Friedrich die Flöte hin und blieb vor Podewils stehen, der sein Entzücken ob des Doppelkonzerts kaum verbeißen konnte.
»Wir sind nicht gesonnen, uns von einem Frauenzimmer auf der Nase herumtanzen zu lassen – sei's die Königin von Ungarn – sei's die regierende Mätresse von Frankreich – sei's eine verlaufene Tänzerin! Er soll dem Senat von Venedig beibringen, dem Könige von Preußen gefällig zu sein! Jene Tänzerin soll hier in unserer Oper vertragsmäßig ihre Pirouetten exequieren! Das ist unser Wille! Und können meine Herren Ambassadeurs nicht einmal das durchsetzen, so sollen sie alle miteinander in Spandau über die Künste der Diplomatie nachsinnen! Schreibe Er das sofort an Dohna!«
»Zu Befehl!« sagte Podewils und steckte den Brief Dohnas in sein Portefeuille, dem er noch einige Dokumente entnahm, um sie dem König zur Unterschrift vorzulegen.
Friedrich flog rasch den Inhalt der Schriftstücke durch, nahm den Gänsekiel und kratzte mit seiner feinen Handschrift einige Randbemerkungen hinein, unterschrieb und blickte wieder seinen Staatsminister an.
»Daß Er sich aber nicht noch einen Korb holt! Weder vom Senat von Venedig, noch von jener Tänzerin!«
»Majestät geruhen gnädigst zu entschuldigen, aber das Ballett ist für mich eine terra incognita! Da wäre wohl eher der Zeremonienmeister, Baron von Pöllnitz, zuständig?!«
»Pöllnitz ist ein mauvais sujet, ein Plappermaul! Immerhin hat er mehr Esprit als mancher Staatsminister!«
»Wollen Majestät nicht geruhen, ihm den Auftrag zu geben? Er wartet draußen!«
»Wir pflegen uns präzise auszudrücken, Podewils, und wollen unsere Befehle, wie gegeben, auch exekutieret wissen! Er hat gehört! Lege Er mir morgen das Schreiben an Dohna vor! Und nun: Gott befohlen!«
Podewils verbeugte sich und ging.
Friedrich befahl, den Baron von Pöllnitz vorzulassen. Und herein tänzelte mit unnachahmlicher Grazie dessen wohlgenährte Gestalt und machte seine allerschönsten Reverenzen vor dem Herrn und Gebieter.
»Pöllnitz – Er soll den erbetenen Abschied haben!« rief der König ihm zu, und der Angeredete blickte hocherfreut auf. »Er soll seine Witwe in Nürnberg haben! – Er soll wieder katholisch werden dürfen! – Er soll die achtzigtausend Taler für Sein Seelenheil einsacken dürfen, obwohl es keinen Groschen wert ist! Aber nur unter einer Bedingung!«
»Und die wäre?«
»Daß Er mir die Tänzerin Barberina aus Venedig hierher besorgt, und zwar mit allergrößter Schnelligkeit! Die Sache dauert mir schon zu lange!«
Der König erzählte ihm den Zusammenhang und fügte hinzu: »Zeige Er, daß er mehr vermag als die gesamte europäische Diplomatie! Verdiene Er seine Witwe! Keinen Widerspruch! – Beim Diner werden wir die Ordre de bataile gemeinsam entwerfen! Bis dahin kann Er auf Rat sinnen!«
Mit einer schnellen Handbewegung verabschiedete er den verdutzten Höfling, ging in sein Schlafzimmer zurück, ließ sich das Haar pudern, den blauen Uniformrock mit dem Stern anlegen, den Degen umschnallen und trat in den Musiksaal hinaus, um die weiteren Audienzen zu erledigen.
Die Minister standen im Kreis da und harrten des Gebieters. Friedrich, den Hut auf dem Kopf, den Krückstock in der Hand, trat zu ihnen hin, musterte sie alle scharf der Reihe nach und blieb dann vor seinem Justizminister Cocceji stehen.
»Heute sind wiederum Briefe eingelaufen, worin über eine verdorbene Justiz in meinen Landen geklagt wird! Ich kann nicht länger dazu stilleschweigen!« sagte er ärgerlich. »Wenn ich mich selbst darein melieren muß, so befehle ich Ihm denn, an alle meine Justizkollegien eine nachdrückliche Ordre ergehen zu lassen, worinnen diese angewiesen werden, bei Vermeidung hoher Bestrafung darauf zu arbeiten, daß jedermann ohne Ansehen der Person eine solide Justiz administrieret wird. Die Ordre ist mir morgen vorzulegen!«
Sprach es und drehte Cocceji, der noch niemals ein hartes Wort von ihm zu hören bekommen hatte, den Rücken und wandte sich an den nächsten mit einer kurzen Anfrage über den Stand der Hafenbauten in Swinemünde sowie über die Arbeit an dem Oder-Spree-Kanal, bekam aber, statt klaren Bescheid, eine ausweichende Antwort, die anzunehmen er heute am wenigsten gesonnen war.
»Herr, Seine Entrepreneure sind Tagediebe und faule Bäuche!« sagte er barsch und klopfte dem Minister mit der brillantierten Krücke seines Stockes auf die Schulter. »Der Kanal muß ohnfehlbar und sonder einiges Räsonieren ganz und gar fertig und in brauchbarem Stande sein! Das merke er sich!«
Bei jedem Worte fiel die Krücke seines Stockes immer energischer auf die Schulter des Herrn Ministers, der kein Wort zu erwidern wagte und keine Miene verzog.
Dann wandte er sich an den Finanzminister Boden, nahm ihm den Rapport aus der Hand und las ihn halblaut durch. Seine Züge klärten sich beim Lesen auf, und er nickte wiederholt befriedigt. Nur bei einem Voranschlage schüttelte er den Kopf und wies auf die betreffende Stelle in dem Aktenstück.
»Wird gestrichen!« resolvierte er kurz. »Sternwarten sind gut und nützlich, vorläufig aber der Bauverwaltung der Luftschlösser zu überweisen! Den Akademikern ist zu schreiben, der König gründe vorerst Bauernansiedlungen! Wenn für diese gesorgt sein wird, wird man an die Sterne denken! Unser eigener Stern geht vor!«
Eine Handbewegung – ein kurzes Lüften des Hutes, eine tiefe Verbeugung der Exzellenzen – die Audienz war erledigt! Der Privatsekretär nahm den Herren die noch nicht abgegebenen Rapporte ab und ging. Friedrich blieb allein.
Am Fenster hatte man ein eben abgeliefertes Gemälde Meister Pesnes, die Tänzerin Cochois darstellend, zur Besichtigung aufgestellt. Friedrich besah es sich genau, nickte befriedigt und rief Michaelis.
»Hänge Er mir die Mamsell dort an den Nagel!« befahl er kurz. »Als dekoratives Detail immerhin noch zu gebrauchen! Und degoutiert so nicht durch ihr dummes Plappern! Ruf mir dann Fredersdorf!«
Michaelis hängte das Bild auf und rief Fredersdorf, den ehemaligen Kammerdiener und jetzigen Hoftrésorier, der auch so schön das Hautbois und die Flöte traktieren konnte und daher schon seit der Kronprinzenzeit in Ruppin das besondere Vertrauen Friedrichs genoß.
»Dem Meister Pesne sollst du den doppelten Preis für das Bild zahlen!« befahl ihm Friedrich, »und ihm den Gruß von uns bestellen, seine Malerei sei exquisiter als das Modell – seine Kunst charmiere uns weit mehr als die Mamsell! Und wir wollen bald Neues bestellen! – Apropos! Jene neue Tänzerin, Fredersdorf, die uns der brave Chambrier aufgehalst hat, sie häsitiert noch mit dem Dienstantritt! Sie will nicht! – Was sagst du dazu?«
»Ich gestatte mir, Eure Majestät in aller Untertänigkeit darauf aufmerksam zu machen, daß die Oper uns auch ohnehin teuer zu stehen kommt! In den zwei Jahren seit der Eröffnung kostet sie der Privatschatulle bereits achthunderttausend Taler!«
»Eine artige Summe!« sagte Friedrich nachdenklich. Und Fredersdorf hielt gleich den Augenblick für günstig, um mit Vorschlägen zu kommen.
»Wenn Eure Majestät zu befehlen geruhen möchten, dem Publikum den Eintritt nur gegen Entgelt zu gewähren –?«
» Impossible! Der Eintritt ist frei zu geben! Wir sind es unserer Reputation schuldig! Wenn jedermann das Recht hätte, für Geld hereinzukommen, dann wären wir ja nicht mehr in der Lage, nur die Würdigsten einzuladen!«
»Ein Glück, daß jene Tänzerin nicht kommt; denn«, seufzte Fredersdorf, »die Damens kosten das meiste Geld! Und Tänzerinnen hätten wir genug!«
»Die Mamsell wird tanzen! – Wegen der paar Taler mehr brauchst du dich nicht zu echauffieren! Siehst ansonsten schlecht genug aus! Was macht deine Leber?«
»Danke alleruntertänigst für gnädige Nachfrage! Es steht nicht zum Besten!« seufzte Fredersdorf, dessen Teint schon eine Färbung ins Gelbliche hatte.
»Sollst die Doktors zum Teufel jagen! Die sind keinen Schuß Pulvers wert! Mach endlich ein Ende mit deinem närrischen Quacksalbern, sonst krepierste meiner Seele aus purem Übermut!« warf Friedrich kurz hin, pfiff seinen Hunden und trat, von ihnen gefolgt, in den Marmorsaal, wo die Generale und Kommandanten harrten, um ihn in den Lustgarten zur Parade und Abnahme der Rekruten zu begleiten.
Draußen wartete schon sein dicker Freund Knobelsdorff, in dichtes Pelzwerk wohlverhüllt. Friedrich ließ ihn aber lange stehen, ehe er geruhte, seine Anwesenheit zu bemerken.
Endlich, nach beendigter Besichtigung der Rekruten, blickte Friedrich ihn an und freute sich im stillen, als er ihn frieren sah.
»Nun, wir sind malade? – Wir haben immer noch Chagrin ob unserer verunglückten Baupläne?! Komm, mon ami, wir wollen dich kurieren! Gehen wir zu Fuß nach unserem Weinberg Vigne hinaus, wo das Haus gebaut werden soll! Suchen wir den Platz aus!«
»Jetzt, bei Schnee und Kälte?!« rief Knobelsdorff entsetzt.
»Der Schnee ist weiß wie das weißeste Papier! Da kannst du deine Linien recht sichtbar ziehen! Und die Fußtour wird deiner Krankheit gut tun!«
Knobelsdorff folgte seufzend. Und der König hatte seine Freude daran, zu sehen, wie er stöhnte und schwitzte.
»Das Schwitzen ist gut vor die Gicht!« sagte er hämisch. »Mir setzt die Krankheit viel schlimmer zu. Ich habe sie mir aber im Kriege geholt und nicht am Schreibtisch wie du!«
Und er fing vom Bau der neuen Bibliothek in Berlin an.
»Da hielt unser guter Jordan neulich eine lange Dissertation, um uns darzutun, daß unser Lateinisch lauter Arabisch sei, und daß die von uns gewählte Devise auf der Fassade nichts tauge!«
Friedrich blieb stehen und stieß mehrmals mit dem Krückstock auf den gefrorenen Boden.
»Wir suchen den Klang und das rhythmische Gleichgewicht! Eine Fanfare und ein Programm! Davon verstehen aber die Herren Lateiner nichts! Ob die Devise richtig ist oder nicht, hingehauen wird sie! Es soll mich freuen, wenn sie den gelahrten Herren recht weh in den Ohren tut! Und wäre meine Devise noch so schlecht – ich wette, sie wird sich länger behaupten als das meiste von dem Geschreibsel, was die in dem Hause aufhäufen werden. Mehr gelesen wird sie auch werden! Nutrimentum spiritus – das ist eben mein Latein!«
Sie waren inzwischen nach dem Weinberg hinausgekommen, blieben auf der Anhöhe stehen und blickten über die Stadt hin, die sich hinter den Bäumen verkroch und aus allen Schloten Rauchsäulen kerzengerade in die klare Winterluft hinaufsandte.
»Hier oben ist der Platz! Wie ich's dir aufgezeichnet habe, so wird's gebaut! Einstöckig; und wenn dich die Gicht dabei noch so sehr plagen sollte! Wir wollen keine babylonischen Türme! Wir mögen das Treppensteigen nicht! Aber in die Sonne wollen wir sehen! Ein Haus mit allen Gemächern nach Süden gelegen – das ist doch ein Problem für einen Baumeister wie dich! Und willst du partout Palastwirkung – meinetwegen holz nur den Hügel ab, gliedere ihn in Terrassen, so viele, wie da Platz haben, mit Gewächshäusern und Tausenden von Glasfenstern, die in der Sonne glitzern! So bleibt's, wie ich's will – und wirkt doch, wie du willst, und wir sind alle beide zufrieden! Da oben, auf der obersten Terrasse, baust du mir aber neben meinem Tuskulum mein Grabgewölbe gleich hin, damit ich weiß, wo ich Ruhe vor den Sorgen der Welt haben werde, wenn ich sie nicht in meinem Hause finden sollte! Immerhin haue mir die Worte ›Sans-Souci‹ auf dem Hause ein, damit die Leute meinen Willen wissen! Schaden wird's nichts!«
Langsam gingen sie den Weg nach dem Stadtschloß zurück, Knobelsdorff versöhnt und der König weniger nervös als vorhin.
Die Uhr ging auf zwölf, und für zwölf war das Diner angesagt.
Der Speisesaal war ein großer, freundlicher Raum zwischen dem Marmorsaal und dem Teezimmer und hatte Fenster nach dem Schloßhof wie auch nach dem gegenüberliegenden Lustgarten.
Der runde Tisch inmitten des Saales war für fünf gedeckt. An einem der Fenster nach dem Schloßhof erwartete der Tafeldecker die Rückkehr des Königs. Im Teezimmer plauderten schon die eingeladenen Gäste: der Generaladjutant Winterfeldt, der Zeremonienmeister Baron von Pöllnitz und der neuernannte Präsident der Akademie, Maupertuis, ein prätentiös aussehender, etwas auffallend gekleideter Herr voll herablassender Würde. Schließlich meldete man ihnen die Ankunft des Königs, der, von Knobelsdorff begleitet, über die große Treppe hereintrat und sich direkt in den Speisesaal begab, ohne sich erst umzukleiden. Der einfache blaue Uniformrock mit den roten Aufschlägen und die hohen Stiefel kontrastierten seltsam gegen die prächtigen Hoftrachten der anderen Herren.
Friedrich nahm sofort Platz, lud mit einer Handbewegung die Gäste ein, seinem Beispiel zu folgen, und fing gleich an, den Baron von Pöllnitz über die Tagesneuigkeiten auszufragen. Insbesondere interessierten ihn die neu angekommenen Fremden, und da wußte Pöllnitz, der über eine schier unerschöpfliche Personalkenntnis verfügte, stets gut Bescheid.
Berlin hatte allerdings schon hunderttausend Einwohner, aber trotzdem gelang es keinem illustren Reisenden, lange unbemerkt zu bleiben. Der Kurier, der die täglichen Briefschaften des Königs nach Potsdam brachte, hatte auch einiges von Interesse mitzuteilen gehabt, was Pöllnitz selbstverständlich gleichfalls längst wußte. Er konnte also aufwarten.
Friedrich ließ ihn, gegen seine Gewohnheit, berichten, ohne ihn zu unterbrechen, aß dabei mit gutem Appetit von seinem Leibgericht, einer stark gewürzten Polenta, und lauschte aufmerksam.
Als Pöllnitz in seinem Resümee den Namen Capello nannte, legte Friedrich die Gabel fort.
» Capello – qu'est ce que c'est?«
»Der Gesandte Venedigs in London, Sire! Ein exzellenter Kavalier! – Ein alter Bekannter von mir!«
»Und der befände sich hier in meinen Landen?«
»Ja! Er ist gestern, auf der Durchreise nach Hause, gemeldet. Wenn Majestät befehlen, werde ich ihn zu veranlassen suchen, hier in Berlin Station zu machen!«
»Wir wollen Ihm die Mühe abnehmen!« sagte Friedrich und flüsterte dem hinter seinem Stuhl stehenden Lakaien einen Befehl zu. Dann wandte er sich wieder zu Pöllnitz.
»Weiter, lieber Pöllnitz!«
Der Baron fuhr in seinem Resümee fort. Alles lauschte gespannt und höchst angeregt, und niemand schien zu bemerken, daß der König schnell einige Zeilen auf ein ihm vorgelegtes Blatt Papier warf, die Schriftzüge mit Sand bestreuen ließ, das Papier zusammenfaltete und es einem an der Tür wartenden Jäger gab.
»Sofort durch Extrakurier dem Staatsminister von Podewils zu senden!«
Dann rieb er sich vergnügt die Hände, trank ein Glas Mosel und nötigte den Zeremonienmeister, zu essen, was jener über seinem Erzählen zu seinem Leidwesen bis jetzt nur oberflächlich hatte besorgen können. Er nahm ihn aber dabei, in einem plötzlichen Anfall von übermütigster Laune, zur Zielscheibe seines Witzes, was den Appetit der anderen Gäste stets zu würzen pflegte und den guten Pöllnitz keineswegs störte.
» Mon cher«, sagte er und wandte sich an Maupertuis. »In Ihrem geistreichen Buche › Vénus physique‹ legen Sie die amüsanten Resultate Ihrer hochinteressanten Kreuzungsversuche vor! Bei der nächsten Edition könnten Sie noch einiges hinzufügen!«
»Und das wäre, Sire?«
»Die Kreuzung zwischen Pöllnitz und einer katholischen Predigerwitwe!«
»Ich gestehe, Sire, wenn Eure Majestät mich über die Kreuzungsmöglichkeit zwischen Papagei und Affe zu interpellieren geruht hätten – ich könnte in keiner größeren Verlegenheit um die Antwort sein!«
»Sehr gut!« lachte Pöllnitz, den Mund voll Geflügel, wischte sich die fettglänzenden Lippen und nippte an dem Burgunder, der in einem schönen Kristallglase vor ihm stand. »Mein Kompliment, Maupertuis!«
»Sie halten also nichts davon?« fuhr der König fort, sich wiederum an Maupertuis wendend.
»Sire, ich würde einen Versuch zwischen so verschiedenartigen Gattungen kaum riskieren! Wenigstens mit meinen Tieren nicht!«
»Die Gattungen sind allerdings sehr verschieden!« lachte der König. »Aber es interessiert mich doch sehr, in Erfahrung zu bringen, wie Pöllnitz, der an gar nichts glaubt, es anstellen würde, den protestantischen Glauben gegen den katholischen umzutauschen!«
»Der Kasus ist schwierig!« lachte Maupertius.
»Aber von großem Reiz! Ich möchte das Experiment anstellen und erteile denn unserem Freunde schweren Herzens den erbetenen Abschied aus meinen Diensten, auf daß er sich dem Witwenstand widme!«
Pöllnitz hörte zu essen auf und blickte Friedrich mit offenem Munde an.
»Majestät hätten wirklich die Gnade?«
»Ich muß wohl, lieber Pöllnitz, da Sie so prompt die Ihnen gestellte Bedingung erfüllen!«
»Ich – ich hätte –?«
»Sie haben mir soeben ein unfehlbares Mittel in die Hand gegeben, den Senat von Venedig zu zwingen, mir in der Angelegenheit der Tänzerin Barberina zu Gefallen zu sein!«
»Nicht, daß ich wüßte –!«
»Sie sind eben ein Genie, lieber Pöllnitz! Sie haben Eingebungen, ohne zu wissen woher! Sie geben sie weiter, ohne zu wissen wie!«
»Sire, wenn ich um die Gnade bitten dürfte, mir zu erklären –!«
»Später, lieber Pöllnitz! Sobald die Sache spruchreif ist, werden Sie der erste sein, der sie weitererzählen darf! Wer weiß – vielleicht schon beim heutigen Konzert! Sie machen mir doch das Vergnügen?«
Pöllnitz bedankte sich überglücklich, denn seine Neugier war größer als sein Abscheu gegen Musik. Das Diner nahm seinen Fortgang. Friedrich war in der heitersten Stimmung, er machte seinem Küchenchef nicht die geringste Änderung in dem ihm vorgelegten Küchenzettel für den nächsten Tag und hob die Tafel erst gegen drei Uhr auf, um sich in sein Schlafzimmer zurückzuziehen und einer kurzen Mittagsruhe zu pflegen.
Nach einer halben Stunde erhob er sich, setzte sich an den kleinen Schreibtisch am Fenster und las laut und bedächtig die frisch geschriebenen Blätter eines französischen Manuskripts von seiner Hand durch. Es waren die »Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg« (» Mémoires pour servir à l'histoire de la maison de Brandenbourg«). Er war eben im Begriff, die Geschichte seines Vaters abzuschließen, und mußte noch einiges über dessen häusliches Leben hinzufügen. Das wurde ihm schwer.
Tagelang stockte die Arbeit bei diesem Punkt. Er fühlte sich nicht unbefangen genug. Wenn er sich wieder in die Vergangenheit vertiefte und die ganzen Leiden seiner Kronprinzenzeit durchlebte, geriet er in eine Aufregung, die ihm den Blick zu trüben drohte. Das ganze gewaltsame Zurückdrängen seiner Neigungen – seine Verzweiflung – sein vereitelter Fluchtversuch, die Leiden im Gefängnis, die Hinrichtung seines Freundes Katte – alles stand ihm wieder lebendig vor Augen, und nicht minder die lange Zeit der allmählichen Aussöhnung mit dem Vater, das schrittweise Eingehen auf dessen Intentionen und das Verheimlichen der eigenen – wobei es bei aller guten Absicht nicht ohne einige Unaufrichtigkeit gegangen war!
Das alles gehörte mit ins Bild! Vergebens rang er seit Tagen mit sich selbst, um sich darüber zu erheben und die unumgängliche Objektivität zu erlangen!
Heute wollte er die Sache zu Ende bringen. Er war nicht der Mann des geduldigen Harrens und Sinnens! Er war der Mann der Tat!
»Wir dürfen der neidischen Mitwelt nicht den Schlüssel unserer Seele ausliefern! Wir leben nicht nur für uns, sondern für das Land! Da dürfen wir nur Taten zeigen, die die Zukunft schaffen – nicht Reflexionen über die Vergangenheit liefern, die's dem Feinde erleichtern, unser Lebensrätsel zu deuten und unsere Taten zu hintertreiben!«
Er tauchte den Gänsekiel ein und setzte ihn zum Schreiben an. Legte ihn aber plötzlich aus der Hand und ging ein paarmal durchs Zimmer, setzte sich dann entschlossen hin und schrieb kurz und gut:
»Wir haben die häuslichen Verdrießlichkeiten dieses großen Fürsten mit Stillschweigen übergangen. Man muß in Anbetracht der großen Tugenden eines solchen Vaters für die Fehler der Kinder einige Nachsicht haben!«
Das war alles!
Die Erinnerung seiner Leiden war verblaßt und in nichts zerflossen neben dem Bewußtsein, machtvoll in das Leben seiner Zeit eingreifen zu können, und neben der Dankbarkeit gegen den Vater, dessen große Tüchtigkeit ihm das ermöglicht hatte. Dieses Mannes Sparsamkeit, sein Ordnungssinn, sein unermüdlicher Fleiß und sein organisatorisches Genie hatten das Preußen geschaffen, das Friedrich zum Sieg führen durfte! Ein wohlgefüllter Staatsschatz, ein streng geordnetes Staatsgebilde, eine schlagfertige Armee – alle Vorbedingungen zur großen Tat hatte Friedrich von ihm empfangen. Der fruchtbare Nährboden künftiger Größe und gloriosen Ruhms war da, wohlgeackert und in gutem Stand! Das wog alles andere auf!
Schon hatte er Schlesien erobert, die Karte Europas umgestaltet – er hatte Österreich niedergerungen, das Ansehen seines Hauses gehoben – er hatte schon Geschichte gemacht!
Er griff noch einmal zur Feder.
»Machen wir Geschichte, so sollen die Federfuchser sie uns nicht verderben! Wir haben selbst alle Fäden in der Hand! Können sie also selbst am besten entwirren!«
Er schrieb den Titel: » Histoire de mon temps«, ließ dann aber die Feder wieder sinken.
Noch war's zu früh! Die Tat war getan! Aber noch wob der Neid der andern sein Fangnetz immer dichter um ihn her! Noch stand er Gewehr bei Fuß, um seine Eroberung zu schützen! Sicherlich würde er noch um sie zu kämpfen haben!
» Eh bien!« sagte er, »zweimal erobern! Dreimal, wenn's sein muß! Aber nur einmal beschreiben!«
Er warf das Blatt beiseite, schlug auf die Tischglocke und befahl dem Lakaien, den Privatsekretär zu rufen.
Dieser trat ein, nahm an dem anderen Schreibtisch Platz, spitzte seinen Gänsekiel und legte ein Blatt Papier zurecht.
Der König ging auf und ab, blieb dann und wann stehen und diktierte einen Abschiedsbrief an den jungen Herzog Karl Eugen von Württemberg, der die letzten Jahre bei ihm gelebt hatte und jetzt, sechzehn Jahre alt, für mündig erklärt wurde und in sein Land zurückkehrte.
»Denken Sie nicht, das Land Württemberg sei für Sie geschaffen, sondern glauben Sie, daß die Vorsehung Sie hat geboren werden lassen, um das Volk darin glücklich zu machen. Ziehen Sie immer den Wohlstand desselben Ihren Vergnügungen vor. Wenn Sie schon in Ihrem zarten Alter Ihre Wünsche dem Wohl Ihrer Untertanen aufzuopfern wissen, so werden Sie nicht nur die Freude Ihres Landes, sondern auch die Bewunderung der Welt sein –«
So weit kam er im Diktat, da klopfte es an der Tür, und der Kurier trat ein, machte Honneur und überreichte dem König auf dem Hut einen Brief.
»Von Seiner Exzellenz dem Staatsminister von Podewils!«
Friedrich nahm den Brief, las ihn rasch durch, hieß den Kurier gehen und wandte sich dann an den Privatsekretär.
»Du sollst an unseren Gesandten in Wien, den Grafen Dohna, privatim schreiben, er soll dem Gesandten Venedigs sofort in unserem Auftrage mitteilen, wir hätten den Gesandten der Republik am Hofe von England, der sich auf der Durchreise in unseren Staaten befindet, aufheben und festnehmen lassen mitsamt seinem Gepäck! Er möge es dem Senat von Venedig mitteilen! Weiter ist nichts nötig! Der Kurier geht noch heute ab!«
»Zu Befehl!«
»Der Senat wird sich beeilen, unser Wohlgefallen wiederzugewinnen«, sagte Friedrich halb für sich selbst und blieb dann stehen.
»Weiter den Brief an den Herzog Karl Eugen!«
Der Sekretär legte das angefangene Blatt wieder zurecht und tauchte seine Feder ein. Friedrich diktierte weiter.
»Sie sind das Oberhaupt der bürgerlichen Religion in Ihrem Lande, die in Rechtschaffenheit und allen sittlichen Tugenden besteht! Es ist Ihre Pflicht, die Ausübung derselben, besonders der Menschlichkeit, zu fördern, welche die Haupttugend jedes denkenden Geschöpfes ist. Die geistliche Religion überlassen Sie dem höchsten Wesen! In diesem Stück sind wir alle blind und irren auf verschiedenen Wegen. Wer unter uns wäre so kühn, daß er den rechten Weg bestimmen wollte! Hüten Sie sich also vor dem Fanatismus in der Religion, der Verfolgungen bewirkt!«
Dann noch die üblichen Höflichkeitsphrasen – die Unterschrift im Stehen hingekratzt, und der Sekretär wurde entlassen.
Die Kabinettssekretäre traten ein mit den fertigen Antworten auf die am Morgen eingegangenen Briefe und legten sie dem König zur Unterschrift vor. Und dann war die Arbeit des Tages beendigt.
Michaelis meldete, daß alles zum Konzert bereit sei, und half dem König, sich zurechtzumachen. Friedrich nahm seine Flöte, suchte die Noten zusammen und ging durch das Schreibzimmer in den Musiksaal hinaus, wo eine kleine, aber auserlesene Gesellschaft wartete, vom Schein der unzähligen Kerzen des Kronleuchters überflutet.
Er verteilte die Stimmen unter die Musiker, tauschte ein paar scherzhafte Worte mit Meister Graun aus, der am Flügel saß, ging an sein Pult und gab das Zeichen zum Beginn.
Alles lauschte andächtig – die alten Generale ganz gehorsamst, als gälte es eine Ordre de bataille zu empfangen. Pöllnitz litt unsägliche Qualen.
Nach Beendigung des Konzertes ging Friedrich hin und klopfte ihm mit der Flöte auf die Schulter.
»Nun, Pöllnitz, habe ich auch einen Ohrenschmaus für Ihn! Seinen Freund Capello, den Er so gern in Berlin sehen wollte, habe ich aufheben und in festen Gewahrsam bringen lassen! Das war eine gute Idee von Ihm!«
»Von mir?« rief Pöllnitz entsetzt, »Majestät verzeihen, aber –«
»Ich weiß«, unterbrach ihn Friedrich, »Er hat mich nicht direkt darum gebeten. Vorsichtig wie immer, hat Er sich mit Andeutungen begnügt! – Ich glaube sogar, Er hat weiter nichts als seine Durchreise erwähnt! Das genügt aber, damit ich weiß, was ich tun soll! Er hat mich also gut bedient! Denn jetzt werden wir bald das Vergnügen haben, die Pirouetten der schönen Barberina hier zu bewundern – dank Seiner Findigkeit, Pöllnitz!«
»Ich versichere aber –«
»Gebe Er sich keine Mühe! Ich glaube Ihm doch keine Seiner Versicherungen! Er hat aber Pech, daß Er nicht dabeisein kann! Als Connaisseur und Verehrer Terpsichores würde Er sicher auf Seine Kosten kommen! Nun – Er hat ja Seine reiche Witwe! Wer weiß, was für Sprünge die Ihm macht!«
Und damit drehte er dem Zeremonienmeister den Rücken, legte die Flöte auf sein aus Schildpatt und Perlmutter angefertigtes Notenpult nieder und befahl das Souper.