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Wie gegen die Ehescheidungsreform, so kämpft die Zentrumspartei auch mit aller Macht gegen die Aufhebung des Ehebruchsparagraphen, und wenn das Zentrum sich einer Sache widersetzt, so kann man Gift darauf nehmen, daß es Sieger bleibt. Es hat also keinen Zweck, hier persuadieren zu wollen, denn bei der Auseinandersetzung mit den frommen Herren wird sich immer wieder eine weitgehende Übereinstimmung in aktuellen politischen Dingen ergeben, aber auch ein ganz breites Auseinanderfallen in den sogenannten Weltanschauungsfragen. Daß das Zentrum treu zu Schwarzrotgold hält, ist ausgezeichnet, aber auf die Dauer läßt sich die Erkenntnis nicht verhindern, daß dieser koloristische Gleichklang durch ständige Konzessionen in Fragen weniger dekorativer Art teuer, allzu teuer erkauft werden muß. Selbstverständlich wissen auch die geistlichen Berater des Zentrums, daß sich die Moralanschauungen seit der Blütezeit der patristischen Literatur etwas gewandelt haben, aber es benutzt sehr geschickt die Hilflosigkeit der demokratischen Republik, um ihr kulturelle Gesetze zu diktieren, die schon gestern unmöglich waren und heute vollends außerhalb jeder Diskussion stehen sollten.
Wenn die Kirche auch dogmatisch festgelegt ist, so hat sie doch immer wieder verstanden, gegenüber einer Macht, die ihr entschlossen die Zähne zeigte, rechtzeitig einzuschwenken. Dann werden zwar die Glaubenssätze nicht gleich verbrannt, aber man macht damit nicht mehr so viel her. Zwar mußte Galilei abschwören, aber dafür wirkt heute auch ein Priester als Direktor der römischen Sternwarte, und wenn auch Darwin auf dem Index steht, so hat doch der Jesuitenpater Waßmann jahrelang in populären Vorträgen seine Theorien verbreitet. Man sieht, wo die Kirche einer unaufhaltsamen Entwicklung gegenüberstand, da zog sie der folgenschweren Auseinandersetzung stets das Arrangement im Stillen vor. Die eine Voraussetzung besteht allerdings: – es muß eine Macht vorhanden sein, ein Widerstand, der als tatsächlich empfunden wird. Das Verhalten der Liberalen und Sozialisten von heute aber ist nicht geeignet, auf den Klerikalismus Eindruck zu machen. Zugunsten der sogenannten großen politischen Forderungen wird die Strafgesetzreform von oben bis unten mit einer katholischen Ethik imprägniert, die eine grelle Persiflage heutiger Lebensverhältnisse bedeutet.
Besonders empörend sind die Versuche der schwarzen Partei, ein abscheuliches mittelalterliches Monstrum wie den Ehebruchparagraphen zu konservieren. Gradezu grotesk aber werden diese Versuche angesichts des schwer bestreitbaren Faktums, daß hiervon nicht wie sonst bei der Verfolgung von Handlungen, die als strafwürdig gelten, eine Minderheit betroffen wird sondern offensichtlich die große Mehrheit des Volkes – offensichtlich, wenn man sich entschließt, die Wirklichkeit ohne Scheuklappen zu sehen. Wenn das katholische Muckertum noch immer tut, als handle es sich hier um Einzelfälle, die durch ein Abschreckungsgesetz sogar noch vermindert werden können, so muß der gesunde Menschenverstand endlich die Gegenfrage aufwerfen nach den wenigen kostbaren Exemplaren beiderlei Geschlechts, die noch niemals neben die Ehe gegangen sind. Ich glaube, man könnte, wenigstens für Groß-Berlin, diese machtvolle Demonstration in der Granitschale im Lustgarten sammeln, und außerhalb unsres odiosen deutschen Babylons sieht es nicht anders aus, nur daß vielleicht etwas mehr Komödie gespielt wird.
Da es aber unmöglich ist, eine Majorität einzubuchten, hat der Gesetzgeber in seiner abgründigen Pfiffigkeit von einer Verfolgung ex officio abgesehen und die strafrechtliche Ahndung dem »gekränkten Gatten« anheimgestellt. An die Stelle der majestätischen Gleichheit des Gesetzes ist also das persönliche Ressentiment getreten. Wer sich den Besitz eines Menschen nicht sichern konnte, der darf ihn jetzt, weil er einmal der ehelichen Voliere entschlüpft ist, nicht nur verstoßen sondern auch für ein paar Monate ins Gefängnis bringen. Die Moralisten halten diesen Zustand für sittlich einwandfrei.
Wenn der Gesetzgeber also einen Ausflug aus der Ehe für ein kriminelles Delikt hält, dann soll er wenigstens gerecht sein und die Verfolgung obligatorisch machen. Wenn die Ehebrecher erst eingefangen werden wie die Langfinger, wenn zur Erlangung eines Pärchens, das mal irgendwo in unerlaubtem Beisammensein gesehen wurde, ein Apparat entfaltet wird wie für den düsseldorfer Lustmörder, dann wird man seine Wunder erleben, was für feine Herrschaften die Polizeireviere füllen werden. Dann wird es aber auch Massenpetitionen wie noch nie setzen, den gräßlichen Paragraphen verschwinden zu lassen, und obgleich ich nicht gern wette, diesmal riskiere ich jeden Betrag, daß auch die Unterschriften von Zentrumsnotabeln und Vorsitzenden katholischer Frauenvereine nicht fehlen werden.
In allen Kulturdingen ist es in Deutschland muffig und faul geworden. Keine Kampfstimmung mehr. Der Liberalismus zählt entgeistert die wachsende Zahl der Windjacken und vergißt darüber die schwarzen Röcke. Die heilige Kirche hat im Laufe ihrer langen wechselvollen Geschichte die Gebresten der Zeit auch nicht immer mit der gleichen Härte verfolgt, sie hat, wenn es sich um vornehme Beichtkinder handelte, das Laster oft mehr mit der Puderquaste gegeißelt als mit der Stachelpeitsche und im ganzen die schweren Pönitenzen dem niedern Volk vorbehalten. Diese Zweiteilung aber lehnen wir freundlichst ab. Die heutigen gesellschaftlichen Formen sind gründlich demokratisiert, großenteils proletarisiert. Die Frau »gehört« nicht mehr dem Herrn, mit dem sie gemeinschaftlich ein Ehezertifikat unterschrieben hat, sie ist ein arbeitender Mensch geworden mit Verfügungsrecht über sich selbst. Der Begriff der Adultera, ob in eifernder Verhetzung oder romantischer Verherrlichung gebraucht, ist dahin und tot wie die Beichtmoral vom Escorial oder von Schönbrunn. Die katholische Partei will das »Sakrament der Ehe« retten –? Es gibt nur noch ein großes Sakrament, für das es zu leben und zu kämpfen gilt: das ist die Menschheit.
Die Weltbühne, 3. Dezember 1929