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Mitte Dezember ist der Chefredakteur der ›B. Z. am Mittag‹, Doktor Franz Höllering, plötzlich seines Postens enthoben worden. Der Fall ist in allen deutschen Redaktionen leidenschaftlich erörtert worden, trotzdem hat, von rechtsradikalen und sozialistischen Blättern abgesehen, nirgendwo eine Notiz darüber gestanden. Denn die Presse schreibt bekanntlich nicht über sich selbst. Höllering galt, wie kaum ein Zweiter, für die Leitung eines großen Boulevardblattes qualifiziert, dessen entscheidender Dienst sich in einer ungeheuer aufreibenden und spannenden Vormittagsstunde zusammendrängt. Als Chef der ›B. Z.‹ hat Höllering eine schnelle und elegante Hand bewiesen, er hat ein in gutem Sinne aktuelles Blatt gemacht. Weshalb also diese überraschende Verstoßung?
Höllering hat bei Münzenberg angefangen. Daran hat bis vor einiger Zeit niemand Anstoß genommen. Im Gegenteil. Als Höllering in das Haus Ullstein geholt wurde, zunächst in den Bühnen-Verlag, da brauchte man einen Verbindungsmann nach links, der Beziehungen zur jungen Literatur hatte, denn damals kokettierte man noch mit dem Kulturradikalismus. Inzwischen ist die Schwenkung erfolgt, inzwischen sind auch, vor etwa vierzehn Tagen, die Richtlinien des Vorstandes an alle Redaktionen des Hauses ergangen, in denen der neue reaktionäre Kurs festgelegt wurde. Heute ist man eifrigst bemüht, alle Spuren einer republikanischen und kulturradikalen Vergangenheit zu verwischen. Heute riskiert man lieber langweilig zu sein, als den Anstoß der regierenden oder morgen vielleicht regierenden Mächte zu erregen. Vor einiger Zeit hat hier Heinz Pol seinen Abgang von der Redaktion der ›Voß‹ geschildert. Der Fall Höllering bedeutet in dem Abstieg eines großen liberal-demokratischen Zeitungshauses eine weitere traurige Etappe. Ullsteins Abmarsch zur gelben Presse hat begonnen.
Es ist nach Höllerings Absetzung sofort öffentlich behauptet worden, den Anlaß dazu habe eine Beschwerde des Reichswehrministeriums beim Verlag gegeben, weil ihm die großaufgemachte Meldung über Hitlers Luftflotte nicht in den Kram gepaßt habe. Der Verlag Ullstein hat sofort heftig dementiert, und wir wollens hinnehmen, denn so grob dürfte sich das wohl nicht abgespielt haben. Es ist auch kaum anzunehmen, daß ein Herr aus dem RWM mit Helm und Schleppsäbel beim Verlag erschienen wäre, um dort Groeners Gravamina vorzubringen. Solche Fäden werden feiner gesponnen. Es ist nicht unbekannt, daß man in der Wilhelm-Straße von dem linksradikalen Chef der ›B. Z.‹, der das Blatt möglichst unabhängig halten wollte, nicht entzückt war. Diese Stimmungen müssen sich allmählich auf den Verlag übertragen haben.
Im vergangenen Sommer wurde die ›B.Z.‹, wie hier im einzelnen nicht rekapituliert werden soll, von dem »Reichspressechef« Zechlin mit einer sogenannten Zwangsauflage bedacht, die zwar von den Ullsteinblättern einmütig zurückgewiesen wurde, bei den Verlagsspitzen jedoch die Stellung des Chefredakteurs der ›B.Z.‹ nicht gefestigt zu haben scheint, und weiter wurde ihm auch die ausführliche Berichterstattung und entschlossene Parteinahme im Weltbühnen-Prozeß unangenehm vermerkt. Der Verlag Ullstein kann über Groeners angebliche Intervention gut Dementis loslassen. Nicht dementieren kann er dagegen, daß Höllering nach dem Erscheinen jener Nummer der ›B. Z.‹, in der die Nachricht über Hitlers Luftstreitkräfte enthalten war, von seiner Ablösung unterrichtet wurde. Der Verlag hätte übrigens in sein Dementi ein viel triftigeres Argument hineinbacken können. In berliner Zeitungskreisen weiß man nämlich recht gut, daß schon eine Woche vor der Abberufung Höllerings ein hervorragender Mitarbeiter der ›Voß‹, Herr Doktor Reinhold, von Herrn Staatssekretär Pünder gesprächsweise erfahren hatte, daß die ›B.Z.‹ jetzt endlich einen andern Chef bekomme und zwar gleich wen. Herr Reinhold war darüber äußerst bestürzt, denn niemand, und Höllering zu allerletzt, wußte davon. Aber ein hoher Beamter war schon eine Woche vor dem Krach unterrichtet. So war also die Neubesetzung der Chefredaktion in der ›B. Z.‹ schon eine im Stillen beschlossene Sache, und, ob mit oder ohne Intervention aus der Bendler-Straße, – der Verlag fand die Veröffentlichung über Hitlers Luftmarine als den zum Bruch geeigneten Anlaß. Und am 17. Dezember schreibt das Zentralorgan der Nazis so triumphierend, als hätte es selbst eine Schlacht gewonnen: »RWM gegen Wehrverräter im Hause Ullstein... Wenn sich das RWM mit Recht endlich gegen den fortgesetzten Landesverrat der berliner Asphaltliteraten zur Wehr setzt, so ist das nur zu begrüßen.« Kein Vernünftiger bezweifelt, daß Ullsteins Dementi wenigstens in formaler Hinsicht wasserdicht ist. Aber vor dem nationalsozialistischen Jubel darüber ist nur zu fragen: Wer freut sich darüber? Cui bono?
Man muß hier allerdings, um die Abneigung des Verlags gegen militärpolitische Themen ganz zu verstehen, etwas Wichtiges einflechten: es schweben nämlich noch zwei Landesverratsverfahren gegen Ullsteinredakteure. Wenn diese Verfahren auch kaum jemals zu Prozessen gedeihen werden, so genügen sie doch, um eine Zeitung unter Druck zu halten. Und damit kommen wir zu einer besonders heitern Methode, Blätter mit unbequemen kritischen Anfällen zu terrorisieren. Man macht wegen irgendwelcher Bagatellen einfach eine Anzeige, die hängt dann wie ein spitzes Messer über dem Haupt der Redaktion. Sie wird, wenn sie wieder was gegen die Reichswehr hat, sich die Sache beim nächsten Mal überlegen. Das RWM versteht nun zwar nicht die Bohne von der Presse, dennoch manches von der Psyche der deutschen Zeitungsverlage. Die Mehrzahl unsrer Zeitungsverleger ahnt nicht, was für eine Macht sie repräsentiert. Bei einem Konflikt zwischen ihren Redakteuren und einer Behörde, und namentlich einer militärischen, siegt ihre Servilität, und der Skalp des Redakteurs wird still verhandelt. Lieber Gott, man muß Beziehungen zu höhern Stellen aufrechterhalten! Außerdem wünscht man sich ein reputierliches Blatt, und Landesverrat hört sich wirklich nicht schön an, und nachdem im Weltbühnen-Prozeß nun sogar wegen Spionage verdonnert wurde, wird man künftighin alle Militärkritik lieber ganz beiseite lassen. Nicht an das allzu prunkvolle Haus in der Tiergartenstraße, an das Reichsgericht in Leipzig gehört die goldene Inschrift: Der Deutschen Presse.
Der Verlag Ullstein mag dementieren, daß Höllering dem schäumenden Acheron in der Bendler-Straße geopfert worden sei. Nicht dementieren kann er die zunehmende Laschheit aller seiner Blätter. Nicht dementieren kann er die Tendenz, die in der Wahl von Höllerings Nachfolger liegt, der dem Staatssekretär Pünder schon acht Tage vor dem Krach bekannt war. Das ist Herr Fritz Stein, Vertreter des ›Hamburger Fremdenblatts‹ in Berlin, der Sohn des alten Irenäus von der ›Frankfurter Zeitung‹. Ein Journalist, der weder schreiben kann noch durch Reporterbegabung oder Einfälle glänzt. Eine Couloirexistenz, ein Pimperl Wichtig, das immer dort Posto faßt, wo sich zwei Minister unterhalten. Eine gefällige Schallplatte der Wilhelm-Straße, ohne Kenntnisse, Meinungen, Überzeugung. Ein Mann der Beziehungen, von der Gunst von Ministern, Staatssekretären und Pressedirigenten getragen.
Zugegeben, daß grade die Lage der liberal-demokratischen Presse in dieser Zeit recht prekär ist. Wirtschaftlichen Liberalismus gibt es nicht mehr, eine bürgerliche Linkspartei gibt es nicht mehr, die alte Leserschicht stirbt aus oder proletarisiert. Die Zeitungsverleger starren fasciniert auf die Erfolge der rüden, schlecht gemachten rechtsradikalen Gassenjournale mit ihren kreischenden Schlagzeilen, das hat vielen von ihnen gründlich den Kopf verdreht, und sie möchten jetzt auch so etwas Ähnliches haben. Bei Ullsteins heißt das Ideal: ein ›Völkischer Beobachter‹ mit der Genehmigung des Rabbinats, von Brüning ebenso geschätzt wie von Braun und auch von den Kommunisten gern auf der Straße gekauft; ein Bastard von Goebbels und der Tante Voß. Da sich dieses bizarre Verlagsideal nicht leicht verwirklichen läßt, behilft man sich einstweilen mit einem reichlich chimärischen »innern Gleichgewicht«; man dämpft, man retuschiert, man untersagt der ›Voß‹ etwa den Gebrauch des Wortes »Nazi«, um die Leute »nicht unnütz zu reizen«. Und bei dieser Taktik werden die Blätter immer langweiliger und ein immer schlechteres Geschäft. Denn so rächt sich dieser Zitterkurs. Die ›Morgenpost‹, die früher immerhin einigen politischen Nutzen brachte, sinkt unter dem Druck von oben in hoffnungslose Vernulpung. In der ›Vossischen Zeitung‹, die mit Bernhards Ausscheiden aufgehört hat, ein international beachtetes Blatt zu sein, läuft Herr Elbau schusslig herum und kämpft radikale Anwandlungen von Kollegen mit dem geflügelten Wort nieder: »Aber, meine Herren, wir sind doch kein jüdisches Blatt!« Die ›B. Z.‹ hat mit Höllering Haltung und Farbigkeit verloren, und das ›Tempo‹ soll nach einem Gerücht, das wir nicht kontrollieren können, ganz eingezogen werden. Mißerfolge überall, klatschende Ohrfeigen, die die Wirklichkeit konfus gewordenen Kaufleuten verabfolgt, die sich einbilden, daß Charakterlosigkeit allein schon Pressesiege gewährleistet. Die kommunistischen und nationalsozialistischen Blätter triumphieren und drücken die Auflagen der Ullsteinblätter ständig herunter, und außerhalb Berlins beweist der pazifistische und republikanische ›Dortmunder Generalanzeiger‹, daß auch für ein handfestes bürgerliches Demokratenblatt die Zeit noch nicht vorüber ist, wenn es nur den Mut der Überzeugung hat. Denn der Zeitungsleser von heute will vor allem Klarheit und Präzision und nicht Drumherumreden, keine Halbheiten sondern ganze Tatsachen. Vor allem aber nicht dieses perfide Schielen nach der andern Seite der Barrikade, wie es den Ullsteinblättern von ihrem Verlag anerzogen wird.
Welch eine Instinktlosigkeit, farblos und schlecht getarnt durch eine überpolitisierte Zeit schlüpfen zu wollen! Nicht einmal vor ihren kläglichen Abschlüssen fühlen diese angeblichen Fachleute der öffentlichen Meinung, aus welchen Gründen sie ins Hintertreffen kommen.
Dabei verfügt das Haus Ullstein über eine Reihe der vorzüglichsten redaktionellen Potenzen, mit denen sich schon aktuelle, auf die Zeit lebendig reagierende Blätter machen ließen. Aber alles ist überorganisiert, verschachtelt, der Mangel an Initiative verschanzt sich hinter einer höchst selbstbewußten Direktorial-Hierarchie. Es gibt einen Aufsichtsrat, in dem ist ausschließlich die Familie Ullstein vertreten, und es gibt einen Vorstand, in dem sind alle Sparten des Hauses vertreten – mit Ausnahme der Redaktionen. Die haben nicht mitzureden, über die wird einfach verfügt, die dürfen aufhellende Bemerkungen schreiben über die Pariastellung des geistigen Arbeiters in Rußland.
Überall in der bürgerlichen Presse versinkt heute der alte Zustand, daß der Verleger, der Herr der Produktionsmittel, im Rahmen weitgehaltener politischer Direktiven den Redakteuren die Meinungsfreiheit und individuelle Betätigung gewährt. Es geht hart auf hart. Kann ein kapitalistischer Unternehmer in seinem Namen antikapitalistische Politik machen lassen? In manchen alten Zeitungshäusern wird dieser unvermeidliche Prozeß durch eine gediegende Tradition, durch ererbte Achtung vor geistigen Leistungen wattiert; aber aufzuhalten ist er nicht. Reguliert werden kann dieser Prozeß nur durch die Intelligenz des Verlegers, der begreift, daß Redakteure, die ständig gezwungen sind, wider ihre bessere Überzeugung zu arbeiten, naturgemäß ein mattes, verdrießliches Blatt machen müssen. Diese Erleuchtung fehlt dem Verlag Ullstein ganz und gar, er ist in diesem großen Hause das einzige, was nicht auf der Höhe ist.
Der Familienkonflikt mit seinen romantischen Episoden ist beendet. Die feindlichen Verwandten, die sich gestern noch am liebsten abdolchen wollten und mit ihren Redakteuren einen muntern Partisanenkrieg gegeneinander führten, kleben wieder fest und treu zusammen. Der alte Doktor Franz Ullstein ist als müder Mann zurückgekehrt, er hat zwar seine Prozesse gewonnen, seine Schlachten, aber nicht den Krieg. Er hat an den Zuständen, wie sie sich während des Interregnums der jüngeren Herren entwickelten, nichts geändert und wird daran nichts ändern. Der eigentliche Sieger, der eigentliche Herr des Hauses, heißt heute Heinz Ullstein. Damit ist die dritte Generation endlich ans Ruder gelangt, der es von Gott in die Wiege gelegt worden ist, das zu verpuffen, was die Väter mühsam gesammelt haben. Das ist der alte Kreislauf. So ist es bei allen Dynastien, bei denen des Geldes nicht anders als bei denen des Blutes. Am Ende steht der ewige Infant, der blasierte junge Mann, ohne Achtung vor Menschen, Ideen, Arbeit, Leistung. Immer halb interessiert, halb gelangweilt, innerlich beteiligt nur an subalternem Theaterklatsch. Nur durch die Art, wie Heinz Ullstein sich während des Familienzanks unauffällig an das zentrale Schaltwerk heranintrigierte, um schließlich dort zu verbleiben, hat er bewiesen, daß doch etwas von ererbtem kapitalistischem Machttrieb in ihm steckt.
Wenn ich diese Interna eines großen Zeitungshauses hier darzulegen versuche, so handelt es sich für mich nicht um Franz und Heinz, sie mögen sich lieben oder die Augen auskratzen, mir ists gleich, und auch nicht um ein Plaidoyer für Höllering. Diese persönlichen Dinge dienen nur zur Deutlichmachung der ungeheuern Schwierigkeiten, in denen sich die deutsche Linkspresse befindet. So drohend der düstere Engel der Staatszensur im Hintergrund wacht, noch größer ist die Gefahr, daß eingeschüchterte oder willfährige Verleger von sich aus die Arbeit der Zensur vorwegnehmen und Wahrheiten unterdrücken, die den herrschenden Gewalten von heute oder morgen unbequem sein können. Die Zeitungsherren wollen, wie das nur natürlich ist, die Konjunktur, den Boom, aber dann müssen sie auch etwaige harte politische Konsequenzen tragen. Es geht nicht an, daß sie die Fahne, die sie in friedlichen Zeiten hochgehalten und ihren Lesern vorangetragen haben, wenn die Luft dick wird, in der Garderobe abgeben, um den Heldenkeller zu beziehen und dann ganz ruhig zu erklären: Eigentlich sind wir doch ein rein geschäftliches Unternehmen, und Politik geht uns praktisch nichts an! – während oberhalb der betonierten Unterstände jene Überzeugungen, die von der desertierten Presse erst richtig verbreitet worden sind, mit Kartätschen behandelt werden. Kein vernünftiger Mensch wird seiner Zeitung deswegen die Freundschaft kündigen, weil sie einmal danebenhaut, weil sie, im Berufsjargon gesprochen, einmal schief liegt, aber verlangen kann und muß er von ihr, daß sie in der Stunde der Gefahr richtig steht.
Man wird mir vielleicht entgegenhalten: Warum so viel Aufwand um Höllering? Ist es nicht gleichgültig, wer Chef eines politisch kaum verpflichteten Boulevardblattes ist? Darauf habe ich zu erwidern: niemand, der nicht der Presse beruflich verbunden ist, kann die Tragweite des Falles Höllering beurteilen. Was in den großen berliner Blättern geschieht, wird richtunggebend für die ganze Provinz. Jeder Redakteur eines annoch republikanischen bürgerlichen Blattes wird sich danach fragen, ob er es noch in Zukunft wird wagen dürfen, eine Nachricht zu bringen, die Hitler unangenehm ist und vielleicht sogar ein Stirnrunzeln hoher militärischer Stellen hervorruft. Der Verleger aber wird sich sagen: Aha, wenn die in Berlin schon so vorsichtig sind, warum soll ich mir Läuse in den Pelz setzen? Und wenn wieder einmal ein Dokument à la Boxheim gefunden oder ein neues Waffenarsenal der Fascisten entdeckt werden sollte, dann werden die Blätter zu zählen sein, die davon überhaupt Notiz nehmen werden. Das sind die unerhört weitreichenden Folgen des Falles Höllering, und deshalb ist das Verhalten des Hauses Ullstein in dieser Sache mehr als ein Irrtum deroutierter Geschäftsleute. Es ist die skandalöseste Kapitulation vor dem Nationalsozialismus, die bisher zu verzeichnen war. Es ist ein Verbrechen an der deutschen Pressefreiheit, mitten in ihrer schwersten Krise.