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Die Revolution ist zu Ende. Sie ist nicht zugrunde gegangen an inneren Widerständen, nicht dem Kugelregen der Noske-Truppen erlegen. Der konterrevolutionäre Akt der modernen Geschichte, der Versailler Friede, hat sie zerschlagen. Indem er Deutschland aus der Reihe der großen Wirtschaftsstaaten stieß, es territorial zerstückelte und der Suprematie des westeuropäischen Kapitalismus unterstellte, traf er auch den Lebensnerv der hochentwickelten deutschen Arbeiterbewegung, zerstörte er den Körper gleichsam der deutschen Revolution, zurück blieb die Idee, ein flatterndes Seelchen, ohne Gehäus von Fleisch und Blut. An dem Dokument von Versailles hat die deutsche Revolution sich zerrieben, sich aufgelöst in eine Kette von kleinen Hungerrevolten. Und damit mußte auch das, was man einmal ihre »Errungenschaften« nannte, sich in ein Nichts auflösen. Geblieben ist nur die Republik.
Darin liegt ein sehr wertvolles Kriterium. Denn schließlich verschwindet nur das mangelhaft Fundierte, das der natürlichen Entwicklung Vorweggenommene. Die Rätediktatur, wo sie sich über Nacht einnistete, verschwand schnell, wenn es Tag wurde. Die demokratische Republik, obgleich oft genug vom Kampfgeschrei umtost, hat sich behauptet. Das sollte denen ernsthaft zu denken geben, die in dem Siege der deutschen Demokratie so etwas sehen wie eine schnell vergehende Improvisation, einen Irrtum der Weltgeschichte. Die Republik ist nicht gekommen, weil in Kiel Matrosen meuterten, oder Herr Emil Barth mit Joffes Rubelnoten einen Möbelwagen voll Pistolen kaufte, oder Wilhelm II. zu zaghaft war, um die Krone mit der Waffe zu verteidigen. Sie ist gekommen, weil das alte System reif zum Schnitt war. Weil der Dreiviertelabsolutismus aus Bismarcks Tagen, von den dilettantischen Händen des letzten Kaisers weitergeführt, längst zum komischen Anachronismus geworden war. Vielleicht hätte die Einführung des parlamentarischen Systems vor mehr als zwanzig Jahren die Katastrophe abwenden können. Im Oktober 1918 war es zu spät. Blicken wir heute zurück, so müssen wir leider konstatieren, daß das Kaisertum uns nichts zurückgelassen hat als einen Trümmerhaufen und ein politisch schlecht erzogenes Volk. Ein Volk, das gewohnt war, am Gängelband geführt zu werden. Ein Volk, das in seiner großen Mehrheit mit der ihm plötzlich zugefallenen Freiheit nichts Rechtes anzufangen versteht und die Rechte, die es sich nicht erkämpft hat, teils argwöhnisch, teils offen feindselig, teils gleichgültig betrachtet.
Vier Jahre Republik! Wer es unternimmt kritisch zu werten, darf nicht zuerst die Frage stellen: was hat sie geleistet? sondern: womit ist sie belastet? Außenpolitisch ist sie gezwungen, die ungeheuerliche Schuldenlast abzutragen, die der Krieg hinterlassen hat, innenpolitisch findet sie ein durch den Kaiserismus verdorbenes Volk vor. Sie hat also die Doppelaufgabe, zu handeln und zu erziehen. Es soll und darf uns am republikanischen Ideal nicht irre machen, daß sie bisher weder dem einen noch dem anderen gerecht geworden ist. Aber ausgesprochen muß es werden.
Keine Vogelstraußpolitik! Indem wir die der Republik durch die Zeitverhältnisse mit unbestechlicher Folgerichtigkeit gezogenen Grenzlinien feststellen, können wir sie erst wirklich beurteilen.
Unabhängig von dem jedoch, was ihr aufgezwungen und folglich ihr Wesen beeinträchtigt, muß der Vorwurf gegen sie erhoben werden, daß sie es nicht verstanden hat, genügende Werbekraft zu entfalten. Man werfe doch nicht ein, daß aus Angst vor dem Chaos, in das uns schlechte monarchische Abenteurer hineinhetzen könnten, immer mehr rechtsbürgerlich gerichtete Kreise ihre Opposition gegen die Republik zeitweilig einstellen. Es kann einer neuen Staatsform doch nicht darauf ankommen, vorübergehende Anerkennung vom grundsätzlich Widerstrebenden zu gewinnen; eine Anerkennung, die durch bestimmte Umstände bestimmt und schleunigst zurückgenommen wird, wenn diese nicht mehr vorliegen. Wenn Herr Oberst a.D. X. sich nicht mehr freut, wenn er von der Ermordung eines republikanischen Ministers hört, wenn der Großindustrielle Y. einsieht, daß die Republik notwendig ist für die Verhandlungen mit dem Weltmächten, so ist das sicherlich ganz erfreulich. Aber was ist bisher geschehen zur Heranbildung eines Stammes von Republikanern, die bereit sind, mit Kopf und Herz für ihre Idee einzustehen, ihr, wenn nötig, die Treue mit dem Blute zu besiegeln?!
In Verwaltung, in Armee, in Schule und Kirche, überall bleibt der Republikaner eine isolierte Erscheinung. Er ist jeder Schikane, jeder Benachteiligung, jeder Verfolgung ausgesetzt. Er weiß keine Staatsgewalt hinter sich. Er empfindet nur, daß das Wirken für die Republik ein Arbeiten pour le roi de Prusse ist. Es fehlt dieser Republik in hohem Maße der Sinn für Kameradschaftlichkeit, das Gefühl für das Grundgesetz aller Demokratie: Alle für Einen und Einer für Alle! Es fehlt an innerem Zusammenhang, fehlt an geistiger Haltung und vor allen Dingen an begeisternden Parolen. Die Republik ist unsichtbar. Sichtbar wird nur die Wilhelmstraße, dieses absurde Gemengsel von Alt und Neu, in dem aber schließlich immer die neunmalgeheiligte Tradition den Ausschlag gibt. Und Tradition in unser geliebtes Deutsch übertragen, bedeutet dort: es hat niemals einen 9. November gegeben.
Man hört oft den Vorwurf, es werde zu wenig für Propaganda getan. Das ist unbestreitbar richtig, aber bedrucktes Papier kann auch nicht die lebendige Triebkraft ersetzen. Was fehlt, das ist das Selbstvertrauen, das aus allen großen und kleinen Handlungen strahlen muß. Aber gerade das wird unterdrückt, als fürchte man, die Monarchisten zu provozieren. Natürlich soll der Stil nicht ein prahlerischer und scharfmacherischer sein, aber in allen amtlichen Manifestationen und namentlich in den präsidialen Kundgebungen macht sich in peinlicher Weise der Mangel jener Selbstverständlichkeit bemerkbar, die nach innen und außen dokumentiert: dieses Staatswesen ruht sicher in sich selbst. Überall, wo die Republik sich offiziell verlautbart, schwingt ein wenig der Unterton mit: »Ich habe es nicht gewollt!« Auf ihrer Visitenkarte steht: »Entschuldigen Sie, daß ich geboren bin.«
Lloyd George hat kürzlich in einer Wahlrede gesagt: Deutschland habe seit 1918 viele tapfere Kämpfer gehabt, aber keinen Tambour. Mit der historischen Bildung des früheren englischen Ministerpräsidenten ist es, das weiß jeder Tertianer, nicht weit her, aber sein Blick für die Gegenwart besitzt untrügliche Schärfe. Kürzer und treffender hätte nicht ausgesprochen werden können, wo Deutschland der Schuh drückt. Das Land ist verarmt und ein Opfer aller Krankheiten dieser Nachkriegszeit geworden. Dennoch ist das Volk im Kern gesund und lebenskräftig und aus Instinkt und guter Überlieferung arbeitsam und arbeitstüchtig. Seine Politiker sind zwar keine von allen guten Geistern beleuchteten, aber was man auch gegen sie sagen mag, nicht klüger oder dümmer als anderswo auch. Aber es fehlt der Trommelwirbel, das Anfeuernde, das Beflügelnde. Es fehlt das Signal, das die Herzen schneller schlagen läßt, das den in Müdigkeit erschlafften Gliedern den jähen Ruck gibt und jene zurückführt, die im Begriff sind, sich beiseite zu drücken.
Die deutsche Republik hat viele Feinde, wird gehemmt von offenen und geheimen Widerständen. Sie hat bei alledem bewiesen, daß sie sich zu wehren versteht, aber wenn der tragische Augenblick vorüber war, ging es im Trott und Parteihader des Alltags weiter. Man hat niemals verstanden, ein wenig von der Stimmung besonderer Momente in die Zukunft hinüberzuretten. Und wenn schon einer Reveille trommelte, so wurde der Ehrgeiz sämtlicher Nachtwächter aufgestachelt, ihn zu übertönen.
Berliner Volks-Zeitung, 9. November 1922