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Miss Sheebo und der Humor davon

Vor mir liegt eine amerikanische Provinzzeitung, cyklopisch im Format; das Hauptblatt rot, die Beiblätter grün. An der Spitze des Hauptblattes, da, wo bei uns der Pakt abgehandelt wird oder die Zollvorlage, da ist in mächtigen Lettern zu lesen, daß in dieser Nummer Miß Virginia Sheebo ihre »Confessions« fortsetze. Darunter zwei Bilder. A) eine entzückend lächelnde junge Dame, die Wert darauf legt, daß auch andere das anerkennen; B) ein breitschultriger junger Herr, der gleichfalls lächelt, wenn auch männlich-gesammelt. A ist Miß Virginia selber, B Mr. Geo L. Drinkwater, ihr Verlobter. Erläuternd wird gesagt, daß Miß Sheebo die Dame sei, die es sich in den Kopf gesetzt hatte, »ihr eigenes Leben zu leben« und auf Seite 3 in 10. Fortsetzung darüber berichte. Aus weiterem Text ersieht man, daß sie sich zur Durchführung des gewagten Experimentes die Hauptstadt des Staates Oklahoma auserkoren hatte.

 

Das was Miß Virginia auf Seite 3 mit sehr viel Sperrungen und Fettdruck erzählt, ist für sie ohne Zweifel aufregender als für uns. Sie stammt aus wohlhabender Familie einer kleinen Stadt in Oklahoma. Man will sie frühzeitig verheiraten, aber sie hat noch keine Lust dazu. Verläßt deshalb kurzerhand das Elternhaus und begibt sich in die Hauptstadt des Staates, um dort nach ihrem Gusto zu leben. Sie arbeitet als Stenotypistin und verdient genug, um sich recht nett zu kleiden. Bald ist ihr allgemeines Wohlgefallen sicher. Sie macht ihre Studien in der Männerwelt, unternimmt unerschrocken Ausflüge zu Zweien, besucht Junggesellenquartiere. Bleibt dabei stets tugendhaft und hinterläßt die freundlichen Gastgeber geohrfeigt und polizeilich angezeigt. Schließlich packt sie ein tiefer Ekel vor der männlichen Verworfenheit; sie verflucht ihren kniefreien Mädchenrock, der sie zur Beute lüsterner Augen macht und beschließt, hinfort Männerkleidung zu tragen, um ein für allemal sicher zu sein. Indem sie ein Herrenmagazin betritt, um einen schlichten blauen Sakkoanzug zu kaufen, und Kragen und Kravatten, schließt die 10. Fortsetzung.

Jetzt kann der Leser mit Recht auf das Kommende gespannt sein, aber damit die Erwartung nicht ins Exzessive wächst, hat Onkel Editor an den Schluß ein Bild gesetzt, das bereits einen Einblick in die Mysterien der 11. Fortsetzung gibt. Wilde Gebirgslandschaft bei furchtbarem Unwetter – weit hinten schlägt der Blitz gar erschröcklich in einen Baum. Im Vordergrund aber sieht man einen jungen Mann, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Miß Virginia hat, zitternd und gelöst in die Arme eines anderen jungen Mannes sinken, dessen feste Züge an Geo L. Drinkwater erinnern.

Wenn nicht alles trügt, leitet diese dramatische Szene das Finale von Miß Virginias eigenem Leben ein.

 

La garçonne in Amerika! Wie brüllt das alles vor Harmlosigkeit. Europäische Leser werden vergnüglich schmunzeln, wo das Publikum von Oklahoma um die Unschuld seiner Heldin bibbert.

Sehr richtig bemerken unsere Professoren, daß die Yankees noch ein junges Volk sind und deshalb ohne Geschichte. Wir Europäer fußen auf einer ehrwürdigen Lastertradition von tiefgründiger Gediegenheit. Drüben ereifert man sich noch über die wechselnden Schicksale einer Jungfernschaft, bei uns lamentiert kaum mehr die »Gartenlaube« darüber. Ja, diese Amerikaner sind noch gesund und jugendfrisch und turnen sich ihre Versuchungen weg oder rasen so lange mit dem Ford-Auto auf der Chaussee herum, bis alles wieder im Lot ist. Bei uns wird zwar neuerdings auch tüchtig geturnt, aber der Teufel sitzt wohl zu fest, als daß er mit ein paar Bauchwellen ausgetrieben wäre.

Mißtrauische Gemüter werden sich bei Virginias freiwilliger Maskulinisierung etwas recht Häßliches denken und sagen: Aha! Und obgleich Schreiber dieses auch solcher Ansicht zuneigt, warum psycho-analysierend über Bewußtseins-Schwellen dringen, wenn der Fall noch so glimpflich abgelaufen, daß Oklahomas Hauptorgan, ohne zu erröten, ihn illustriert wiedergeben kann?

Virginia sinkt in Geo L.'s starke Arme und damit ist ihr Problem eben zu Ende. Sie weiß es – sonst hätte sie mit ihren Memoiren noch etwas gewartet.

Die ganze Frauenfrage – es wird so schrecklich viel Gesums darum gemacht – ist ja immer eine Männerfrage. Wenn seit dem Losbruch der Großen Zeit die Frauen in steigendem Maße darauf verzichteten, sich an der Menschheit Würde mithebend zu beteiligen, wenn sie braven Volkspädagogen Anlaß gegeben haben zu geseufzten Statistiken über Verirrungen usw., so werden sie schon dunkel geahnt haben, weshalb.

Unsere Generation, Freund Mitmann, sieht nicht einladend aus. Die Weiber kopieren uns nur.

Aber eines heiteren Tags wird alles so enden, wie Miß Sheebos Problem. Plakat an den Litfaßsäulen, Lapidarstil:

Eva, kehre zurück! Alles normal.
Mit Gruß Adam.

Das Tage-Buch, 27. Juni 1925


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