Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»Eine Dame wünscht Sie am Apparat zu sprechen«, meldete Robert, der Diener, seinem Herrn, als Mark sein Arbeitszimmer betrat. »Ich hörte Ihren Wagen anhalten und teilte ihr mit, daß Sie eben kämen.«
Auf sein »Hallo« meldete sich Estelle:
»Wie können Sie sich unterstehen, mich so lange warten zu lassen?« begehrte sie scherzend zu wissen.
»Ich komme eben von der Arbeit«, klärte er sie auf. »Soll ich zu Ihnen eilen, um mich zu entschuldigen? Ich wollte Sie sowieso anrufen.«
»Leider kann ich Sie nicht erwarten. Ich bin zum Tee eingeladen. Wollen Sie heute abend mit uns essen?«
»So eine Frage! Um welche Zeit?«
»Halb neun. Es sind eine Menge Leute eingeladen worden, aber für einen wohlerzogenen jungen Mann, wie Sie es sind, werden wir schon ein Plätzchen frei machen können. Ich brauche einen Tischherrn für mich.«
»Großartig. Wir könnten die Gelegenheit benützen, unsere Verlobung bekanntzugeben.«
»Sie werden mir doch nicht etwa derartige Streiche spielen wollen?« fragte sie lachend.
»Das nennen Sie einen Streich? Warum nicht ein für allemal die Sache durch die Verkündung aus der Welt schaffen?«
»Sie wissen doch, wie Vater darüber denkt. Er will Finanzminister von Drome werden und –«
»Lassen Sie ihn doch, wenn es ihm Spaß macht«, unterbrach er sie. »Wir können ihn ja jedes Jahr für ein paar Wochen besuchen. Dort wohnen? Nein, um Gottes willen nicht! Ich ziehe Cannes und Ägypten im Winter, Paris im Frühjahr und England im Sommer vor.«
»Ja, es klingt recht verführerisch«, entgegnete Estelle. »Vielleicht hat Vater heute abend gute Laune. Schluß, Mark! Sie können heute abend Miß Loftus, Ihrer Tischdame, Zukunftsschalmeien vorblasen. Es wird höchste Zeit für sie, zu heiraten und ich glaube, sie liebt Sie.«
»Überlassen wir sie lieber dem Prinzen. Er wird bald eine Trösterin nötig haben. Warum wollen Sie die beiden nicht zusammenkuppeln?«
Estelle hatte schon abgehängt. Mark zog seinen Mantel aus und wollte sich eben in sein Ankleidezimmer begeben, als der Diener eintrat:
»Herr Oberst de Fontenay wünscht Sie zu sprechen, Sir.«
»Donnerwetter! Wollen Sie damit sagen, daß er hier war?«
»Er wartet in der Diele.«
»Ich lasse bitten«, sagte Mark nach kurzer Überlegung.
Der Franzose sah aus wie der leibhaftige Tod; sein Gesicht war bleich und tiefe Linien hatten sich, seit Mark ihn zuletzt gesehen hatte, in seine Stirn gegraben. Die Wangen waren zusammengefallen und ließen die blauen Augenringe um so stärker hervortreten.
»Du empfängst mich trotz alles Vorgefallenen?« fragte er Mark.
Mark hatte seinen Zorn vergessen, als er des langjährigen Freundes ansichtig wurde. Er drückte ihm fest die Hand.
»Rede doch keinen Unsinn, Raoul«, bat er und schob seinem Besucher einen Lehnstuhl hin. »Du hast dein Glück versucht. Dazu hattest du ein Recht, auch wenn ich das Opfer war. Was gibt es denn? Hoffentlich nichts Unangenehmes?«
»Nur Unangenehmes!« klagte der andere. »Hast du die heutigen Depeschen gelesen?«
»Bis jetzt noch nicht.«
»Der Frank steht auf 170, und fällt immer noch weiter.«
Mark brannte sich eine Zigarette an und klopfte ungeduldig mit dem Zeigefinger auf die Schreibtischplatte:
»Schließlich muß Frankreich sich über seine Währung selbst den Kopf zerbrechen«, gab er de Fontenay zurück.
»Mit der Währung hat das nichts zu tun«, erwiderte Fontenay. »Man verspielt Frankreichs Ehre, und zwar tut es der Mann, den du schützest.«
»Kannst du beweisen, was du da sagst?«
Raoul zog ein Bündel Papiere aus der Tasche.
»Der Inhalt dieser Papiere wird dich als Amerikaner wenig interessieren«, meinte de Fontenay mit bitterer Betonung. »Es handelt sich ja nicht um dein Land, dessen Vernichtung man anstrebt. Ich wollte mein Gewissen beruhigen, Mark, deshalb suchte ich dich auf. Du sollst diese Briefe lesen; sie werden dir den Umfang der Verschwörung am besten aufdecken können.«
Mark bewegte sich unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Dann streckte er nach dem Bündel die Hand aus.
»Ich habe diese Papiere erst gestern erhalten«, fuhr de Fontenay fort. »Du hattest meine Wohnung kaum verlassen, als sie mir ein Kurier brachte. Du glaubtest mir nicht, als ich dir mitteilte, daß die Frankenbaisse auf eine Verschwörung zurückzuführen sei, nicht wahr? Meintest, sie läge in der internationalen Politik begründet? Lies diese Schriftstücke und antworte mir dann, was du davon hältst.«
Erst oberflächlich, dann mit immer steigendem Interesse begann van Stratton die Briefe durchzulesen.
»Was du in Händen hast, Mark, stellt das Resultat der Arbeit meines Freundes de Fayenne während eines ganzen Jahres dar. Jedes Wort, was in diesen Schriftstücken zu lesen steht, beruht auf Wahrheit. In Brennans Kassette liegt der Beweis.«
Während Mark die Papiere durchlas, herrschte tiefes Schweigen. Endlich war er zu Ende.
»Du bist überzeugt, Raoul, daß alles dies –« er zeigte auf die Papiere, »auf Wahrheit beruht?«
»So wahr mir Gott helfe. Deselles Mätresse hat Fayenne eine Abschrift des Briefes versorgt, die uns zweihundertfünfzigtausend Franken gekostet hat. Die Abschrift war diese Summe wert. Nächste Woche wird sich der französische Senat mit dieser Angelegenheit zu befassen haben. Man wird einen Antrag einbringen, zu beschließen, daß Frankreich die Stabilisierung seiner Währung als ›unehrenhaft‹ nicht durchführen dürfe. Mit anderen Worten, Frankreich wird seinen Bankerott erklären müssen. Es bietet der Welt fünfzig Prozent, das heißt, auf der Basis des heutigen Frankenkurses, der auch fünfzig Prozent unter Pari liegt. Dukane wird die Millionen scheffeln, die er aus Frankreichs Adern abgezapft hat. Und Deselle? Nun, er wird sich auch weiterhin die kostspieligste Mätresse der Welt zu halten vermögen. Glaubst du wirklich, Mark, daß man jenen Leuten gestatten sollte, Frankreich nicht nur um Geld, sondern auch um seine Ehre zu berauben?«
»Warum kamst du heute hierher? Warum erzähltest du mir gerade heute diese Tatsachen?«
»Weil ich immer noch die leise Hoffnung nicht unterdrücken konnte, daß du meinem Vaterland helfen würdest. Auch jetzt noch glaube ich an dich.«
»Ich habe mein Wort gegeben, dir die Papiere nicht auszuhändigen, Raoul!«
De Fontenay war aufgesprungen; er legte seine Hände auf des Freundes Schultern und sein hageres Gesicht zuckte vor verhaltener Aufregung.
»Mark, unsere Freundschaft entstand im Donner der Schlacht und ist mit Blut verkittet. Einmal flehte ich dich um dieser Freundschaft willen an, mir zu helfen. Du glaubtest, ablehnen zu müssen. Warum? Nur, weil du nicht wußtest, um was es sich bei dieser Angelegenheit handelte. Noch immer hältst du das Geschick meines Landes in deinen Händen. Im Namen unserer Freundschaft, Mark! Überwinde dich selbst! Ich weiß, du zögerst um des Mädchens willen. Mark, ich verlange von dir, daß du sie vergißt, daß du diese Sache mit dem Wollen eines ehrenhaften, starken und vernünftigen Mannes behandelst. Schweige, und du wirst ein Werkzeug Dukanes werden. Das Mädchen magst du dadurch gewinnen, aber dein Gewissen wird dich nie mehr ruhen lassen! Auf dem Altar unserer Freundschaft, Mark, ich flehe dich an, lege dieses Opfer nieder!« Die Lippen des sonst so ruhigen Mannes zitterten, als er nun fortfuhr:
»Es ist nicht das erstemal in der Weltgeschichte, Mark, daß die Geschicke ganzer Völker in Laienhänden ruhten. Du bist Herr über das Schicksal ungezählter Millionen, über das Geschick meines Landes und seiner fleißigen Bewohner. Ich frage dich: Hast du das Recht, nur um jener Frau willen zu gestatten, daß ein elender Spekulant seine Hand an die Gurgel meines Volkes legt? Soll es ungestraft bleiben, daß er einen Minister meines Landes bestochen hat, um sein Schäfchen ins Trockene zu bringen? Hast du dazu ein Recht, Mark? In zehn, fünfzehn Jahren wirst du immer noch jung sein, Mark, aber dein Gewissen wird dir keine Ruhe mehr auf Erden lassen. Denke darüber nach!«
Van Stratton erhob sich schwerfällig und schritt zum Fenster. Er starrte schweigend zum Fenster hinaus. Endlich hatte er einen Entschluß gefaßt, doch seine ganze Lebensfreude schien dahingegangen zu sein. Er wandte sich um:
»Du hast recht, Raoul. Ich werde Brennans Kassette noch heute öffnen.«
Schwankend durchschritt de Fontenay das Zimmer. Ergreifendes geschah: Seine Augen füllten sich mit Tränen, die er nicht zu verbergen trachtete. Mit der Zärtlichkeit einer Frau umarmte er den Freund. Seine Lippen summten leise eine Melodie. Worte zu formen, weigerte sich der zitternde Mund.