Edward Phillips Oppenheim
Spekulanten
Edward Phillips Oppenheim

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3

Als Mark van Stratton das Hotel Ritz verließ, um sich nach Hause zu begeben, begegnete er vor der Tür des Restaurants dem Botschafter der Vereinigten Staaten, Mr. Stephen Widdowes.

Respektvoll lüftete der junge Landsmann vor dem diplomatischen Vertreter seines Landes den Hut und wollte vorübergehen, als ihn Mr. Widdowes anrief:

»Ich habe Glück, Mark, denn ich wollte Sie sprechen. Haben Sie eine halbe Stunde Zeit für mich?«

»Ich habe nichts vor, Mr. Widdowes«,antwortete Stratton.

»Steigen Sie ein und fahren Sie mit mir nach der Botschaft«, bat ihn der andere. »Ich habe Verschiedenes dort zu erledigen, was mich aber nur einige Minuten aufhalten wird. Ich hatte Brownlow schon gebeten, Ihnen heute abend zu schreiben.«

Verwundert, aber aufs höchste interessiert, folgte van Stratton der Einladung. Während der kurzen Fahrt nach Carlton House sprachen sie nur über gleichgültige Dinge. Erst als sie das Botschaftsgebäude betraten und Mr. Widdowes die Tür zu seinem Arbeitszimmer hinter sich geschlossen hatte, teilte er seinem Gast den Zweck der Einladung mit. Im Arbeitszimmer saß einer der Botschaftssekretäre, Mr. Brownlow. An ihn wandte sich der Chef zuerst:

»Liegt etwas vor, Brownlow?«

»Nichts besonders Wichtiges, Sir. Downing Street hat einige Male angerufen; der Außenminister war selbst am Apparat. Wir konnten ihm aber über das, was er wissen wollte, Bescheid geben, ohne ihn erst mit Ihnen zu verbinden.«

»Kennen Sie Mr. van Stratton?«

Die beiden jungen Leute gaben sich die Hände.

»Na, Sie kannten sich ja wohl schon von Harvard her, nicht wahr?« meinte der Botschafter. »Lassen Sie uns, bitte, einen Augenblick allein, Brownlow.«

»Ich gehe jetzt zum Konsul, Sir. In einer knappen halben Stunde kann ich wieder zurück sein.«

Erst als sie allein waren, bat Widdowes Mark, Platz zu nehmen:

»Hoffentlich haben Sie sich noch nicht zu tief in die Gewohnheit englischer Adliger hineingebohrt, um das Arbeiten verlernt zu haben, Mark, wie?«

»Leider war ich bisher ein Nichtstuer und Tagedieb, Sir«, gab der junge Mann zerknirscht zu. »Seit Kriegsende habe ich noch keinen Finger krumm gemacht.«

»Was würden Sie dazu sagen, wenn ich Ihnen eine Beschäftigung böte?« erkundigte sich der Botschafter.

Das Angebot kam unverhofft, war aber trotzdem willkommen. Mark dachte sofort an das Gespräch, das er vor kurzer Zeit erst mit Miß Dukane geführt hatte. Hatte sie etwas vom Kommenden gewußt oder geahnt?

»Ich bin zu jeder Arbeit bereit, Sir«, erwiderte er.

»Mrs. Widdowes braucht einen Attaché, der ihr die gesellschaftliche Kleinarbeit abnimmt, Mark«, fuhr der alte Herr fort. »Dimsdale ist leider weg, und wir sind mit dem Personal zu knapp bemessen.«

»Das tut mir um Dimsdales willen leid, Sir. Er war ein eifriger Diplomat und vielversprechend.«

Der andere seufzte:

»Na, das läßt sich nicht ändern. Er ist weg. Das Schlimme ist, daß ich nicht weiß, wen ich an seinen Platz stellen soll.«

»Halten Sie mich für intelligent genug, um seinen Posten zu versehen, Mr. Widdowes?« Erwartungsvoll fragte es van Stratton.

»Selbstverständlich, Mark«, antwortete der Diplomat ohne Zögern. »Versuchen können wir es jedenfalls. Brownlow hat zu viel mit gesellschaftlichen Dingen zu tun; Sie könnten ihm einige seiner sozialen Verpflichtungen abnehmen. Mrs. Widdowes würde Sie voll beschäftigen können. Brownlow hat manchmal den ganzen Tag damit zu tun, die Einladungslisten meiner Frau zurechtzufeilen. Die Arbeit dürfen Sie sich nicht leicht vorstellen, Mark. Sie kennen aber die gesellschaftlichen Tricks so gut wie jeder andere und können, was mir die Hauptsache dünkt, auch schweigen, wo es notwendig ist. Haben Sie Zeit, heute bei uns zu speisen?«

»Ich bin noch ungebunden, Sir.«

»Das klappt großartig. Wir werden also die Fortsetzung unseres Gesprächs bis nach dem Dinner verschieben. Kommen Sie so zeitig wie möglich. Vielleicht gegen ein viertel vor acht? Mrs. Widdowes wird für Sie dann wohl noch einiges zu tun haben. Sie klagt immer, daß ihr Dimsdale fehle.«

Mit einem freundlichen Kopfnicken verabschiedete sich der Botschafter, und Mark verließ ihn, immer noch von dem unvermuteten Stellenangebot verwirrt. Vor der Tür des Botschaftsgebäudes blieb er, die Hände in die Paletottaschen geschoben, noch einige Minuten nachdenklich stehen. Was gab es da zu wundern? An wen hätte sich der Botschafter, der ihn seit Jahren kannte, und in dessen Familie er ebensolange verkehrte, anders wenden sollen, wenn nicht an ihn, van Stratton? Er hatte schon öfter die Möglichkeit erwähnt, den Sohn seines alten Freundes diplomatisch zu verwenden. Nur dieser merkwürdige Zufall verwirrte den jungen Mann: Vor kaum einer Stunde hatte Miß Dukane ihn gebeten, die Arbeit, die man ihm vielleicht anbieten würde, keinesfalls abzulehnen, und nun –!

»Woher hätte sie von diesem bevorstehenden Angebot eine Ahnung haben sollen?« murmelte van Stratton vor sich hin. Dann schüttelte er den Kopf: »Merkwürdig ist es aber, sehr merkwürdig.«

Anstatt sich der Pall Mall, wie es seine Absicht gewesen war, zuzuwenden, drehte Mark van Stratton nach dem Strand ab, um in der Savoy Court einige Freunde aufzusuchen. Nach kurzem Spaziergang löste sich der bisherige leichte Dunst in Regen auf. Van Stratton schlug den Rockkragen hoch. Er war kaum einige Schritte gegangen, als ein kleiner gelber Zweisitzer in rasender Fahrt an ihm vorüberschoß. Erst das mißtönige Gekreisch plötzlich angezogener Bremsen lenkte seine Aufmerksamkeit auf das am Steuer sitzende Mädchen, das sich nach ihm umdrehte und erregt winkte. Im selben Augenblick hatte Mark sie erkannt und mit aufrichtiger Freude den Hut zum Gruß gehoben.

»Entschuldigen Sie, Mr. van Stratton«, begrüßte ihn Miß Dukane, »wenn ich Sie in meinem Vorüberrasen vollgespritzt haben sollte. Die Freude, Sie so unvermutet zu treffen, läßt mich jedoch mein Ungeschick nur begrüßen. Bitte, steigen Sie rasch ein.«

Obwohl ihn diese Einladung überraschte, zögerte er doch keinen Augenblick, ihr zu folgen. Als sie beide in den niedrigen, bequemen Polstern Platz genommen hatten, bemerkte er erstaunt, daß das Mädchen bleicher war als sonst. Die bildschönen rehbraunen Augen zeigten einen Ausdruck der Spannung und Unruhe, die er während des kurzen Zusammentreffens im Ritz noch nicht bemerkt hatte.

»Ich kann mich jetzt nicht mit Ihnen unterhalten, weil ich meine Aufmerksamkeit auf dieses Verkehrsdurcheinander richten muß, obgleich ich Ihnen sehr vieles mitzuteilen hätte«, sagte das junge Mädchen, während sie den Wagen in der Richtung zur Marble Arch lenkte. »Ich habe es sehr eilig, und überall wird man aufgehalten. Mein Vater erwartet mich in der Northumberland Avenue, wo er sein Privatbüro aufgeschlagen hat. Kommen Sie mit?«

»Es ist doch hoffentlich nichts geschehen, Miß Dukane«, fragte er besorgt.

»Leider doch«, gab sie zurück. »Ich werde es Ihnen später erklären.«

»Machen Sie sich keine Sorgen«, bat er. »Ich würde mich freuen, Ihnen dienlich sein zu können. Soll ich Sie am Steuer ablösen? Ich weiß mit diesem Wagen Bescheid; ich habe den gleichen.«

Sie bedurfte seiner Hilfe nicht, sondern wand sich mit großer Geschicklichkeit durch den stärksten Verkehr. Ohne sich von den vorwurfsvollen Blicken zahlreicher Verkehrsposten abhalten zu lassen, raste sie mit ihrem Wagen durch die Northumberland Avenue, brauste unter der Marble Arch hindurch und bog in eine der zahlreichen Nebenstraßen des Strandes ein. Vor der Tür des dritten Hauses, das von einem breitschultrigen Pförtner bewacht wurde, hielt der Wagen mit einem Ruck an.

»Hier empfängt Vater die Leute«, erklärte das junge Mädchen, »die er in der City nicht wiedererkennen will. Bitte, folgen Sie mir.«

Das Innere des Hauses wies die Einrichtung auf, wie sie tausend andere Cityhäuser auch hatten. Die Marmortreppen, über die die beiden jungen Leute jetzt zum ersten Stockwerk emporschritten, blitzten in tadelloser Sauberkeit, trugen jedoch keinerlei Teppiche. Vor einer der Türen hielt die Führerin an und klopfte leise an die Tür.

»Herein!«

Der Raum, den sie betraten, war bequem, aber keineswegs luxuriös ausgestattet. Mit einem Seufzer der Erleichterung sank das junge Mädchen in einen der tiefen Lehnsessel, während van Stratton befangen durch den finsteren Blick, den ihm der einzige Insasse des Zimmers, Mr. Felix Dukane, zuwarf, an der Tür stehen geblieben war. Der Finanzier saß vor seinem Schreibtisch, das Gesicht seinen Besuchern zugewandt und mit einem der zahlreichen Geschäftsbücher spielend, die außer dem Telephonapparat die einzige Ausstattung der spiegelnden Schreibtischplatte bildeten.

»Olsen war schon abgereist, als ich ihn aufsuchen wollte«, berichtete die junge Dame dem Vater. »Ich begegnete zufällig Mr. van Stratton, als ich auf der Rückfahrt hierher war. Er hat meiner Einladung Folge geleistet, weiß aber von dem, was sich hier ereignet hat, nichts.«

Prüfend musterte Dukane den jungen Amerikaner.

»Nun, da du ihn einmal mitgebracht hast, Estelle«, ließ sich der Finanzier vernehmen, »wird es besser sein, wir führen Mr. van Stratton gleich hinauf. Dort können wir ihn aufklären, um was es sich handelt. Er kann sich dann entscheiden, ob er uns helfen will.«

Er erhob sich, um die zweite auf einen Gang führende Tür zu öffnen. Ein kleiner Personenaufzug tat sich vor ihnen auf, der sie in wenigen Sekunden auf einem der oberen Stockwerke absetzte. Mark warf Estelle einen verwundert fragenden Blick zu, den sie mit einer schweigengebietenden Geste beantwortete. Die Lippen des jungen Mädchens zitterten vor unterdrückter Aufregung und in ihren Augen lag ein solcher Blick eisigen, unsagbaren Schreckens, daß van Stratton Mitleid mit ihr empfand. War dies dasselbe Mädchen, das sich noch vor wenigen Minuten mit unvergleichlicher Geistesgegenwart mit den Schwierigkeiten des Straßenverkehrs auseinandergesetzt hatte?

Sie hatten einen kleinen Büroraum erreicht, der viel luxuriöser ausgestattet war, als der im unteren Stockwerk. Bequeme Stühle, eine Chaiselongue, Teppiche, kurz alles, was den Aufenthalt behaglich machen konnte, war vorhanden. Aber – alle beweglichen Gegenstände lagen wirr durcheinander, die Stühle umgestürzt, der kostbare Perser verschoben. Auf dem Fußboden verstreut sah man Federhalter und Schreibunterlagen liegen, die auf einen erbitterten Kampf hindeuteten, der hier vor kurzer Zeit stattgefunden haben mußte. In einer Fensternische lag eine zerbrochene Blumenvase, aus der noch immer mit leisem Geräusch das Wasser auf den Parkettfußboden tropfte. In einer durch einen Vorhang verborgenen Ecke des Zimmers zeigte sich eine leichte Erhöhung des Fußbodens, auf der, bedeckt von einer Teppichbrücke, lang ausgestreckt eine bewegungslose Gestalt lag, von der nur die Füße sichtbar waren.

»Allmächtiger Gott!« rief er erschrocken aus. »Was ist hier vorgegangen?«

»Ich habe das Pech gehabt, einen aufdringlichen und unverschämten Menschen mit diesen meinen Fäusten zu erschlagen«, antwortete der Finanzier mit gesuchter Ruhe.

 


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