Edward Phillips Oppenheim
Spekulanten
Edward Phillips Oppenheim

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12

Nach dreistündigem, fortgesetztem Diktat erhob sich Mr. Hugerson endlich gegen sechs Uhr abends:

»Nun wollen wir für heute aufhören«, rief er aus. »Den Bericht über meinen letzten Pariser Besuch wollen wir bis morgen lassen. Wie viele Seiten ergibt denn das, was ich Ihnen diktiert habe, Miß Moreland?«

»Neunzehn Seiten.«

»Lassen Sie sie, bitte, in den Panzerschrank der Botschaft einschließen, Mr. van Stratton«, wandte sich Hugerson an Mark. »Wann können Sie denn morgen früh anfangen, Miß Moreland?«

»Spätestens ein halb nach neun, Sir.«

»Gut, es bleibt also dabei.«

Er warf prüfende Blicke auf das bisher Fertiggestellte:

»Das meiste kann wohl so bleiben«, sagte er und bündelte die losen Papiere. »Bitte, van Stratton, nehmen Sie alles in Ihre Obhut.«

»Vielleicht überzeugen auch Sie sich, Mr. Hugerson, daß ich sie in Mr. Widdowes' Schrank einschließe«, bat Mark.

»Ja, es wird besser sein, ich begleite Sie.«

Wenige Minuten später trennten sich die beiden. Als sich Mark eine Zigarette anbrannte, streckte Miß Moreland verlangend die Hand nach dem Rauchzeug aus:

»Ich schmachte nach einer Zigarette«, erklärte sie.

Er bot ihr das geöffnete Etui. Sie reichte es ihm, nachdem sie sich bedient hatte, wieder zurück, als er ihre tiefe Blässe bemerkte:

»Darf ich Sie nach Hause bringen?« fragte er. »Ich habe meinen Zweisitzer hier, und es würde mir ein Vergnügen sein.«

»Recht liebenswürdig von Ihnen«, sagte sie, scheinbar unentschlossen. »Ich hatte mich eben gefragt, ob ich mir nicht ein Taxi leisten würde. Die Luft hier macht mich krank.«

»Unsinn! Taxi!? Sie fahren mit mir.«

»Ich wohne in Battersea«, erklärte sie. »In den Cyril Mansions. Es ist nicht weit von hier. Beim Parlament vorbei und über das Embankment.«

Er half ihr in seinen luxuriösen Rolls-Royce, und sie lehnte sich mit einem Seufzer des Behagens in den bequemen Sitz zurück. Bald darauf schien sie sich wieder erholt zu haben. Der frische Wind hatte eine leichte Röte auf ihre bleichen Wangen gezaubert, und auch die Augen hatten ihren alten Glanz wiedergewonnen.

»Sind Sie jener Mr. van Stratton, über den man in den Zeitungen so viel liest?« erkundigte sie sich. »Der Polospieler und – Multimillionär?«

»Ich bekenne mich schuldig«, gab er zu. »Sie sehen aber doch, daß ich mich bessern will. Zwar habe ich bisher noch nicht viel geleistet, aber nach und nach wird es schon werden.«

Sie schien seine Erwartungen nicht zu teilen:

»Arbeit allein macht nicht glücklich«, sagte sie, »wenn man nichts hat, was einen außer den Dienststunden beschäftigen könnte. Bei Ihnen ist es ja anders. Sie haben alles, was Sie sich wünschen könnten. Ja, Ihr Dasein mag langweilig sein, mangelt aber des Dramatischen, das Ihnen das Leben verbittern könnte.«

»Dramatik?« fragte er erstaunt zurück.

»Die Tragödie des Alleinseins, die einer Einsamen.«

Er rückte unruhig auf seinem Sitz hin und her.

»Aber, Miß Moreland«, rief er aus, um sie zu beruhigen, »Sie werden doch sicher auch manches Interessante erlebt haben!? Und Ihre Arbeit! Welche Fülle des Neuen liegt in ihr enthalten! Jeder bezeichnet Sie als Perle. Sie konnten für so viele Leute arbeiten, deren Namen in die Weltgeschichte übergegangen sind. Immer aber war man mit Ihnen zufrieden.«

»Das weiß ich«, erwiderte sie kalt. »Ich bin aber trotzdem einsam. Ich bin schon dreißig Jahre alt.«

»Wollen Sie damit sagen, daß Sie unverlobt sind?«

»Ja, das wollte ich andeuten«, bestätigte sie. »Manchmal wünschte ich mir, ich hätte einen Bräutigam.«

Hier versagten die gewöhnlichen Floskeln. Mark schwieg, bis sie die Brücke erreicht hatten.

»Aber Freunde haben Sie doch sicherlich, nicht wahr?« sagte er dann in Fortsetzung des unterbrochenen Gesprächs. »Warum gehen Sie nicht öfter in Gesellschaft? Dort lernt man vieles und viele kennen.«

»Die Sehnsucht einer alten Jungfer!« entgegnete sie mit deutlich hörbarer Bitterkeit. »Nein, danke, dazu bin ich mir zu schade – Dauerwellen, Schminke, Puder, nur um einen Mann einzufangen? Ich müßte mich vor mir selbst schämen, wenn ich das täte.«

»Sie wohnen allein?«

»Ja. Ein kleines Wohn- und ein noch kleineres Schlafzimmer, das durch ein dazwischenliegendes Miniaturbad zu einem sogenannten Appartement avanciert ist. Dann nenne ich noch eine Puppenstubenküche mein Eigen. Als Gesellschaft hatte ich früher einen Kanarienvogel, der mir aber, da ich ihn einige Male zu füttern vergaß, verhungert ist. Wenn man ganz besonderes Mitleid mit mir hat, bietet man mir hin und wieder einen Hund oder eine Katze an. Ich lehne diese Angebote stets ab, weil ich für die Tiere keine Zeit hätte. Dort oben, unter dem Dach«, sie zeigte auf ein in Sicht kommendes Wohnhaus, »liegen meine Räume. Da klettere ich jetzt hinauf. Wenn ich in einer Stunde noch genügend Unternehmungslust habe, dann fahre ich mit dem Omnibus irgendwohin essen, um später zu Fuß nach Hause zurückzukehren. Fehlt sie mir, dann koche ich mir ein paar Eier und eine Tasse Tee zum Abendbrot und lege mich schlafen. Morgen früh erscheine ich dann wieder an meiner Arbeitsstelle und hämmere auf meiner Maschine herum, bis wieder ein Tag zu Ende ist.«

»Interessiert Sie denn Ihre Arbeit, und ganz besonders die Berichte Mr. Hugersons, gar nicht?« fragte Mark, von so viel Bitterkeit verblüfft.

»O doch, sie sind sehr interessant«, bestätigte sie. »Aber alles kommt mir nur aus zweiter Hand zu, alles in meinem bisherigen Dasein.«

»Aber Sie beschäftigen sich doch sicherlich nach Ihrer Arbeit auch mit anderen Dingen«, meinte Mark. »Bücher zum Beispiel.«

»Zum Lesen fehlte mir bisher die Zeit«, entgegnete sie. »Man findet an Romanen nur Interesse, wenn man sich von Jugend an sie gewöhnt hat. Ich glaubte, meine Geistestätigkeit wichtigeren Dingen zuwenden zu müssen. Das war allerdings zu jener Zeit, als ich noch den Drang in mir verspürte, vorwärts zu kommen. Jetzt – es ist nichts von diesem Drang geblieben.«

Er trat auf die Bremse, um den Wagen vor ihrer Haustür zum Stehen zu bringen:

»Darf ich Sie einladen, an irgendeinem Abend mit mir zu speisen, Miß Moreland? Später könnten wir dann in ein Theater gehen, nicht wahr?«

Sie lachte bitter:

»Mein lieber Freund«, rief sie aus. »Überlegen Sie sich nur einmal, was Sie eben gesagt haben. Ich habe zwar ein einziges Kleid, das man eventuell zum Dinner anziehen könnte, aber – es stammt aus der Kriegszeit und ist passé. Ich war in meinem ganzen Leben noch in keinem mondänen Restaurant, kann nicht tanzen und mich auch nicht, wie man es heute verlangt, unterhalten. In meiner Begleitung würden Sie unliebsame Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die Leute würden glauben, Sie seien – mit Verlaub zu sagen – verrückt geworden.«

»Nun aber Schluß mit Ihren Übertreibungen«, bat er. »Das ist ja ganz egal: Wenn Sie Lust hätten, mich zu begleiten, so würde ich mich sehr darüber freuen. Zum Teufel mit dem Abendkleid, lassen Sie es aussehen, wie es will. Wir können ja auch ein Lokal aufsuchen, wo die Modebedürfnisse nicht so ausgeprägt sind.«

»Nun gut«, gab sie endlich zu. »Wenn Sie den Mut aufbringen können, an mir soll es nicht fehlen.«

Er überlegte sich anscheinend den Zeitpunkt des beabsichtigten Ausflugs:

»Ich weiß niemals vorher, wann ich frei bin«, sagte er dann, »denn ich bin, wie Sie wissen, so eine Art Mädchen für alles in der Botschaft. Heute abend könnte ich abkommen. Wie wäre es, wenn wir unseren Ausflug auf heute festsetzen?«

»Das läßt mir eigentlich wenig Zeit, mich vorzubereiten«, gab sie zu bedenken.

»Wir können ja zu späterer Stunde als üblich ausgehen«, redete er ihr zu. »Das Theater können wir dann ein andermal besuchen.«

»Ich sitze auch lieber in einem Lokal und lasse die Leute an mir vorübergehen«, gab sie lächelnd zu.

»Jetzt ist es ein viertel vor sieben«, sagte er mit einem Blick auf die Uhr. »Halb neun hole ich Sie ab. Gemacht?«

»Gut, wenn Sie es sich bis dahin nicht anders überlegt haben, werde ich Sie erwarten. Im obersten Stockwerk, Mr. van Stratton. Mein Name steht an der Tür.«

»Ich komme. Ich warte gern ein paar Minuten, wenn Sie noch nicht fertig sein sollten. Ich fahre zu Ciro und bestelle einen Tisch.«

Sie wandte sich mit einem kurzen Nicken ab, und als sie jetzt vom Licht der Treppenlampe beleuchtet, den Gang hinunterschritt, sah Mark mit großem Erstaunen in ihren Augen Tränen funkeln.

 


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