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Der erste Blick, den Mark auf Brennan warf, überzeugte ihn, daß er schwer betrunken war. An seiner Seite, lang hingestreckt auf einem Diwan, lag Mademoiselle Zona Latriche. Auf dem benachbarten Tisch standen noch die Überreste einer frugalen Mahlzeit, halbgefüllte Sektgläser und auf dem Boden lagen ein paar umgestürzte Sektgläser. Als der unerwartete Besucher eintrat, zwinkerte ihn Brennan erstaunt an, während das Mädchen wohl Ärger, jedoch kein Erstaunen verriet:
»Donner und Doria«, stotterte der Trunkene. »Der Herkules! Mein Freund Herkules! Mademoiselle Zona, das ist mein bester Freund, der Mr. Herkules. Setzen Sie sich und lassen Sie sich ein Gläschen einschenken.«
»Wer ist der Herr? Was will er hier?« fragte erregt das Mädchen.
»Ich sagte dir doch schon, Zona«, erwiderte der Gefragte mit trunkener Wichtigtuerei, »daß er mein Freund ist. Meinetwegen kommt er nicht, ich weiß es; er will etwas von mir, wie alle meine Freunde.«
»Was wollen Sie von Mr. Brennan?« fragte Zona mißtrauisch und musterte den Besucher. »Er ist noch krank und soll keine Besuche empfangen. Ich bin hier, um ihn zu pflegen.«
»Nun, er macht mir nicht gerade einen kranken Eindruck«, lächelte Mark. »Hoffentlich störe ich nicht; ich werde gleich wieder gehen.«
Die Wirtin brachte ein sauberes Glas.
»Schön«, sagte Brennan. »Sie können gehen, Mrs. Harrison, ich brauche nichts weiter. Sie haben also doch herausbekommen, wo ich wohne, Mr. van Stratton, wie?«
»So also heißen Sie?« fragte das Mädchen. »Ich glaube, ich habe schon von Ihnen gehört.«
»Ja, so heiße ich«, erwiderte Mark. »Ihr Name ist mir ebenfalls nicht ganz fremd, Mademoiselle Zona Latriche.«
»Was wollen Sie von meinem Freund Mr. Brennan?«
»Nun«, begnügte sich Mark zu erwidern, »wenn er mich fragen wird, könnte ich ihm sicherlich darüber Auskunft geben. Gegenwärtig begnüge ich mich damit, seinen wirklich vorzüglichen Wein zu trinken.«
»Er hat recht«, stimmte Brennan dem Gast zu. »Ich weiß, was er hier will. Ist es nicht entzückend? Alle kommen sie hierher. Nicht etwa, weil die Nachbarschaft so verlockend wäre, nein, Kinder, aus anderen Gründen.«
»Da Sie heute in so lustiger Stimmung sind«, meinte Mark, »könnten Sie uns doch einiges von Ihren Absichten erzählen.«
Mademoiselle richtete sich auf und legte ihre Hand auf Brennans Schulter:
»Warum solltest du ihm etwas davon mitteilen?« fragte sie. »Ich bin deine Freundin. Ich allein weiß, was du tun wirst; ihr«, sie richtete das Wort an den Besucher, »verliert hier nur eure kostbare Zeit.«
»Hier sitze ich«, murmelte der Trunkene gerührt vor sich hin, »in Nummer sieben, Rectory Row, draußen stehen Leute, die mich beobachten, hinter ihnen wieder andere, die meine Beobachter unter Beobachtung halten. Hier drinnen, ich selbst in Gesellschaft ausgezeichneter Freunde: Miß Latriche und Mr. van Stratton, des Abgesandten Felix Dukanes. Ich liebe dich, Zona, aber wenn du glaubst, ich wüßte nicht, wer dich hierhergeschickt hat, dann täuschst du dich. Du bist ein Werkzeug des Obersten de Fontenay.«
»Narr!« rief ihm das Mädchen zu. »Ich verstehe dich nicht; was meinst du?«
Brennan ergriff ihre Hand:
»Rege dich nicht auf, Liebling«, schmunzelte er. »Ich habe das bewußte Armband noch. Ob du es natürlich aufbringen würdest, ist eine andere Frage. Weiter kannst du keineswegs als sicher annehmen, daß der Schlüssel noch vorhanden ist. Hier ist Mr. van Stratton, der sich gleichfalls für diese Punkte interessiert.«
»Ich sehe«, meinte Mark, »daß Sie vor Mademoiselle keinerlei Geheimnisse haben.«
»Warum sollte ich auch?« fragte Brennan.
»Ja, ich liebe ihn doch«, stellte Mademoiselle fest und schlang ihren Arm um den Trunkenen. »Wir sind ein Herz und eine Seele.«
»Das vereinfacht ja die Angelegenheit«, erklärte Mark. »Da Sie ein Herz und eine Seele sind, werden Sie sicher auch etwaige Erträgnisse aufteilen wollen, nicht wahr? Ich kam geschäftlich hierher, Mademoiselle. Mr. Brennan hat etwas in seinem Besitz, was ich, wenn er vernünftig ist, gern von ihm kaufen würde. Die Summe spielt keine Rolle. Ich möchte es für mich selbst – hören Sie, Brennan? – für mich selbst kaufen. Für keinen anderen.«
»Siehst du«, wandte sich Brennan an Zona, »das ist Sache; so spricht ein geschäftstüchtiger Amerikaner. Nicht lange fackeln, gleich sagen, was er will.«
»Du wirst aber nichts verkaufen«, bat das Mädchen. »Du hast es ja schon mir versprochen.«
»Ich? Dir?« Er schob sie von sich fort und musterte sie zornig. »Nichts habe ich dir versprochen. Glaubst du, ich wüßte nicht, warum du hierher gekommen bist? Was ist eine Million Franken, die du mir botest? Nein, Zona, du irrst dich: Ich habe dir gar nichts versprochen.«
Einen Augenblick schien es, als wollte Mademoiselle Zona ihre gute Erziehung vergessen. Sie glich einer Tigerin, der man das Junge rauben will. Dann erinnerte sie sich wohl, daß ein Zornesausbruch ihr jede Hoffnung, die Papiere Brennans doch noch zu erhalten, zunichte machen würde, denn sie beherrschte sich. Es war erstaunlich, wie schnell sie die Selbstbeherrschung wiedergewann. Sie setzte sich und begann leise zu weinen:
»Du liebst mich nicht«, klagte sie schluchzend. »Du hast mich von Anfang an betrogen.«
Ihr Verehrer versuchte sie zu beruhigen, doch Mark unterbrach ihn in seinen Bemühungen:
»Sie haben zwar ein wenig zu tief ins Glas geschaut, Mr. Brennan«, sagte er, »aber Sie wissen doch noch genau, was Sie tun. Warum haben Sie überhaupt Ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um hinter das Geheimnis zu kommen? Warum? Sagen Sie mir das!«
»Ich wollte eine Macht werden«, erwiderte der andere prompt. »Ich bin sie geworden. Ich kann vier der größten europäischen Staatsmänner ins Verderben stürzen, einen nach dem anderen. Einen anderen kann ich zum Selbstmord treiben oder ihn von seinen Landsleuten in Stücke reißen lassen. Ich, Max Brennan, besitze diese Macht. Schmeckt Ihnen der Wein nicht?«
»Der Wein ist gut, aber Sie haben genug davon getrunken«, wies ihn Mark hin. »Genug der Worte, lassen Sie uns zu Taten kommen.«
»Dazu bin ich leider nicht nüchtern genug«, erklärte Brennan in edler Selbsterkenntnis.
»Ich biete Ihnen eine Million Dollar. Das langt Ihnen, um überall den Grandseigneur zu spielen. Nehmen Sie das Geld, dann werden Sie uns sofort los. Vielleicht gibt es andere, die Ihr Geheimnis mit anderen Mitteln erlangen werden. Bedenken Sie das, Brennan!«
»Hörst du, was er sagt, Zona? Eine Million Dollar. Dreißig Millionen Franken; das Dreißigfache, was du mir botest, Zona! Er scheint der Mann zu sein, mit dem ich verhandeln muß.«
Es hatte den Anschein, als wolle das Mädchen dem Manne, der sie verspottete, ins Gesicht schlagen. Plötzlich neigte sie sich an sein Ohr und begann aufgeregt mit ihm zu flüstern. Mark brannte sich eine Zigarette an und schritt im Zimmer auf und ab.
»Nun, soll ich Ihnen meinen Scheck ausstellen?« fragte er den Trunkenen, der in sich versunken ins Licht starrte.
»Ein Gentleman wird niemals mit einem anderen, der nicht ganz nüchtern ist, Geschäfte machen wollen«, wies ihn der Gefragte zurecht.
»So betrunken sind Sie nicht, Mr. Brennan«, stellte Mark fest.
»Da täuschen Sie sich, mein junger Freund. Wäre ich so nüchtern, wie Sie denken, dann würde ich dieser jungen Dame nicht gestatten, mich in aller Öffentlichkeit zu umarmen. Gleichfalls würde ich ihr verbieten, dauernd an meinem Armband herumzufühlen, um den Schlüssel zu finden. Nein, Mr. van Stratton, ich bin nicht ganz nüchtern. Morgen werden Sie von mir hören; ich muß aber sicher sein, daß Sie Ihre Offerte nicht für jenen Mann, sondern für sich selbst abgegeben haben. Solange ich mit Ihnen nicht einig geworden bin, werde ich mein Geheimnis an keinen anderen verkaufen; das verspreche ich Ihnen. Nicht einmal Mademoiselle wird mich verleiten können, meinem Versprechen untreu zu werden. Kommen Sie, lassen Sie uns noch einer Flasche den Hals brechen! Morgen werde ich in der Lage sein, im Besitz meiner vollen Geisteskräfte zu verhandeln. Sie können den Herrschaften, die sich da draußen so eingehend mit meinen Bewegungen befassen, mitteilen, daß ich heute nicht mehr ausgehen werde. Heute ist Dienstag; in genau einer Woche werde ich Ihnen dann meinen endgültigen Entschluß mitteilen. Kommen Sie doch, bitte, nochmals hierher und Sie werden erfahren, ob ich mit Ihnen das Geschäft mache.«
Er schloß die Augen und beachtete den Gast nicht mehr. Mark sah ein, daß es Zeitverschwendung wäre, länger zu bleiben. Er öffnete die Tür. Mademoiselle gesellte sich ihm zu:
»Ihnen habe ich es zu verdanken«, flüsterte sie mit zorniger Stimme, »daß ich mein Ziel nicht erreicht habe.«
»Sie brauchen Ihre Hoffnung noch nicht aufzugeben, Mademoiselle«, beruhigte sie Mark und zeigte auf Brennan, der fest eingeschlafen schien.
»Er ist wie ein Fuchs«, beklagte sich das Mädchen. »Ich weiß genau, daß er den Schlüssel gar nicht im Armband aufbewahrt hat. Er hat ihn bestimmt wo anders versteckt.«
»Begehen Sie keinen Fehler«, warnte Mark die Agentin seines Freundes Raoul.
»Durch übermäßige Vorsicht wird man in dieser Welt nichts erreichen können«, entgegnete sie und wandte sich ins Zimmer zurück.