Edward Phillips Oppenheim
Spekulanten
Edward Phillips Oppenheim

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22

Kurz vor neun Uhr traf Mark bei Ciro ein und beschäftigte sich während des Wartens mit der Auswahl eines Dinners für zwei Personen. Viertel nach neun Uhr wurde er unruhig, halb zehn Uhr aufgeregt. Endlich, fünfundzwanzig Minuten vor zehn tauchte in seinem Gesichtskreis eine Wolke von Seide und Spitzen auf, hinter der, wie der Schweif eines Kometen, Hoteldirektoren und Oberkellner herzogen.

»Habe ich mich verspätet«, fragte Estelle, als sie ihm die Hand bot. »Ich wußte tatsächlich nicht mehr, welche Stunde wir vereinbart hatten.«

»Das schadet nichts«, erwiderte er mit einem erleichterten Seufzer. »Die Hauptsache ist, daß Sie gekommen sind.«

Er führte sie zum Ecktisch, der für ihn reserviert war. Der Platz war ziemlich weit von der Kapelle entfernt und sie saßen dort gut vor neugierigen Blicken verborgen. Estelle blickte sich um und nickte beifällig:

»Die schönen Tage von Aranjuez sind vorüber«, zitierte sie. »Ich bin ja wütend, aber Vater sagt, ich müsse nun endlich wie ein anderes junges Mädchen anfangen, Verkehr zu suchen. Ich bin keine Freundin davon, mich für Wochen hinaus in meinen Bewegungen zu binden, aber Vater wurde streng, als ich ihm widersprach.«

»Was ist denn eigentlich los?« erkundigte er sich.

»Vater hat sich den Cruton-Palast gemietet, und zwar vorläufig für drei Monate«, erklärte sie ihm. »Wir sollen dort wohnen.«

»In dieser Kaserne?« rief Mark entsetzt aus. »Dieser Palast ist das größte Haus Londons.«

»Darüber zerbreche ich mir nicht den Kopf«, entgegnete sie. »Wir werden einen ganzen Hofstaat mit Dienern, Majordomus, Sekretären usw. mitnehmen. Außerdem wird noch so eine Art Hofmarschall vorhanden sein, der die gesellschaftlichen Dinge unter sich hat.«

»Ein derartiger Aufzug sieht eigentlich Ihrem Vater gar nicht ähnlich, Miß Estelle«, urteilte Mark.

»Ja, Sie haben recht, aber jemand hat ihm eingeredet, er würde, gäbe er große Gesellschaften, seine Pläne besser zu Ende führen können. Ich glaube das ja nicht. Im Gegenteil, so weit ich die englischen Politiker kenne, werden sie sich wohl durch noch so große Gesellschaften kaum beeinflussen lassen. Und, wie ich gehört habe, ist es bei den Bankmagnaten genau dasselbe.«

»Trotzdem glaube ich, daß es nicht schaden kann, wenn man mit jenen Einflußreichen auch gesellschaftlich in Berührung kommt. Ich wundere mich nur über den plötzlichen Wechsel der Ansichten Ihres Vaters.«

Estelle beschäftigte sich, ehe sie antwortete, erst eine Weile mit den Delikatessen der Saison, die ein unterwürfiger Ganymed vor ihr hingestellt hatte. Dann beantwortete sie die letzte Bemerkung ihres Tischherrn.

»Vater hat offenbar einen Plan, an dessen Gelingen ihm mehr liegt als an seiner gewohnten Zurückgezogenheit. Nein, es ist nicht wegen des finanziellen Gewinns, der natürlich gleichfalls außerordentlich groß sein wird. Sie werden ahnen, um was es sich handelt, nicht wahr?«

»Ja, ich hörte davon sprechen«, erwiderte Mark, »daß Ihr Vater sich als Geldgeber Dromes, der Heimat des Prinzen Andropulos, betätigt.«

Sie nickte bestätigend.

»Ja, auf etwas Ähnliches wird es wohl herauskommen. Gerade die Größe des Planes ist es ja, was meinen Vater so reizt. Es ist eine völlig neue Art, zu spekulieren. Auch mir imponiert der Plan.«

»Ich finde«, tadelte Mark, »daß diese kaufmännischen Spielereien für ein junges Mädchen gar nicht passen.«

Sie lachte ihn aus:

»Für andere Dinge wird auch noch die Zeit kommen«, tröstete sie ihn. »Und um der Wahrheit die Ehre zu geben: Wir sind beinahe am Ziel. Vater hat immer geplant, mich, sobald Drome auf die Beine gesetzt und Andropulos König geworden ist, zur Königin von Drome zu machen. Deshalb interessiert er sich auch für den Prinzen so sehr. Er will Ministerpräsident werden, sobald Andropulos gekrönt worden ist.«

»Sie möchten wohl auch gern eine Königin werden?« begnügte sich Mark zu fragen.

»Natürlich hat eine derartige Stellung ihre Vorteile«, gab sie zu. »Die Konkurrenz würde fehlen. Der ganze Haken liegt daran, daß Prinz Andropulos, wie alle jungen Leute aus königlichem Geblüt, auch seine Fehler hat. Er wurde in Paris erzogen und hat dort jeden Idealismus und jede Spur von Romantik verloren. Er weiß sicherlich in allen obskuren Lokalen von Paris viel besser Bescheid, als in den Städten und in der Geschichte seines angestammten Landes.«

»Daran zweifle ich keinen Augenblick«, bestätigte Mark mit sichtbarer Überzeugung.

»Es tut mir leid, daß er Ihnen nicht sympathisch ist«, murmelte Estelle. »In manchen Dingen ist er wirklich ganz gut zu leiden. Vor allen Dingen hängt er sehr an seiner Mutter. Ich habe mich heute abend wohl gehörig verspätet? Ich konnte aber wirklich nichts dafür. Vater kam spät noch von Paris zurück und mußte sich gleich beim Heimkommen über eine Botschaft, die man ihm zugesandt hatte, schrecklich ärgern. Er ist sofort zum hiesigen Innenminister gefahren. Ich habe ja gegen England eigentlich nichts«, fügte sie nachdenklich hinzu, »und es läßt sich hier ganz gut leben. Das einzige, was auch mir nicht paßt, ist, daß die Regierung es wagt, sich soviel um die persönlichen Angelegenheiten anderer Leute zu kümmern.«

In Marks Augen blitzte es schalkhaft auf.

»Vielleicht hat Ihr Vater über die Größe persönlicher Rechte ausgedehntere Ansichten als die Regierung Englands?« meinte er.

»Ach so, Sie dachten an Brennan. Nun, ich gebe zu, er war da ein bißchen zu aufgeregt.«

»Glauben Sie, daß es Brennan ist, der an der gegenwärtigen Aufregung schuld ist«, erkundigte sich Mark. »Ich hatte den Mann, aufrichtig gesagt, ganz vergessen und war erstaunt, als ich ihn heute abend wiedersah.«

»Nein, Brennan hat nichts damit zu tun«, erwiderte Estelle. »Es handelt sich nur um Leute, die Vaters Methoden keinen Gefallen abgewinnen können. Er hat, um sich über alle Bewegungen seiner Gegenspieler auf dem Laufenden zu erhalten, ein Büro eingerichtet und beschäftigt sogenannte Geheimagenten. Wenn er mit jemand zusammentreffen und vorher keine direkten Fühler ausstrecken will, dann benützt er die Leute seines Geheimdienstes. Nun stellt es sich heraus, daß man gegen diese Art Betätigung in diesem Land das merkwürdige Wort ›Verschwörertätigkeit‹ geprägt und unter Freiheitsstrafe gestellt hat. Mein armer Vater!« seufzte sie. »Er wird sicher einen recht unangenehmen Abend verbringen. Er regt sich so leicht auf und ist furchtbar jähzornig. Er haßt es, wenn sich jemand in seine Angelegenheiten mischt. Was mich anbetrifft, so bedaure ich, daß ich mich nicht als gute Tochter bezeichnen kann. Vater muß sein Dasein verteidigen, und ich – ich sitze hier und amüsiere mich.«

»Für mich ist der Abend dadurch herrlich geworden«, versicherte Mark.

»Werden Sie meinethalben Unannehmlichkeiten haben«, fragte sie ernst und blickte ihn fragend an.

»Das glaube ich nicht. Ich bin Amerikaner und habe als solcher keine Verpflichtung, für die englische Polizei die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Mir tut nur Raoul leid. Darf ich eine Frage an Sie richten, Miß Estelle?«

»Ich glaube, Sie haben sich die Berechtigung errungen, das ›Miß‹ vor meinem Vornamen wegzulassen«, murmelte sie leise.

Er zog ihre Finger an seine Lippen:

»Gut, Estelle. Sagen Sie mir eins: Wußten Sie an jenem Tage, da wir uns im Ritz zum erstenmal kennenlernten, daß man mir einen Posten in der Botschaft anbieten würde, oder war es nur eine Floskel im Gespräch?«

»Ich wußte es«, gab sie zu.

»Wohl von Rawlison, wie?« fragte er erwartungsvoll.

Sie nickte und ihre Bejahung traf ihn wie ein Schlag. Lange starrte er, das Essen vergessend, vor sich hin.

»Sie waren wohl mit Rawlison befreundet?« fragte sie Mark. »Ja? Das tut mir leid. Sie müssen aber doch selbst zugeben, daß er nicht einen Funken von Energie besaß. Er war jedem Menschen in London Geld schuldig. Als ihn Vaters Leute anbrachten, ließ er sich ohne weiteres von ihm überreden. Er würde uns die ganze Botschaft verkauft haben, wenn wir es von ihm verlangt hätten. Die Hauptsache für ihn war, genug Geld zu haben, um sich die kleine Choristin aus dem Daly-Theater treu zu erhalten. Vater mischt sich niemals in politische Intrigen und lehnte deshalb den Ankauf derartiger Berichte ab. Er wollte nur das wissen, was auf seine finanziellen Pläne einwirken konnte.«

»Auf diese Art wurde wohl auch ich von Ihnen ausgewählt?« fragte Mark offen. »Ich sollte wahrscheinlich eine Art von Nachfolger Rawlisons werden, wie?«

Sie lachte herzlich und trank ihm zu:

»Wenn ich jemals diesen Gedanken hatte«, gestand sie, »so habe ich unterdessen einsehen müssen, daß es nicht möglich ist, Sie mir untertan zu machen, Mr. van Stratton.«

»Ich heiße Mark«, verbesserte er.

»Gut, Mark. Ich habe zwar keine großen Worte gemacht, aber ich bin Ihnen für den Dienst, den Sie mir geleistet haben, sehr dankbar.«

Sie warf die Serviette auf den Tisch:

»Kommen Sie, wir wollen tanzen.«

Es verging eine Viertelstunde, ehe sie wieder an den Tisch zurückkamen.

»Was ist denn aus Andropulos geworden?« wollte er wissen.

»Ich bin ihm ein wenig auf die Zehen getreten. Er hat mich verlassen, um nach Paris zu fahren. Ich kann nicht behaupten, daß ich es bedauere. Vater möchte zwar gern Dromes Kanzler werden, aber ich glaube nicht, daß ich mich mit dem Prinzen als dessen Gattin sehr gut vertragen würde.«

Mark lachte glücklich:

»Ich verstehe zwar von Frauen nicht viel, aber daß Sie anders sind als Ihre Geschlechtsgenossinnen, das muß sogar ein Blinder erkennen. Sie sind so, na, wie soll ich mich ausdrücken, paradox in allen Ihren Handlungen.«

»Wieso denn nur?« fragte sie zurück. »Ich bin nur ein Mensch, der das, was er haben möchte, zu erhalten versucht. Ich bin keine Hypokritin, wie viele Ihrer Landsmänninnen, die vorgeben, für jemand Neigung zu empfinden, die sie in Wirklichkeit gar nicht besitzen. Ich habe keinen schlechten Charakter!«

»Nun, einiges mangelt ihm doch«, erklärte er.

»Ja, zum Beispiel Sentimentalität ist für mich ein unbekannter Begriff. Dafür besitze ich einen sehr ausgeprägten Sinn für Humor. Auch ein wenig der väterlichen Grausamkeit scheint in mein Blut übergegangen zu sein. Ich kann wirklich sehr herzlos sein, das müssen Sie mir glauben.«

»Daran zweifle ich nicht«, gab Mark zu.

»Meine Verehrer geben die Hoffnung immer vorzeitig auf, weil sie zur Erkenntnis gelangen, ich wäre eine Kokette und jeder wirklichen Liebe unfähig. Ich bin aber gar nicht so. Nur das, was man bei mir zu finden erwartet, besitze ich nicht. Wenn ich wirklich eine Neigung habe und nicht nur vorgebe, sie zu hegen, dann bin und bleibe ich auch treu. Keine Rasse der Welt hat so viele Männer verloren, die durch ihre treuen Frauen in die Grube gejagt wurden, wie die angelsächsische. Die Französinnen sind von Natur aus treu, betrachten es aber nicht als Ausdruck der Treue, fortgesetzt am Rockschoß des Mannes zu hängen. Sie lassen ihn wenigstens zu Atem kommen.«

»Mir beginnt langsam das Verständnis für Ihr Inneres zu dämmern«, teilte er ihr mit.

»Kein Mann wird jemals den Schlüssel zu meiner Seele ganz besitzen. Aber Sie werden mehr Aussichten dazu haben als irgendein anderer. Doch Sie müssen noch manches Vorurteil überwinden lernen, ehe Sie mich verstehen.«

»Das ist das erstemal«, stellte Mark fest, »daß Sie mich einen Blick in Ihr Inneres tun ließen.«

»Ja. Ich nahm Sie bis heute nicht ernst«, entgegnete sie. »Ich hatte Augenblicke, wo Sie mir gefielen, wo ich glaubte, ich könnte Sie lieben; leider aber wurden sie viel öfter von anderen verdrängt, wo ich Sie mit aller Leidenschaft haßte. Heute haben Sie mir zum erstenmal bewiesen, daß Sie nicht nur ein Holzgötze, sondern auch ein wirklicher Mann sein können. Sie taten etwas, was mir den Beweis erbrachte, Sie seien auch tieferer Regung fähig. Deshalb habe ich Sie belohnt und mich Ihnen dankbar erwiesen. Ich küßte Sie im Taxi. Nie vorher habe ich, außer meinem Vater, einen Mann geküßt. Es war mein Dank an Sie.«

»Estelle, mir beweist dieser Abend, daß ich Sie wirklich liebe und nie eine andere lieben werde«, flüsterte er und blickte ihr tief in die Augen.

Sie wandte sich ab und lächelte vor sich hin. Lange schwiegen sie. Endlich erhob sie sich und nickte ihm, ohne zu sprechen, zu. Kurz darauf wiegten sie sich wieder im Takt der Musik.

Gegen elf Uhr erschien Dorchester und bat, sich an den Tisch setzen zu dürfen.

»Der Abend hat für mich mit einem Alpdruck begonnen«, seufzte er.

Estelle lachte laut auf:

»Ein Alpdruck? Bezeichnen Sie mich als einen Alpdruck?«

»Entschuldigen Sie, Miß Dukane«, bat er. »Ich bezog mich mit meiner Bemerkung doch auf Ihr Alleinsein mit Mark. Das ist es, was mir den Alpdruck verursachte.«

»Hoffentlich erwarten Sie nicht, daß ich Mr. van Stratton fortschicke, um Sie von ihm zu befreien?« fragte Estelle lächelnd. »Ich denke nämlich gar nicht daran, das zu tun. Wir werden noch eine ganze Weile hier bleiben. Bisher haben wir uns ausgezeichnet amüsiert.«

Dorchester beschwerte sich: »Sie dürfen nicht übersehen, daß ich für mein Land schwer arbeiten muß. Wann werden Sie mir hier einmal zum Essen Gesellschaft leisten, Miß Dukane?«

»Weder Ihnen noch sonst jemand in nächster Zeit. Wir geben unser Zigeunerleben auf und werden für einige Monate seßhaft. Vater hat den Cruton-Palast gemietet, und ich muß dort unter Aufsicht zweier Gardedamen Hausherrin spielen. Ich kann also weder mit Ihnen noch sonst mit einem jungen Herrn allein ausgehen.«

Dorchester schien überrascht.

»Ihr Vater wird der einzige sein, der es sich erlauben konnte, das Haus zu mieten. Ich wußte nicht, daß er für derlei Dinge schwärmte. Meine Schwestern sind heute abend hier, Miß Dukane. Darf ich sie Ihnen vorstellen? Sie haben mich schon seit Wochen damit geplagt. Wir könnten dann ja zusammensitzen, nicht wahr?«

»Wir denken gar nicht daran«, erklärte Mark an Estelles Statt.

Auch das Mädchen schüttelte den Kopf. Sie überzuckerte die bittere Pille mit einem süßen Lächeln:

»Ach, ich würde mich sehr freuen, Ihre Schwestern kennenzulernen, Lord Henry«, sagte sie, »aber ich glaube, es ist besser, wir verschieben es, bis unser Haus eingerichtet ist. Der heutige Abend war der letzte meiner Freiheit.«

»Wenn du ausgetrunken hast, Henry«, winkte Mark mit dem Zaunpfahl, »dann würde ich dir raten zu gehen. Deine Leute suchen dich schon.«

Widerwillig erhob sich der andere.

»Montag ziehen wir um«, berichtete Estelle, »das heißt, wenn Vater bis dahin nicht eingesperrt worden ist. Er befindet sich gegenwärtig in einer etwas kritischen Situation. Sobald wir in Cruton-House wohnen, müssen Sie uns besuchen.«

»Ich werde der erste Besucher sein«, versprach der Lord. »Du aber, Mark, spanne unsere Freundschaft nicht zu sehr an. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die ihre Enttäuschung hinunterschlucken und mit ihrem Rivalen Brüderschaft trinken. Wenn ich morgen abend bei dir zu Hause einen Cocktail annehme, dann darfst du das als Großherzigkeit meinerseits auffassen. Das Schlimmste ist ja eben, daß nur dein Diener Andrew einen richtigen Cocktail zu mixen versteht.«

»Er war heute abend recht spaßhaft veranlagt, finden Sie nicht?« beurteilte Mark den Freund, als Dorchester den Tisch verlassen hatte.

»Glauben Sie, daß er mich ebenso heiß liebt wie Sie?« erkundigte sich Estelle.

»Bestimmt nicht. Er war, ehe Sie hier auftauchten, schon ziemlich stark in Myra verschossen. Niemand kann Sie so lieben wie ich.«

»Auch nicht der Prinz? Es soll ja, wie er mir oft versichert, heißes Blut in seinen Adern rollen. Auch seine Mutter ist der Meinung, daß wir beide ausgezeichnet zusammenpaßten. Ist die junge Dame, die dort neben Dorchester sitzt, nicht Myra Widdowes? Sie waren doch auch schon mit ihr befreundet, Mark; gestehen Sie es doch!«

Mark schüttelte abwehrend den Kopf, während er Myra einen Gruß zuwinkte.

»Das Wort hat bei uns zu Hause eine andere Bedeutung«, erklärte er. »Bei uns sind Mann und Frau Freunde, und die, die einander am sympathischsten sind, schließen sich enger aneinander an. Myra habe ich schon als Baby gekannt und auf den Armen getragen. Ich lehrte sie alle Sportarten, führte sie in die Tanzstunde, aber geflirtet haben wir nicht. Ich glaube überhaupt nicht, daß ich jemals Lust zum Flirten hatte, ehe ich Sie kennen lernte.«

»Wollen Sie damit andeuten, daß Sie mit mir nur flirten wollen?« fragte sie mit gespieltem Entsetzen.

»Nennen Sie meine Tätigkeit, wie Sie wollen«, erklärte er. »Ich habe nur einen Wunsch: Sie so bald wie möglich zu heiraten, Estelle!«

»Ach was! Und ich möchte gerne tanzen. Ich bin zwar nicht eingebildet, aber ich habe das Gefühl, als bildeten wir beide den Gesprächsstoff jener Tischgesellschaft. Vielleicht gefällt den Damen mein Kleid nicht! Jedenfalls sehe ich, daß Myra meine Frisur entsetzlich und die hagere Dame – wohl die Gardedame – mein Alleinsein mit Ihnen als ›shocking‹ findet. Sie glaubt, ich ginge auch für eine Ausländerin zu weit.«

»Das könnten wir am besten dadurch ändern«, schlug Mark vor, »daß wir uns gleich morgen früh die Heiratserlaubnis holten und zum Standesamt führen.«

»Das klingt verführerisch«, neckte sie ihn. »Aber, was wird dann aus meinem armen, alten Vater? Er wollte doch der Schwiegervater eines Königs werden.«

»Ach, er wird auch als mein Schwiegervater glücklich sein!« versicherte ihr der junge Bewerber.

»Aber ich weiß noch nicht, was ich tun werde«, machte sie ihn auf die Unsicherheit seiner Aussichten aufmerksam.

»Heute abend noch können Sie Ihren Entschluß treffen, Estelle«, gestattete er ihr.

»Wissen Sie eigentlich, daß ich schon fünfundzwanzig bin? Ich war siebzehn, als ich den ersten Korb verteilte und die ganzen Jahre über waren es immer dieselben Körbe, die ich verabreichte. Sie glauben doch nicht, daß ich mir so etwas in fünf Minuten überlegen könnte?«

»Eine würde genügen«, gab er zurück. Er warf einen Blick auf die Eingangstür. »Wir können noch etwas zu trinken bestellen und Ihren Vater dazu einladen«, erklärte er.

»Meinen Vater?« fragte sie erstaunt.

Er nickte und wies auf Mr. Dukane, der, in kurzer Entfernung, vom ›maître d'hôtel‹ gefolgt, ihrem Tisch zuschritt.

»Hoffentlich wird er keinen Spektakel machen«, meinte Mark und beobachtete den Finanzier.

»Reden Sie keinen Unsinn«, gab sie zurück. »Ich weiß zwar nicht, was er hier will, aber selbstverständlich muß er sich an unseren Tisch setzen. Wir tanzen später weiter. Setzen Sie sich hier neben mich.«

 


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