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»Wie sonderbar, daß ich Ihnen plötzlich so vor dem Domhotel in den Weg laufe«, bemerkte Captain Faulkener, als er sich mit seinen beiden Gästen – Flip war gleichfalls eingeladen – an einem gemütlichen Tisch im Café des Gasthofs »Zum Domwappen« niedergelassen hatte. »Noch gestern abend mußte ich an Sie denken.«
»Wir sind ganz zufällig in diese Gegend geraten«, entgegnete Goade. »Ich hatte nicht die Absicht, so weit nach Süden zu fahren.«
Faulkener bestellte den Lunch und schlürfte sein »apéritif«.
»Das war eine famose Idee von Ihnen,« bemerkte er, »diese sechs Monate Urlaub in aller Bequemlichkeit herumzureisen. Devonshire ist die stillste Gegend, die ich kenne.«
»Finden Sie?« brummte Goade. »Ich dachte schon daran, es mit Mexiko zu versuchen.«
»Wie?«
»Ich will damit sagen, daß Flip und ich immer wieder irgendwie unsere Nase in die Schwierigkeiten anderer Leute stecken müssen. Wir haben ein paar recht anstrengende Wochen an den unwahrscheinlichsten Orten hinter uns.«
»Die Unwin-Affäre haben Sie jedenfalls richtig durchschaut«, gab Faulkener zu. »Eine unerhörte Sache! Wo wollen Sie jetzt hin?«
»Ich habe kein bestimmtes Ziel«, sagte Goade. »Da ich nun einmal so weit nach Süden vorgedrungen bin, werde ich wohl nach der Küste zu fahren.«
Ein Herr, der vorüberging, blieb einen Augenblick stehen, um mit Faulkener einige Worte zu wechseln. Dieser machte ihn sofort mit Goade bekannt.
»Mr. Goade von Scotland Yard – Major Manton, Direktor des hiesigen Gefängnisses.«
»Ich kenne Mr. Goade dem Ruf und Namen nach«, erklärte Major Manton.
Nach einigen belanglosen Worten ging er weiter, und Captain Faulkener sagte in vertraulichem Tone zu seinem Gast:
»Ich hab' ihn nicht aufgefordert, mit uns zu speisen, Goade, weil ich Ihnen etwas unter vier Augen sagen möchte.«
»Kein neuer Fall, hoffentlich«, seufzte Goade.
»Nein, das nicht gerade«, erwiderte Faulkener nach kurzem Zaudern. »Aber es gibt hier eine kleine Sache, die mir keine Ruhe läßt. Ich weiß gar nicht, was ich dabei tun soll, zumal da der Hauptbeteiligte nicht will, daß ich mich an die Kriminalpolizei wende. Da Sie gerade in der Nähe waren, dachte ich – wenn es Sie interessieren sollte – Sie könnten uns vielleicht helfen.«
»Erzählen Sie«, sagte Goade, der sich in sein Schicksal ergab.
»Gerade das möchte ich lieber nicht tun. Es wäre mir lieber, Sie hörten die Geschichte vom Hauptbeteiligten selbst. Haben Sie heute nachmittag eine halbe Stunde Zeit?«
»Wenn es sein muß«, brummte Goade ohne Begeisterung. »Ich hatte sowieso die Absicht, den Rest des Tages hier zu bleiben.«
»Ich will Sie in den Klub bringen«, schlug Faulkener vor. »Am Nachmittag haben wir da eine kleine Bridgepartie. Darf ich Sie um vier abholen?«
»Natürlich. Sie wollen mir also nichts über den Fall sagen?«
Um vier Uhr führte Faulkener seinen Gast zum Domhof und schellte an der Tür eines sehr malerischen alten Hauses, das mit seinen roten Ziegeln und seiner dichten Epheuumrankung etwas ausgesprochen Kirchliches an sich hatte. Ein würdiger Butler öffnete ihnen und führte sie in ein geräumiges Bibliothekzimmer, in dem ein großer Mann mit bewußt wichtiger Miene und den Abzeichen eines Würdenträgers der Kirche an einem schönen Schreibtisch saß und einer Sekretärin Briefe diktierte. Er gab ihr einen Wink, sich zu entfernen und trat seinen Besuchern entgegen.
»Dechant,« sagte Captain Faulkener, »hier ist Mr. Goade, von dem ich mit Ihnen gesprochen habe. Mr. Goade – Dechant Followay.«
Der Geistliche reichte ihnen die Hand und wies auf zwei bequeme Lehnstühle.
»Ich habe Mr. Goade noch kein Wort über die kleine Unannehmlichkeit gesagt«, fuhr Faulkener fort. »Ich dachte mir, es ist besser, er hört alles aus Ihrem eigenen Munde. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Dechant, so verschweigen Sie ihm nichts. Sie werden sehen,« wandte er sich an Goade, »der Fall ist ebenso einfach wie peinlich.«
Der Dechant neigte den Kopf. Er hatte ein langes, faltenreiches Gesicht mit einem ungewöhnlich großen Mund, buschige Augenbrauen und stahlgraues Haar.
Er sah nicht gerade wie ein Asket, aber sicher wie ein Mann aus, der es im Leben nicht immer leicht gehabt hatte.
»Ich glaube,« begann er, während er die Fingerspitzen seiner Hände aufeinanderpreßte und seine Augen auf Goade richtete, »mein Freund Faulkener hat unsere Lage ganz richtig bezeichnet. Sie ist sehr peinlich. Ich will Ihnen alles in möglichst kurzen Worten erzählen, aber ich muß eine kleine Bemerkung über meine persönliche Lebensgeschichte vorausschicken.«
»Bitte sprechen Sie so, wie es Ihnen paßt«, sagte Goade.
»Ich habe meine Laufbahn ohne Privatvermögen als Kurat begonnen«, fuhr der Dechant fort. »Ich habe eine große Familie, und mein Gehalt hat mir niemals erlaubt, an irgendeinen Luxus zu denken. Die Versorgung meiner Kinder ist infolgedessen für mich eine wichtige Frage. Die älteste von meinen vier Töchtern ist zwanzig Jahre alt. Ich will ganz offen zu Ihnen reden, Mr. Goade. Meine Frau und ich haben den Ehrgeiz, den Kindern ein bequemes Leben zu sichern. Es gibt hier nicht viel Verkehr mit jungen Leuten. Meine Frau und ich waren daher höchst erfreut, als sich vor vierzehn Tagen die Herzogin von Exeter an uns wandte und unsere Tochter einlud, auf einige Tage nach Schloß Exeter Park zu kommen, um dort an einer Gesellschaft teilzunehmen. Meine Tochter traf ihre Vorbereitungen und fuhr hin. Sie wurde in reizender Weise empfangen, aber sie kehrte in großer Verzweiflung von diesem Besuch zurück.«
Der Dechant machte eine Pause und spielte nachdenklich mit seiner Uhrkette.
»Ich muß hinzufügen,« fuhr er fort, »daß meine Tochter Florence eine Patin hatte, eine alte Freundin meiner Frau – die Prinzessin Shibolsky, eine Engländerin, die einen Russen geheiratet hatte. Da die Shibolskys reich und kinderlos waren, so hatten wir immer gehofft, daß diese Beziehungen meiner Tochter zugute kommen würden. Leider machte die Revolution allen diesen Hoffnungen ein Ende. Die Prinzessin starb nahezu in Armut. Aber sie hinterließ meiner Tochter das einzige Stück, das von ihrem herrlichen Schmuck übrig war – einen sehr schönen und, wie ich glaube, sehr wertvollen Smaragdanhänger. Wir erhielten den Schmuck erst vor vier Wochen. Ein hiesiger Juwelier schätzte ihn auf etwa zweitausend Pfund, und ich wollte ihn gerade versichern lassen, als die Einladung aus Exeter Park eintraf. Gegen meinen Wunsch entschied sich meine Tochter, den Schmuck mitzunehmen. Sie hatte, scheint es, ein grünes Abendkleid, zu dem der Stein, wie ich zugeben muß, wundervoll paßte. Natürlich hätte ich ihn vor ihrer Abfahrt versichern lassen müssen, aber ich gestehe, ich hab' es nicht getan. Sie kehrte ohne den Schmuck zurück, und was sie erzählte, war höchst betrübend. Es ist eine ganz kurze Geschichte, die Sie von ihr selbst hören sollen.«
Der Dechant klingelte.
»Wollen Sie Miß Florence hereinbitten«, sagte er dem Butler.
Bald erschien die junge Dame – ein hübsches, brünettes Mädchen, das beinahe so groß war wie ihr Vater, ihm sonst aber gar nicht ähnlich sah. Der Dechant machte sie mit Goade bekannt, und Captain Faulkener rückte ihr einen Sessel zurecht.
»Bitte, erzähle Mr. Goade, auf welche Weise du deinen Schmuck verloren hast«, sagte ihr Vater. »Du mußt ihm genau dasselbe sagen, was du uns gesagt hast.«
Sie verzog ein wenig das Gesicht.
»Es ist schrecklich,« sagte sie, »aber es geschah so. Das Platinschloß war sehr fest und ließ sich nur öffnen, wenn man beide Enden stark zusammendrückte. Verschiedene Gäste haben den Anhänger bewundert, und Lord Geoffrey, der sehr viel mit mir tanzte, schien besonders entzückt davon. Gegen Ende des Abends schlug er mir vor, mich mit ihm auf die Terrasse hinauszusetzen. Dort war es etwas windig, und er bestand darauf, mir einen Shawl zu bringen. Wir unterhielten uns einige Zeit, und wiederholt sah ich den Stein funkeln und erinnere mich sogar, daß ich dachte, wie wundervoll die Farbe zu meinem Kleide paßte. Als wir hineingingen, nahm Lord Geoffrey mir selbst den Shawl ab. Er machte sich ziemlich lange damit zu schaffen und sagte mir die ganze Zeit wirklich recht nette Dinge. Er ließ mich im Ballsaal zurück und brachte den Shawl weg. Bevor er wiederkam, hatte mich ein Herr aufgefordert, doch kaum hatte der Tanz begonnen, da bemerkte ich, daß der Smaragd fort war – die Kette und alles.«
Es folgte eine kurze Stille.
»Ich möchte Sie nicht mit zwecklosen Fragen aufhalten, Miß Followay«, bemerkte Goade. »Sie glauben, daß Lord Geoffrey den Schmuck genommen hat?«
»Wer sonst?« rief sie. »Er bestand darauf, den Shawl zu holen, was wirklich ganz unnötig war. Er war lange damit beschäftigt, ihn mir abzunehmen, und sprach dabei die ganze Zeit in recht sonderbarer Weise. Sobald wir den Ballsaal betreten hatten, verschwand er – und der Smaragd war fort.«
»Sie haben doch mit ihm davon gesprochen?«
»Ja, sobald es mir gelang, ihn aufzufinden, aber er blieb mindestens eine Stunde unsichtbar. Kein Mensch schien zu wissen, wo er war. Als ich ihn endlich entdeckte, saß er allein in dem Zimmer, wo es Wein und Erfrischungen gab. Ich ging gleich auf ihn zu und sagte ihm, daß mein Smaragd verschwunden sei. Ich hatte schon die Terrasse, auf der wir gesessen hatten, gründlich durchsucht, aber er bestand darauf, wieder dahin zurückzukehren. Ich schlug ihm vor, im Shawl nachzusehen. Er ging und holte ihn, aber es fand sich nichts. Er schien sehr betrübt und versprach mir, alles zu tun, was er konnte, aber er bat mich, im Augenblick nicht zu viel Lärm zu machen, da die Herzogin, die sehr altmodisch ist, so etwas gar nicht vertragen kann.«
»Die Herzogin,« erklärte der Dechant, »gehört der alten Zeit an. Der Gedanke eines Juwelendiebstahls in ihrem Hause hätte sie mit Entsetzen erfüllt. Wenn wir die Sache auf dem gewöhnlichen Wege der Polizei anvertraut hätten, so wäre unsere Tochter ganz bestimmt dorthin nie wieder eingeladen worden.«
»Man hat es ihr aber doch mitgeteilt?« fragte Goade.
»Natürlich. Florence erwähnte es so nebenhin wie möglich am nächsten Morgen vor ihrer Abreise. Aber trotzdem zeigte die Herzogin eine eisige Kälte.«
»Ich versuchte, darauf hinzuweisen, daß es ein wertvolles Stück sei,« warf Florence ein, »aber sie sagte einfach, wenn ich es beim Tanzen verloren hätte, so würden die Dienstboten es finden und es würde uns zugeschickt werden. Wenn sie es nicht fänden, so würde ich es wohl unter meinen Sachen entdecken, wenn ich nach Hause käme.«
»Ich weiß nichts von der Familie«, gestand Goade. »Sind sie vermögend?«
»Hinreichend, glaube ich,« erwiderte der Dechant, »aber bei der ungerechten Steuerverteilung von heute kann eigentlich kein Mitglied des alten Reichs- oder Landadels als vermögend bezeichnet werden. Immerhin glaube ich, daß die Exeters auch für ihre Stellung recht wohlhabend sind.«
»Und der junge Mann, Lord Geoffrey?«
»Nach allem, was man hört, sollte man ihn für einen jungen Menschen von vorzüglicher Lebensführung halten«, meinte der Dechant. »Er ist der älteste Sohn und vertritt den südlichen Bezirk der Grafschaft im Parlament. Er soll als Politiker eine Zukunft haben.«
»Hat er Privatvermögen?«
»Soviel ich weiß, nicht, aber zweifellos eine angemessene Rente von seinem Vater.«
Goade überlegte einen Augenblick. Plötzlich blickte er auf die junge Dame.
»Und jetzt erzählen Sie mir das Ende der Geschichte«, sagte er freundlich.
Sie war sichtlich verwirrt. Eine leichte Röte zeigte sich auf ihren Wangen.
»Das Ende der Geschichte – was meinen Sie damit?« fragte sie.
»Sie haben mir etwas verschwiegen,« sagte Goade, »wie es die meisten tun. Das hält einen so auf, wenn man wirklich helfen soll.«
Sie blieb einige Augenblicke stumm.
»Well, ich hätte nur noch folgendes zu sagen«, gab sie schließlich zu. »Ich habe Lord Geoffrey in London bei meiner Patin kennengelernt. Er war sehr aufmerksam gegen mich. Ich wurde sicher auf seine Veranlassung hin nach Exeter Park eingeladen. Aber seit diesem Abend hat er uns nicht mehr besucht, und bei meiner Abreise ließ er sich nicht sehen. Er scheint mir absichtlich aus dem Wege zu gehen. Ich war doch gezwungen, mit ihm von meinem Verlust zu sprechen. Er war ja dabei, als es geschah. Aber er scheint es mir übelgenommen zu haben.«
»Recht unvernünftig von seiner Seite«, bemerkte Goade.
»Entschieden ganz unsportlich«, brummte Faulkener.
»Ich muß jedoch bemerken,« sagte der Dechant, »daß wir den jungen Mann heute nachmittag zum Tee erwarten. Er war heute beim Bischof zum Lunch; meine Frau befand sich auch unter den Gästen und hat ihn eingeladen. Nach einigem Zögern sagte er zu, wie ich höre.«
»Ich würde ihn gerne kennenlernen«, gab Goade zu verstehen.
»Das wird hoffentlich gleich geschehen«, erwiderte der Dechant.
»Darf ich inzwischen fragen, Miß Followay,« sagte Goade, »was Sie vorziehen würden – die Wiedererlangung Ihres Schmuckes oder die Entlarvung des Diebes?«
Sie zauderte.
»Natürlich möchte ich meinen Schmuck wiederhaben«, gestand sie. »Aber ich würde auch gerne den Dieb zwingen, ein Geständnis abzulegen.«
Der Butler öffnete die Türflügel.
»Der Tee ist im Salon aufgetragen, Sir«, meldete er.
»Ich hoffe, Sie kommen mit uns, Mr. Goade?« lud der Dechant ein. »Sie werden so Gelegenheit haben, den jungen Mann kennenzulernen.«
Sie durchschritten die Hall und traten in einen sehr freundlichen Salon, dessen Fenstertüren auf den Rasenplatz des Domhofes hinausführten. Goade wurde Mrs. Followay vorgestellt, die ihrer Tochter sehr ähnlich war, nur lag ein Ausdruck der Müdigkeit auf ihrem hübschen Gesicht. Außer einem Geistlichen und dessen Frau war auch Lord Geoffrey Fernell zugegen. Es war ein langer, hagerer junger Mann, von etwas gesuchtem, zurückhaltendem Benehmen. Er sprach sehr wenig. Sogar als Florence sich neben ihn setzte, schien er kaum aufzutauen. Er unterhielt sich mit dem Geistlichen über eine Kirchenversammlung, die kürzlich stattgefunden hatte, und wechselte mit dem Dechanten einige Worte über einen Antrag klerikalen Charakters, den er unterstützt hatte. Aber er zeigte die ganze Zeit über eine gewisse Teilnahmlosigkeit und empfahl sich als erster. Als er fort war, stieß Mrs. Followay einen Seufzer aus.
»Ich weiß gar nicht, was mit Lord Geoffrey geschehen ist«, sagte sie in melancholischem Ton. »Es sieht beinahe so aus, Florence, als hättest du ihn gekränkt.«
Florence stellte ihre Tasse auf den Tisch und wandte sich zur Tür. Goade, der sie ihr öffnete, sah, daß ihre Augen voll Tränen waren. Sie winkte ihm mit der einen Hand einen Abschiedsgruß zu, in der anderen hielt sie ihr Taschentuch. Dann lief sie schnell die Treppe hinauf . . .
»Ein nettes Mädchen«, bemerkte Faulkener, als er mit Goade durch den Domhof dem Klub zuschritt.
»Wirklich sehr nett«, stimmte Goade bei. »Sie gefällt mir besser als der junge Mann.«
»Trotzdem glaube ich,« sagte Faulkener, »daß sie mit ihrer Annahme ganz auf dem Holzwege ist. Daß ein Mann in Lord Geoffreys Stellung ein junges Mädchen – um so einer Bagatelle willen – bestiehlt, ist einfach unglaublich. Ehrlich gesprochen, Goade, was sagen Sie dazu?«
»Ich bin ganz Ihrer Meinung.«
»Das ist eben die Schwierigkeit. Die Followays wollen natürlich ihren Smaragd wiederhaben. Auf der anderen Seite haben sie den jungen Mann bereits gekränkt und fürchten sich sehr davor, auch seine Familie aufzubringen. Sie verstehen, die Leute beherrschen hier die ganze Gesellschaft, und die alten Followays haben noch drei heranwachsende Töchter. Darum wollte er Sie so gerne sprechen. Sie wagen es nicht, sich offiziell an uns zu wenden. Er möchte die Exeters nicht kränken, aber er will seinen Schmuck haben. So steht es, Goade. Sie müssen Rat schaffen.«
»Ich danke Ihnen«, bemerkte Goade in trockenem Ton. »Furchtbar einfach, nicht wahr?« . . .
Goade verbrachte einige Nichtstuertage im Grünen, in der stillen Umgebung des Städtchens. Er kaufte sich eine Angelrute und ließ sich mit einigem Erfolg von einem erfahrenen Angler belehren. Nachmittags malte er fleißig. Am vierten Tage erhielt er mit der Mittagspost einen Packen Briefe. Leise vor sich hinpfeifend, las er sie durch. Dann rief er Faulkener telephonisch an, der sehr bald erschien. Sie wanderten zum Lunch ins Café.
»Well, lieber Freund,« fragte der Polizeidirektor, »wie steht es mit unserer Sache?«
»Um die Wahrheit zu sagen, nicht ganz so, wie wir es erwartet haben«, gestand Goade. »Ich habe über Lord Geoffrey Fernell ausführliche Auskunft erhalten. Allem Anschein nach – meine Akten sind absolut zuverlässig – gibt es auf dieser Welt wenige junge Leute von so guter Lebensführung. Er wohnt durchaus nicht im feinsten Stadtteil, ein altes Ehepaar von tadellosem Ruf – frühere Angestellte der Familie – besorgt den Haushalt. Der strengste Zensor hätte nichts an seinem Leben auszusetzen. Er besucht regelmäßig das Oberhaus, ist ein geachtetes Mitglied in mehreren Ausschüssen und gehört zum Vorstand zweier Krankenhäuser, einer Wohltätigkeitsanstalt und eines durchaus soliden kommerziellen Unternehmens. Der junge Mann hat also, wie Sie sehen, ernste Interessen. Er besucht das Theater, geht aber nicht in die Operette, spielt eifrig Golf, gelegentlich Polo, in der letzten Zeit aber mehr Tennis, wie ich höre. Er verkehrt nur in den allerbesten Kreisen, hat keine Liaison und, soviel sich sehen läßt, keine gefährlichen Neigungen. Man kann dem Herzog von Exeter nur gratulieren. Sein Sohn ist – nach diesen Akten zu urteilen – ein vorbildlicher Mensch, der ihm als Nachfolger alle Ehre machen wird.«
»Das klingt alles ganz gut«, bemerkte Faulkener. »Haben Sie sonst noch was erfahren?«
Einen Augenblick schien Goade sich ganz seinem Lunch zu widmen.
»Unglücklicherweise«, fuhr er nach einer Weile fort, »scheint ein kleiner Zwischenfall der Sache einen ganz anderen Anstrich zu geben. Am siebenten Juli – das war wohl der Tag nach dem Ball auf Schloß Exeter Park, der Tag, an dem Lord Geoffrey nach London zurückkehrte – an diesem Tage ist, nach absolut zuverlässigen Feststellungen, der Smaragdschmuck, den Miß Followay verloren hatte, für tausend Pfund in der Holbornstraße versetzt worden, und zwar von einem jungen Manne, der sich Geoffrey Fernell nannte und dessen Personalbeschreibung in jeder Hinsicht Lord Geoffreys Erscheinung entspricht.«
»Gott im Himmel!« Captain Faulkener saß mit offenem Munde da.
»Man sieht daraus nur,« fügte Goade hinzu und bückte sich, um Flip ein wenig zu streicheln, »was für Heuchler wir in unserer Mitte haben. Die Sache hat natürlich – für Sie wie für mich – ihre sonderbaren Seiten, aber, ich glaube, wenn wir mit aller Ruhe zu Werke gehen, wird uns schließlich alles klar werden.«
Faulkener warf einen mißtrauischen Blick auf seinen Gefährten.
»Hören Sie, Goade, Sie machen sich doch nicht etwa lustig oder –?«
»Ich bin in meinem ganzen Leben niemals ernster gewesen«, lautete die prompte Antwort. »Bisher habe ich getan, was Sie wünschten. Ich habe alle meine Ermittelungen in nichtamtlicher Weise angestellt und aufgedeckt, was ich aufdecken sollte. Der Dechant hat jetzt die ganzen Tatsachen vor sich. Als Christ und Ehrenmann kann er wohl nur eines tun.«
»Sie meinen, eine Anzeige erstatten?«
»Was bleibt ihm anderes übrig?« meinte Goade. »Der junge Mann hat sich offenbar schmählich benommen. Er hat sich in London Miß Followay genähert. Als er sie im Hause der Prinzessin Shibolsky traf, hielt er sie für vermögend. Hier in der Provinz erfährt er, daß sie die Tochter eines verarmten Geistlichen ist, der unter dem Patronat seiner Familie steht. Er entwendet ihr das Einzige, was sie besitzt, in der – wie es scheint, berechtigten – Überzeugung, daß der Dechant es nie wagen wird, die Sache der Polizei zu übergeben, aus Furcht, die mächtige Familie zu beleidigen. Mir hat der junge Mann vom ersten Augenblick an mißfallen, Faulkener.«
»Aber Ihre Akten? Was wollte er mit tausend Pfund? Er spielt, trinkt, wettet nicht, hält sich keine Weiber.«
Goade nickte nachdenklich mit dem Kopf.
»Wer kann wissen, wie er sein Geld los wird?« bemerkte er. »Es gibt so viele Möglichkeiten, und auch die Akten von Scotland Yard sind nicht erschöpfend. Aber was nun? Kommen Sie mit mir zum Dechanten?«
»Das wird wohl geschehen müssen«, sagte Faulkener etwas zögernd. »Sie dürfen aber nicht vergessen, Goade, daß Ihr Besuch noch ganz inoffiziell sein muß.«
»Wir gehen alle inoffiziell hin,« stimmte Goade bei, »– sogar Flip . . .«
Am selben Tage, in früher Nachmittagsstunde, wurde eine Schar auffallend ernster Besucher von dem Butler in den stattlichen Bibliotheksraum auf Schloß Exeter Park geführt. Florence trat zuerst ein: sie sah blaß, aber entschlossen aus. Ihr folgte der Dechant, in zorniger, etwas nervöser Erregung. Faulkener, der sehr verlegen schien, und Goade mit Flip unterm Arm – sie war den Bedienten an der Tür entgangen – beschlossen den Zug. Der Butler wies auf einige Lehnstühle. Wenn er auch über diesen ungewöhnlichen Besuch überrascht war, so verriet sein Gesicht doch keine Spur davon.
»Ihre Ankunft, Sir, wird Seiner Gnaden gemeldet werden«, sagte er mit einer leichten Verbeugung gegen den Dechanten und zog sich bedächtigen Schrittes zurück.
Die vier Menschen saßen mit finsterer Miene da und warteten, ohne ein Wort zu sprechen. Plötzlich öffnete sich die Tür und eine ältere Dame, die typische Herzogin, wie sie in den Witzblättern karikiert wird, trat ein, gefolgt von einem langen, hageren Mann mit kalten blauen Augen, schmalem Mund und eisiger Haltung. Die Besucher erhoben sich. Der Herzog und die Herzogin reichten dem Dechanten und seiner Tochter die Fingerspitzen, gönnten Captain Faulkener eine Bewegung, die ein Gruß sein sollte, und warfen Goade nur einen Blick kalter Überraschung zu. Dann taten sie, als wäre er nicht da. Die Herzogin setzte sich in einen bequemen Lehnstuhl; der Herzog blieb an ihrer Seite stehen.
»Welchem Anlaß,« begann er und musterte die kleine Gruppe durch sein Augenglas, »welchem Anlaß haben wir diesen, wenn ich so sagen darf, unerwarteten Besuch zu verdanken?«
Der Dechant ergriff das Wort, und bei dem Klang seiner eigenen Stimme wuchs seine Sicherheit. Diese Stimme hatte die oberste Klasse einer großen höheren Lehranstalt in ihrem Bann gehalten, sie hatte auf mancher Kirchenversammlung durch weite Hallen getönt, durch sie hatte er seine geistliche Würde erworben, durch sie hoffte er einst einen Bischofssitz zu gewinnen.
»Euer Gnaden,« sagte er, »ich kann Ihnen versichern, daß ich nur mit dem größten Widerstreben heute hergekommen bin. Nur das starke Gefühl meiner Pflicht konnte mich dazu bewegen, Sie zu stören, um Ihnen etwas mitzuteilen, was uns selbst ebenso peinlich ist, wie es Ihnen schmerzlich sein wird, davon zu hören.«
Die Herzogin hob auf einen Augenblick ihre Lorgnette vor die Augen; dann klappte sie sie wieder zu.
»Ist Ihre Tochter hergekommen, um über ihr Stückchen Glas Lärm zu schlagen?« fragte sie kühl. »Meine Bedienten sind beauftragt, es zurückzuerstatten, sobald es sich gefunden hat.«
»Das Stückchen Glas, wie Euer Gnaden es nennt,« fuhr der Dechant fort, »ist ein Smaragd von hohem Wert, den meine Tochter von ihrer Patin, der Prinzessin Shibolsky, geerbt hat. Ich fürchte, es ist keine Aussicht dafür vorhanden, daß Ihre Bedienten ihn zurückerstatten; denn es ist festgestellt worden, daß er sich in einem Leihhause in London befindet. Ich darf vielleicht hinzufügen, daß dieser Schmuck, über den Euer Gnaden in so wegwerfender Weise sprachen, für tausend Pfund versetzt worden ist.«
»Und von wem?« fragte der Herzog.
»Es tut mir leid, es sagen zu müssen, Euer Gnaden, – von Ihrem Sohn«, erklärte der Dechant und hielt einen Augenblick inne, bis seine Worte ihre volle Wirkung getan hatten.
Es war jedenfalls schon eine Leistung, diese beiden Menschen, die keines Gefühls fähig schienen, in Erstaunen versetzt zu haben. Auf dem Gesicht der Herzogin malte sich halb Schrecken, halb Verachtung. Der Herzog stand mit geöffnetem Munde da und sah ganz ungläubig aus.
»Von meinem Sohn! Von Lord Geoffrey!« brachte er endlich mit Mühe hervor. »So etwas Lächerliches habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört. Herr Dechant! Sind Sie sich dessen bewußt, was Sie gesagt haben? Soll ich wirklich annehmen, daß Sie an diesem – wie soll ich es nennen? – an diesem Komplott beteiligt sind?«
»Euer Gnaden,« erwiderte der Dechant, »es verhält sich so, wie ich sagte. Meine Tochter war außer sich über ihren Verlust. Sie fürchtete sich, in Ihrem Hause offen davon zu sprechen, aber bei ihrer Heimkehr gab sie ehrlich zu, daß der Schmuck in den kurzen Augenblicken verloren wurde, als Lord Geoffrey ihr den Shawl abnahm, den er ihr ohne ersichtlichen Grund aufgezwungen hatte. Ich kann die Gefühle meiner Tochter verstehen. Sie war überzeugt, daß der Schmuck sich im Besitz Ihres Sohnes befand, aber sie fühlte sich anfangs ganz außerstande, mehr zu tun, als ihren Verlust bekanntzugeben.«
»Ich möchte mir die Sache klar machen«, sagte die Herzogin. »Dann werden wir das Weitere hören. Man wird die nötigen Schritte tun. Wenn ich Sie recht verstehe, Herr Dechant, so hat Ihnen Ihre Tochter bei der Rückkehr von ihrem unglückseligen Besuch in unserem Hause mitgeteilt, daß sie ihren Schmuck verloren hätte, und zugleich die Ansicht ausgesprochen, daß er von Lord Geoffrey gestohlen worden wäre?«
»So ist es«, gab der Dechant zu. »Ich habe meine Tochter nach allen Richtungen ausgefragt, aber ihre Überzeugung blieb unerschütterlich fest.«
»Lassen Sie sie selbst sprechen«, sagte die Herzogin in feierlichem Ton. »Junge Person, sind Sie hergekommen, um meinen Sohn zu beschuldigen, Ihren Schmuck gestohlen zu haben? Meinen Sohn! Lord Geoffrey! Den künftigen Herzog!«
»Ich wollte nicht herkommen«, erwiderte das junge Mädchen mit leise zitternder Stimme. »Wenn Lord Geoffrey mich um den Schmuck gebeten hätte, so hätte ich ihn ihm gegeben. Aber daß er ihn genommen hat, ist eine Tatsache. Ich fühlte ganz deutlich, wie seine Finger das Schloß öffneten, als er mir den Shawl abnahm. Gleich nachdem er mich verlassen hatte, sah ich, daß der Schmuck fort war. Jetzt ist er in einem Leihhaus in der Holbornstraße entdeckt worden. Er wurde unter dem Namen Geoffrey Fernell versetzt.«
Der Herzog schritt langsam durch das Zimmer und klingelte.
»Es gibt nur ein Mittel, dieser unerfreulichen Szene ein Ende zu machen«, erklärte er. »Sie werden Ihre Behauptung vor Lord Geoffrey selbst wiederholen.«
Eine kurze Stille folgte. Der Butler erschien und wurde beauftragt, Lord Geoffrey hereinzubitten. In der Zwischenzeit hob die Herzogin noch einmal ihre Lorgnette vor die Augen.
»Und wer ist dieser Mann mit dem abscheulichen, kleinen weißen Hund?« fragte sie.
»Euer Gnaden,« erwiderte Goade, »ich bedaure sehr, wenn meine Anwesenheit oder die Anwesenheit meines Hundes Sie belästigt. Ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß ich ganz gegen meinen Willen hier bin. Meine Besuche erfolgen oft in dieser Weise. Mein Name ist Goade – Inspektor Goade von Scotland Yard.«
Die Hand der Herzogin bebte. Sie wandte sich an den Dechanten, und ihre Stimme hätte auch dem mutigsten Manne Furcht einjagen können.
»Soll das heißen,« fragte sie, »daß Sie die Niederträchtigkeit gehabt haben, die Sache der Polizei anzuzeigen?«
»Euer Gnaden«, sagte der Dechant. »Bei den Beweisen, die vorliegen, hätte ich es vernünftigerweise für meine Pflicht halten können, die Sache zur Anzeige zu bringen. In Wirklichkeit ist aber Mr. Goade nur in nichtamtlicher Weise zugegen. Wir haben uns an ihn als an Captain Faulkeners Freund gewandt. Unser einziger Wunsch ist, daß die Sache unverzüglich und ohne Aufsehen zu erregen aufgeklärt wird.«
Die Herzogin war sprachlos. In diesem Moment öffnete sich die Tür und Lord Geoffrey trat herein. Er war im Tennisanzug und trug ein Racket unter dem Arm. Einen Augenblick starrte er durch sein Monokel ganz überrascht auf die unerwarteten Besucher. Er sah seinem Vater etwas ähnlich.
»Hallo!« rief er aus. »Miß Followay! Wie geht es Ihnen? Und Ihnen, Herr Dechant? Faulkener, Sie kommen wie gerufen! Eine Partie Tennis? Was soll die fröhliche kleine Versammlung bedeuten?«
»Du hast allen Grund, diese Frage zu stellen, Geoffrey«, sagte seine Mutter in finsterem Ton. »Du wirst dich erinnern, daß wir kürzlich auf deine Veranlassung Miß Followay eingeladen haben, einige Tage bei uns zu verbringen.«
»Nun, und?« fragte der junge Mann.
»Du erinnerst dich vielleicht auch,« fuhr seine Mutter fort, »daß Miß Followay davon sprach, einen Schmuckgegenstand – es war wohl ein Anhänger – verloren zu haben?«
»Ich erinnere mich sehr gut. Wir haben überall gesucht, aber das Ding war nicht zu finden.«
»Der Dechant ist heute hergekommen, um uns mitzuteilen, daß der in Frage stehende Gegenstand in einem Leihhause der Holbornstraße entdeckt worden ist,« erklärte die Herzogin, »und zwar, wie es scheint, durch den Herrn mit dem weißen Hund, einem Inspektor von Scotland Yard. Diese Leute behaupten, daß das Schmuckstück von einem jungen Manne versetzt wurde, der den Namen Geoffrey Fernell angab.«
Lord Geoffrey stand einen Augenblick wie versteinert da; dann warf er sein Racket auf ein Sofa.
»Mein Gott!« rief er aus.
»Deine Mutter und ich«, warf der Herzog in frostigem Tone ein, »sind uns noch nicht darüber klar geworden, ob wir das als eine Beleidigung oder einfach als hellen Wahnsinn von Seiten dieser guten Leute zu betrachten haben. Wir wüßten gerne, was du dazu zu sagen hast.«
Lord Geoffrey sagte gar nichts. Einige Augenblicke blieb er, die Hände in den Hosentaschen, stehen. Dann wandte er sich plötzlich an Florence.
»Dachten Sie, daß ich ihn genommen hätte?« fragte er.
Sie sah ihm mutig ins Gesicht.
»Ja«, erwiderte sie. »Ich hatte den Shawl nicht nötig. Sie bestanden darauf, ihn mir zu bringen, und als Sie ihn mir abnahmen, merkte ich, daß Ihre Finger sich am Schloß des Anhängers zu schaffen machten. Sie nahmen den Shawl weg, und ich glaube, der Anhänger wäre darin. Jedenfalls sind Sie am nächsten Morgen nach London gefahren, und man hat entdeckt, daß der Schmuck auf Ihren Namen für tausend Pfund versetzt worden ist.«
Er sah ihr in die Augen, ohne die anderen zu beachten. Ohne mit der Wimper zu zucken, ertrug sie seinen Blick.
»Warum haben Sie es nicht früher gesagt, wenn Sie mich im Verdacht hatten?« fragte er.
Einen Augenblick zögerte sie, aber ohne irgendein Zeichen der Verlegenheit.
»Es war mein erster Besuch in diesem Hause«, erklärte sie. »Ich wollte kein Aufsehen erregen. Ich hoffte, daß mir mein Schmuck zurückerstattet werden würde.«
»Ich denke,« sagte die Herzogin mit kalter Miene, »es ist an der Zeit, dieser unerfreulichen Zusammenkunft ein Ende zu machen. Wollen Sie noch irgendeine Frage an meinen Sohn richten?«
Goade, der einige Augenblicke wie zerstreut Flip gestreichelt hatte, griff hier plötzlich ein.
»Ich würde gern eine recht naheliegende Frage an ihn richten, wenn ich darf«, sagte er. »Ich möchte ihn fragen, ob er Miß Followays Anhänger gestohlen hat oder nicht?«
»Ich dachte, das hätten Sie schon entdeckt«, lautete die unerwartete Antwort. »Ja, ich habe ihn gestohlen.«
»Und in der Holbornstraße versetzt?«
»Jawohl.«
Es trat eine tiefe Stille ein. Sogar der Dechant saß fassungslos da. Die Herzogin vermochte kein Wort hervorzubringen; der Herzog hatte seine ganze Würde verloren und starrte mit offenem Munde auf seinen Sohn.
»Darf man weiter fragen, warum Sie ihn gestohlen haben?« fuhr Goade fort.
»Ich brauchte Geld«, lautete das kurze Geständnis. Der junge Mann blickte auf seinen Vater und seine Mutter, die beide einem Zusammenbruch nahe schienen.
»Es tut mir natürlich furchtbar leid,« sagte er, »aber ich trage schließlich die Schuld nicht allein. Ich habe dir immer wieder geschrieben, Papa, und gesagt, daß es mir unmöglich wäre, mit zweitausend Pfund im Jahr standesgemäß zu leben. Ich brauchte unbedingt tausend Pfund, und ich glaubte sie auf diese Weise ohne irgendein Risiko erhalten zu können. Ich hatte natürlich die Absicht, Miß Followay das Ding später mal wiederzugeben.«
Die Herzogin war nicht mehr imstande, ihre Gedanken zusammenzuhalten. Ihre Kräfte versagten, sie hatte den letzten Halt verloren.
»Du hast gestohlen!« murmelte sie. »Geoffrey! Unser Sohn! Du hast ein Mädchen bestohlen!«
»Der Schmuck soll zurückerstattet werden«, erklärte der Herzog mit zitternder Stimme.
»Das dürfte schwerlich genügen«, sagte Florence in kaltem Ton. »Euer Gnaden und die Herzogin wissen nicht, warum Lord Geoffrey mich hier einladen ließ. Ich will es Ihnen sagen. In London waren wir recht oft zusammen. Seit ich hier bin, will er nicht mehr viel von mir wissen. Wie man hört, macht er in London einer jungen Dame vom Yorktheater den Hof. Haben Sie meinen Anhänger gestohlen, Lord Geoffrey, um ihr Geschenke zu machen?«
Der junge Mann wandte sich zur Tür.
»Ich habe genug von der Geschichte«, erklärte er mißmutig.
Er wollte das Zimmer verlassen, aber Goade ließ es nicht zu.
»Ich fürchte, Lord Geoffrey, ich kann Sie im Augenblick nicht gehen lassen«, sagte er laut.
»Was soll das heißen?« stammelte die Herzogin.
»Euer Gnaden,« sagte Goade in ernstem Ton, »Ihr Sohn hat gestanden, einen Diebstahl begangen zu haben. Wenn Miß Followay ein Strafverfahren einleiten will –«
»Ein Strafverfahren!« schrie die Herzogin auf.
»Ein Strafverfahren!« stöhnte der Herzog.
»Warum nicht?« bemerkte Florence. »Ihr Sohn hat sehr schlecht an mir gehandelt. Ich glaube, das ist das richtigste Mittel –«
Lord Geoffrey führte sie ein wenig beiseite.
»Wenn ihr erlaubt,« wandte er sich an seine Eltern, »so will ich die Sache mit Miß Followay besprechen. Ich gebe diesem Herrn mein Wort,« fügte er zu Goade gewendet hinzu, »das Haus nicht zu verlassen.«
Er öffnete die Tür, und beide gingen aus dem Zimmer. Die Herzogin wandte sich an den Dechanten:
»Herr Dechant,« bat sie, »könnten Sie nicht meinen Sohn bei seinen Bemühungen, Ihre Tochter zu überzeugen, unterstützen? Ich rechne darauf, daß Sie alles tun, was Sie können, um sie weich zu stimmen. Wenn Geoffrey den Schmuck genommen hat, so muß er es im Scherz getan haben.«
»Er hat ihn doch wohl schwerlich im Scherz versetzen können«, bemerkte der Dechant förmlich.
Es herrschte ein peinliches Schweigen. Dann öffnete sich die Tür: Florence und Lord Geoffrey traten wieder ein. Dem letzteren schien ein Stein vom Herzen gefallen zu sein.
»Alles in Ordnung«, erklärte er, zu seinen Eltern gewandt. »Florence gibt zu, daß es ein Scherz war. Sie ist vollkommen bereit, kein Wort mehr darüber verlauten zu lassen. Heute abend schicken wir unsere Verlobungsanzeige an die ›Morning Post‹.«
Die Augen der Herzogin flammten auf. Sie warf einen einzigen Blick auf Florence.
»Das ist also Ihr Preis!« rief sie.
Der Dechant erhob sich würdevoll.
»Euer Gnaden,« sagte er, »wenn Sie diesen Ton anschlagen –«
Der Herzog legte sich ins Mittel.
»Meine Frau hat sich vergessen«, sagte er entschuldigend. »Nichts ist so schlimm, wie das, was hätte geschehen können. Meine Liebe,« fuhr er fort und nahm Florence bei der Hand, »lassen Sie mich Ihnen Glück wünschen. Geoffrey, ich gratuliere dir.«
Geoffrey klopfte seinen Vater auf den Rücken und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Herzog nickte.
»Morgen spreche ich mit meinem Anwalt«, versprach er. »Du sollst ein Haus in der Stadt und eine angemessene Rente haben.«
Captain Faulkener erhob sich; Goade folgte seinem Beispiel. Der Herzog sah ihn unsicher an.
»Ich nehme an, Sir,« sagte er, »daß sich unter diesen Umständen jeder weitere Schritt von Ihrer Seite erübrigt.«
»Ich folge ganz Miß Followays Befehl«, erwiderte Goade.
»Und ich habe mit dem Feinde einen Pakt geschlossen«, sagte sie leise . . .
Lord Geoffrey setzte sich zwischen Goade und seine Braut in das Auto, das sie heimbrachte.
»Goade,« sagte er, »Sie waren fabelhaft.«
»Was war ich?« fragte Goade.
»Fabelhaft«, wiederholte Lord Geoffrey. »Sie haben den Kriminalbeamten ganz großartig gespielt. Schwierige Leute – meine Alten – aber Sie haben ihnen einen gehörigen Schreck eingejagt.«
Goade kniff Flip ins Ohr.
»Ihr jungen Leute habt eure Sache recht gut gemacht«, bemerkte er. »Es gab Augenblicke, wo ich selbst nicht recht verstand, daß das Ganze ein Streich war.«