Georg Freiherr von Ompteda
Denise de Montmidi
Georg Freiherr von Ompteda

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XX.

Nun war die Woche, die Denise bei den Schwestern zugebracht hatte, vorüber. Sie war wieder zurückgekehrt. Der Frieden, der sie dort umgeben, der ihr wohlgetan hatte, als heilte er einen Kranken, zitterte noch in ihr nach. Sie hatte mit dem Pfarrer gesprochen, für heute nachmittag Punkt vier Uhr war ihr endgültiges Eintreffen bei den Dames de la Retraite verabredet.

Noch einmal ging sie durch die Räume ihres Hotels, um Abschied zu nehmen von all den Gegenständen, die sie bisher umgeben hatten, die sie mit Fleiß und Liebe und Mühe gesammelt. Aber der Abschied ward ihr nicht schwer und dauerte nicht lange. Als wäre ihr Interesse erstorben, eilte sie nur durch die Zimmer; es war wie ein einfacher Spaziergang. Sie blickte mit offenen Augen um sich, aber sie sah nichts, ihr Geist schien wie in sich gekehrt zu sein, und ein Lächeln schwebte um ihre Lippen. Ihre Züge, auf denen die Jahre nur wenig Spuren hinterlassen hatten, waren nicht mehr so ernst wie in der letzten Zeit, sie waren fast heiter, wie verklärt, als blicke sie einem Wunderbaren entgegen.

Denise hatte ihren Leuten noch nichts von dem Schritt gesagt, den sie vorhatte, sie wußte nicht einmal, ob sie etwas ahnten, denn sie hatte getan, als wäre sie die acht Tage, die sie in dem Kloster verlebt, verreist gewesen.

Um das möglich zu machen, hatte sie sich an den Bahnhof fahren lassen und dort einen Wagen genommen, der sie mit ihren paar Habseligkeiten zu den Dames de la Retraite gebracht hatte.

Heute brauchte sie ja nichts mitzunehmen, sie hatte keine Auswahl mehr zu treffen. Was sie besaß, ließ sie hier, und nur um den äußern Schein zu wahren, war sie genau noch angezogen wie früher. In ihren rosigen Ohren blitzten noch die großen Brillanten, an ihren Händen glitzerten die Ringe. Niemand ahnte, daß sie in einer Stunde alles das von sich legen würde für ihr ganzes Leben.

Sie hatte verabredet, sobald sie das Hotel verlassen hätte, sollte der Pfarrer kommen, der dann zum ersten Male ihr Haus betreten würde. Er sollte mit dem Notar erscheinen, eine Aufnahme der vorhandenen Gegenstände machen, den Leuten ihren Lohn auszahlen und jedem dazu eine größere Summe, die Denise ihnen ausgesetzt hatte. Die beiden Herren sollten dann erst mitteilen: ›Die gnädige Frau kommt nicht wieder, sie ist unter einfachem Vornamen aus dieser Welt des Scheins verschwunden.‹

Denise ging in ihr Schlafzimmer. Dort schloß sie sich ein. Ein glattes schwarzes Kleid, das sie damals getragen hatte, als sie zu den Schwestern die acht Tage ging, lag schon auf dem Bett zum Anziehen bereit. Denise sah nach der Uhr, sie hatte noch eine Stunde Zeit. Sie zog die Vorhänge zu und ließ das elektrische Licht flammen, dann trat sie an den Schreibtisch, der Henris Briefe enthielt, der noch Zeilen von Léon barg und das erste schwarze Löckchen der kleinen Lucy.

Denise nahm einen Korb, warf die Briefschaften hinein und räumte das ganze Fach aus. Dann setzte sie sich in einen Polsterstuhl an den Kamin, ergriff einen Brief, ließ ein Streichholz aufflammen, zündete ihn an und warf ihn auf den Rost.

Allmählich, wie man Blumen ans dem Korbe als letzten Gruß einem Abgeschiedenen in das Grab nachwirft, nahm sie einen dieser großen und kleinen Briefe nach dem andern und schleuderte ihn in die Glut. Sie wartete ruhig, bis er aufflammte, um dann den nächsten folgen zu lassen. Sie las keine Zeile, sie wollte nicht mit einem Gedanken an ihrer Vergangenheit hängen, an der Welt, die sie abtat mit dem heutigen Tage. Sie achtete nur sorgsam darauf, daß jedes der Papiere bis auf den letzten Rest verbrannte.

In Gedanken blieb sie wartend sitzen, während die Briefe loderten. Ab und zu verpaßte sie einmal den Augenblick, neuen Brennstoff aufzuschütten. Sie hatte an ihr ruhiges Zimmer drüben im Kloster gedacht, schmucklos, einfach; an die strenge Abgeschiedenheit. Sie hatte sich hinein versetzt mit allem Empfinden ihrer Seele, in diesen wundersamen Frieden, der diese langen Korridore durchzog, und in den Gesang in der Kirche, dieser schönen kleinen Kapelle, in der Fenster, Stühle, Tabernakel, Leuchter, Altar und Bilder, alles, alles gestiftet war: Überreste des Weltlebens der Schwestern. Auch Denise hatte ein paar ihrer größten Kostbarkeiten, eine Verkündigung Mariä des Murillo für die Kapelle bestimmt, den Betschemel, der hier an ihrem Bett stand, und ein Kristall- Kruzifix aus dem zehnten Jahrhundert.

Wenn dann über den Gedanken die Glut erstorben war, zündete sie ein neues Streichholz an, warf neue Briefe in den Kamin. Sie nahm die Zange und zerrte die Überreste auseinander, daß sie ja verbrannten bis auf den letzten Rest.

Der Abschied wurde Denise von keinem Stück ihrer Vergangenheit schwer, nur von der kleinen Locke, die sie in einem Briefumschlag aufbewahrte, mochte sie sich nicht trennen. Und nachdem längst das Feuer erloschen war, schaute sie noch immer auf das winzige Andenken mit dem weißen Seidenbändchen, das es umschloß. Sie befühlte es, ließ das seidene Haar durch ihre Finger gleiten und sagte sich, und es war dabei wie ein Erstaunen in ihr: ›Daran hing ich nun einmal! Das bedeutete mir alles! Das war mein Kind!‹

Ihre Gedanken schweiften ab: ›Wo war die Kleine?‹ Was wußte sie von ihr? Nichts! Man trat in ein Leben, man verbrachte glückliche Jugendjahre, man meinte nach allen Kränzen greifen zu dürfen und glaubte, es wären einem alle Sterne des Himmels beschieden. Sie war hineingetaumelt in dieses Dasein, sie hatte einen Mann geliebt, sie war ihm untreu geworden; sie hatte sich einem andern ergeben und gemeint, in diesem alle Glut und alles Glück der Erde zu finden, und eines schönen Sommertages lag er mit durchschossener Lunge da; sie war verstoßen von ihren Eltern, und so war dies ganze Dasein, das sie unter Lachen und Jubel begonnen hatte, hin und zerstört...

Die Jahre waren vorüber gerauscht in fürchterlicher Eile. Sie hatte sie nicht gehalten, sie hatte sich an keine glückliche Stunde geklammert. Es war eins unerbittlich gefolgt dem andern! Sie hatte ihr Dasein in der Hand gehabt und es so gebildet! Sie hatte alles verfehlt, sie hatte alles anders machen müssen! Und doch, wenn man sie jetzt gefragt hätte: ›Willst du von neuem beginnen? Willst du es besser machen?‹ so hatte sie geantwortet: ›Nein, ich mag dies Leben nicht mehr! Ich fürchte mich davor; ich freue mich, daß es vorüber ist! Um keinen Preis der Erde will ich es abermals beginnen!‹

In dieser Abschiedsstunde – seltsamer Zwiespalt – dachte sie nicht an die letzten Jahre, nur ihre wahrhaft glückliche Zeit stand noch vor ihr. Sie sah, als sie die kleine Locke betrachtete, das Kind vor sich, als es geboren war, wie man es ihr gereicht und sie es zum eisten Male im Arm gehabt hatte, ihr Fleisch und Blut, das ihr Schmerzen und Sorgen gekostet. Sie hatte auf dieses kleine Haupt allen Segen der Erde herabgefleht, sie hatte Pläne geschmiedet, was aus ihm werden sollte, wie sie es bewahren und führen wollte. Und nun ging dieses Geschöpf, das einst ihr höchster Jubel gewesen war, ohne sie seinen Weg – vielleicht besser als durch sie.

Jene Zeit zitterte noch in ihrer Seele. Sie schwankte einen Augenblick, sollte sie sich trennen von der kleinen Locke? Sie war beinahe bereit sie zu behalten, und sie stand auf, nahm ihr Gebetbuch und legte sie zwischen die Seiten. Aber da kam ihr das Wort in die Erinnerung, das ihr noch beim Scheiden die Oberin gesagt hatte: ob sie wüßte, daß mit dem Eintritt ins Kloster jeder, aber auch wirklich jeder Gedanke an die Vergangenheit ausgelöscht sein müßte?

Langsam blätterte Denise das Buch durch, um die Locke zu finden; die Seiten klebten, das kleine Andenken fiel nicht heraus. Du reizte es sie, sie wollte es behalten! Konnte man alles auslöschen aus einem Menschenleben? Konnte man ein neues Dasein beginnen und mehr als dreißig Jahre einfach streichen?

Sie meinte, sie brächte es nicht übers Herz und doch, sie gab sich einen neuen Stoß, sie mußte! Ihr Gesicht ward hart, sie preßte die Lippen aufeinander, trat an den Schreibtisch, kehrte das Buch um, schüttelte die Blätter, und dann glitt langsam die kleine schwarze Locke mit dem Seidenband in der Mitte heraus und blieb auf der Tischplatte liegen.

Denise nahm sie auf, ging langsam an den Kamin, dann ergriff sie das letzte, das von ihrem Weltleben noch blieb, legte es vorsichtig auf den Rost, kniete nieder vor dem Kamin, zündete ein Streichholz an und hielt die Flamme an das schwarze Haar. Es kräuselte sich, knisterte, rollte sich zusammen, das Seidenband lohte auf, die letzten kleinen Haare wurden gelb und grau, sie zerfielen zu Asche – das Kind war für Denise tot.

Sie stand auf, ging langsam ans Bett, legte das Kleid ab, das sie trug, und vertauschte es mit dem einfachen schwarzen. Dann trat sie an den Toilettentisch; im Spiegel sich betrachtend nahm sie die großen Steine aus den Ohren und tat einen nach dem andern von sich, die Steine, die ihr jetzt wie ein Sündenlohn dünkten, um den sie sich einst in verblendeter Weltzeit verkauft hatte.

Da sah sie nach der Uhr, es fehlten nur noch wenige Minuten, bis der Wagen ankommen mußte. Sie ging nicht wieder zurück in die andern Zimmer, sondern blieb in dem Raum, setzte sich nieder am Kamin, stützte die Arme auf die Knie und starrte in die kahle Feuerstelle, auf der ein ganzes Menschenleben mit seinen Fehlern und Irrtümern, mit seinen wenigen Höhepunkten, mit seinem kargen Glück zu Asche verbrannt war.

Sie starrte nieder, aber sie dachte nicht an die Vergangenheit, sie dachte nur daran, daß sie einem neuen Leben entgegenging, daß sie in einer Gemeinschaft aufgenommen werden sollte, wo sie nicht mehr ausgestoßen war von den übrigen Menschen, sondern als Glied eines Ganzen lebte. Wo sie keiner mehr verletzen durfte, keiner mehr ihr Herz betrügen, wo alle die Qualen, die das Leben mit sich bringt, ihr fortan fernbleiben würden bis zu ihrem Ende.

Ihr Gesicht blieb ernst, aber ihre Augen leuchteten wie in einem überirdischen Feuer, und sie fragte sich, indem eine Sekunde ihr Geist die verflossenen Jahre überflog: ›Was hatte sie geleistet, was andern Menschen gegeben?‹ Ihr Wollen war gut gewesen, ihre Absicht rein, aber das Leben hatte sie niedergerungen und mit Füßen getreten. Mit diesem Dasein war sie fertig. Sie atmete auf, als es klopfte, erhob sich, schloß auf und ging an dem Mädchen vorbei, das eben meldete, der Wagen warte. Sie stieg, ohne einen Blick auf ihre Umgebung zu tun, die Treppe hinab, trat in den Wagen, setzte sich in die Ecke, dann gab sie die Straße an und die Nummer, als hätte sie in ihrem Weltleben einen Einkauf machen wollen. Die Pferde zogen an, der Hausmeister, der die großen Flügeltore geöffnet hatte, stand grüßend am Eingang. Der Wagen bog rechts ab, und in starkem Tempo ging es die Straße hin.

Als sie über den Boulevard de Courcelles fuhr, nicht rechts, nicht links blickend, die Augen auf einen Punkt vor sich geheftet, kamen ihr zwei elegante Herren entgegen, eben die beiden, die sie einmal in der Stadt vor einem Schaufenster zum andern verfolgt hatten, an dem fürchterlichen Tage, als sie ihrem Vater begegnet war.

Die Herren bummelten schweigend nebeneinander her, aber plötzlich gab der Größere dem Kleineren einen Stoß:

»Da sieh mal, da ist sie wieder!«

Er deutete mit dem Auge auf die Viktoria, die eben vorbeifuhr, und der andere sagte:

»Weiß Gott! Und so einfach und ganz schwarz?«

Der Größere zwinkerte mit den Augen:

»Na, das wird wohl seinen Grund haben. Man will nicht erkannt sein. Oh, man ist fein, man ist gerissen!«

Der Kleinere fragte:

»Kennst du sie denn?«

Der Größere machte ein überlegenes Gesicht:

»Das nicht, aber ich will dir etwas sagen, ich habe mich erkundigt, habe auch meine Absicht dabei: ich werde ihr einen Besuch machen.«

Und er fuhr fort:

»Ich habe mich längst, längst nach ihr erkundigt, aber damals war nichts zu machen. Sie hatte nämlich einen Beschützer. Ich habe dir ja gleich gesagt, ganz richtig konnte es mit der nicht sein, obgleich sie sich wirklich wie eine Dame benahm. Einen Abgeordneten hatte sie, und denke dir, der Kerl ist gestorben. Nun sitzt sie wahrscheinlich auf dem Trockenen, denn daß er ihr etwas vererbt hätte, ist doch nicht wahrscheinlich. Na, in der ersten Zeit, dachte ich, wirst du sie nicht aufsuchen, denn da muß sie doch traurig sein, aber jetzt ginge es schon. Weißt du, mit der muß man zartfühlend sein! Aber die wäre was für mich, sage ich dir. Sie ist ganz apart, sie zeigt sich nirgends, ist ganz unbekannt. Die wird in ihrer Art ganz einzig sein. Sie hat nur für eins Sinn, für den Frieden des Hauses. Ach, es ist eine ganze Geschichte, die ich erfahren habe. Ihre Zofe ist sozusagen verlobt mit dem Diener eines Vetters von mir. Genug, es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen. Jetzt ist sie nicht zu Haus, nun wäre es ganz gut, wenn ich gleich mal hinginge. Ich weiß nämlich dummerweise nicht genau die Nummer, aber man kann ja fragen, und etwas Schlimmes ist noch dabei: ich weiß auch nicht den Namen. Ich habe schon im Adreßbuch nachgesehen, aber das Haus steht auf den Namen eines Strohmannes, irgendeiner Minengesellschaft gehört es. Weißt du was? Komm mit, wir gehen hin, es ist nämlich gleich hier am Park Monceau.«

Der Kleinere hatte erstaunt zugehört und sagte ein wenig verstimmt:

»Na, du schnappst einem doch alles weg! Du denkst wohl, ich habe sie nicht auch hübsch gefunden? Das ist ja die reizendste Person in Paris. Ich wollte mich auch erkundigen, aber ich habe nichts herausgebracht. Wie sie nur heißen mag?«

Der Größere hatte seinen Freund untergehakt, und sie gingen jetzt Denisens Hotel zu. Er zuckte die Achseln:

»Ja, sieh, das ist eben die Schwierigkeit, ich weiß auch nicht, wie sie wirklich heißt. Ich habe wohl von meinem Gewährsmann einen Namen gehört, aber das wird wohl ein nom de guerre sein; das war: Denise de Montmidi. Na, den Adel kennt man ja. Vielleicht ist sie in Montmidi geboren, weiß der Deubel, wo das Nest liegt, ich kann mich aus der Geographie jedenfalls nicht erinnern.«

Dann gingen sie weiter, der Kleinere wirklich ein wenig eifersüchtig. Der Größere aber suchte ihn aufzumuntern und sagte zum Spaß, während er nach den Nummern sah:

»Na, Maurice, du wirst Hausfreund bei uns!«

Plötzlich hatte er das Haus gefunden; das Tor stand offen, kein Mensch war zu sehen. Die Freunde blickten in die Loge des Hausmeisters – auch dort niemand.

Der Größere sagte:

»Warte einen Augenblick, Maurice, ich werde einfach die Treppe hinaufgehen und nach der gnädigen Frau fragen. Wenn die Sache nicht stimmt, bin ich blamiert, aber es muß hier sein. Wenn man wenigstens den Portier interviewen könnte. Hier scheint eine höllische Unordnung zu sein!«

Dann stieg er die Stufen der Treppe hinauf, denn auch die große Glastür zur Wageneinfahrt stand offen. Er ging lautlos auf dem Läufer. Auch oben fand er die Tür offen, und schon wollte er wieder umkehren, denn er wußte nicht, was er davon halten sollte, als er durch den Türspalt einen Blick in den Salon tat. Da wurde ihm ein sonderbarer Anblick. Der Hausmeister stand da, zwei Mädchen und ein Herr im Gehrock, ein Notizbuch und den Bleistift in der Hand, zwischen ihnen aber erhob sich die hohe schlanke Gestalt eines schwarzäugigen Priesters, dessen lang herabreichende Soutane ihn noch schmaler und größer erscheinen ließ, als er war.

Ein Priester? Der Besucher machte sofort kehrt. Er fühlte, er hatte sich geirrt. Aber die drinnen waren schon aufmerksam geworden, und der Hausmeister kam an die Eingangstür. Ihm fiel vielleicht ein, daß er seinen Dienst versäumte – in der Eile, als der Notar und der Pfarrer erschienen waren, hatte er alles stehen und liegen lassen.

Der Besucher war bereits die Treppe hinabgeeilt, aber der Portier rief ihm nach:

»Bitte, wen suchen Sie?«

»Ich habe mich geirrt!« tönte es nur zurück.

Der Portier folgte:

»Darf ich bitten, wen Sie suchen?«

Da drehte sie der große Herr um und sagte, indem er beim Sprechen mit der silbernen Krücke seines Stockes rechts und links den Schnurrbart über den Lippen in die Höhe strich:

»Ja, ich sehe, ich habe mich geirrt, die gnädige Frau ist ja nicht zu Haus.«

Da rief der Hausmeister, dem die Mitteilung, die er eben von den beiden Herren empfangen hatte, so in die Glieder gefahren war, daß er in der Aufregung meinte, sie jedem wie etwas Ungeheuerliches mitteilen zu müssen:

»Sie ist ja ins Kloster! Sie ist ja eben ins Kloster, denken Sie doch!«

Der Herr war so erstaunt, daß er fast seinen Stock fallen ließ. Er gab keine Antwort, und der Hausmeister zeigte durch die offene Tür:

»Hier ist sie ja eben eingestiegen und ja eben weggefahren. Deshalb war sie auch so schrecklich einfach, unsere Jungfer ist ja da feiner. Nein, so was, ins Kloster! Ins Kloster!«

Oben tönte eine Stimme, der Mann wurde gerufen, und in derselben Aufregung, mit der er die Treppe hinuntergelaufen war, stürmte er spornstreichs wieder hinauf.

Der große Herr aber ging seinem Freunde entgegen. Mit einer lächerlichen Gebärde ließ er beide Arme hängen, knickte in den Knien ein, sein Kopf fiel auf eine Schulter, er schloß halb die Augen:

»Denke dir nur, denke dir nur so was, du kannst ganz ruhig sein: sie ist – ins Kloster!«

Der Kleinere starrte ihn an:

»Ganz und gar?«

»Na, Gott, halb kann sie doch nicht hingehen!«

Da sahen sich beide an, und plötzlich fingen sie an zu lachen, daß ein paar Vorübergehende ganz erschrocken stehen blieben. Aber sie faßten sich, machten kehrt und verließen das Haus. Als sie die Straße hinunterbummelten, sagte der Größere komisch-verzweifelt zu seinem Begleiter:

»Das ist nun das Ende! Es ist gottvoll! Na, die ist die Richtige! Damit hätte sie doch ruhig wenigstens noch ein Jahr warten können!– –«

Währenddessen eilte Denisens Wagen durch die Straßen von Paris, auf denen zu dieser Nachmittagsstunde ungeheures Leben flutete. Lachende, glückliche Menschen, denen der Frühlingstag Jubel ins Herz zauberte, junge Paare, die sich gefunden hatten, Eheleute, die miteinander gemeinsam die Last des Lebens trugen, Kinder, die diesem Dasein erst entgegengingen, von dem sie nicht wußten, was es ihnen bringen, von dem sie nicht voraussehen konnten, ob sie es zu einem glücklichen Ende führen oder ob sie in den Staub getreten würden. Alle waren sie dem blinden Zufall überlassen, der die Menschen emporzog oder nach seinem Belieben schuldig werden ließ, beglückte oder zertrat, wie es ihm gefiel.

Denise sah sich nicht um, mit offenen Augen starrte sie vor sich hin auf ihre Füße. Diese schwarzen Augensterne gewahrten nichts von all dem bunten Treiben, denn diese Welt ging sie nichts mehr an.

Der Wagen bog in eine Seitenstraße. Eng war sie und verlassen, kaum ein Mensch ging hier zwischen den niedrigen Häusern, deren Reihen einzelne Gartengrundstücke durchbrachen. Die Pferde fielen in Schritt, der Wagen hielt vor einem langgestreckten Gebäude, das nach der Straße zu eine hohe Mauer ohne Fenster zeigte. Neben einer niedrigen gotischen Tür sah man ein kleines Pförtnerauge, und als der Wagen hielt, sagte Denise nur zum Kutscher, ohne den Kopf zu wenden:

»Ich brauche Sie nicht mehr, fahren Sie nach Haus!«

Ehe sie die Klingel berühren konnte, tat sich schon die von der Zeit gebräunte Eichenpforte mit ihren schweren Beschlägen auf. Man sah niemand, der sie bewegte, sie führte in das undurchdringliche Dunkel eines Ganges.

Denise trat ein, und stumm und langsam schloß sich hinter ihr die Tür.


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