Georg Freiherr von Ompteda
Denise de Montmidi
Georg Freiherr von Ompteda

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II.

Der Brautstand dauerte nicht lange. Schnell wurden die Besorgungen gemacht: Wäsche, Möbel, Spitzen gekauft. Der Bräutigam überreichte der kleinen Denise wundervollen Schmuck: Armbänder, Ringe, ein paar Diamanten in die Ohren, ein Diadem für Festlichkeiten.

Die Geschenke häuften sich. Die Verwandten, die Freunde, die Bekannten, jeder brachte irgendeine Kleinigkeit. In einem Zimmer, das dazu ausersehen war, entstand bald eine förmliche Ausstellung von silbernen Gegenständen, Bronzen, Spitzen, Porzellan, Schmuck, Uhren, Vasen, Nippessachen, auch ein paar künstlerisch ausgeführte Lampen fehlten nicht. Die Freunde Roberts meldeten sich fast alle mit kleinen Kunstgegenständen, wie einem Aquarell von einem Meister, in kostbarem handgeschnitzten Rahmen oder dem Vorzugsdruck einer Radierung. Es war, als hätten sie sich das Wort gegeben, die Wände des neuen Heims ausreichend zu schmücken.

Auch die Wohnungsfrage war entschieden worden. In der Nähe des Hotels der Eltern würden sie eine Etage beziehen, einen schönen ersten Stock, unmittelbar an den Champs Elysées und nicht weit vom Métropolitain, der Untergrundbahn, vor der Denise bisher immer eine solche Angst gehabt hatte, daß sie sich weigerte, damit zu fahren. Nun würde sie es wohl müssen, denn eine Equipage sollte fürs erste nicht gehalten werden. Robert besaß ein kleines Gut in der Provinz im Südwesten; dort auf dem Lande mußte man sowieso Pferde und Wagen haben, also war es hier ein Luxus.

Robert hatte seine Finanzverhältnisse bei der Heiratsbesprechung klarlegen müssen, und es stellte sich heraus, daß er gar nicht so reich war, wie die Verneuils geglaubt hatten. Wohl war es einmal gewesen, aber der Aufenthalt in Paris, Bakkarat und anderes hatten viel Geld verschlungen. Da war es besser, anstatt groß anzufangen und dann einen Pflock zurückstecken zu müssen, lieber von Anfang an haushälterisch zu sein. Seinen Freunden gegenüber meinte Robert, er mache eine Liebesheirat, seine Braut habe nicht genügend Geld, um auf großem Fuße leben zu können. Die Verneuils aber ließen ihrerseits durchblicken, die Vermögensverhältnisse des jungen Mannes reichten nicht hin, um in Paris ein Haus zu machen.

Herr de Verneuil aber sagte zu René, und das war die Schlußfolgerung, die er zog:

»Siehst du, mein Junge, sei vernünftig, sonst wird es dir gerade so gehen!«

Robert schaffte also sein Tandem ab und schloß seine Junggesellenwohnung. Mit Eifer richtete er die neuen Räume selbst ein. Die Braut besuchte ihn in Begleitung ihrer Mutter ein paarmal, wie er dort bei der Arbeit war, in Hemdsärmeln, als wäre er selbst Tapezierer, wie er den Hammer schwang und alles nach seinem guten, etwas kostbaren Geschmack anordnete, der ihm in seinem bisherigen Erdenwallen in jeder Beziehung ziemlich viel Geld gekostet hatte.

Endlich war das kleine Nest fertig. Es war die höchste Zeit, denn morgen schon sollte die Hochzeit sein. Die Einladungen waren längst verschickt, das feierliche Mahl mit der ganzen Verwandtschaft der Verneuil und der de la Caille fand am Abend statt.

Der Marquis de Bloudarnenez, der eine de la Caille zur Frau hatte, erschien mit seinen sieben Söhnen, ein Hugenotte alter Rasse, der sich mit den übrigen de la Cailles jahrelang nicht gesehen hatte, weil seine Frau, von ihm bekehrt, zum Protestantismus übergetreten war. Es waren große Gestalten mit eckigen, scharfgeschnittenen Gesichtern, derb, knochig und mit Bauernschädeln, die nur durch das Ausgearbeitete der Züge das alte Geschlecht verrieten. Es waren Leute von einfachen Sitten und ungebrochener gallischer Kraft. Diese ganze kinderreiche Familie, deren Erscheinen Aufsehen erregte, war wenig modisch gekleidet und bildete einen schreienden Gegensatz zur Übereleganz der übrigen Hochzeitsgäste.

Dann kam die Herzogin von Lamont, »die Wohltäterin der Armen«, wie sie die Boulevardblätter nannten, eine kleine bewegliche runde Frau mit weißem Scheitel. Dann Baron und Baronin Scheffler, als Elsässer doppelt wütende Patrioten; ihr Hotel am Park Monceau war der Sammelpunkt der Klerikalen und Royalisten im Lande. Endlich die Gutsnachbarn der de la Caille, nicht ganz so elegant wie die Pariser. Sie röchen ein wenig nach Provinz, meinte die Herzogin, aber es waren die ältesten Familien des Landes: die de Vallot, de Roncières, de Petrilly und dann der alte General de Saint Genois, der glänzendste Reiterführer Frankreichs, wie man ihn allgemein nannte, gemaßregelt vom letzten Kriegsminister, weil er nicht republikanisch genug sei. Ein Mann, der, seitdem er den Dienst hatte verlassen müssen, mit einemmal zusammengebrochen war und an einem Stock gehend erschien.

Er pflegte sich über die Etikette hinwegzusetzen, das kannte man an ihm. Er schritt denn auch sofort auf die Braut zu, betrachtete sie gerührt, nannte sie ein reizendes Kind, sagte das den Eltern, dem Bräutigam, den Verwandten, jedem, der es nur hören wollte, und dann führte er eine kleine theatralische Szene auf, indem er das Mädchen plötzlich wie ein guter alter Vater auf die Stirn küßte, ehe die Erschrockene sich wehren konnte, wobei er vor lauter Bewegung mit zitternder Stimme sagte:

»Mein Kind, werden Sie glücklich!«

Der kleine Graf Riquois de Grancin, der mit René zusammen Brautführer war, aber – ausschließlich in der zweiten Quadrille der großen Oper beschäftigt – sich eigentlich bei dieser feierlichen Hochzeit sehr komisch vorkam, flüsterte einem andern zu:

»Der alte Kerl ist nicht dumm, das werde ich mir merken, so kann man jedes Mädchen umsonst küssen!«

Und er näherte sich einer Verwandten der Verneuil, einer jungen Frau mit lebhaften, glänzenden Augen und auffallend langen, schwarzen Wimpern, die sie den Männern gegenüber auch auszunützen verstand. Da er wußte, daß sie mit sich scherzen ließ, tat er hinter dem breiten Rücken eines der Hugenotten, als wolle er sich zur Stirn der kleinen Frau neigen, während er im Ton des Generals meinte:

»Mein Kind, werden Sie glücklich!«

Sie lachte und bog sich zurück; das war ihr doch zu viel, und sie meinte abwehrend, wobei ihr die Heiterkeit aus den Augen blitzte:

»Das bin ich schon!«

»Schade!« meinte er. Dann ging es zu Tisch. Aber nun war wieder Feierlichkeit, Ernst und Würde.

Es gab ein prachtvolles Essen. Den Hauptgesprächsstoff bildete das junge Paar, das, nebeneinandergesetzt, die Zeremonie wie etwas Notwendiges, aber Schreckliches an sich vorübergehen ließ. Es wurde sehr schnell serviert, man stand bald auf, und kurz darauf trennte sich die ganze Gesellschaft.

Am nächsten Morgen fuhren an der Kirche Saint Philippe du Roule eine Menge eleganter Equipagen vor. Ein förmlicher Fuhrpark wartete dort. Die Umwohnenden, wenn sie auch die Hochzeiten gewohnt waren, blickten trotzdem neugierig aus dem Fenster oder standen umher, denn eine solche Menge wappengeschmückter Wagen sahen sie immerhin selten.

Man hörte in der Kirche Gesang, und trotz des Lärmes der Straße konnte man eine Stimme vernehmen, die siegreich über der begleitenden Orgel schwebte; der Baritonist Louis Calvin von der Großen Oper trug eine geistliche Ode vor. Endlich summte die Orgel nur noch gedämpft weiter, und da die Menge annahm, daß die Feier nun zu Ende sei, drängte sie sich um das Eingangstor. Da erschien plötzlich der Schweizer, winkte, und die Wagen fuhren vor.

Das Brautpaar trat heraus. Die kleine schwarze Denise in ihrem weißen Brautstaat, einen pelzverbrämten Umhang um die Schultern, den Orangenzweig im dunklen Haar, schlug die Augen zu Boden, der Bräutigam aber blickte sich ruhig um, sah lächelnd auf die Menge, und ein paar Weiber sagten: »Schöner Kerl!« Dann half er seiner jungen Frau in den Wagen, und das Gefährt rollte davon.

Im Hotel Verneuil fand das Frühstück statt. Die Damen hatten schicke, hohe Toiletten an und überboten sich in duftigen Hüten. Die Herren trugen den Gehrock und zeigten in Krawatte, Busennadel, Wäsche und Stiefeln Eleganz. Man beglückwünschte das Brautpaar. Denise nahm die Worte ohne jede Verlegenheit entgegen und schaute allen klar ins Gesicht; nur ab und zu warf sie einen Blick auf ihren Bräutigam, einen Blick, aus dem Liebe und Glück sprach.

Als die Gäste noch beieinander saßen, die Herren den Damen allerlei Unsinn erzählten, Schmeicheleien sagten, Klatsch aus Paris mitteilten, alle der Reihe nach den Gesang von Louis Calvin wundervoll fanden, fragte plötzlich einer:

»Wo ist denn das junge Paar?«

Die Frage pflanzte sich fort, man erkundigte sich nach allen Seiten, und obgleich jeder, wußte, daß die Jungvermählten wahrscheinlich längst im Zuge saßen, taten alle, als wären die beiden geradezu auf rätselhafte Weise verlorengegangen. Allmählich ging man zu anderen Gesprächen über und hatte das Brautpaar vergessen.

Inzwischen saßen Robert und seine junge Frau im Wagen, er in einem dunklen, karrierten Anzug und langem Reiseüberzieher, einen weichen Hut auf dem Kopf; sie in einem braunen Kleide und ihrer Sealskinjacke, die mit der Ausstattung angeschafft worden war.

Sie saßen Hand in Hand, während das Coupé lautlos dahinrollte. Er fragte:

»Meine kleine Denise, hast du mich denn lieb?«

Sie antwortete:

»Wie kannst du das fragen?«

Und er küßte ihre kleinen Hände. Er zog dazu ihre Handschuhe zurück, um ihre Haut zu berühren. Dabei sah er die Ringe blitzen. Er betrachtete sie noch einmal, und sie, die bisher als junges Mädchen noch keine getragen hatte, zog den Handschuh ganz ab, hielt die Hand ein Stück entfernt und sagte:

»Du hättest mir nichts Schöneres schenken können!«

Die Smaragden blitzten, von Brillanten umsäumt. Alles glänzend neu, neu wie das Leben, das sie zu beginnen hatten.

Ein neues Leben! Für das Mädchen, bei dem dieser Tag den größten Wandel in ihrem Dasein bedeutete, ein süßes und doch sie erschreckendes Geheimnis, dem sie mit unbestimmtem Bangen entgegensah. Für ihn der Abbruch aller alten Beziehungen. Mehr noch fast ein neues Dasein als für sie. Er hatte sich fest vorgenommen, er wollte ein guter Wirt werden, er hatte sich das Versprechen gegeben, im Cercle keine Karte mehr anzurühren. Und alle schönen Damen von Paris, denen er bisher zu Füßen gelegen hatte, die aus der Gesellschaft, die vom Theater, alle sollten ihm gleichgültig sein, denn er hatte Ersatz gefunden in dieser kleinen Frau an seiner Seite, die ihm vertrauend ihr Dasein überließ, die er bilden konnte nach seinem Willen, die unberührt bei den frommen Schwestern da draußen nichts geahnt hatte von allem Schönen dieses großen Paris, aber auch nichts von allem Entsetzlichen, das es barg. Er wollte seine Frau glücklich machen. Er hatte Erfolge gehabt, er war groß, hübsch, lebhaft, immer gut angezogen, er hatte das Geld nicht gespart, er war verwöhnt worden. Nun wollte er alles aufgeben und alles dieser kleinen Frau zu Füßen legen, die neben ihm saß.

Bei diesem Gedanken überkam ihn ein unbändiges Glück; er faßte die schmale Hand, an der die Steine blitzten, zog sie an die Lippen, küßte die rosigen Nägelchen, küßte die Finger, schob den Ärmel zurück und küßte das Gelenk. Dann plötzlich legte er den Arm um ihren Nacken, und trotz ihres Sträubens und obgleich sie immer rief:

»Aber Robert, man sieht es!« preßte er sie an sich und küßte durch den Schleier hindurch ihre Wangen, ihre kleinen Ohren, die flockigen Härchen am Hals, ihre Nase sogar und endlich ihren Mund.

Als er sich aufrichtete, schrie sie, aber sie lachte dabei:

»Um Gottes willen, da!«

Sie entdeckten das Gesicht eines Bengels, der die Mütze im Nacken, neben der Equipage herlief und grinsend zum Fenster hineinsah. Eine echte Pariser Range.

Doch Robert lachte nur:

»Ach, der dumme Junge, das schadet nichts!«

Dann schob er seinen Arm unter den seiner Frau, und nun überließen sich beide ihren Gedanken, denn im Überschwang ihres Glückes konnten sie nicht Worte finden. So saßen sie und warteten, bis sie an den Bahnhof kamen.

Sie sagten dem alten Kutscher und dem Diener der Eltern Lebewohl, Robert gab das Gepäck auf und löste die Fahrkarten, denn sie wollten nach dem Süden. Eigentlich hatten sie ein paar Tage auf dem Gut verbringen wollen, aber schließlich waren sie davon abgekommen, denn da standen um diese Zeit die Bäume kahl, kein Grün war zu sehen und auch nichts vorgerichtet. Sie hätten sich unwohl gefühlt, dort, wo der Hauch des Ozeans kalt herüberwehte und Dünste und Nebel um das Haus trieb; wo der Sturm heulte, daß die Schieferplatten auf dem Dach klapperten, und wo es unheimlich war in den verlassenen Räumen. Nein, sie wollten nach dem Süden, nach Schönheit und Sonne.

Ihr erstes Ziel war Nizza, das sie allerdings erst morgen erreichen würden, denn heute abend fuhren sie nur wenige Stationen weit. Sie wollten die ersten Stunden, die sie sich angehörten, nicht auf der Eisenbahn verbringen.

Und als sie in ihrem Abteil erster Klasse saßen, ganz allein beim halben Licht der Lampe oben an der Decke, beim gleichmäßigen Stoßen und Zittern, beim Rattern und Rollen des Zuges, schmiegten sie sich eng aneinander, und wieder begann dasselbe Spiel, daß er ihre Hände küßte und dann ihr Gesicht und ihr erklärte, wie glücklich er sei, daß sie die Seine geworden. Er erzählte, wie er wirklich eine Schülerneigung zu ihr gehabt hatte, als er ihr damals Blumen und Konfekt gebracht; er gestand, daß er sie dann vergessen hatte, und er drückte mit einfachen Worten das Glück aus, das ihm geworden sei, sie jetzt wiederzufinden.

Ein paarmal kam es ihm auf die Lippen von seiner Vergangenheit zu sprechen, ihr zu sagen, daß mehrfach Frauen sein Herz erobert hatten. Es war ihm, als müsse er das von seiner Seele herunterhaben, erst dann würde sie ihm ganz angehören. Er wollte es nicht machen wie andere, daß die Frau denken solle, sie schlösse einen reinen Engel in ihre Arme! Nein, sie sollte alles wissen, daß er vor keinem Zufallswort zu zittern hätte und es nie eine Frage gäbe.

Er wollte ihr sagen, ich habe die und die gekannt, aber du vergibst mir, du mußt mir vergeben, du hast mir schon vergeben! Das werden sie alle so machen, und deswegen habe ich dich nicht hintergangen, denn hier in Paris wirst du einen Mann, der keine gekannt hat, nicht finden. Wenn du wissen willst, wer es war, will ich dir sogar die Namen nennen. Ich kann es ruhig, denn das liegt wirklich hinter mir, keine Bande ketten mich an die Vergangenheit. Es ist alles aus und nie wieder kann es beginnen. Ein neues Leben hat angefangen, das Leben mit dir, mit meiner kleinen Frau, und du sollst mir gehören, bis uns beide einmal der Allmächtige auseinanderreißt, der die Augen zudrückt und die Hände erkalten läßt und das Herz anhält.

Er kämpfte mit sich, sollte er es ihr jetzt sagen? Sollte er nicht lieber warten?

Nein, heute wollte er sein Glück genießen, denn er wußte ja nicht, wie solche Eröffnungen auf die weltfremde junge Frau wirken würden. Davon zu sprechen war noch Zeit. Es mußte ihr allmählich beigebracht werden auf dieser Reise nach dem Süden. Gerade in Nizza, in Cannes, in Monte Carlo würde sie so viel Neues sehen und erleben, daß er sie ganz allmählich einführen und aufklären konnte. Für heute wies er diese Gedanken ab. Es war ihm genug, daß er die feste Absicht hatte, Denise einmal alles zu sagen, weswegen vielleicht seine Freunde, René an der Spitze, ihn sogar ausgelacht hätten.

Darum schloß er wieder seine kleine Frau in die Arme, und das alte Spiel begann, daß er ihre Finger küßte, ihre Wangen, ihre Stirn, ihre Augen, ihren Mund.


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