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Es vergingen mehrere Tage. Baron d'Hautecourt kam nicht wieder. Denise befand sich in einem Zustande der Niedergeschlagenheit und dann wieder der Aufregung, daß sie sich selbst nicht begriff. Jeden Nachmittag lauerte sie, ob er nicht käme, ja, sie ging ihm den Weg entgegen, auf der Landstraße, die immer sein Dogcart gerollt war. Ein andermal wieder blieb sie zu Haus in der Befürchtung, er könnte doch von einer andern Seite kommen und sie möchte ihn verpassen.
Sie saß am Fenster, drückte die Stirn gegen die Scheiben und spähte die Allee hinunter, die man beinahe bis zur Chaussee übersehen konnte, aber er kam und kam nicht.
Es war, als fehlte etwas in ihrem Dasein, das ihr zur Notwendigkeit geworden war, wie die Luft zum Atmen, wie das tägliche Brot. Robert schien sich über nichts zu wundern, er arbeitete, und nachmittags ging er regelmäßig weg.
Endlich konnte es Denise nicht mehr aushalten. Sie wollte Gewißheit haben. Sie zermarterte sich das Hirn, ob ihn etwas hätte kränken können, und sie war so aufgeregt und verzweifelt, daß sie sich schon überlegte, sollte sie ihm schreiben, sollte sie einen heimlichen Boten schicken oder sollte sie gar selbst hingehen? Aber La Bergerie lag verhältnismäßig weit entfernt, unter anderthalb Stunden konnte sie es nicht erreichen, und einen Wagen nehmen ... mein Gott, sie hatte ja kein Geld! Das brachte sie in Zorn. Wenn ihr Robert wenigstens ein paar Frank gegeben hätte, aber nein, er bezahlte die Wirtschaft, er rechnete mit der Köchin ab, sie besaß nichts Bares. Und sie lebten doch von ihrem Gelde, da seines nicht mehr vorhanden war.
Da ward ihr eines Morgens beim Frühstück ein Brief hingelegt. Der Poststempel war verwischt, sie konnte den Ort nicht lesen. Es war eine ihr fremde, sehr kleine, sehr zierliche Handschrift, die von einer Dame hätte kommen können.
Denise öffnete den Brief. Sie war allein, denn sie frühstückte immer in ihrem Zimmer mit der Kleinen, und ihr Auge fiel auf folgende Zeilen:
Gnädige Frau!
Ich bin krank; nicht körperlich, sondern seelisch, und doch körperlich auch. Ich befinde mich in einem ganz seltsamen Zustande. Ist es Sehnsucht? Ich glaube es. Ich möchte zu Ihnen und halte es doch nicht für richtig, denn denken Sie, ich kann mit Ihnen nicht mehr unbefangen sprechen. Ich kämpfe gegen mich, ich will Sie nicht wiedersehen, und doch sehne ich immer den Augenblick herbei, wieder an Ihrer Seite zu sitzen in meinem, ja, meinem Stuhl; wieder Ihre Gestalt vor mir zu sehen und sprechen zu können mit Ihnen, wie ich bisher mit Ihnen sprach, von all dem Schönen, das es in Paris gibt, von Paris, Paris, unserm einzigen Paris! Und doch auch von Ihnen, denn Sie gehören für mich jetzt wie dazu. Ich möchte – denken Sie, welche Umwandlung – nach Paris nicht zurückkehren, denn ich weiß, Sie sind nicht da!
Wie ich mir heute meinen Zustand überlegte, wurde mir klar, daß es nicht Paris ist, das mich dorthin zieht, sondern Sie, daß Sie dort sein müßten! Dann eilte ich aus meiner Verbannung in diese einzige Stadt. Wenn ich aber wüßte, daß sie nicht dort sind, würde ich nicht einen Fuß hinsetzen, denn ich irrte doch nur als einsamer, trauriger Gast durch die mir jetzt öde scheinenden Straßen, in denen Sie nicht sind, in denen ich nicht Ihr leises, silbernes Lachen hören könnte, in denen ich nicht Ihre Gestalt sähe und Ihr schwarzes Haar und Ihre dunklen Augen.
Nun werden Sie sagen: kommen Sie nach Montmidi, da bin ich ja! Aber denken Sie, ich fürchte mich davor, fürchte mich, wie der Falter vor dem Licht. Fürchtet er sich wirklich? Ich glaube doch nicht. Es zieht ihn an, und er taumelt hinein. Und auch ich will zu Ihnen kommen. Ich tue es, wenn ich schwach werde, und passen Sie auf, ich werde schwach! Aber noch bin ich stark. Heute noch bleibe ich hier, fern von Ihnen in dieser trostlosen Öde, in der nur ein Gedanke mich beherrscht: Sie! Und immer wieder Sie. Morgen habe ich vielleicht noch die Kraft und diese ganze Woche noch, aber dann, dann – ach, rufen Sie mich doch, damit ich meinem Versprechen nicht untreu werde.
Ja, rufen Sie mich, gnädige Frau, denn ich habe mir einen Eid geleistet, sonst nicht nach Montmidi zu kommen, und ich weiß doch ganz genau, daß ich ihn brechen werde. Helfen Sie mir, rufen Sie mich. Ich will Sie nur einen Moment sehen, ich fahre gleich wieder fort.
Der Brief war nicht unterschrieben. Denise hatte ihn mit atemloser Hast durchflogen. Sie las ihn noch einmal, und einzelne Satze zum drittenmal, dann ließ sie ihn sinken und dachte nach. Sie mußte doch empört sein, meinte sie selbst, denn das klang ja wie eine Erklärung, aber sie war nicht empört, im Gegenteil: sie fühlte sich geschmeichelt, sie freute sich. Er sprach ja nur das aus, was sie selbst sich nicht zu gestehen wagte. Und schon war sie aus dem Bett gesprungen, eilte an ihren kleinen Schreibtisch, nahm einen Briefbogen und wollte schreiben.
Aber sie ließ es wieder. Nein, sie wollte es sich überlegen. Langsam glitt sie wieder auf ihr Lager zurück. Dort blieb sie hingekauert sitzen, mit angezogenen Knien, die Hände darüber gefaltet, keines Gedankens fähig. Verstört starrte sie vor sich hin.
Endlich raffte sie sich auf. Sie blickte zum Fenster hinaus. Da sah sie gerade Robert den Garten verlassen, den Stock in der Hand, und querfeldein dem Wäldchen zugehen, das drüben lag. Das entschied den Kampf in ihrer Seele. War sie diesem Manne Rechenschaft schuldig? Sollte sie sich hier zu Tode langweilen, weil Robert sein Vermögen durchgebracht hatte und sie jetzt hinterging?
Der Entschluß kam ihr sofort. Sie schrieb nur: ›Kommen Sie!‹ Dann zog sie sich mit Windeseile an, und wie damals, an dem Schneetage, ging sie die Allee hinab, die im grellen Licht der immer höher steigenden Julisonne dalag, gleich einer schnurgeraden, gewaltigen Treppe, denn die Pappeln warfen endlos, soweit der Blick reichte, blauschwarze Schatten über den weißen Fahrdamm.
Am Bahnhof steckte sie den Brief in den Kasten. Dann trat sie, als sie auf dem Rückweg durch den Wald an der Kirche vorüberkam, unwillkürlich ein, setzte sich im kühlen, erfrischenden Dämmer des Gotteshauses, kniete nieder und starrte an den gefalteten Händen vorbei zum Altar, über dem die rote ewige Lampe brannte.
Sie wollte beten, wollte die Versuchung, die sie in Blut und Seele fühlte, von sich abschütteln und hatte doch eben erst den Brief geschickt, der ihn rief. Sie wollte sich rechtfertigen vor ihrem Herrn und Schöpfer, wollte um Kraft bitten, daß diese sündige Sehnsucht nach einem fremden Mann, die stärker und stärker in ihr aufstieg, aus ihrem Herzen weggelöscht würde. Aber als sie ein paar Worte fand, die sie halblaut mit kaum sich bewegenden Lippen vor sich hinstammelte, waren es Worte der Sünde: ›Lieber Gott, hilf ihm und mir, sei ihm gnädig, der all meine Sinne gefangen hält. Mein Gott, es ist nichts Böses in meinem Herzen. Ich bin eine arme, betrogene, verlassene Frau. Gott im Himmel, du hast mir nicht geholfen, du hast nicht deine Engel geschickt, daß sie das Herz meines Mannes mir wieder zuwendeten, du läßt es geschehen, daß er andere Wege geht. Ich tue nichts Böses, ich will nicht sein wie er. Sei aber ihm gnädig, ihm, ihm, den ich liebe!‹
Was sie sich selbst nicht gestanden hatte, sagte sie jetzt naiv in ihrem Gebete vor sich hin. Sie legte Gott ihr Glück ans Herz, als solle er entscheiden, was zu geschehen habe, als wolle sie im voraus Absolution erhalten für etwas, das sie im Begriff stand, zu tun: ihr Herz einem andern Manne zu schenken als ihrem eigenen.
Da hörte man auf den Steinplatten das Schurren von Schuhen. Ein paar Bauernweiber traten ein, das weiße Häubchen auf dem Kopf, die knochigen Hände über dem Gebetbuch auf der platten Brust gefaltet.
Denise fuhr auf, als sie die einfältig-frommen, törichtblickenden Gesichter sah, die genau, wie sie es selbst sonst getan hatte, aus Langeweile zwischen den Arbeiten des Feldes und aus alter Gewohnheit, weil es ihnen von Kindesbeinen an so gelehrt worden war, nichtsdenkend, stumpfsinnig in das Haus des Herrn traten, um einen Rosenkranz abzuleiern. Da stand sie jäh auf und lief hinaus.
Es war ihr, als träte sie in ein überheiztes Zimmer, so schwül war es draußen nach der Kühle der Kirche. Und langsam schlug sie den Waldweg ein nach Montmidi, ihre Gedanken immer bei ihm und immer wieder bemüht, das, was ihren Geist vollkommen einnahm, zu verscheuchen.
Sie hoffte jemandem zu begegnen, irgendeiner Frau, die vielleicht den gleichen Weg hätte, mit der sie sprechen könnte, um die Gedanken abzuziehen. Aber dieser sonst immer belebte Pfad, der die Verbindung nach Charenton herstellte, war heute wie ausgestorben. Sie ging durch niederes Gestrüpp, das rechts und links den Weg begleitete, dann kamen Eichen und Erlen, man sah das steile Schieferdach der Villa. Aber Denise starrte vor sich hin, als erblickte sie nichts.
Plötzlich hörte sie Lucys lautes Lachen, und da war es ihr, als fiele der Bann von ihr ab wie eine Maske vom Gesicht. Sie eilte ihrem Kinde entgegen, sie lief die letzten Schritte, und als die Kleine spornstreichs den Gartenweg heruntergerannt kam, mit ausgebreiteten Armen, laut rufend: »Mama! Mama!« da dachte sie nur noch an ihr Kind, schloß es in die Arme, küßte es, und Tränen standen ihr in den Augen.
Die kleine Lucy fragte:
»Warum weinst du denn, Mama?«
Denise antwortete:
»Ich habe an Trauriges gedacht.«
Aber das Kind hatte anderes im Sinn und rief, lustig in die Hände klatschend:
»Mama, jetzt wollen wir Ball spielen!«
Da spielte sie mit ihrer Kleinen und konnte kein Ende finden, nur um sich zu betäuben. Sie lief nach dem Ball, schlug ihn weit fort, und lachend eilten Mutter und Tochter ihm nach. Beide hatten rote Wangen bekommen. Denise mußte sich den Schweiß von der Stirn tupfen, sie war außer Atem, ihr Herz klopfte. Sie hatte das Gefühl: ›Nun ist es überwunden, ich bin abgezogen, ich denke nicht mehr an ihn!‹
Dann setzte sie sich auf die Gartenbank und ließ sich von Célestine die Stickerei bringen, an der sie arbeitete. Keine alte Seide, woraus sie als Mädchen die schönsten Sachen gemacht hatte – das wäre zu teuer gewesen –, Wolle, ein einfaches Muster, das mechanisch heruntergearbeitet werden konnte und keine Aufmerksamkeit beanspruchte. Es sollte ein großer Kaminschirm werden. Sie hatte ihn nur angefangen, um sich zu beschäftigen. An eine Verwendung war nicht zu denken, denn Robert hätte ihr nicht das Geld gegeben, um ihn aufspannen zu lassen.
Nun spielte Lucy wieder ihr zu Füßen. Das Kind war ganz still, denn es hatte mit einem Stück Holz die Puppe geöffnet und untersuchte jetzt den Mechanismus der Augen, die sich beim Hinlegen schlossen und sich wieder öffneten, wenn man den Kopf aufrichtete.
Während Denise arbeitete, stand von neuem der Baron d'Hautecourt vor ihren Sinnen. Sie sah sein Gesicht lächeln, immer mit diesem seltsamen Blick. Sie warf die Arbeit von sich und ging den Gartenweg hinunter. Sie betrachtete die Beete. Sie begann mit Louis, mit dem sie sonst fast niemals sprach, eine Unterhaltung, und der schmutzige Kerl, der nur eine Leinenhose und das Hemd trug, richtete sich auf, den Spaten in der Hand. Da er seine Herrin zum ersten Male gnädig sah, redete er drauf los, genau so, wie Robert es getan haben würde, über die Möglichkeiten der Verkäufe, über die Aussichten der Ernte, über die neuen Kulturen. Nur daß er diesmal tat, als machte Robert nichts, und als wäre er es eigentlich, der die ganze Sache ausgedacht hatte und in Ordnung hielt.
Aber Denise hörte nicht zu. Ihr war, als stände, während sie geistesabwesend Louis anstarrte, der andere neben ihr, groß, schlank, elegant, mit dem Lächeln und dem kleinen schwarzen Schnurrbart, mit den Augen, denen sie nirgends entfloh.
Da ließ sie den Diener stehen, der ihr erstaunt nachsah, und eilte ins Haus. Dort schloß sie sich im Zimmer ein, kniete nieder auf ihrem Betschemel am Bett, und das Herz schlug ihr in Reue über das Gebet, das sie vorhin in der Kirche wie eine Gotteslästerung zum Himmel geschickt hatte. Sie wollte es jetzt wieder auslöschen, aber sie fand keine Worte. Eine schreckliche Unruhe war in ihr. Sie stand abermals auf und versuchte Wäsche zusammenzulegen. Sie setzte sich aufs Bett und wischte mit der Hand über die Stirn, als wollte sie die Gedanken, die dort nisteten, verscheuchen.
Dann ging sie fort, als könnte sie sein Bild hier nicht loswerden, in diesem Zimmer, das er doch nie betreten hatte, in dem nur ihr Kind mit ihr wohnte, das sie hätte abziehen sollen von allen anderen Vorstellungen. Und als könnte sie nicht anders, eilte sie in den Salon, dorthin, wo er gesessen hatte. Sie nahm Platz am Kamin in ihrem Stuhl. Es war ihr wie eine Zwangsvorstellung, als säße er in dem andern ihr gegenüber. Sie hätte beinahe das Wort an ihn gerichtet, und sie war so benommen, daß sie aufsprang und sich erschrocken umblickte, ob auch niemand im Zimmer wäre, der ihr seltsames Benehmen bemerkte.
Dann kam sie auf den Gedanken, Robert sollte sie vor ihrem eigenen Herzen retten. Sie wollte sich einmal mit ihm aussprechen, wollte ihm sagen, daß sie wüßte, was ihn von seinem Weibe entfernte. Sie dachte sich alles genau aus in fieberhaft eiligem Gedankengang. Sie würde ihm von der andern sprechen, ihm sagen, daß sie die Person nie gesehen, daß sie nicht einmal ihren Namen wüßte, daß sie auch nicht die Absicht hätte, in seine Geheimnisse zu dringen; nur sollte er zurückkehren zu seinem Weibe. Sie würde mit keinem Wort je an all das erinnern, sie wollten das Leben von neuem beginnen. Vor allen Dingen müßten sie fort von hier, nach Paris. Und ihr kamen die abenteuerlichsten Ideen: vielleicht würde ihr Vater ihr einen Teil der Erbschaft, die sie später doch bekam, herauszahlen, damit sie in Paris leben könnten. Sie würden eine kleine Wohnung nehmen, vielleicht in einem Vorort, in Asnières oder irgendwo, wo die Miete nicht teuer war, nur fort von Montmidi, in dessen Nähe er weilte, er, der jetzt hinter allen ihren Gedanken stand.
Sie ging noch weiter: sie wollte ihrem Manne ihren Seelenzustand gestehen, sie wollte ihm sagen: ›Wenn du nicht ein neues Leben beginnst und wir Montmidi nicht verlassen, geschieht ein Unglück; der Mann ist es, und ich werfe mich ihm einfach an den Hals.‹
Doch sie fand sich zurück zur Wirklichkeit, stellte ihr Umherirren ein, lief wieder in den Garten hinunter, setzte sich zur kleinen Lucy und arbeitete fieberhaft schnell, bemüht, nur an die Stickerei zu denken.
Als die Frühstücksstunde kam, ging sie mit dem Kinde hinauf und zog ihm ein anderes Kleidchen an. Dann wartete sie auf ihren Mann. Robert kam nicht. Sie setzte sich zu Tisch, schweigend verlief das Mahl.
Es vergingen ein, zwei, drei Stunden, Denise war noch immer allein. Und wie die Zeit hinstrich, verblaßte mehr und mehr ihr jäher Entschluß, mit ihrem Manne zu sprechen. Sie überlegte: ›wenn nun der Brief in La Bergerie angekommen ist, dann läßt er sofort das Dogcart anspannen, und in einer Stunde ist er hier.‹ Ihr Herz klopfte, wie sie es sich klar machte, und sie setzte es sich gleichsam als Orakel, wer zuerst von den beiden käme, für den wolle sie sich entscheiden.
Nun saß sie wieder am Fenster, die Stirn an den Scheiben, und starrte abwechselnd die Allee hinab oder über die Felder, von wo her ihr Mann kommen konnte. Eine Viertelstunde verstrich nach der andern. Sie strengte die Augen an, um bis nach dem Wäldchen hinüberzublicken. Jeden Augenblick meinte sie Roberts Gestalt zu sehen, aber je länger sie wartete, desto weniger sehnte sie sich danach. Immer mehr versank der Wunsch nach Versöhnung in ihr, immer mehr wandte sich ihr armes Herz von dem Manne ab, der ihr Leben verdorben hatte, und schlug dem andern entgegen.
Da zeigte sich oben an der Einfahrt in der Allee ein Schatten, etwas Dunkles. Man konnte in dem Blättermeer nicht erkennen, was es war. Es bewegte sich, ein Wagen – oder war es ein Fußgänger? – Denise öffnete das Fenster, sie mußte, ein Moment noch war nichts zu erkennen, aber dann, nur ein Stück von wenigen Metern zwischen den Bäumen, hatte man freien Überblick. Da – ein Pferd, ein Dogcart – er!
Wie der Blitz huschten sie vorbei. Er mußte ein rasendes Tempo fahren. Sie schloß das Fenster und ging in den Salon. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, es war ihr zumute wie vor einer gewaltigen Entscheidung, die ihrem ganzen Leben einen andern Kurs gäbe.
Sie lauschte, sie hörte Hufgeklapper, der Kies knirschte, sie vernahm Schritte auf der Treppe, eine Stimme, die Tür ging auf, er trat ein.
Er war wie immer ganz ruhig, in seinem schönen dunklen Gesicht regte sich nichts, und die Augen blickten mit ihren langen Wimpern in ihrem rätselhaften, undurchdringlichen Schwarz sie an, wie sie sie am ersten Tage angesehen hatten.
Als die Tür sich geschlossen hatte, trat er auf sie zu. Sie wußte nicht, was sie tat. Streckte sie ihm die Hand entgegen? Nahm er sie? Sie wußte nur, daß er sie im nächsten Augenblick umschlungen hielt, und sie fühlte seine Lippen auf ihrer Schulter. Dann ruhte sein Kopf an ihrem Halse. Die beiden Menschen hielten sich umschlungen und atmeten tief eine Weile: sie wagten nicht, sich anzusehen.
Endlich ließ er sie los, und die vier schwarzen Pupillen blieben eine Sekunde stehen und tauchten ineinander. Dann ein glückseliges Lächeln, und langsam fand sich Mund zu Mund.