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In einer kleinen Seitenstraße am Park Monceau hatte Herr Béranger eine Etage gemietet. Es war ein Haus, in dem sich nur noch zwei andere Mieter befanden, ein verschlafenes Haus, mit stillen Leuten, einem Junggesellen im Erdgeschoß und einem kinderlosen Ehepaar im ersten Stock.
Herr Béranger hatte mit Denise immer wieder gesprochen, und immer mehr war ihr Widerstand gewichen. Einmal gingen sie an dem Haus vorbei; er zeigte die Fenster und erzählte, das Haus gehöre ihm, die Etage hätte gerade frei gestanden, und er hätte sie eingerichtet. Aber wenn sie nicht wollte, sollte sie in ihrer Pension wohnen bleiben.
Ein andermal wußte er sie zu bewegen, mit hinaufzugehen und die Wohnung anzusehen. Ein Mädchen, schwarz gekleidet, sauber und bescheiden, machte auf. Sie starrte Denise nicht neugierig an, sondern tat so, als verstände sich das alles von selbst. Und nun zeigte er ihr die kleine, aber lauschige Wohnung, den Salon Louis XVI., einen kleinen Salon, der sich daran schloß, ein Schlafzimmer, das koketteste vielleicht von allem, mit einem Schreibtisch, der Denise einen Freudenschrei entlockte, denn er war auffallend ähnlich dem, den sie in Montmidi besessen hatte. Nach hinten hinaus lag das Eßzimmer, zwischen ihm und der Küche der Anrichteraum, dann gab es noch ein Zimmer, wo das Mädchen wohnte.
Herr Béranger sagte:
»Die Wohnung steht leer, es muß also jemand drin sein, und darum habe ich das Mädchen gemietet. Wenn Sie mir die Freude machen würden, hierher zu ziehen, so wäre es ja auch besser, Sie blieben in der Etage nicht allein, denn jetzt schläft das Mädchen in der Mansarde. Aber Sie würden sich fürchten.«
Denise antwortete nichts, sie gingen fort. Auf dem ganzen Wege spukte ihr die Wohnung im Kopf, und immer wieder quälte sie der Gedanke: ›Wem hatte sie Rechenschaft zu geben? Hatten nicht alle sie verlassen? Stand sie nicht ganz allein? War dieser Mann nicht der einzige Mensch auf Gottes Erde, der sich um sie kümmerte?‹ Und als sie an diesem Tage in ihrem verwohnten ungemütlichen Zimmer in der Pension saß und die Wirtin grinsend erzählte, sie hätte sie mit einem Herrn gesehen, da packte Denise ein Ekel, und sie war plötzlich entschlossen, das Anerbieten ihres Freundes anzunehmen.
Am nächsten Tage sagte sie ihm zu. Sie selbst erwähnte gegen die Wirtin nichts davon, daß sie ausziehen würde. Das Mädchen aus der Wohnung wurde geschickt, um mit einer Droschke die Sachen abzuholen und zu zahlen.
In ihrer Wohnung empfing sie Herr Béranger; Blumen standen in allen Vasen, und als sie ihm gerührt dankend die Hand entgegenstreckte und fragte:
»Darf ich denn das nur annehmen?« nahm er ihre Finger, küßte sie und antwortete mit einem Wort, das er sonst nie gebraucht hatte:
»Ich könnte ja Ihr Vater sein!«
Dann ließ er sie allein. An diesem Abend schritt Denise durch ihre neue Wohnung. Das Herz lachte ihr vor Freude, und das alte Bedürfnis nach schönen Sachen, nach Luxus und Bequemlichkeit wachte in ihr wieder auf.
Sie dachte nach all dem Elend des Chambregarni-Lebens an die Möbel, die sie selbst einst besessen, an die Räume im Hotel ihrer Eltern, an die Pracht, die sie einst umgeben hatte. Beim Strahlen des elektrischen Lichtes in ihrer Wohnung verglich sie die Helligkeit mit der armseligen kleinen Lampe, die sie jetzt die anderthalb Jahre gebrannt hatte, und sie atmete auf, breitete die Arme aus und schritt durch die Zimmer, sog den Duft ein, sah nach der hohen weißen Decke empor, betastete den Stoff, mit dem die Wände bespannt waren, und fühlte sich wohl in dem Luxus, der sie rings umgab.
Dann ging sie zu Bett, endlich wieder einmal in weißes, feines, köstliches Leinen, legte den Kopf auf die lange Rolle, faltete die Hände, wie sie es immer beim Schlafen tat, unter der Wange und schlief ein. Das elektrische Licht hatte sie auszulöschen vergessen und erst in der Nacht, als sie aufschreckte, drehte sie den Wirbel herum, daß es finster ward. Dann lag sie auf dem Rücken und dachte lange nach.
Sie dachte nach über den Schritt, den sie getan hatte. Erinnerungen kamen ihr, Gerede, und alles, was sie gesehen hatte von solchen, die ihren Ruf verkauft hatten um materieller Vorteile willen. Sie errötete bei dem Gedanken. Sie zerbrach sich den Kopf. War es reine Freundschaft? Ihr ward bange, daß sie auf die Pläne eingegangen war. Aber immer und immer wieder kam der Schluß, der ewige Schluß: ›Du stehst allein, sie haben dich alle verstoßen, du bist niemandem Rechenschaft schuldig, und du willst nicht Trübsal blasen und elend sein dein ganzes Leben lang!‹
Am andern Tage besuchte Herr Béranger Denise. Er blieb nur kurze Zeit, er mußte in die Deputiertenkammer. Er sagte, er wollte nur sehen, wie es ihr ginge. Als er sich verabschiedete, rief sie:
»Oh, wie soll ich Ihnen für Ihre Güte dankbar sein?«
Er antwortete nur:
»Durch Ihre Freundschaft.«
Dann ging er davon mit seinem sorgfältig gebügelten, spiegelnden Zylinder, und vom Fenster aus sah sie ihn über die Straße schreiten, aufrecht, trotz seiner Jahre ein schöner Mann.
Da wehte sie der Gedanke an: ›Wenn er sie nun heiratete? Warum sollte sie nicht seine Frau werden?‹ Sie nahm sich vor, es ihm zu sagen.
Am nächsten Morgen schickte er ihr ein paar Blumen, und nachmittags, nach Schluß der Sitzung, kam er zu Tisch. Es war alles schon vorgesehen; das Mädchen brachte ein schönes Gericht nach dem andern. Mit Austern fing es an. Denise war erstaunt, und er sagte:
»Ich habe alles von mir herüberschicken lassen, Sie sollen keine Ausgaben haben.«
Da ließ sie sich's wohlschmecken. Sie schlürfte die Austern, die sie Jahre und Jahre entbehrt hatte, mit Behagen, und sie labte sich an dem weichen Fleische und dem schönen Gemüse, an dem Eis zum Schluß. Sie aß Konfekt und petits fours, sie tat sich gütlich. Es war ihr, als erwachten die Jahre von früher, als säße sie wieder am Tisch ihrer Eltern.
Nach dem Essen bat er um die Erlaubnis, eine Zigarre rauchen zu dürfen. Sie gestattete es, und er saß ihr gegenüber, so artig und so höflich in seinem tadellos sitzenden Frack, ein älterer Mann und doch nicht dick und aufgeschwemmt, ein Mann, jung an Gefühl, mit blitzenden Augen, einer, der die Ritterlichkeit selbst gegen sie war.
Denise kämpfte mit sich, ob sie von der Ehefrage mit ihm sprechen sollte. Sie schämte sich, ihm sich selbst anzutragen und meinte, er würde schon einmal davon beginnen. Als er sich an diesem Tage empfahl, nicht zu spät, und, wie er sagte, mit blutendem Herzen, hatte sie nicht gesprochen, und es war alles wie vorher.
Seitdem kam er oft. Er sagte sich zu Tisch an, und eine Änderung erfolgte nach der andern. Eine Köchin erschien, denn es war unpraktisch, das Essen immer herüber zu holen, obgleich Herr Béranger am Park Monceau nur ein paar Häuser entfernt wohnte. Denise gab sich Mühe, ihren Tisch zu pflegen, sie wollte zeigen, daß sie etwas verstand. Sie wälzte Kochbücher durch, sie kümmerte sich um jede Kleinigkeit, sie bestellte Blumen, daß alle Vasen immer frisch geschmückt waren und es auf dem Tisch duftete und blühte.
Da begann er eines Abends, als er wieder seine Zigarre rauchte und ihr ruhig gegenüber saß:
»Meine liebe Freundin, darf ich Ihnen einmal etwas sagen? Wir sind keine Kinder mehr, wir sind vernünftige Menschen, wir wollen uns aussprechen. Es handelt sich einfach um den Geldpunkt. Meinetwegen haben Sie Ausgaben, machen Sie Luxus, meinetwegen schmücken Sie dieses Haus, in dem ich so glücklich bin, wie ich es so viele, viele Jahre nicht war. Ich kann mir nicht einmal mehr vorstellen, wie es ohne Sie war. Ich möchte jeden Tag hier essen, aber alles das kostet Geld. Sagen Sie nicht nein, es ist so. Also hören Sie – wir sind zwei vernünftige Menschen – lassen Sie mich die Wirtschaftskosten bestreiten, erst dann wird mein Glück vollkommen sein.«
Und im Gedanken an die Rechnungen, die schon ausstanden, die sich – sie begriff selbst nicht wie – gehäuft hatten, sagte sie schnell:
»Wie Sie wollen, mein lieber Freund.«
Es war ihr sonderbar, sie nannte ihn ihren Freund, sie glitt von selbst hinab auf ihrer Bahn und merkte es nicht.
An diesem Abend meinte sie, die Gelegenheit sei gekommen, sich mit ihm auszusprechen, aber sie fand nicht den Mut; sie wollte sich ihm nicht an den Hals werfen. Von ihm mußte es kommen. Darüber verging die Zeit, und es ward Frühjahr. Er war immer artig gegen sie und tat nie etwas anderes, als ihr die Hand zu küssen. An einem Abend, als es drüben vom Park Monceau herüberduftete aus den Frühlingsanlagen, die seltenen Blumen und Pflanzen ihre Lenzgerüche zu ihnen sandten, blieb er länger bei ihr als sonst. Am offenen Fenster sitzend, wurde er ganz weich. Er nahm ihre Hand und dankte ihr tausendmal für das, was sie ihm geschenkt, für all dies Glück, das er nie in seinem Leben erhofft hätte. Beim Abschied neigte er sich plötzlich zu ihr und küßte sie auf die Stirn. Es war so schnell geschehen, daß sie nicht auswich.
Eines Tages erzählte Denise Herrn Béranger von einem Laden, den sie gesehen. Sie schlug die kleinen Hände zusammen und rief:
»Oh, da waren Toiletten, so wunderbare Toiletten, der reine Traum!«
Da sprach er vernünftig mit ihr. Er sagte ihr wieder die alten Worte, ihm wäre das Geld ganz einerlei, sie sollte sich nur gut anziehen, er würde die Mittel dazu geben. Und er zog einen Scheck über fünftausend Franken aus der Tasche. Sie wollte abwehren, doch er sagte:
»Reden wir nicht darüber, das würde mich beleidigen. Ich bitte Sie dringend, lassen Sie das.«
Bald darauf ging er. Da sah sie das Papier liegen auf dem Tischchen, und neugierig näherte sie sich und las, aber sie wagte es nicht anzufassen, als sei es Gift. Sie hatte den Gedanken in dem Augenblick: ›Ich verkaufe mich.‹ Ein peinliches Gefühl, wie sie es noch nie empfunden. Sie sagte sich: ›Dort mag es liegen bleiben, dir gehört es nicht, du rührst nicht daran!‹
Aber ehe sie zu Bett ging, überlegte sie sich, das Mädchen könnte es finden. Sie nahm den Scheck, faltete ihn zusammen und steckte ihn zu sich.
Am nächsten Morgen, als sie in den Park Monceau ging, sah sie zwei Damen, die sich lebhaft unterhielten, zwei Damen, so schick, daß ihr die Augen übergingen. Mit einem Male wußte sie von sich selbst, wie einfach, wie ärmlich und häßlich sie gekleidet war.
Da lief sie wieder durch die Rue de la Paix und durch die Avenue de l'Opéra, und überall sah sie köstliche Sachen. Sie blieb stehen, wie einst bei ihrem Besuche in Paris, als damals Herr Béranger sie angeredet hatte.
Da quälte es sie, sie wollte so schön sein wie die andern. Wem galten denn ihre Bedenken, wer fragte danach? Sie trat bei einem Bankier ein. Einen Augenblick darauf hatte sie den kleinen Muff voll Papiergeld. Es fühlte sich fettig an und knisterte in ihren Fingern. Sie ging kurz entschlossen in einen Hutladen, kaufte einen Hut für neunzig Franken und eine Straußenfeder-Boa. Dann trat sie bei einer Schneiderin ein und bestellte ein Kleid. Es fiel ihr ein, sie brauchte ein neues Korsett, sie ließ sich Maß nehmen und trieb die Frau zur Eile an, da sie das Kleid darauf anprobieren wollte.
Als sie dann in dem neuen Korsett vor dem Spiegel stand, war sie selbst erstaunt über ihre Gestalt. Sie war um zwei Fingerbreiten schmäler geworden, es saß, es drückte nicht im mindesten, und sie klatschte in die Hände und besah sich von vorn und von hinten, von der Seite. Als dann das Kleid fertig war, saß es wie angegossen, und wie sie nun über die Straße schritt, klang ihr der alte Ton wie süße Musik in den Ohren, das Rauschen des Futters, der Seide.
Mit dieser Musik des Luxus schien ihr Herz wie umgewandelt. Sie warf alle Bedenken über Bord; sie blieb vor den Läden stehen, in denen nur Reiche kauften, sie betrachtete Dinge, die sie hätte haben wollen; sie ging mit Herrn Béranger und zeigte ihm dies und jenes, das sie schön fand.
Am Abend brachte er es ihr zu Tisch. Es waren nur Nippes, eine winzige, silberne Pendüle, eine kleine Bronzefigur. Sie schämte sich nicht, es zu nehmen, denn sie hatte noch nie einen Mann beim Schenken so glücklich gesehen. Es war, als hätte sie ihm mit ihrem Wunsch ihre Liebe erklärt, so strahlte sein Gesicht. Dann gingen sie miteinander durch die Wohnung und suchten den Fleck, wo der Gegenstand hinpaßte. Dabei fanden sich hundert andere Orte, wo man etwas hätte hinstellen können.
Am nächsten Tage brachte Herr Béranger ihr eine neue Kleinigkeit und eine Woche darauf eine große schöne Bronze, ein Werk von Falguière, das drei Mann hereinschleppten und auf einen Sockel in einer Ecke niederließen.
Denise war glückselig, sie sagte immerfort zu ihm:
»Das ist zu viel, das will ich nicht!«
Aber seine Augen leuchteten, und er bettelte, die Hände zusammenschlagend, wie ein Kind:
»Ach bitte, bitte, es macht mir ja so furchtbaren Spaß!«
An diesem Abend beim Abschied legte er langsam seinen Arm um ihre Schulter und sagte:
»Gute Nacht, meine Freundin, Sie machen mich sehr glücklich.«
Dabei beugte er sich nieder, und sein Mund streifte ihre Wange ...